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Interpharm online 2020
ABDA muss beim Thema „Länderliste“ endlich aktiv werden!
Rechtsfreier Raum Grenzapotheken
In seinem pointierten Vortrag warf Schweim zunächst einen kurzen Blick zurück und erinnerte an die komplette Freigabe des Arzneimittelversandhandels im Jahr 2004, die in einem Akt vorauseilenden Gehorsams gesetzgeberisch durchgeboxt wurde, obwohl dies bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln weder unionsrechtlich noch verfassungsrechtlich geboten oder gar notwendig war. Die Einsparungen in Höhe von sieben Milliarden Euro für die Krankenkassen als „Köder“ hätten sich nie eingestellt. Aber auch Teile der Apothekerschaft hätten sich seinerzeit mit der Zulassung von Filialapotheken und „Mitverdienen“ beim Versandhandel ins Bockshorn jagen lassen.
Weniger Apotheken und noch weniger Chefs
Die Folge davon ist für Schweim das kontinuierliche Apothekensterben. Noch nie ist die Zahl der Apotheken innerhalb eines Jahres so stark gesunken wie 2019. Bei einem „sanften“ Szenario“ geht er für das Jahr 2030 von einer Apothekenzahl von knapp 15.000 aus. Im Worst case könnte die Zahl auf nur noch 11.800 Apotheken abstürzen, befürchtet er. Noch stärker zurückgegangen ist die Zahl der Apothekeninhaber, was den Trend zu steigender Konzentration widerspiegelt: Laut ABDA betrieben Ende 2019 14.473 Inhaber 19.075 Apotheken. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 14.882 Inhaber gewesen.
E-Rezept plus Corona-Pandemie: gefährliche „Mischung“
„Wir werden von zwei Seiten ummauert, einmal von der Preisschere und zum anderen dadurch, was uns vom Versandhandel droht“, stellte der Regulatory Affairs-Experte fest. Im Jahr 2030 könnte der Rx-Versandhandel einen Marktanteil von bis zu 10,2 Prozent und 5,1 Milliarden Euro Umsatz erreichen, was für die stationären Apotheken ein Minus von 4,3 Mrd. Euro bedeute. Dabei werden die niederländischen Versandapotheken mit Zur Rose/DocMorris an der Spitze seiner Prognose zufolge eine entscheidende Rolle spielen. Der Platzhirsch erwirtschaftete im Jahr 2018 nach Zahlen von „Statistica“ in Deutschland einen Umsatz von 457 Millionen Euro. Die Schweizer „Zur Rose Group“, zur der auch DocMorris gehört, konnte ihren Umsatz in Deutschland im vergangenen Jahr um rund 45 Prozent steigern. Der Konzern knüpft hohe Erwartungen an die verpflichtende Nutzung des E-Rezepts ab 2022. Schweim hält dieses vor allem unter den Bedingungen einer fortdauernden Corona-Pandemie für „das größte Einfallstor für die niederländischen Versender auf den deutschen Apothekenumsatz“. Der wirtschaftliche Abwärtstrend könnte dadurch noch weiter beschleunigt werden.
Der „schwarze Peter“ der Überwachung
Ein Zankapfel ist schon seit Jahren, wer die Einhaltung der Standards in den niederländischen Grenzapotheken überwacht. Schweim legte ausführlich dar, wie sich die niederländischen und deutschen Behörden diesbezüglich gegenseitig die Verantwortung zuschieben. In den Niederlanden inspiziert die Inspectie Gezondheidszorg en Jeugd (IGJ) die öffentlichen Apotheken auf der Grundlage der dortigen Gesetzgebung und „professioneller Standards“. Bei Grenzapotheken, die nur an Patienten in einem anderen EU-Mitgliedstaat liefern, erlaubt die IGJ allerdings Abweichungen von den heimischen Normen. Sie müssen dafür jedoch nachweisen, dass sie mit den Gesetzen und Vorschriften des Empfängermitgliedstaates konform gehen. Hierzu sollten sie seit 2017 eine schriftliche Erklärung der deutschen Behörden beibringen. Ob und wie viele Apotheken dieser Aufforderung nachgekommen sind, sei weder von den zuständigen Stellen in den Niederlanden noch in Deutschland zu erfahren, kritisierte Schweim. Dagegen hätte man seiner Meinung nach unbedingt vorgehen müssen. Sein Vorwurf an die ABDA: „Warum nutzt die Standesvertretung nicht die rechtlichen Möglichkeiten, zum Beispiel das niederländische Informationsfreiheitsgesetz, um Zugang zu den Erklärungen zu erhalten, die die deutschen Behörden in Bezug auf die Grenzapotheken abgeben sollten?“
Schweim: Grenzapotheken werden nicht überprüft
Eine weitere Bestätigung seiner Vermutung, dass die Grenzapotheken nicht inspiziert werden, findet er auch durch eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Deutschen Bundestag vom Juli letzten Jahres. Hiernach war das Bundesgesundheitsministerium der Auffassung, dass die Niederlande die Überwachung der Apotheken in ihrem Hoheitsgebiet in eigener Zuständigkeit regeln und vollziehen. Deutsche Behörden könnten durch niederländisches Recht grundsätzlich nicht zu Überwachungsmaßnahmen in den Niederlanden verpflichtet werden. Folgerichtig war die Linksfraktion aufgrund dieser Antwort zu dem Schluss gekommen, dass eine Prüfung der Versandapotheken, die nach dem niederländischen Recht als „Grensapotheke“ eingestuft werden, nicht zu existieren scheine. Auch die EU-Kommission verschließe vor dem Problem die Augen. Schweims Schlussfolgerung: Offensichtlich fehle nicht nur in Deutschland der politische Wille, etwas gegen dieses Kontrolldefizit zu unternehmen, sondern auch auf EU-Ebene.
Länder-Liste: Still ruht der See
Der Arzneimittelversand nach Deutschland durch niederländische Grenzapotheken wird zurzeit allein durch die fragile Rechtsgrundlage der sogenannten „Länderliste“ legalisiert. Diese erlaubt Versendern in Mitgliedstaaten, in denen für den Versandhandel und den elektronischen Handel mit Arzneimitteln dem deutschen Recht vergleichbare Sicherheitsstandards bestehen, den Versand nach Deutschland. Auf der Liste stehen seit 2005 auch die Niederlande. Die Liste soll jedoch in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden. Das ist aber bislang im Hinblick auf die Niederlande nicht geschehen, monierte Schweim, obwohl Änderungen der Bekanntmachung durch das Gesundheitsministerium möglich wären. Im Übrigen liege völlig im Dunkeln, welche Kriterien seinerzeit für die Aufnahme der Niederlande auf die Liste überhaupt angelegt worden seien. Seiner Prüfung zufolge entsprechen die Sicherheitsstandards für Versandapotheken in den Niederlanden in zentralen Punkten nicht dem deutschen Apothekenrecht – ein Hebel, der seiner Meinung nach unbedingt angesetzt werden muss: „Die ABDA hätte längst beim Bundesgesundheitsministerium auf Aktualisierung und Einhaltung der Kriterien der Länderliste bestehen müssen oder wegen Untätigkeit klagen sollen.“
Informationszugangsgesetze als Ansatzpunkt
Die Zeit drängt, denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will die Rechtsgrundlage für die „Länder-Liste“ in § 73 Abs. 1 Satz 3 des Arzneimittelgesetzes ersatzlos streichen. Seine – unzutreffende – Begründung: Das gemeinsame europäische Versandhandelslogo mache die Länderliste obsolet. Damit wäre der zurzeit noch bestehende Ansatzpunkt, um gegen die Grenzapotheken vorzugehen, beseitigt. Nachdrücklich wies Schweim darauf hin, dass das „Versandhandelslogo“ jedoch lediglich die Einhaltung der Regeln im Absenderland und nicht im Empfängerland bescheinigt. Genau um Letzteres geht es jedoch nach Wortlaut, Sinn und Zweck in der Länder-Liste. Um zu retten, was noch zu retten sei, muss, so Schweim, jetzt schnell gehandelt werden. Vehement appellierte Schweim an die ABDA, endlich aktiv zu werden – auch um Licht in das Dunkel der niederländischen Grenzapotheken und die Genese der Etablierung der deutschen Versandhandelsregelungen zu bringen. Das scharfe Schwert der niederländischen (und deutschen) Informationszugangsgesetze könnte hierbei durchaus gute Dienste leisten. |
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1 Kommentar
Länderliste
von Joachim Eggers am 02.10.2020 um 10:15 Uhr
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