Arzneimittel und Therapie

Ultraschnell dank Citrat und Prostaglandin

Neue Insulin-lispro-Formulierung verspricht Fortschritte

cel/du | Seit Kurzem steht mit Lyumjev® eine neue Insulin-lispro-Formulierung zur Verfügung. Das Besondere: Lyumjev® enthält als Hilfsstoffe Citrat und Treprostinil. Sie sollen dafür sorgen, dass das Insulin schneller absorbiert werden und wirken kann. Doch ist schneller automatisch besser? Was sind Vorteile des „ultraschnellen“ Insulins, für wen eignet es sich, für wen eher nicht? Professor Dr. Baptist Gallwitz vom Universitätsklinikum Tübingen gibt Antworten.

Postprandiale Hyperglykämien bleiben trotz mittlerweile guter Therapieoptionen eine Herausforderung bei der Behandlung des Diabetes mellitus. Sie erschweren die Blutzuckerkontrolle und gelten als Risikofaktor für Folgekomplikationen. Besonders rasch wirksame Insuline sollen diese Krux beheben, so auch Lyumjev®. Zugelassen ist es zur Behandlung von Erwachsenen mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2. Die Weiterentwicklung von Insulin lispro (Humalog®) enthält die beiden Hilfsstoffe Citrat und Treprostinil. Das Prostacyclin-Analogon Treprostinil erweitert die lokalen Blutgefäße, Citrat erhöht deren Permeabilität. Der Effekt: Insulin lispro wird schneller absorbiert, seine Wirkung tritt schneller ein. Treprostinil wird auch zur Behandlung der idiopathischen oder familiären pulmonal-­arteriellen Hypertonie eingesetzt und ist als Remodulin® in Konzentrationen von 1 mg/ml oder 5 mg/ml im Handel. In dem neu formulierten Insulin lispro dient es als Hilfsmittel. Pro einer IE Insulin lispro (100 IE/ml) sind 10 ng Treprostinil enthalten. Mit dieser Dosierung sollen kein messbarer zirkulierender Blutspiegel und keine systemischen Effekte wie zum Beispiel eine Thrombozytenaggregationshemmung erzielt werden. Deshalb durfte auch auf Interaktionsstudien mit Lyumjev® verzichtet werden.

Die neue Formulierung wird 0 bis 2 Minuten vor der Mahlzeit subkutan injiziert, auch eine Anwendung 20 Minuten nach einer Mahlzeit ist möglich. Umstellungen von anderen Insulinen können äquivalent vorgenommen werden: 1 IE Lyumjev® entspricht 1 IE Humaninsulin oder 1 IE anderer schnell wirksamer Insuline.

Foto: Andrey Popov – stock.adobe.com

Blutglucose-Spiegel schneller und länger im Zielbereich, das soll eine moderne Insulin-Therapie garantieren.

Physiologischere Insulin-Wirkung

Die neue Insulin-lispro-Formulierung kommt laut Lilly „der physiologischen Insulinwirkung stoffwechselgesunder Menschen noch näher“. Denn das Problem aller subkutan applizierten Insuline im Vergleich zur endogenen Insulin-Freisetzung aus der Bauchspeicheldrüse ist: Bei Gesunden wird das Insulin nach einer Mahlzeit vor allem in den Portalkreislauf freigesetzt, das Insulin flutet dadurch besonders schnell in der Leber an. Bei subkutan injiziertem Insulin hingegen dauert es länger, bis das Insulin aus dem peripheren subkutanen Depot in die Leber gelangt. In der Tat erreicht Lyumjev® Studien zufolge schneller die Leber als andere Insuline. In einer im Mai 2020 veröffentlichten Cross-over-Studie „Ultra-rapid Insulin lispro lowers postprandial Glucose and more closely matches normal physiological glucose response compared to other rapid insulin analogues: a phase 1 randomized crossover Study“ wurden die vier Insuline Fiasp® (Insulin aspart plus Nicotinamid als Resorptionsverstärker), Humalog® (Insulin lispro), NovoRapid® (Insulin aspart) und Insulin Lyumjev® (Insulin lispro plus Citrat und Treprostinil als Resorptionsverstärker) verglichen. Lyumjev® zeigte eine signifikant schnellere Insulin-Absorption im Vergleich zu den anderen getesteten Insulinen: Es erreichte die halbmaximale Arzneimittelkonzentration 13 Minuten nach Injektion und war damit 6 Minuten schneller als Fiasp®, 13 Minuten schneller als Humalog® und 14 Minuten schneller als Novo Rapid® (alle p < 0,0001). Zusätzlich verringerte die neue Insulin-lispro-Formulierung die postprandialen Glucose-Spiegel zwei Stunden nach der Mahlzeit am stärksten (7 mg/dl vs. Fiasp®, 21 mg/dl vs. Humalog®, 29 mg/dl vs. NovoRapid®). Die Wissenschaftler fanden zudem, dass sich unter Lyumjev® der postprandiale Glucoseverlauf in den ersten drei Stunden nach der Mahlzeit denen gesunder Probanden angenähert hatte.

„Zu schnell“ geht subkutan nicht

Doch kann es nicht auch „zu schnell“ gehen mit der Insulinanflutung und dadurch Hypoglykämien drohen – immerhin benötigen Kohlenhydrate aus der Nahrung auch eine gewisse Zeit, bis sie resorbiert sind. Professor Baptist Gallwitz, stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik IV an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und früherer Präsident der DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft), erklärt: „Eine zu schnelle Insulin-Wirkung bei subkutan appliziertem Insulin ist eigentlich nicht möglich. Das Insulin wird im Prinzip an den ,falschen Ort‘ gespritzt, nämlich unter die Haut, während physiologisches Insulin direkt in den Portalkreislauf sezerniert wird“.

Vorteile sieht Gallwitz vor allem für Patienten mit kontinuierlicher Gewebeglucose-Messung: „Für Patienten mit einer kontinuierlichen Gewebeglucose-Messung und einer Insulinpumpe kann das neue Insulin durchaus Vorteile bringen. Wünschenswert wäre zudem, dass Anwendungsdaten irgendwann zeigen, dass es unter dem neuen, schnellen Insulin zu weniger Blutglucoseschwankungen kommt, die sich dann positiv auf Retinopathien oder Nephropathien auswirken.“

Diese Daten fehlen bislang. Verständlich: Retinopathien oder Nephropathien sind Langzeitkomplikationen eines Diabetes. Wie sich Lyumjev® auf diese auswirkt, wird folglich erst in Jahren sichtbar sein. Man könne jedoch annehmen, so Gallwitz, dass Patienten, die länger im Zielbereich der physiologischen Glucose liegen, sodann auch langfristig besser vor Folgeerkrankungen geschützt seien. Dass dieses Prinzip funktioniert, habe die DCCT-Studie gezeigt: „Wir wissen aus der Diabetes Control and Complications Trial bei Typ-1-Diabetikern, dass sich durch eine adäquate Therapie des Diabetes die Risiken für Folgeerkrankungen wie Retinopathie und Nephropathie verringern lassen“.

Foto: Lliy Deutschland GmbH

Länger im Zielbereich

Dass Lyumjev® Diabetiker längere Zeit im Zielbereich hält, zeigte eine Substudie von PRONTO-T1D, einer der beiden Zulassungsstudien, mit doppelt verblindeter kontinuierlicher Glucosemessung. Hier konnte Lyumjev®, zu den Mahlzeiten gegeben, die postprandiale Glucose stärker senken als Humalog®. Die individuelle Zeit im Zielbereich verlängerte sich unter Lyumjev® um 44 Minuten. Zudem zeigte die Studie an 1222 erwachsenen Typ-1-Diabetikern, dass Lyumjev® den HbA1c-Wert ähnlich senkt wie Humalog®, zusätzlich ermöglichte es aber eine signifikant überlegene Reduktion der Blutzuckerspitzen ein bis zwei Stunden nach einer Testmahlzeit. Keine signifikanten Unterschiede zeigten sich zwischen den beiden Insulinen hinsichtlich der Hypoglykämierate innerhalb von vier Stunden nach der Mahlzeit. Im Zeitraum von mehr als vier Stunden nach der Mahlzeit ergaben sich bei Menschen mit Typ-1-Diabetes den Studienergebnissen zufolge sogar Vorteile: Hier ist die Hypoglykämierate unter Lyumjev® um 37 Prozent und damit signifikant geringer als unter Humalog®.

Wann auf Lyumjev ­umstellen?

Sollten Patienten, die gut mit ihrer Insulin-Therapie eingestellt sind, auf das neue Insulin umgestellt werden, um die möglichen Vorteile zu nutzen? „Ich stelle keinen Patienten um, der gut eingestellt ist und mit seiner aktuellen Insulin-Therapie zufrieden ist“, erklärt Gallwitz. „Never change a winning team! Doch wenn es Situationen gibt, in denen der Diabetiker mit seiner augenblicklichen Therapie nicht rundum zufrieden ist, kann man alternativ das neue Insulin Lyumjev® versuchen“.

Nachteile der neuen Option

Welche Nachteile könnte eine Insulin-Therapie mit besonders schnell wirksamen Insulinen wie Insulin lispro Lyumjev® mit sich bringen? Professor Gallwitz erklärt hierzu: „Wenn Patienten Mahlzeiten bevorzugen, die zu einer langsameren Glucose-Aufnahme führen, zum Beispiel mit einem hohen Fettanteil, ist ein solches Insulin nicht unbedingt vorteilhaft.“

Gallwitz betont, dass dieses neue Insulin sicher nicht alle Probleme für alle Diabetiker lösen kann. Doch: „Es ist immer gut, wenn wir weitere Therapiemöglichkeiten bekommen und diese dann für geeignete Patienten nutzen können.“ |

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