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„Der Vorabend zu einer großen Veränderung“
Pro AvO und Phoenix basteln an einer Mega-Apothekenplattform – was steckt dahinter?
Doch im Juli, drei Wochen nach der Vorstellung von Apora, wurde bekannt, dass die Partner noch einen drauf setzen: Das ursprüngliche Projekt Apora ist gestrichen. Vielmehr soll nun zusammen mit dem Pharmagroßhändler Phoenix eine Mega-Plattform entstehen, die alle Beteiligten im Gesundheitswesen vernetzt und die es mit Amazon und Co. aufnehmen kann. Im Rahmen eines Interviews sprachen wir mit Frank Hennings, Geschäftsführer Handel bei Sanacorp, sowie Marcus Freitag, Deutschlandchef von Phoenix, über die neuen Pläne von Pro AvO mit Beteiligung von Phoenix.
DAZ: Kurz vor dem Launch der Apothekenplattform von Pro AvO wurde bekannt gegeben, dass Phoenix und Pro AvO ein Joint-Venture gründen werden. Warum so plötzlich und kurz vor dem Launch?
Hennings: Ganz so plötzlich, wie es scheint, war es nicht. Von Anfang an stand bei Pro AvO die Branchenlösung im Vordergrund. Das bedeutet, dass die Initiative für alle Unternehmen und Institutionen im Apothekenmarkt offen stehen muss. Als wir vor Längerem angefangen haben, uns über die Initiative konkret Gedanken zu machen, redeten wir noch ausschließlich über das Thema Arzneimittelversorgung. Mittlerweile betrachten wir das sehr viel breiter.
DAZ: Wie genau?
Hennings: Wir sind davon überzeugt, dass wir nur dann erfolgreich werden, wenn wir dem Endverbraucher eine ganzheitliche Lösung präsentieren mit den unterschiedlichsten Angeboten. Dafür müssen wir das ursprüngliche Konzept auch für andere Leistungserbringer öffnen. Konkret bedeutet das: Wenn ich vom Arzt eine Verordnung erhalte, dann geht es in einigen Fällen eben nicht um Arzneimittel, sondern beispielsweise um eine logopädische Therapie. Mit unserer Initiative müssen wir also auch den Zugang der Patienten zu anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen ermöglichen.
Freitag: Ich glaube, dass wir mit der App „deine Apotheke“ in Kombination mit Payback aktuell die vernünftigste Lösung am Markt haben. Wir sind aber mit den Partnern von Pro AvO seit Monaten deshalb im Gespräch, weil wir bei Phoenix davon überzeugt sind, dass es zu kurz gesprungen wäre, wenn man nur die Apotheken im Fokus hat. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir eine tatsächliche Gesundheitsplattform brauchen.
DAZ: Die Beteiligung von Phoenix soll ja nicht die Gesellschafterstruktur der Pro AvO GmbH verändern, sondern ein ganz neues Joint-Venture bilden. Erklären Sie uns bitte dieses Konstrukt genauer.
Hennings: Die fünf Gesellschafter der Pro AvO und Phoenix planen ein neues Unternehmen zu gründen. In diesem neuen Unternehmen wird die Gesundheitsplattform entstehen. Wie die Anteile unter den Gesellschaftern genau aufgeteilt werden, möchten wir zum jetzigen Zeitpunkt inmitten der Vertragsverhandlungen noch nicht kommunizieren.
DAZ: Mal direkt gefragt: Präsentiert man die deutschen Vor-Ort-Apotheken durch eine Plattformökonomie nicht denen auf einem Servierteller, vor denen man sie eigentlich schützen will?
Hennings: Eine Grundausrichtung, die wir von Anfang hatten, war es ja, die Apotheker selbst gesellschaftsrechtlich zu beteiligen, beispielsweise in Form einer Genossenschaft. Unser Handeln ist zwar davon geprägt, was der Endverbraucher will, aber in unserem Fokus steht natürlich die Apotheke.
Freitag: Der Markt und der Endverbraucher werden sich weiter digitalisieren – und zwar unabhängig von der aktuellen Corona-Krise. Alle Beteiligten wollen, dass Arzneimittel weiterhin, und zwar on- und offline, über die Vor-Ort-Apotheken abgegeben werden. Und um das zu erreichen, brauchen wir diese Gesundheitsplattform. Deshalb ist für uns als Phoenix gar nicht das Ziel, irgendwelche Gesellschafteranteile zu veräußern.
DAZ: Mit anderen Worten: Sie sehen die Aufstellung einer Plattform und einer starken Marke als Garantie für die Apothekenzukunft in Deutschland?
Freitag: Wir erleben in München beispielsweise das Amazon-Vertriebskonzept „Prime Now“. Endverbrauchern ist es dabei möglich, innerhalb einer Stunde über Apotheken an OTC-Arzneimittel zu kommen. Glauben wir wirklich, dass alles so wie in der Vergangenheit weiterläuft oder glauben wir, dass sich Märkte verändern werden? Wir alle sechs sind davon überzeugt, dass sich Märkte verändern und wir gemeinsam versuchen müssen, die Arzneimittelversorgung nach wie vor durch die Apotheken zu garantieren. Unser Problem liegt nicht innerhalb des Systems, sondern außerhalb. Jetzt stellt sich die Frage: Schafft man das als Einzelapotheke? Oder muss es eine Branchenlösung geben?
Hennings: Die aktuelle Phase ist der Vorabend zu einer großen Veränderung – gerade im Hinblick auf die Einführung des E-Rezepts. Das wird ein echter Game-Changer, auch mit vielen Chancen für den Endverbraucher. Wir sind davon überzeugt, dass die aktuelle Versorgung durch die Apotheke vor Ort qualitativ kaum zu toppen ist. Die Schnelligkeit und die persönliche Bindung sind nicht zu schlagen. Wir müssen das also selbst in die Hand nehmen, weil wir genau wissen, was die Menschen heute und morgen brauchen.
DAZ: Mitte Mai wurde in einer kleinen Pressemitteilung bekanntgegeben, dass Phoenix, ADG und das ARZ Haan eine eigene Initiative gegründet haben. Was wird daraus?
Freitag: Das Projekt ist nicht auf Eis gelegt. Wir arbeiten weiter mit dem Abrechnungszentrum ARZ Haan zusammen, wie auch mit Noventi und den anderen. Nichtsdestotrotz möchten wir diese Initiative, die wir da gestartet haben, auch in unsere neue Plattform überführen, denn diese muss stets über offene Schnittstellen verfügen. Einen „closed shop“ wird es nicht geben. Wir ermöglichen allen Marktteilnehmern den Zugang. Deshalb hoffe ich, dass auch das ARZ Haan zukünftig Teil des Leistungsangebots des Joint Ventures sein wird.
DAZ: Warum sind Sie davon überzeugt, dass dieses Engagement auch außerhalb der Apothekenbranche wertgeschätzt und mit offenen Armen empfangen wird?
Hennings: Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Durch die Zusammenarbeit mit dem Abrechnungszentrum Optica implementieren wir ja eine Technologie, die sich an sonstige Leistungserbringer richtet. Das ist ein Beleg dafür, dass wir in Gesprächen mit den unterschiedlichsten Playern im Gesundheitswesen stehen. Die Erkenntnis aller: Einer alleine schafft es nicht und Insellösungen reichen nicht. Ich nehme aus diesen Gesprächen wahr, dass wir zumeist auf offene Türen stoßen. Man kommt sehr schnell zu einem gemeinsamen Zielbild.
Freitag: Wir müssen uns lösen von der Vorstellung, dass Themen im Gesundheitssystem nur von einzelnen Marktteilnehmern betrachtet werden können. Es muss vielmehr um die Sicht des Endverbrauchers gehen: Was will der Patient? Dem ist doch vollkommen egal, wie ein Arzt oder Apotheker denkt. Stellen Sie sich vor, im Beratungsgespräch mit dem Apotheker ergibt sich die Situation, dass der Patient an den Arzt verwiesen werden muss. Warum kann der Apotheker nicht dem Patienten anbieten, einen Termin zu vereinbaren oder eine telemedizinische Sprechstunde in die Wege zu leiten, die direkt in der Apotheke stattfindet? Aus Sicht des Endverbrauchers heraus müssen sich die Fragestellungen zwangsläufig verändern.
DAZ: Trotzdem hat man sich im Gesundheitswesen für eine Trennung von Arzt und Apotheker entschieden. Warum kommt gerade jetzt die Forderung, dass wir die Aufgabenverteilung zwischen den Heilberufen neu denken sollen?
Hennings: In der Tat macht sich der Endverbraucher weniger Gedanken über die Strukturen in unserem hervorragend funktionierenden Gesundheitswesen. Wir dagegen wissen durchaus, dass diese Trennung sehr sinnvoll ist. Die Digitalisierung hat die Diskussion nun beflügelt, aber auch die Sorgen der Apotheker. Die Sorge, dass dem Patienten die Entscheidung zur freien Apothekenwahl genommen wird, verstehe und teile ich. Dennoch müssen wir uns daran orientieren, was der Verbraucher möchte. In allen anderen Lebensbereichen erlebt der Verbraucher die Digitalisierung als etwas, das sein Leben erleichtert. Diese Erleichterung wird auch vom Gesundheitswesen erwartet. Wir haben dazu ein gutes Angebot und stehen dabei voll zur bestehenden Struktur der Vor-Ort-Versorgung. Wir wollen schlicht dabei unterstützen, diese Struktur durch digitale Kommunikationsformen zu erweitern.
Freitag: Ein hoher Anteil von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln dient bekanntlich der Dauermedikation. Im Zuge der Corona-Krise konnten wir feststellen, dass die Ärzte gar kein Interesse daran hatten, ältere Patienten für das Rezept ihrer Dauermedikation in die Praxis zu lassen. Viele Ärzte fragten sich, wie man in solch besonderen Zeiten die Dauerversorgung sicherstellen kann. Wenn das E-Rezept kommt, besteht also die Gefahr, dass viele dieser Rezepte von der Apotheke abwandern. Das bedeutet gleichzeitig auch eine Gefahr für die flächendeckende Versorgung. Wie kann ich den Patienten dazu bringen, sein Rezept eben doch in der Apotheke vor Ort einzulösen? Das geht nur über Mehrwerte und Convenience.
DAZ: Innerhalb der Merckle-Gruppe, zu der u. a. Phoenix und ADG zählen, existiert mit Medatixx ein Anbieter für Praxis-EDV, der eigenen Angaben zufolge über 38.000 Ärzte als Kunden und damit über einen Marktanteil von rund 27 Prozent verfügt. Hierüber versprechen Sie sich eine engere Vernetzung mit Ärzten. Erklären Sie uns das bitte genauer.
Freitag: Ich denke, wir können von einem Erfahrungsaustausch profitieren. Die Gesundheitsplattform soll zukünftig auch telemedizinische Beratungen sowie Terminbuchungen in Arztpraxen anbieten. Flächendeckend werden Arzttermine noch nicht über das Internet organisiert, sondern immer noch telefonisch. Bei der neuen Gesundheitsplattform sollen beide Schnittstellen unkompliziert den Ärzten und Patienten angeboten werden.
DAZ: Ende Juni wurde eine strategische Partnerschaft von Medatixx mit der Zur-Rose-Tochter eHealth-Tec bekanntgegeben. Herr Freitag, ist das nicht ein offensichtlicher Interessenkonflikt vor dem Hintergrund, dass man sich für die Vor-Ort-Apotheken stark machen will?
Freitag: Mehrere Marktparteien versuchen Erfahrungen zu gewinnen, was Apotheker, Ärzte und Patienten sich für Lösungen wünschen. Wir wollen mit unserem Konzept die Vorteile von Online mit den Stärken der Vor-Ort-Anbieter sinnvoll kombinieren und damit die Vor-Ort-Apotheken stärken.
„Unser Handeln ist zwar davon geprägt, was der Endverbraucher will, aber in unserem Fokus steht natürlich die Apotheke.“
DAZ: Denken Sie, wir werden auf kurz oder lang nicht drum herumkommen, auf dem deutschen Gesundheitsmarkt mit internationalen Playern zu kooperieren?
Freitag: Das glauben wir nicht. Wir glauben, dass wir unsere Plattform so gut ausstatten können, dass wir selbst die Frage nach der Digitalisierung für die inhabergeführten Apotheken lösen können. Davon abgesehen sind wir uns wohl einig, dass wir andere Geschäftsmodelle, durch z. B. Amazon oder andere große Konzerne, in Zukunft verstärkt sehen werden. Daher wollen wir eine starke Lösung anbieten, um den großen Playern eine Konkurrenz zu bieten. Als Phoenix sind wir in 27 Ländern aktiv. Wir sehen deutlich, dass das E-Rezept zu Veränderungen führt. Diesen Veränderungen kann weder die Apotheke allein, noch Phoenix oder die Pro AvO allein entgegentreten. Wir müssen kooperieren, damit die Struktur im Wesentlichen so bleibt wie sie ist und der Nutzen für den Endverbraucher gestärkt wird.
Hennings: Unsere Aufgabe sehe ich weniger darin, die aktuellen Entwicklungen zu verhindern. Unsere Aufgabe besteht darin, ein Angebot zu entwickeln, das das deutsche Gesundheitssystem erhalten kann. Unser Hauptmotiv ist, die E-Rezepte in Deutschland bei der Apotheke vor Ort zu halten. Das motiviert uns, eine bessere Lösung zu finden. In der Bevölkerung wird die Versorgung durch die Apotheke vor Ort als hervorragend wahrgenommen – gerade jetzt, da der internationale Vergleich erlebbar wird. Genau an dieser Stelle stecken unsere Chancen. Wenn wir uns dessen annehmen, können wir sehr erfolgreich sein. Dazu tragen wir auch mit dem aktuell deutlich erweiterten Horizont bei.
„Was wäre denn die Alternative? Wir verändern nichts und lassen alles so wie bisher? Oder wollen wir lieber Teil der Diskussion sein und bei der inhabergeführten Apotheke aktiv die Dinge vorantreiben?“
DAZ: Es gab ja aus der Apothekerschaft, allen voran ABDA-Präsident Friedemann Schmidt, sehr kritische Worte bezüglich der Zur-Rose-/TeleClinic-Akquisition. Ist das vor dem Hintergrund nicht etwas kurios, dass apothekernahe Unternehmen eine ähnliche Zusammenführung auf einer Gesundheitsplattform in Aussicht stellen?
Hennings: Der „laute Schrei der Standespolitik“, dass mit dem Kauf der TeleClinic durch Zur Rose ein „Dammbruch“ erreicht wurde, ist sicher von der Politik gehört worden. Die Standespolitik möchte damit richtigerweise nur auf die Frage aufmerksam machen, welche gesetzlichen Änderungen vorgenommen werden müssen, damit die vorhandenen Strukturen den Entwicklungen im Gesundheitssystem standhalten können. Unsere Aufgabe sehe ich darin, Lösungen zu schaffen, die Strukturen langfristig auf diesem Niveau zu erhalten und den Nutzen für den Endverbraucher weiter zu stärken.
Freitag: Was wäre denn die Alternative? Wir verändern nichts und lassen alle so wie bisher? Oder wollen wir lieber Teil der Diskussion sein und bei der inhabergeführten Apotheke aktiv die Dinge vorantreiben? Jedem Thema kann man etwas Negatives abgewinnen. Ich frage mich eher nach den Alternativen, die uns zur Verfügung stehen. Ich bin davon überzeugt, dass unser Vorgehen alternativlos ist.
Hennings: Obwohl in diesem Interview zwei Unternehmen mit sehr unterschiedlichen Ausrichtungen zu Wort kommen, sehen wir, dass zu dieser Fragestellung ein klarer Konsens in dem besteht, was wir für notwendig erachten. Und dennoch: Wir alle bei Pro AvO wissen, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn wir auch mal Partikularinteressen hinten anstellen können. Diese Haltung ist ein kritischer Erfolgsfaktor.
DAZ: Wie meinen Sie, wird die Initiative Pro AvO bei politischen Entscheidern wahrgenommen?
Freitag: Bisher habe ich wenig Feedback von der Politik erhalten. Wenn wir kritische Entscheidungen treffen würden, wie die Zur-Rose-Gruppe beim Kauf der TeleClinic, hätten wir diesbezüglich schon etwas gehört.
Hennings: Die Politik gibt dieses Thema ja in die Hände der Gematik. Es wird sich über den rechtlichen Rahmen Gedanken gemacht. Wie Herr Freitag erlebe ich die Politik uns gegenüber und Plattformlösungen im Allgemeinen als zurückhaltend und abwartend. Doch die Rückmeldung von den Mitgliedern der Sanacorp ist durchaus positiv und das bestärkt uns.
DAZ: Woran wird denn jetzt konkret gearbeitet? Wie sieht der weitere Fahrplan aus? Auf welchen weiteren Meilenstein können wir gespannt sein?
Hennings: Wir haben vor kurzer Zeit unsere Apora-Lösung vorgestellt. An der technischen Weiterentwicklung der Plattform arbeiten wir weiter und daran, die Schnittstellen in alle Richtungen zu öffnen. Hier geht es mit hoher Dynamik unverändert weiter.
Freitag: In der Initiative Pro AvO haben wir eine State-of-the-art-Technologie vorgefunden, und uns entschlossen, „Deine Apotheke“ mit Apora verschmelzen zu lassen. Wir werden weitere Features ausbauen, wie z. B. die Chat-Funktion zwischen Patienten und Apothekern.
DAZ: Herr Hennings und Herr Freitag, vielen Dank für das Gespräch. |
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