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Reisepharmazie
Nicht nur am Nil unterwegs
Das West-Nil-Virus tritt auch in Deutschland auf
Das zur Familie der Flaviviren gehörende West-Nil-Virus (WNV) gehört zu den am weitest verbreiteten Flaviviren überhaupt [1]. Es handelt sich um ein umhülltes positivsträngiges Ribonukleinsäure(RNA)-Virus, dessen Subtypen 1 und 2 beim Menschen mit Krankheiten assoziiert sind. 1937 wurde es zum ersten Mal im West-Nil-Distrikt von Uganda isoliert. Die Übertragung erfolgt in erster Linie von Stechmücken (Vektor) auf wild lebende Vögel (amplifizierender Wirt) (s. Abb. 1) Dort vermehrt sich das Virus stark. Es können auch Säugetiere (vor allem Pferde) oder Menschen durch eine Mücke infiziert werden, die sich zuvor an Vögeln infiziert hat. Da diese jedoch nur niedrige Virusspiegel im Blut tragen, sind sie keine Virusquelle für Mücken (Fehlwirte). In Europa sind die Mückenarten Culex pipiens (Gemeine Stechmücke) und Culex aestestus die Hauptvektoren des West-Nil-Virus. Aedes albopictus (Asiatische Tigermücke) und Aedes detritus hingegen spielen nur eine untergeordnete Rolle, da sie vorwiegend Säugetiere stechen und daher die Infektion wahrscheinlich nicht von Vögeln bekommen [2]. Die Übertragung des West-Nil-Virus erfolgt zwischen Frühling und Herbst, da dann die Mücken aktiv sind. Die meisten Infektionen beim Menschen in Europa werden zwischen Juli und September beobachtet, bei anhaltend warmem Wetter auch bis in den November hinein. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch kann durch Bluttransfusionen, Organtransplantation, Muttermilch und während der Schwangerschaft erfolgen [1, 2].
Vorkommen
Alle Erdteile sind vom West-Nil-Virus betroffen, in weiten Gebieten der Erde ist es endemisch (siehe Abb. 2). Durch Zugvögel gelangt das Virus aus den Tropen in den Mittelmeerraum und nach Europa. Seit den 1990er-Jahren sind in Süd- und Südosteuropa zunehmend saisonale Wellen von West-Nil-Virus-Fällen dokumentiert. Aktuell besonders betroffen sind Griechenland, Spanien und Norditalien sowie Teile des Balkans (s. Abb. 3). In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren immer wieder vereinzelte, reiseassoziierte Fälle gemeldet. 2018 erfolgte dann die erste Meldung einer autochthonen Infektion in Deutschland. Es handelte sich dabei um einen Tierarzt, der sich vermutlich bei der Sektion eines infizierten Vogels angesteckt hatte. 2019 wurden fünf autochthone Fälle aus Ostdeutschland gemeldet, die mutmaßlich auf Mückenstiche zurückzuführen waren [5]. 2020 wurden bereits 13 autochthone West-Nil-Virus-Fälle bekannt [6, 7]. So wurden in Leipzig in dieser Saison bislang insgesamt sieben Meldefälle mit Virus-Nachweis übermittelt, ein Fall aus Meißen und ein Fall aus Berlin. Da das West-Nil-Virus in Deutschland noch recht unbekannt ist, testen möglicherweise nicht alle Ärzte bei vorliegenden Symptomen. Somit könnte die Dunkelziffer höher liegen. Das Robert Koch-Institut rechnet damit, dass das Virus in Deutschland überwintern kann und somit künftig vor allem in warmen Sommern auch hierzulande durch Mücken übertragene West-Nil-Virus-Fälle auftreten können [1]. Ärzte sollten vor allem im Sommer und Spätsommer und in Gebieten mit bekannter Zirkulation der West-Nil-Viren in Tieren bei Personen mit ätiologisch unklaren Meningoenzephalitiden und bei örtlichen Häufungen von Patienten mit Fieber unklaren Ursprungs (mit oder ohne Hautausschlag) eine Diagnostik auf das West-Nil-Virus veranlassen – auch wenn die Personen keine Reiseanamnese aufweisen.
Symptome
Die meisten Infizierten entwickeln keine klinischen Symptome. In ca. 20% der Fälle kommt es nach einer Inkubationszeit von drei bis 14 Tagen zu grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, gelegentlich Hautausschlag (am Rumpf des Körpers) und geschwollene Lymphdrüsen, die drei bis sechs Tage andauern. Nur ca. 0,6 bis 1% der Infizierten erkranken schwer an einer neuroinvasiven Form. Mögliche Symptome sind Meningitis, teils Enzephalitis, mentale Veränderungen, schlaffe Lähmung, Störungen der Muskelkoordination, extrapyramidale Symptome, Sehnerv-Entzündung, Polyradikulitis und epileptische Anfälle. Meist heilen diese Symptome komplikationslos aus, nur bei Enzephalitis-Patienten sind in ca. 50% der Fälle Spätfolgen zu beobachten. Die neuroinvasive Form betrifft Personen jeden Alters, allerdings haben Patienten über 50 Jahre sowie immungeschwächte Menschen ein höheres Risiko schwer zu erkranken. Etwa 5 bis 10% der Patienten mit neuroinvasiven Symptomen versterben [1, 8].
Diagnose und Therapie
Treten bei einem Reiserückkehrer aus einem Gebiet mit West-Nil-Virus-Fällen entsprechende Symptome auf, sollte ein Labortest durchgeführt werden. Das Gleiche gilt auch bei Personen mit einer Enzephalitis unklarer Ursache sowie beim gehäuften Auftreten von unklarem Fieber. Der Nachweis erfolgt in den ersten Tagen nach Symptombeginn mittels Reverse-Transkriptase(RT)-PCR-Test aus Serum, Vollblut oder Liquor. Im weiteren Verlauf ist der Nachweis von IgG- und IgM-Antikörpern mittels Elisa-Test möglich. Serum-IgM-Antikörper können länger als ein Jahr bestehen bleiben. Um Kreuzreaktionen mit anderen Flaviviren auszuschließen, kann ein hoch-spezifischer Plaque-Reduktions-Neutralisationstest durchgeführt werden. Das West-Nil-Virus gehört in Deutschland zu den meldepflichtigen Erkrankungen. Die Therapie erfolgt ausschließlich symptomatisch. Patienten mit neuroinvasivem West-Nil-Virus werden häufig stationär behandelt. Dabei muss auch auf die Prävention von Sekundärinfektionen geachtet werden [1, 8].
Auf einen Blick
- Das West-Nil-Virus gehört zur Familie der Flaviviren.
- Die Übertragung erfolgt durch Stechmücken, vor allem der Gattung Culex.
- Hauptwirt sind Vögel, der Mensch ist ein Fehlwirt.
- Alle Erdteile sind vom West-Nil-Virus betroffen.
- Seit letztem Jahr gibt es nachgewiesene, autochthone, auf Mückenstiche zurückzuführende Fälle in Deutschland.
- Die Infektion verläuft meist symptomlos, bei 20% der Infizierten kommt es zu grippeähnlichen Symptomen.
- Selten kommt es zur neuroinvasiven Form mit z.B. Meningitis und schlaffer Lähmung.
- Die Therapie erfolgt ausschließlich symptomatisch.
- Vorbeugend ist nur der Schutz vor Mückenstichen möglich, eine Impfung steht nicht zur Verfügung.
Vorbeugung
Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung. Das Risiko, mit dem West-Nil-Virus infiziert zu werden, kann durch den Schutz vor Mückenstichen reduziert werden. Dazu gehören das Tragen von langer Kleidung, die Anwendung von Repellenzien sowie der Gebrauch von Moskitonetzen und Fenstergittern [1, 8]. |
Literatur
[1] West-Nil-Fieber im Überblick. Informationen des Robert Koch-Instituts, Stand: 29. Oktober 2019, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/W/WestNilFieber/West-Nil-Fieber_Ueberblick.html
[2] Factsheet about West Nile virus infection. Informationen der European Center for Disease Prevention and Control, Stand: 29. November 2018, www.ecdc.europa.eu/en/west-nile-fever/facts/factsheet-about-west-nile-fever
[3] West-Nil-Fieber. Merkblatt für Beschäftigte und Reisende, Stand: Oktober 2018, Auswärtiges Amt, Gesundheitsdienst, www.auswaertiges-amt.de/blob/2128768/106f7154ed6d411ddc7dba0a8eabfc0d/west-nil-fieber-data.pdf
[4] West Nile virus in Europe in 2020 – human cases compared to previous seasons, updated 3. September 2020. Informationen der European Centre for Disease Prevention and Control, www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/west-nile-virus-europe-2020-human-cases-compared-previous-seasons-updated-3
[5] Autochthone Infektionen mit dem West-Nil-Virus in Deutschland 2018 und 2019. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts (RKI) 2020;25: 3-10, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/25_20.pdf?__blob=publicationFile
[6] Erneut autochthone menschliche Infektionen mit dem West-Nil-Virus in Deutschland 2020. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts (RKI) 2020;36:22, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/36_20.pdf?__blob=publicationFile
[7] Aktuelle Situation zu autochthonen menschlichen Infektionen mit dem West-Nil-Virus in Deutschland 2020. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts (RKI) 2020;37:20, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/37_20.pdf?__blob=publicationFile
[8] Factsheet West Nil Virus. Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Stand: 3. Oktober 2017, www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/west-nile-virus
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