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Telepharmazie
Weg frei für die Telepharmazie
Neue Aufgabenfelder und rechtliche Rahmenbedingungen für das pharmazeutische Personal
Blicken wir zunächst auf die Situation in der Ärzteschaft: Schon vor mehr als einem Jahr hat man bekanntlich das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelockert – und damit gewissermaßen die Büchse der Pandora geöffnet. Nach dem neuen § 7 Abs. 4 der „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“ (MBO-Ä) ist eine Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien – also per Telefon oder Internet – „im Einzelfall“ auch ohne persönlichen Erstkontakt dann erlaubt, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“. Zugleich haben die Ärzte einer profitorientierten Callcenter- Medizin zwar eine klare Absage erteilt, tatsächlich aber bieten immer mehr Unternehmen eine medizinische Beratung online an – häufig aus dem Ausland, und damit der hiesigen Rechtsaufsicht entzogen.
Durch die Corona-Krise erhielt die Telemedizin in Deutschland nochmals Auftrieb. Dass auch pharmazeutische Dienstleistungen telemedial angeboten werden, ist da nur eine logische Konsequenz: Die Telepharmazie kann ebenfalls einen Mehrwert für die Patienten und Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) generieren und als Ergänzung zum bestehenden Service verstanden werden. Ein positiver Nebeneffekt in Pandemiezeiten: Mit der telepharmazeutischen Beratung lässt sich der Publikumsverkehr in der Offizin reduzieren – zum Schutz von Apothekenpersonal und Patienten.
Auch bei den Apotheken tut sich etwas im rechtlichen Bereich: So sind 2019 nicht nur die Anforderungen an den Botendienst in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) gelockert worden. Vielmehr darf die dafür erforderliche Beratung laut § 17 Abs. 2 Satz 7 ApBetrO nun ausdrücklich auch im Wege der Telekommunikation erfolgen.
Unabhängig vom Botendienst denkt man die Telepharmazie für andere Fälle weiter, in denen Kunden nicht persönlich in die Apotheke kommen können oder wollen. Apotheken in ländlichen und versorgungsschwachen Regionen kämpfen aufgrund sinkender Umsätze zunehmend ums Überleben. Wenn Landapotheker in Pension gehen, müssen sie ihre Apotheken oft schließen, da sie keinen Nachfolger finden. Für viele, gerade ältere Menschen bedeutet das unverhältnismäßig längere Wege zur nächsten Apotheke und eine schlechtere Versorgung vor allem bei akuten Notfällen. Die Telepharmazie (hier im engeren Sinne verstanden als pharmazeutische Beratung per Videotelefonie) bietet eine große Chance, dem abzuhelfen. Hilfreich dabei ist der aktuell von der Bundesregierung geplante flächendeckende Ausbau des Breitbandnetzes, der insbesondere auch auf dem Land eine schnelle Datenübertragung gewährleisten soll. Aber auch in urbanen, „durchdigitalisierten“ Regionen sind gesundheitsrelevante Online-Services ein Thema. Gerade junge Großstädter erwarten heute individualisierte Dienstleistungen online und rund um die Uhr.
Welche Beratungsthemen eignen sich?
Themengebiete, die sich für eine telepharmazeutische Beratung anbieten, gibt es viele. Da sind z. B.:
- Fragen zu Rezepten,
- AMTS,
- Medikationsanalyse,
- Wechselwirkungschecks bzw. Medikationsmanagement,
- erklärungsbedürftige Arzneimittel und -formen sowie medizinische Geräte (Inhalatoren, Insulinpens etc.),
- Anwendung von Hilfsmitteln (z. B. Verbänden),
- Selbstmedikation,
- Inkontinenz oder auch
- Angebote (rezeptfreie Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetik- und Pflegeprodukte etc.).
Mit der Zeit wird so wohl jede Apotheke ihre eigenen telepharmazeutischen Leistungen entwickeln. Bei allem Ideenreichtum sollte es wichtig sein, dass am Ende keine pharmazeutische Beratung erster und zweiter Klasse entsteht.
Die Telepharmazie fußt auf der Prämisse, dass Verbraucher, die sich Arzneimittel liefern lassen, mit Empathie und Sachkunde vom vertrauten Personal ihrer Stammapotheke pharmazeutisch betreut und beraten werden wollen. Ein erklärtes Ziel der Telepharmazie ist es daher, den Kunden sowohl durch das gesprochene Wort als auch durch die Mimik und Gestik des bekannten Gegenübers über die Distanz hinweg ebenfalls Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln.
Zudem existiert die Gefahr, dass sich die persönliche Beratung als Kernaufgabe der apothekerlichen Tätigkeit immer weiter von der Apotheke als Institution löst. Dabei ist zu beachten, dass nach § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ApBetrO nur eine ausdrückliche Ausnahme vom Grundsatz der Einheit der Betriebsräume besteht – nämlich für die Beratung im Rahmen des Versandhandels. Demzufolge wäre eine telepharmazeutische Beratung beim Botendienst nicht selbstverständlich erlaubt. Manch einer führt als Gegenargument allerdings den bereits genannten § 17 Abs. 2 Satz 7 ApBetrO ins Feld.
DocMorris bietet schon seit längerer Zeit Online-Beratungen an. Von Montag bis Freitag kann man zwischen 8 bis 20 Uhr per Mausklick mit geschultem Fachpersonal auch per Video chatten. Im Gespräch nimmt DocMorris Over-the-Counter (OTC)-Bestellungen direkt auf und versendet die Ware im Anschluss. Verschreibungspflichtige Medikamente werden ebenfalls verschickt – das Rezept muss derzeit noch im Original per Post zu DocMorris gelangen. Diese Hürde dürfte mit der Einführung des eRezeptes fallen. Experten erwarten, dass Online-Apotheken dann verstärkt mit dem Angebot werben werden, auch telepharmazeutisch rund ums Rezept zu beraten. Aber warum sollten Vor-Ort-Apotheken der Konkurrenz aus dem Netz dieses Feld kampflos überlassen? Schließlich sind sie näher an ihren Kunden, technisch gut aufgestellt und verfügen über hervorragend ausgebildetes Personal. Insbesondere in Kombination mit einem proaktiv beworbenen Botendienst ist die Telepharmazie also ein sinnvolles Instrument, um eine kompetente pharmazeutische Beratung sicherzustellen – und sich im Wettbewerb mit den Online-Apotheken zukunftsorientiert zu positionieren.
Die Ausführung
Mit der videobasierten Beratung ist es im Gegensatz zur Telefonie möglich, auch nonverbal mit dem Kunden zu kommunizieren. Gerade bei „heiklen“ Themen kann es besonders wichtig sein, die Reaktion des Gegenübers zu sehen und so einschätzen zu können, ob die Botschaft richtig verstanden wird. Zudem kann per Video auch live demonstriert werden, wie z. B. ein Insulinpen angewendet wird. Gleichzeitig kann vom Apotheker auch kontrolliert werden, ob der Kunde das Gerät richtig anwendet.
Es gibt bereits viele gute Videotelefonie-Lösungen von US-amerikanischen Anbietern, wie z. B. Zoom, Skype oder WhatsApp. Bei telepharmazeutischen Beratungsgesprächen sollte allerdings darauf geachtet werden, einen Service auszuwählen, der konform zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist, da sensible persönliche Gesundheitsinformationen ausgetauscht werden.
Für einen erfolgreichen Einsatz sollte es den Patienten so einfach wie möglich gemacht werden, am Beratungsangebot teilzunehmen. Gerade für die Älteren ist es wichtig, dass die Einstiegshürden niedrig sind: Die Online-Beratung sollte nicht schwieriger sein als der Videochat mit den Enkeln.
Beratung aus dem Homeoffice – geht das?
Wer telepharmazeutisch tätig werden will, benötigt einen „virtuellen Arbeitsplatz“ – also einen Bereich, in dem das Team digital mit den Kunden kommunizieren kann. Fraglich ist, ob dieser Bereich in den Apothekenbetriebsräumen eingerichtet werden muss – oder ob das Personal auch aus dem Homeoffice via Telekommunikation beraten darf.
In beiden Fällen bedarf es einer ruhigen Umgebung mit einem dezenten Bild-Hintergrund. Dem Patienten soll auch digital ein individueller und geschützter Raum für die Beratung angeboten werden.
Das Thema Apothekenpersonal im Homeoffice stellt den Inhaber vor eine Reihe von Hürden, deren Auswirkungen noch nicht abschließend geklärt sind. Sinnvoll jedenfalls können Homeoffice-Lösungen insbesondere sein, um Mitarbeiter zu binden, die die Apotheke andernfalls verlassen würden.
Dabei obliegt Ihnen nach § 7 Apothekengesetz (ApoG) stets die volle Verantwortung für den Apothekenbetrieb – und zwar nicht nur, wenn es darum geht, Kunden, die per Botendienst beliefert werden, telepharmazeutisch zu beraten. Relevant dürfte das vor allem in Sachen eRezept werden.
Im Einzelfall kann es erforderlich sein, insbesondere § 5 Satz 1 Nr. 2 ApBetrO bei der Gestaltung des Homeoffice-Arbeitsplatzes zu berücksichtigen. Demnach sollten Mitarbeiter im Homeoffice mit denjenigen wissenschaftlichen Hilfsmitteln ausgestattet werden, die sie zur Information und Beratung der Kunden über Arzneimittel benötigen.
Darüber hinaus muss nach § 203 Strafgesetzbuch (StGB) bei Tätigkeiten im Homeoffice die apothekerliche Schweigepflicht bewahrt werden. Hier ist sicherzustellen, dass kein Außenstehender (also z. B. ein Familienmitglied) Einsicht in persönliche Unterlagen nimmt oder bei Beratungsgesprächen mithört. Die technischen und organisatorischen Vorkehrungen, um den datenschutzrechtlichen Anforderungen zu entsprechen, muss nach Art. 25 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Arbeitgeber treffen.
Kernbestandteil einer Homeoffice-Regelung ist, dass es sich bei den Personen, die von zu Hause aus arbeiten, um Apothekenmitarbeiter handelt. Dies dürfte eine arbeitsvertragliche Bindung voraussetzen. Denn ansonsten wären ungewollten gewerblichen Konstruktionen von Dritten, die systematisch Beratungsleistungen aus dem Homeoffice anbieten, Tür und Tor geöffnet.
Der Verordnungsgeber hat allerdings die Forderung der Apothekerschaft, dass auch Apothekenboten ausdrücklich arbeitsvertraglich zu binden sind, nicht umgesetzt. Hierdurch ergibt sich ein gewisses Risiko vor allem im Hinblick darauf, wie sich bestimmte arbeitsrechtliche Vertragsmodelle im Apothekenbereich weiterentwickeln – gedacht sei etwa an den Einsatz „selbstständiger“ Vertreter.
PTA als pharmazeutisches Personal dürfen wahrscheinlich auch telepharmazeutisch tätig sein. Allerdings ist dabei zu gewährleisten, dass sie nach § 3 Abs. 5 ApBetrO von einem Approbierten beaufsichtigt werden.
Übrigens: Als Einwand gegen die Möglichkeit zum Homeoffice wird hin und wieder angeführt, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden die zu Hause durchgeführten Tätigkeiten eventuell nicht nach § 64 Arzneimittelgesetz (AMG) effektiv überwachen können. Denn die Zutrittsmöglichkeiten in Wohnräume sind lediglich begrenzt möglich – und zwar ist der Zutritt im Wesentlichen nur dann erlaubt, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht.
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Dieser Beitrag basiert auf zwei Artikeln, die in der Ausgabe 14/2020 des AWA – Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker erschienen sind. Apropos AWA: Kennen Sie den überhaupt? Wissen Sie, dass im AWA Apothekeninhabern und allen, die es werden wollen, wertvolle Praxistipps für die wirtschaftliche Unternehmensführung an die Hand gegeben werden? Wollen Sie mehr erfahren zur optimalen strategischen Ausrichtung, zu Marketingtrends, zum effektiven Personalmanagement oder zu aktuellen Rechts- und Steuerfragen? Wenn ja, dann bietet Ihnen der AWA genau das, was Sie suchen! Werfen Sie doch einfach mal einen Blick hinein, und bestellen Sie unser kostenloses Testabo über aboservice@deutscher-apotheker-verlag.de. Wir freuen uns auf Sie!
Wann darf telepharmazeutisch beraten werden?
Rechtlich umstritten ist auch die Frage, wie es mit telepharmazeutischen Angeboten außerhalb der Vor-Ort-Öffnungszeiten aussieht. Hier kann man die Position vertreten, dass individuelle pharmazeutische Beratungsleistungen an den Apothekenbetrieb angebunden sind und daher auch zu dessen Öffnungszeiten erfolgen müssen.
Allerdings dürfte sich die Telepharmazie auch auf die Öffnungs- und Arbeitszeiten auswirken. Denn während der normalen Öffnungszeiten können wohl nur mit zusätzlichem Personal Video-Sprechstunden angeboten werden. In diesem Zusammenhang gilt es auch, sich zu überlegen, wie die telepharmazeutisch tätigen Mitarbeiter fortzubilden sind.
Wer allerdings Videos aufzeichnet, in denen Medizinprodukte etc. generell erklärt werden, kann diese natürlich so ins Netz stellen, dass sie sich rund um die Uhr abrufen lassen.
Werden Online-Beratungen erstattet?
In Deutschland gibt es derzeit noch keine direkten Abrechnungsmöglichkeiten für Online-Beratungen mit den Krankenkassen. Leistungen, die direkt mit den Patienten abgerechnet werden, können auch per Videotelefonie angeboten werden, wenn Beratungsumfang und -qualität mit der Offline-Beratung in der Offizin identisch sind. Weitergehende Erstattungsmöglichkeiten werden mit Sicherheit in der nächsten Zeit kommen. Unsere französischen Nachbarn sind hier übrigens schon weiter. Bei ihnen ist die Teleberatung durch öffentliche Apotheken seit September 2019 erstattungsfähig – und das wird auch genutzt. Die Apotheken erhalten von den Kassen im ersten Jahr eine Anschubfinanzierung für die Videoausstattung in Höhe von 1225 Euro. In den Folgejahren gibt es jeweils 350 Euro. Hinzu kommen Jahresvergütungen für einzelne Beratungen in Höhe von 200 Euro bis 400 Euro.
Richtiges Marketing
Schließlich sollte man sich Gedanken über den telepharmazeutischen „Marktauftritt“ machen. Wer z. B. mit dem Slogan „Willkommen in unserer Video-Sprechstunde“ wirbt, zieht sich möglicherweise Ärger mit der Arztpraxis nebenan zu: Eine „Sprechstunde“ ist zwar erst einmal nur ein vorher festgelegter Zeitraum, in dem man eine Person aufsuchen kann, um ein Anliegen mit ihr zu besprechen. Der Begriff „Sprechstunde“ wird jedoch meist als Synonym für die ärztliche Tätigkeit an sich benutzt, sodass entsprechende Ankündigungen von Apotheken irreführend sein könnten. |
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