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„Es wird kein ‚Nach-Corona‘ mehr geben“
Warum die Vor-Ort-Apotheken gerade jetzt auf Click-and-Collect-Angebote setzen sollten
Während es also sowohl im Rx- als auch im OTC-Bereich zu signifikanten Veränderungen in den nächsten Jahren kommen wird, hat sich das Konsumverhalten durch die Corona-Pandemie noch mal enorm verändert. Weil der Einzelhandel vor Ort nicht mehr zu erreichen war oder bewusst aus Angst vor einer Infektion gemieden wurde, erhielt der Versand- bzw. Online-Handel einen historisch einmaligen Auftrieb mit nachhaltiger Wirkung. Das könnte den stationären Handel ausknocken – muss es aber nicht, wie das Beispiel eines Apothekenfilialverbundes aus dem baden-württembergischen Holzgerlingen zeigt. Inhaber Dr. Björn Schittenhelm hatte sich schon lange vor der Corona-Krise für eine Webshop-Lösung seines Softwareanbieters entschieden. Dadurch waren sowohl sein Team als auch einige Stammkunden an diese neue Form des Bestellens gewöhnt. Die Pandemie führte dann zu einem sprunghaften Anstieg der Nutzungs- und Bestellzahlen. Während große Versandapotheken aus logistischen Gründen sogar zeitweise ihre Zugriffsraten über denselben Softwareanbieter beschränken mussten, konnte Schittenhelm mit seinem Vor-Ort-Angebot auf die erhöhte Nachfrage angemessen reagieren. „Wir haben die Patienten und Kunden jetzt an etwas gewöhnt, was sie ja bereits vom Versandhandel her kannten. Das E-Rezept wird diesen Prozess noch beschleunigen und verfestigen“, fasst er die Situation zusammen. Im DAZ-Interview gehen wir zusammen mit ihm Schritt für Schritt die Entstehungsgeschichte seines Click-and-Collect-Angebotes durch.
DAZ: Herr Dr. Schittenhelm, seit einigen Jahren bieten Sie das Sortiment Ihrer Vor-Ort-Apotheken auch online in einem Click-and-Collect-Shop an. Gab es einen konkreten Anlass, der zu dieser Entscheidung führte?
Schittenhelm: Ja, vor etwa vier oder fünf Jahren kam ein sehr guter Stammkunde mit chronischen Erkrankungen auf mich zu und beichtete mir, dass er einen Teil seiner Medikation online kauft, weil er gewisse Arzneimittel selber bezahlen muss. Konkret ist er auf OTC-Präparate im Wert von mehreren hundert Euro jeden Monat angewiesen und konnte im Versandhandel rund 50 Euro sparen, auf die er nicht verzichten wollte. Ich habe dann schnell gemerkt, dass dieser Kunde kein Einzelfall ist und viele Chroniker ihre Rx-Präparate über uns bezogen, beim OTC-Sortiment aber auf den Versandhandel zurückgriffen. Das hat mir die Augen geöffnet und war die Initialzündung, mich intensiv mit dem Thema „Webshop“ zu befassen.
DAZ: Erzählen Sie uns bitte etwas zur Preiskalkulation.
Schittenhelm: Zum damaligen Zeitpunkt unterlag auch ich der Mär, dass Online-Umsätze sich nur über den Preis realisieren lassen. Deshalb haben wir unterschiedliche Preiskalkulationen eingefügt – einerseits im Webshop und andererseits vor Ort in den Apotheken. Am Anfang ging es bei den Online-Preisen los mit den üblich hohen Rabatten zwischen 20 und 25 Prozent. Inzwischen betragen die Rabatte im Webshop durchschnittlich zehn Prozent. Wir haben mit dieser Zweigleisigkeit sehr gute Erfahrungen gemacht, da wir aktiv kommunizieren, dass die Kunden uns bei den Online-Vorbestellungen Arbeit abnehmen und so der Betrieb Kosten einsparen kann, diese Einsparung geben wir ihnen gerne weiter.
DAZ: Auf welche Weise kommen die Online-Kunden an ihre Bestellungen?
Schittenhelm: Hier zeigt sich meiner Meinung nach die ganze Stärke der Vor-Ort-Apotheke: Wir haben den Online-Kunden vier Möglichkeiten hinterlegt. Erstens: Abholung in der Apotheke während der Öffnungszeiten. Zweitens: Bestellte Waren aus einem Abholfach außerhalb der Öffnungszeiten erhalten und zwar rund um die Uhr, sieben Tage die Woche! Drittens: Überbringung der Bestellung per „Standard-Botendienst“ innerhalb von 24 Stunden gegen eine Gebühr in Höhe von 3,50 Euro, die bei Rezeptbestellung oder einem Warenkorbwert über 20 Euro entfällt. Viertens: Ein sogenannter „Express-Botendienst“ mit Zustellung zum Wunschtermin innerhalb von zwei Stunden gegen eine Gebühr in Höhe von sieben Euro, die sich ebenfalls reduzieren kann. Während der Corona-Pandemie verzichten wir allerdings aktuell ganz auf die Botendienstgebühren, da wir pro Rezept ja zusätzlich fünf Euro von den Krankenkassen erhalten.
„Es ist wie bei Amazon: Auch in einem Webshop der Vor-Ort-Apotheken ist nicht unbedingt der Preis das entscheidende Argument.“
DAZ: Und wie findet bei den vier Möglichkeiten die pharmazeutische Beratung statt?
Schittenhelm: Die Beratung findet persönlich in der Apotheke, am Telefon oder per Video-Chat statt. Bei Bestellungen von rezeptpflichtigen Arzneimitteln ruft pharmazeutisches Personal aktiv beim Patienten an. Gerade in der Corona-Pandemie haben wir das Angebot der fernmündlichen Beratung massiv ausgebaut. Weil wir geringere Kundenfrequenzen in der Apotheke haben, können wir diese frei gewordenen Kapazitäten dafür nutzen.
DAZ: Hat sich das Konsumverhalten Ihrer Stammkunden seitdem verändert? Sind manche Kunden nur noch online bei Ihnen unterwegs?
Schittenhelm: Hier müssen wir jetzt zwischen „Vor-Corona“ und „Während-Corona“ unterscheiden. „Vor-Corona“ hatte sich das Konsumverhalten nicht geändert. Die Kunden haben sowohl online als auch persönlich vor Ort bei uns eingekauft. Gerade für die initiale persönliche Beratung sind sie meist vorbeigekommen und haben für den bequemen Nachkauf den Webshop genutzt. Interessant war eine Beobachtung gerade zu Beginn der Pandemie: Damals haben sich ganz viele Kunden neu registriert, die vor allem ihre Rezepte immer bei uns eingelöst hatten und ihren sonstigen Bedarf bei den großen Versendern bestellt hatten. Wir konnten also Stammkunden, die OTC-Präparate jahrelang aus dem Versandhandel bezogen hatten, zurückgewinnen. Das ist mit Blick auf das E-Rezept ganz wichtig!
DAZ: Wie hat sich Ihr Webshop dann in der Phase „Während-Corona“ entwickelt?
Schittenhelm: Unsere Zahlen sind förmlich explodiert und haben unterm Strich – also Vor-Ort- und Online-Umsatz zusammen – sogar höhere Umsätze (plus 54 Prozent) erreichen können als im Vorjahr zur selben Zeit. Wir hatten im März ein Plus von 209 Prozent und im April sogar von 231 Prozent. Damit bewegen wir uns auch gegen den durchschnittlichen Trend im Apothekenmarkt zwischen März und Mai 2020.
„Diese Diskussion können nur Apotheker mit Apotheker-Brille führen.“
DAZ: Viele Kollegen fürchten ja, dass sie sich durch solche Angebote die OTC-Preise kaputtmachen und dass die Stammkunden dann in den Weiten des Internets verloren gehen, wenn sie billigere Produkte finden. Warum teilen Sie diese Einschätzung nicht?
Schittenhelm: Aus der Erfahrung von jetzt fast fünf Jahren Click-and-Collect-Shop kann ich hier den Kollegen die Angst nehmen. Wir haben inzwischen auch nur noch einen geringen Rabatt von durchschnittlich zehn Prozent gegenüber den Preisen in der Apotheke. Es ist wie bei Amazon: Auch in einem Webshop der Vor-Ort-Apotheken ist nicht unbedingt der Preis das entscheidende Argument für die Kunden, sondern die Bequemlichkeit und die sofortige Verfügbarkeit.
DAZ: In den letzten Wochen ging es in vielen Apothekerdiskussionen um das Thema „Die transparate Warenwirtschaft“. Auf Ihrer Click-and-Collect-Plattform sehen die Besucher direkt, ob bestimmte Produkte an Lager sind oder vom Großhandel innerhalb eines Tages nachbestellt werden können. Finden Sie, wer A sagt, muss auch B sagen? Sprich: Wenn digitale Präsenz, dann vollständig?
Schittenhelm: Ich musste bei dieser Diskussion doch sehr schmunzeln. Ich habe meinen Shop-Anbieter bereits vor zwei Jahren darauf gedrängt, dieses Feature zu implementieren. Bei mir kann der Kunde sogar sehen, wie viel Packungen ich noch aktuell an Lager habe. Diese Diskussion können nur Apotheker mit Apotheker-Brille führen. Kein Mensch würde in den Urlaub fahren, ohne zu wissen ob und wie viele Zimmer noch verfügbar sind. Ergo wird ein Digital Native niemals auf die Idee kommen in eine Apotheke zu gehen, ohne zu wissen ob sein gewünschtes Präparat vorrätig ist.
DAZ: Glauben Sie dabei an eine Corona-abhängige, reversible Entwicklung oder wird sich das mit Einführung des E-Rezeptes sogar noch verschärfen?
Schittenhelm: Ich bin mir sicher, dass es kein „Nach-Corona“ mehr geben wird. Das sieht man ja schon an unseren aktuellen Zahlen vom Mai. Wir haben die Patienten und Kunden jetzt an etwas gewöhnt, was sie ja bereits vom Versandhandel her kannten. Das E-Rezept wird diesen Prozess noch beschleunigen und verfestigen, denn bei unseren Zahlen im Shop handelt es sich ja bis jetzt ausschließlich um OTC-Bestellungen. Die Rezepte kamen während Corona direkt aus den Praxen bzw. mussten von uns dort abgeholt werden.
„Natürlich wäre eine Branchenlösung das Beste. Leider scheint aber der Zug abgefahren zu sein.“
DAZ: Blicken wir abschließend auf die aktuellen Plattform-Projekte im Markt. Der „Zukunftspakt Apotheke“ ist seit 1,5 Jahren mit einer Click-and-Collect-Plattform präsent, die Initiative „pro AvO“ stellt ihr Konzept diese Woche vor und ungeliebte Konkurrenten wie DocMorris wollen vom Versandhandel auf eine Apothekenplattform umschwenken. Sollte es Ihrer Ansicht nach eine Branchenlösung geben oder besser mehrere Angebote, bei denen man als Vor-Ort-Apotheke präsent ist? Wie werden Sie sich zukünftig positionieren?
Schittenhelm: Natürlich wäre eine Branchenlösung das Beste. Leider scheint aber der Zug abgefahren zu sein. Dennoch ist eine gute Plattform, die dem Endverbraucher einen echten Mehrwert bietet, essentiell für die Vor-Ort-Apotheke. Diesen Mehrwert sehe ich bei den derzeitigen Angeboten im Markt leider noch nicht. Ich bin sehr gespannt auf „pro AvO“ und werde mich auf jeden Fall anmelden.
DAZ: Herr Dr. Schittenhelm, vielen Dank für das Gespräch. |
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