Pandemie Spezial

Dexamethason überzeugt bei COVID-19

RECOVERY-Studie bestätigt Wirksamkeit

mp | Mit der Veröffentlichung der RECOVERY-Studienergebnisse zu Dexamethason scheint die Wirksamkeit des Glucocorticoids bei schwerem COVID-19-Verlauf belegt. Deutsche Fachgesellschaften haben schon Konsequenzen für die Praxis gezogen: Am 21. Juli 2020 wurde die S1-Leit­linie „Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19“ entsprechend aktualisiert.
Foto: Kiryl Lis – stock.adobe.com

Die empirischen Daten für die neuen Empfehlungen der Leitlinie entstammen der RECOVERY-Studie (Randomised Evaluation of COVID-19 Therapy) der Universität Oxford. In dieser Open-Label-Studie wurde untersucht, wie sich fünf medikamentöse Therapieoptionen, unter anderem Gluco­corticoide, auf den Verlauf von ­COVID-19 auswirken. Im Zuge der ­Untersuchungen erhielten 2104 Patienten über zehn Tage intravenös oder inhalativ einmal täglich 6 mg Dexamethason. In der Studie verstarben 22,9% der beatmungspflichtigen Patienten unter der immunmodulatorischen ­Therapie und 25,7% derjenigen, die eine Standardtherapie erhielten (p < 0,001). Bei Patienten, die nicht beatmet werden mussten, zeigte sich dagegen kein Vorteil durch das Glucocorticoid (siehe DAZ 2020, Nr. 26, S. 27).

Die Ergebnisse wurden bereits Mitte Juni auf einem Preprint-Server veröffentlicht. Zahlreiche Medien interpretierten daraufhin eine Aussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dahingehend, dass mit Dexamethason bahnbrechende Erfolge erzielt werden konnten. Experten waren sich jedoch einig, dass die Ergebnisse erst für die Praxis berücksichtigt werden sollten, wenn die Studie einem Peer-Review-Verfahren standgehalten hat. Denn die Daten waren sehr schnell und unter hohem gesellschaftlichem sowie politischem Druck generiert worden, was Fehlinterpretationen begünstigen kann. Außerdem ist die Validität der Ergebnisse aufgrund des Open-Label-Studiendesigns mit fünf Studienarmen kritisch zu hinterfragen gewesen.

Am 17. Juli 2020 wurden dann die ­Ergebnisse nach Abschluss des Peer-Review-Verfahrens im „New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht. Damit gilt nach derzeitigem Stand der Forschung als wissenschaftlich belegt, dass sich die 28-Tage-Sterblichkeit bei COVID-19-Patienten, die mechanisch beatmet werden oder Sauerstoff erhalten, mit Dexamethason signifikant verringert. In einem Interview äußerte sich der Chefredakteur des Journals Eric J. Rubin positiv, dass in der Kürze der Zeit eine groß angelegte und qualitativ hochwertige randomisierte Studie realisiert werden konnte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass besonders Patienten mit weit fortgeschrittenem Erkrankungsstadium von der Behandlung profitieren. Dexamethason ist nach Remdesivir der zweite Wirkstoff, für den eine Wirksamkeit bei schweren Verläufen von COVID-19 nachgewiesen werden konnte. In der Leitlinie der Arbeits­gemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) wird nun bei beatmungspflichtigen Patienten mit COVID-19 die Gabe von 6 mg Dexamethason einmal täglich über zehn Tage empfohlen. Allerdings wird auch vor einem er­höhten Risiko bakterieller Infektionen bei einer immunmodulatorischen Pharmakotherapie mit Dexamethason gewarnt.

EMA erarbeitet Empfehlung

Am 24. Juli 2020 wurde bekanntge­geben, dass auch die Europäische ­Arzneimittel-Agentur die Ergebnisse der RECOVERY-Studie evaluiert, um in Kürze einheitliche Empfehlungen zum Einsatz von Dexamethason bei COVID-19-Patienten abzugeben. Zuvor hatte das Gesundheitsministerium in Japan Dexamethason die Zulassung bei COVID-19 als Therapeutikum der zweiten Wahl nach Remdesivir erteilt. Dies teilte der Medienkonzern Thomson Reuters am 22. Juli 2020 mit. Während einzelne Ergebnisse aus der ­RECOVERY-Studie bereits hochrangig publiziert werden, laufen die Untersuchungen der Universität Oxford weiter. Auch Dexamethason wird weiterhin evaluiert, allerdings werden aktuell nur an COVID-19 erkrankte Kinder in die Studie aufgenommen. |

Literatur

Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19. S1 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). AWMF-Register-Nr. 113/001, Stand 21. Juli 2020

RECOVERY Collaborative Group. Dexamethasone in Hospitalized Patients with Covid-19 - Preliminary Report. N Engl J Med 2020; doi: 10.1056/NEJMoa2021436

Rubin E, Baden L, Morrissey S. Audio Interview: Dexamethasone and Covid-19. N Engl J Med 2020; doi:10.1056/NEJMe2025927

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.