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Telepharmazie

Heilberufliche Chance oder nur Marketing?

Eine ökonomische Analyse der Telepharmazie aus Apothekenperspektive

Pharmazeutische Beratungen über Bildschirmtelefonie entwickeln sich zu einer praktikablen Option für die Vor-Ort-Apotheken. Der Botendienst als Regelversorgung und künftig das eRezept erweitern die Möglichkeiten erheblich. Doch was bedeutet die Telepharmazie für den Arbeitsalltag der Apotheken und welche wirtschaftlichen Folgen sind zu erwarten? Diese Analyse zeigt die Chancen und Risiken. | Von Thomas Müller-Bohn

Pharmazeutische Beratungen über Bildschirmtelefonie entwickeln sich zu einer praktikablen Option für die Vor-Ort-Apotheken. Der Botendienst als Regelversorgung und künftig das eRezept erweitern die Möglichkeiten erheblich. Doch was bedeutet die Telepharmazie für den Arbeitsalltag der Apotheken und welche wirtschaftlichen Folgen sind zu erwarten? Diese Analyse zeigt die Chancen und Risiken.

Vorteil für die patientenorientierte Pharmazie

Die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation ist und bleibt das persönliche Treffen. Wenn dies aber nicht oder nur mit großem Aufwand möglich ist, bietet die Bildschirmtelefonie viel mehr als Telefonate ohne Bild. Die Gesprächspartner können non-verbale Signale austauschen und sich Arzneimittel zeigen. Apotheker können die Handhabung von Arzneiformen demonstrieren und den Umgang der Patienten damit überprüfen. Die Telepharmazie kann damit zu einem wichtigen Instrument der patientenorientierten Pharmazie werden. Sie kann auf der Grundlage einer persönlichen Beziehung zwischen Patient und Apotheker die Versorgung auch über größere Distanzen, in einer Pandemie oder in individuellen Sondersituationen verbessern. Für einzelne Apotheken kann sie damit auch zu einem Wettbewerbsfaktor in Verbindung mit dem Botendienst werden, insbesondere im ländlichen Raum. Auf der Systemebene verbessert sich das Leistungspotenzial der Vor-Ort-Apotheken für die Versorgung ländlicher Regionen. Die Leistung bleibt in der Hand regional engagierter Heilberufler, die ihre Patienten kennen, sie ist schneller als beim Versand und irgendwelche Notlösungen wie Apothekenbusse erübrigen sich.

Dabei entstehen in den Apotheken zunächst einmalige Kosten und Mühen, um die Voraussetzungen für die Telepharmazie zu schaffen. Dies sind die Hard- und Software sowie ein ungestörter ruhiger Arbeitsplatz mit einem geeigneten Hintergrund für die Kameraaufnahmen. Hinzu kommen die Installation der Technik und die Einübung neuer Beratungsabläufe. Dies alles erscheint überschaubar.

Telepharmazie als heilberufliches Instrument

Doch für die ökonomische Bewertung sind die strukturellen Folgen viel wichtiger als der einmalige Aufwand bei der Einführung. In der täglichen Umsetzung entscheidet sich, ob das neue Angebot in die jeweilige Apotheke passt und wirtschaftlich erfolgreich ist. Relativ einfach ist die Bewertung, soweit beim bisherigen Botendienst, beispielsweise in Apotheken mit einer Rezeptsammelstelle, das Telefonat durch ein Bildschirmtelefonat ersetzt wird. Wenn der Patient Stammkunde der Apotheke ist und sich einmal auf die neue technische Möglichkeit eingestellt hat, ist der zeitliche Aufwand für die Apotheke nicht viel größer als bisher. Die Telepharmazie spart dem pharmazeutischen Personal viel Zeit im Vergleich zur Auslieferung durch einen „pharmazeutischen Boten“. Für das pharmazeutische Personal ist der Zeitaufwand kaum größer als bei der Beratung in der Offizin, abgesehen vielleicht von ein paar zusätzlichen Bemerkungen, bei denen sich die Gesprächspartner um die technische Funktion der Übertragung kümmern. Insbesondere in der Anfangsphase kann sich eine bestimmte Person in der Apotheke auf die Video­beratung spezialisieren und damit Erfahrungen sammeln.

Wenn die Telepharmazie ein pharmazeutisches Instrument zur besseren Vermittlung der nötigen Beratungsinhalte ist, sollte es in der Verantwortung des Apothekers liegen, über den Bedarf und den angemessenen Einsatz dieses Instruments zu entscheiden und den Patienten entsprechende Angebote zu machen. Darum sollte die Apotheke den Zeitpunkt des Bildschirmtelefonats bestimmen, vorzugsweise innerhalb eines vereinbarten Zeitfensters. Im Idealfall wird dazu bereits bei der Bestellung ein Termin verabredet. Anderenfalls kann das nicht-pharmazeutische Personal den Termin für das Bildschirmtelefonat mit einem „normalen“ Telefonat oder über eine Chatfunktion organisieren. Nur dann gelten die obigen Überlegungen zur Kostenrechnung. Nur dann ist der Zeitaufwand mit der Beratung in der Offizin vergleichbar. Im Idealfall werden die telepharmazeutischen Beratungen nacheinander abgearbeitet. Dann kann der Personaleinsatz eingeplant werden oder es wird eine Zeit mit geringer Kundenfrequenz genutzt.

„Wenn bei regelmäßiger Auslastung und guter Organisation praktisch keine Rüst- und Wartezeiten entstehen, sind die Kosten für die Telepharmazie nicht höher als für die Beratung in der Offizin.“

Telepharmazie als Marketingmaßnahme

Dies alles wäre ganz anders, wenn die Telepharmazie als Marketingmaßnahme etabliert würde und die Kunden praktisch jederzeit selbst eine Videoberatung einfordern könnten. Denn es wäre eine ganz neue und schwerwiegende Belastung für den Apothekenbetrieb, wenn ständig pharmazeutisches Personal für die Telepharmazie vorgehalten werden müsste. Es ist weder für das Apothekenteam noch für die Patienten in der Offizin akzeptabel, wenn die Gespräche dort in geplanter Weise durch (Video-)Telefonate unterbrochen werden. Es darf auch nicht sein, dass sich Video-Patienten mit ihrem Anruf gewissermaßen in einer Warteschlange „vordrängeln“ können. Das alles wird zum Problem, wenn diese Störungen praktisch als Variante der regelmäßigen Versorgung laufend zu erwarten sind und nicht nur Ausnahmen in seltenen Sonderfällen bilden. Denn dann würde die Kundenberatung in der Apotheke, die den Normalfall darstellen sollte, entwertet und die Kunden würden geradezu dazu erzogen, sich auf elektronischem Weg zu melden. Doch das wäre ein Signal, mit dem sich die Apotheke letztlich selbst infrage stellen würde.

Wenn eine „spontane“ Videoberatung angeboten wird, müssten die Anfragen daher im Backoffice vom nicht-pharmazeutischen Personal angenommen werden, das sie an den nächsten „freien“ pharmazeutischen Kollegen weiterleitet oder einen baldigen Termin für die Beratung vereinbart. Dies erscheint nur in überdurchschnittlich großen Apotheken mit vielen Beschäftigten und gut organisierter Arbeitsteilung praktikabel. Außerdem müssten zumindest die meisten pharmazeutischen Mitarbeiter darin geübt sein, ohne weitere Vorbereitung eine telepharmazeutische Beratung durchzuführen. Diese würde dann wohl wie in der Offizin abhängig von der Verfügbarkeit mal von Apothekern und mal von PTA durchgeführt. Die Alternative ist ein eigenständiger telepharmazeutischer Arbeitsplatz. Doch dies ist erst recht nur bei einer großen Patientenzahl praktikabel. Solche Formen der Telepharmazie, bei denen der Anstoß vom Patienten kommt, erscheinen damit wirtschaftlich nur für große Apotheken akzeptabel. Entscheidend ist dabei die Arbeitsorganisation, die fast mit einigen Innenstadtapotheken verglichen werden kann, die über zwei Offizinen an verschiedenen Seiten eines Hauses verfügen. Wenn bei regelmäßiger Auslastung und guter Organisation praktisch keine Rüst- und Wartezeiten für das beratende Personal entstehen, sind die Kosten für die Telepharmazie allerdings nicht höher als für die Beratung in der Offizin. Möglicherweise ist die Telepharmazie sogar kostengünstiger, wenn die Kunden eine gewisse Wartezeit akzeptieren und sie daher besser nacheinander abgearbeitet werden können. Doch das erscheint eher als langfristige Perspektive.

So bleibt für den Einstieg in die Telepharmazie die entscheidende Frage, ob sich die Apotheke für die telepharmazeutische Beratung in einem vereinbarten Zeitfenster beim Patienten meldet oder ob der Patient dies selbst zu einer beliebigen Zeit tut. Der erste Fall erscheint praktikabel, im zweiten Fall drohen enorme organisatorische Herausforderungen.

Kostenfalle Botendienst

Bezüglich der Kosten liegt das Problem dagegen im Botendienst, wenn dieser als normale Versorgung angeboten wird. Damit entstehen im Vergleich zur Arzneimittelabgabe in der Apotheke erhebliche zusätzliche Kosten, ohne dass sich bei der Videoberatung in vergleichbarem Maß sparen lässt. Es ist zwar zu hoffen, dass die GKV auch nach der Pandemie pharmazeutisch begründete Botendienste honorieren wird, aber wohl kaum Lieferungen im Interesse der Bequemlichkeit. Den Botendienst im großen Stil als Regelangebot zu vermarkten, kann daher für Apotheken nur rentabel sein, wenn die Kunden die Lieferung zusätzlich honorieren oder wenn nur ein kleiner Teil der Kunden eine aufwendige ­(Video-)Beratung in Anspruch nimmt. Dabei besteht sogar die Gefahr, dass die kostengünstigeren Offizinkunden aus Bequemlichkeit zum neuen Service wechseln. Dann würde der bisherige Umsatz bei steigenden Kosten erzielt.

Doch aus Apothekerperspektive ist und bleibt das persön­liche Treffen der Idealfall. Das gilt sowohl für die pharmazeutische als auch für die kaufmännische Sicht. Denn das persönliche Treffen bietet die beste Kommunikations­möglichkeit und zusätzliche Kosten für die Technik oder den Botendienst fallen nicht an.

Konsequenzen für die Apotheken

Aus diesen Überlegungen ergeben sich für die Apotheken zwei Konsequenzen: Erstens zeigt sich, dass die zeitliche Planung der telepharmazeutischen Beratungen für die Apotheke entscheidend ist. Wenn die Apotheke den Zeitpunkt bestimmen kann, erscheinen diese Beratungen als hilfreiche und innovative Ergänzung des Leistungsspektrums. Abgesehen von den Anfangsinvestitionen sind bei guter Organisation keine wesentlichen Mehrkosten zu befürchten. Dies gilt weitgehend unabhängig von der Betriebsgröße der Apotheke. Diese Vorteile werden voraussichtlich für eine schnelle Verbreitung der Telepharmazie sorgen, besonders in ländlichen Regionen mit umfangreichem Botendienst. Zweitens steckt in der Telepharmazie das Potenzial für eine neue Versorgungsform mit dem Botendienst als Normalfall. Doch eine so umfangreiche Telepharmazie ist nur in großen Apotheken praktikabel und ein so umfassender Botendienst ist wirtschaftlich nur tragfähig, wenn die Kunden dies zusätzlich honorieren. Wenn sich dies durchsetzt, würde die Spreizung der Apothekenlandschaft weiter verschärft. Große Apotheken würden noch mehr zulasten kleiner Apotheken wachsen. Langfristig könnten sich Patientenströme von der Offizin zur Telepharmazie verlagern, aber die zusätzlichen Kosten für den Botendienst wären eine neue Herausforderung für die Wirtschaftlichkeit der Apotheken. Zumindest in der Anfangsphase dürfte die Entwicklung davon abhängen, ob die Apotheker die Telepharmazie als heilberufliches Instrument der patientenorientierten Pharmazie oder als Marketingmaßnahme positionieren. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn
Apotheker und Dipl.-Kaufmann, auswärtiges Mitglied der Redaktion der Deutschen Apotheker Zeitung

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