Arzneimittel und Therapie

Kein Autismus bei Kindern durch MMRV

Aktualisierter Cochrane-Review bestätigt Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen

Die Risiken sogenannter Kinderkrankheiten übersteigen bei Weitem die potenziellen Nebenwirkungen der zu ihrer Prävention zuge­lassenen Impfstoffe. Diese Erkenntnis wurde durch einen kürzlich ver­öffentlichten Cochrane-Review für Kinder bis zu einem Alter von 15 Jahren bestätigt.
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Die erste MMR-Impfung sollte laut STIKO-Empfehlung im Alter von 11 bis 14 Monaten erfolgen, die zweite frühestens vier Wochen später im Alter von 15 bis 23 Monaten.

Ziel des Updates der zuletzt 2012 aktualisierten Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2005 war es, die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfungen gegen Mumps, Masern, Röteln und Windpocken zu bewerten. Dafür wurden 138 randomisierte und nicht-randomisierte bis zum 2. Mai 2019 publizierte Studien analysiert. In insgesamt 51 Studien mit rund 10 Millionen Kindern wurde die Wirksamkeit und in 87 Studien mit rund 13 Millionen Kindern die Sicherheit der MMR-, MMRV und MMR+V-Impfstoffe bewertet. MMR (Masern, Mumps, Röteln) ist ein kombinierter Impfstoff, der vor allen drei ­Infektionen schützt. Gegen Varizellen kann man entweder mit einem kombinierten MMR- und Varizellen-Impfstoff (MMRV) impfen oder diese in einem getrennten Schritt zur gleichen Zeit (MMR+V) verabreichen (s. Kasten „Getrennt oder zusammen?“). Durchgeführt wurden die Analysen von einer italienischen Arbeitsgruppe unter Dr. Carlo Di Pietrantonj von der regionalen epi­demiologischen Einheit für Infektionskrankheiten in Alessandria, Italien.

Getrennt oder zusammen?

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Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt bei der ersten Immunisierung gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen bevorzugt einen MMR-Impfstoff und einen monovalenten Varizellen-Impfstoff an verschiedenen Körperstellen zu verwenden. Grund dafür ist, dass nach der ersten Immunisierung mit einem tetravalenten Impfstoff ein leicht erhöhtes Risiko von Fieberkrämpfen fünf bis zwölf Tage nach der Verabreichung beobachtet worden ist. Die zweite Impfung kann dann ­jedoch mit einem MMRV-Kombinationsimpfstoff erfolgen. Punkt 4.4 der Fachinformation von Priorix-Tetra® weist darauf hin, dass der tetravalente Impfstoff bei der Impfung von Kindern mit Krampfanfällen, einschließlich Fieberkrämpfen, in der Eigen- oder Familienanamnese mit Vorsicht angewendet werden muss. Die geimpften Kinder sollten engmaschig auf Fieber überwacht werden.

Ergebnisse zur Wirksamkeit

Die Auswertung von Kohortenstudien ergab für Masernimpfstoffe eine Effektivität von 95% bereits nach der ersten Impfdosis, nach zwei Dosen waren es 96%. Im Falle einer Masernexposition lag das Erkrankungsrisiko bei den nicht geimpften Kindern bei 7%, da­gegen nur bei 0,5% bei den mit einer Dosis Geimpften.

Bei der Mumps-Impfung zeigte sich eine Effektivität von 72% nach der ersten und von 86% nach der zweiten Dosis. Nach diesen Analysen liegt das Risiko von ungeimpften Kindern, an Mumps zu erkranken, bei 7,4%, bei den mit zwei Dosen immunisierten nur bei 1%.

Die Effektivität der Rötelnimpfung bezifferten die Autoren des Reviews auf 89 Prozent. Zehn Jahre nach Impfung mit einer MMRV-Vakzine lag die Effektivität zum Schutz vor einer Windpockeninfektion laut einer Einzelstudie mit 2279 Kindern noch bei 95%.

Autismusrisiko ähnlich

Mit Update des Cochrane-Reviews konnte erneut bestätigt werden, dass es keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus gibt, im Gegenteil: auf der Basis von zwei Studien mit insgesamt fast 1,2 Millionen Kindern ermittelten die Autoren ein annähernd gleiches Risiko für Autismus bei geimpften und ungeimpften Kindern (419 vs. 451 diagnostizierte Fälle pro 100.000).

Das Robert Koch-Institut weist auf seiner Internetseite darauf hin, dass es für den in der Vergangenheit wahrgenommenen Anstieg von Autismusfällen eine gute wissenschaftliche Erklärung gibt, nämlich neue, sensiblere Diagnosekriterien und eine verbesserte diagnostische Praxis.

In zwei weiteren Studien mit mehr als 1,07 Millionen Kindern fand sich zudem kein Zusammenhang zwischen einer Impfung und dem Auftreten von Enzephalitis, entzündlichen Darmerkrankungen, Morbus Crohn, kognitiver Verzögerung, Diabetes mellitus Typ 1, Asthma, Dermatitis/Ekzem, Heuschnupfen, Leukämie, multipler Sklerose, Gangstörungen und bakteriellen bzw. viralen Infektionen. Ein ­geringes Risiko bestand bei den geimpften Kindern für Fieberkrämpfe bis zu zwei Wochen nach der Impfung. Normalerweise liegt das Risiko für Fieberkrämpfe bei Kindern bis zu einem Alter von fünf Jahren bei zwei bis vier Prozent. Das Risiko für impfinduzierte Fieberkrämpfe wird geschätzt auf einen pro 1150 bis 1700 verabreichten Dosen. Darüber hinaus gibt es einen Zusammenhang zwischen einer MMR-Impfung und dem Auftreten einer idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (ITP). Dabei handelt es sich um eine Autoimmunreaktion, bei der Antikörper gegen Thrombozyten gebildet werden. Die Lebensdauer der Thrombozyten wird verringert und es kommt zu einer Thrombozytopenie. Das Risiko für eine ITP ist jedoch geringer als nach natürlichem Kontakt mit diesen Viren. Die Reviewautoren geben an, dass eine ITP nach natür­lichem Virenkontakt in einem von 20.000 Fällen auftritt. Das Risiko, nach einer Impfung zu ­erkranken liegt bei einer von 40.000 verabreichten MMR-Dosen.

Impfpflicht soll Kinder vor Masern schützen

Seit 1. März 2020 müssen alle Kinder, die älter als ein Jahr sind, per Gesetz bei Eintritt in die Schule oder den ­Kindergarten eine Masernimpfung nachweisen. Der Nachweis kann dabei in Form des Impfpasses, des Kinderuntersuchungshefts oder bei bereits durchlaufener Erkrankung durch ein ärztliches Attest erfolgen. Eltern, die ihre in einer Gemeinschaftseinrichtung betreuten Kinder nicht impfen lassen, begehen seit Anfang März eine Ordnungswidrigkeit und müssen mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 2500 Euro rechnen. Nichtgeimpfte Kinder können vom Besuch des Kindergartens ausgeschlossen werden. Personen, die aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können, müssen der Impfpflicht nicht nachkommen.

Kurz nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, hatten Ärzte und Eltern angekündigt, Verfassungsbeschwerde gegen die Regelungen zur Impfpflicht einzulegen. Zwei Eilanträge wurden Anfang Mai von den Richtern des ­Bundesverfassungsgerichts abgelehnt. Eine endgültige Entscheidung zu den Verfassungsbeschwerden steht aber noch aus. (Siehe auch: Sucker K. Bundesverfassungsgericht weist Eilanträge gegen Impfpflicht zurück. Meldung vom 19. Mai 2020 auf DAZ-online).

Impfung wirksam und sicher

Das Fazit der Autoren: Impfungen gegen Mumps, Masern, Röteln und Varizellen sind wirksam und sicher und sollten breit angewendet werden. Zu wenig Evidenz existiere zurzeit noch zu der Frage, ob der Schutzeffekt der Impfungen mit der Zeit abnimmt. Dazu seien weitere Untersuchungen notwendig. |
 

Literatur

Di Pietrantonj C et al. Vaccines for measles, mumps, rubella, and varicella in children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 4, Art. No.: CD004407, DOI: 10.1002/14651858.CD004407.pub4

Impfpflicht soll Kinder vor Masern schützen. Informationen des Bundesministeriums für Gesundheit, www.bundesgesundheitsministerium.de/impfpflicht.html, Abruf am 27. Mai 2020

Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. 267. Auflage; Berlin: Walter de Gruyter GmbH; 2017

Schutzimpfung gegen Mumps: Häufig gestellte Fragen und Antworten, Informationen des Robert Koch-Instituts, Stand April 2017, www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ-Liste_Mumps_Impfung.html?nn=2375548, Abruf am 13. Mai 2020

Zur Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen (MMRV). Epidemiologisches Bulletin 2011, Nr. 38, S. 252-253

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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