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Pandemie Spezial

Lichtblick mRNA-Impfstoffe?

Mit Erbinformationen gegen Corona

Seit Anfang des Jahres hält das Coronavirus die Welt in Atem. Bisher steht jedoch noch kein spezifischer Impfstoff zur Verfügung, der die Menschen vor dem Krankheitsbild COVID-19 schützen könnte. Eine große Hoffnung ruht derzeit auf den RNA-Impfstoffen, die ‒ anders als die herkömmlichen Vakzine ‒ nicht auf abgetöteten oder geschwächten Erregern, sondern auf der Erbinformation des Virus basieren. Aber was genau ist das Wirkprinzip dieser Impfstoffe? Welche Vor- und welche Nachteile gibt es? Und wie ist der aktuelle Stand der Forschung und Entwicklung?  | Von Stefan Oetzel

In Deutschland konnte die Ausbreitung des Coronavirus durch Abstandsregeln und Kontaktverbote, durch Schließungen von Schulen, Kindertagesstätten, Kindergärten und Geschäften sowie durch Verbote von Versammlungen und Großveranstaltungen zwar etwas eingedämmt werden. Allerdings haben die strikten Maßnahmen für die psychische und physische Gesundheit vieler Menschen und auch für die Wirtschaft zunehmend schwerwiegende Folgen. Bei einer zu schnellen Lockerung des Shutdowns besteht jedoch die Gefahr, dass die Ansteckungsrate wieder steigt und eine zweite Infektionswelle droht. Die rasche Entwicklung eines wirksamen und gleichzeitig verträglichen Impfstoffs, der eine Immunisierung gegen das neue Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) ermöglicht und somit dessen Ausbreitung bremst, könnte die Situation nachhaltig ändern. Daher forschen Wissenschaftler aus aller Welt derzeit an 108 Impfstoffkandidaten, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet (Stand: 5. Mai 2020) [1]. Hinzu kommen noch mindestens 13 weitere, von der WHO bisher noch nicht verzeichnete Projekte [2].

Abb. 1: Infektion einer menschlichen Zelle mit dem Coronavirus und Immunantwort (nach [3]).

Welche Impfstoffkonzepte werden verfolgt?

Eine Impfung beruht darauf, dass das Immunsystem des Körpers lernen kann, eine Infektion mit Krankheits­erregern, wie z. B. dem Coronavirus, zu erkennen und adäquat zu ­reagieren (Abb. 1). Daher zielen alle gegen SARS-CoV-2 gerichteten Impfstoffe darauf, den Körper einem virusspezifischen Protein (Antigen) auszusetzen. Das verursacht zwar keine Krankheit, ruft aber eine Immunantwort des Organismus hervor und es werden spezifisch gegen dieses Antigen gerichtete Antikörper und Gedächtniszellen gebildet [3]. Dabei werden verschiedene Impfstoffkonzepte verfolgt [3, 4]:

  • virusbasierte Vakzine: Ein aus Corona-Patienten isolierter SARS-CoV-2-Erreger wird in Zellkulturen vermehrt und dann durch verschiedene Methoden inaktiviert oder stark abgeschwächt (attenuiert).
  • protein-basierte Vakzine: Hier werden die äußere, leere Hülle des Coronavirus oder Proteinfragmente des Er­regers direkt in den Körper injiziert, um so eine Immunantwort hervorzurufen.
  • virale Vektor-Vakzine: In das Erbgut von Viren, die für den Menschen harmlos sind (z. B. modifizierte Masern- oder Adenoviren) wird durch gentechnische Verfahren ein Teil des Erbmaterials von SARS-CoV-2 integriert. Diese viralen Vektoren werden dann in die menschlichen Zellen eingeschleust, die daraufhin das gewünschte Antigen produzieren und dem Abwehrsystem präsentieren. Eingesetzt werden können virale Vektoren, die sich vermehren oder solche, die sich nicht replizieren.
  • Nukleinsäure-Vakzine: Bei diesem Ansatz wird Nukleinsäure, die die Erbinformation des gewünschten Antigens enthält, direkt ‒ ohne Zuhilfenahme eines viralen Vektors ‒ in die menschliche Zelle eingebracht. Da diese Impfstoffe ausgewählte Gene des Virus enthalten, werden sie auch genbasierte Vakzine genannt. Je nach Art der Nukleinsäure wird zwischen RNA- und DNA-Impfstoffen unterschieden.

In einer akuten Pandemie-Situation, wie sie derzeit bei COVID-19 besteht, müssen in kurzer Zeit große Mengen an Impfstoff produziert werden. Konventionell hergestellte, virusbasierte Vakzine stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Daher werden aktuell auch große Hoffnungen auf neue Ansätze wie die RNA-Impfstoffe gesetzt.

Abb. 2: Wirkprinzip der RNA- und DNA-Vakzine (nach [3]).

Wie funktionieren Nukleinsäure-Vakzine?

RNA-Vakzine enthalten Ribonukleinsäure, die Erbsubstanz des SARS-CoV-2, die die Informationen zur Herstellung der viralen Eiweiße kodiert. Während also bei konventionellen Impfstoffen abgeschwächte oder abgetötete Erreger eingesetzt werden, die dann als Antigen wirken, wird bei der Herstellung eines RNA-Impfstoffs lediglich die „Bauanleitung“ für ein Virusprotein injiziert, die dann von den Zellen des Organismus umgesetzt wird. Dabei ist folgende Vorgehensweise üblich (s. Abb. 2) [3 – 5]:

  • Zunächst wird gentechnisch eine Messenger-RNA (mRNA) synthetisiert, die für ein spezifisches Eiweiß des SARS-CoV-2 kodiert. Dabei wird häufig das Spike-Protein gewählt, das für die Anheftung von SARS-CoV-2 an die menschliche Zelle notwendig ist und gleichzeitig ein wirksames Antigen darstellt. Die mRNA kann zusätzlich ­Sequenzen für eine Replikase enthalten, ein Enzym, das die eigenständige Vervielfachung der Ribonukleinsäure in der Zelle ermöglicht [6]. Bei dieser sich replizierenden mRNA ist eine geringere Impfdosis notwendig, aber das Molekül ist größer und anfälliger für Ablesefehler. Nicht selbstvermehrende mRNA ist hingegen einfacher aufgebaut und codiert keine weiteren Proteine, die eine ungewollte Immunantwort hervorrufen könnten.
  • Vor ihrem Einsatz wird die mRNA meist noch chemisch modifiziert, stabilisiert und in Transportvehikel, z. B. in Lipid-Nanopartikel verpackt. Diese kleinen, kugelförmigen Kapseln in einer Größe von 60 bis 80 nm können mit der Zellmembran verschmelzen. Sie schützen die empfindliche mRNA und sorgen zugleich für deren effiziente Aufnahme in Körperzellen.
  • Der RNA-Impfstoff kann dann mittels herkömmlicher Spritzen intravenös, intradermal oder intramuskulär injiziert werden. Es besteht auch die Möglichkeit, die Vakzine mittels einer Impfpistole durch hohen Druck ‒ ohne Verwendung einer Kanüle ‒ subkutan oder intradermal zu verabreichen (nadelfreie Injektion).
  • Die applizierte mRNA wird in die Zellen des menschlichen Organismus transportiert. Dort lesen Ribosomen die kodierte Erbinformation ab, anhand derer das virusspezifische Protein gebildet und im Körper freigesetzt werden kann: Es wird vom Immunsystem als „körperfremdes“ Antigen erkannt und über verschiedene Abwehrmechanismen bekämpft.

Bei der Herstellung von DNA-Vakzinen wird ebenfalls im Labor synthetisierte Erbinformation für ein virales Antigen genutzt. Statt RNA wird die chemisch verwandte Desoxyribonukleinsäure eingesetzt [3, 4]. Die DNA-Sequenz, die für das betreffende Antigen kodiert, wird dann mithilfe von gentechnischen Verfahren in ein ringförmiges DNA-Molekül (Plasmid) integriert. Vor der Verabreichung des Impfstoffs werden die Zellmembranen oft noch durch Anlegen eines elektrischen Feldes (Elektroporation) permeabel gemacht, um so die DNA besser in die Zellen einschleusen zu können. Bedingt durch das elektrische Feld ändert sich dabei die Konformation der Biomembran, was die Verteilung der membranbildenden Moleküle betrifft. Zudem schnüren sich einzelne Mem­branbestandteile ab und es bilden sich Vesikel. Letztlich wird dadurch die Aufnahme der DNA erleichtert [18].

Der Impfstoff wird dann meist intramuskulär injiziert. Auch eine bioballistische Applikation ist möglich. Dabei werden mit Plasmid-DNA beschichtete Gold- oder Wolfram-Partikel mittels einer sogenannten Genkanone in die Zellen geschossen. Nach Verabreichung des Impfstoffs durchdringt dieser die Zellmembran und wird in den Zellkern aufgenommen. Die Erbinformation wird dort in mRNA umgeschrieben (Transkription), die im Anschluss ‒ nach Transport in das Zellplasma ‒ von den Ribosomen abgelesen werden kann. Ähnlich wie beim RNA-Impfstoff stellen die Zellen dann das virale Antigen her, das vom körpereigenen Immunsystem als fremd erkannt und bekämpft wird. DNA-Impfstoffe benötigen in der Regel starke Wirkverstärker (Adjuvanzien), damit sie eine effektive Immunantwort auslösen können [4].

Welche Vorteile haben RNA-Impfstoffe, welche Nachteile bzw. Risiken gibt es?

Für die synthetische Herstellung einer Vakzine, die auf mRNA basiert, ist es notwendig, die Kodierung der Erbinformation des Erregers zu kennen. Diese wurde beim SARS-CoV-2 im Januar 2020 von chinesischen Forschern entschlüsselt und veröffentlicht [7, 8]. Daraus kann der Teil der viralen RNA, der die Bauanleitung für das gewünschte Antigen enthält, abgeleitet, synthetisiert und als mRNA in die Zelle eingeschleust werden, die dann die Produktion des kodierten Proteins übernimmt. Anders als bei den konventionellen Impfstoffen, entfällt also die oft langwierige Herstellung abgeschwächter oder abgetöteter Erreger mittels Zellkultur oder im Hühnerei. Daher kann ein RNA-Impfstoff schneller in größeren Mengen produziert werden als herkömmliche Vakzine und lässt sich bei Bedarf ‒ falls das Virus also beispielsweise mutieren sollte ‒ relativ rasch anpassen [2, 3, 4, 9]. Die genbasierte Impfstoffherstellung hat darüber hinaus den Vorteil, dass kein Infektionsrisiko durch den Impfstoff besteht, da statt Virenstämmen lediglich Erbmaterial injiziert wird. Außerdem sind Verunreinigungen durch Hühner­eiweiß und dadurch hervorgerufene Unverträglichkeitsreaktionen hier nicht möglich [2, 3, 4, 9]. Prinzipiell sollte bei RNA-Impfstoffen das Risiko für Nebenwirkungen geringer sein als bei klassischen Vakzinen, da die Herstellung weder Hühnereier noch Zellkulturen oder giftige Substanzen erfordert, die zu einer Verunreinigung führen könnten [4].

Im Gegensatz zu DNA-Impfstoffen müssen RNA-Vakzine nicht in den Zellkern gelangen, um in ein Protein umgewandelt zu werden. Es besteht daher auch kein Risiko, dass sich die applizierte mRNA dauerhaft in das menschliche Genom integrieren könnte und dort Störungen verursacht. Darüber hinaus besteht auch keine Gefahr, dass sich die eingebrachte mRNA langfristig in den Zellen manifestiert, da das Molekül im Körper sehr schnell wieder abgebaut wird. Schließlich können mRNA-Impfstoffe so modifiziert werden, dass sie keine Wirkstoffverstärker mehr benötigen. Sie fungieren dann quasi als ihr eigenes Adjuvanz, indem sie als „Danger-Signal“ die sogenannten Toll-like-Rezeptoren aktivieren und so immunstimulierend wirken [19].

Eine technische Herausforderung bei der RNA-basierten Impfung besteht darin, die sehr instabile Ribonukleinsäure in die Wirtszelle zu transportieren. Durch eine chemische Stabilisierung und die Verpackung in Nanopartikel lässt sich die Aufnahme des Moleküls in die gewünschten Zielzellen jedoch erleichtern [4]. Ein weiteres potenzielles Problem ergibt sich daraus, dass RNA-Impfstoffe aufgrund ihrer chemischen Labilität in der Regel eine ununterbrochene Kühlkette benötigen, was den Einsatz in Entwicklungsländern erschweren könnte. Es befinden sich jedoch bereits thermostabile RNA-Vakzine in der Entwicklung [9]. Die Inanspruchnahme der zelleigenen „Proteinfabriken“, eine Überaktivierung der Immunabwehr und immunologische Kreuzreaktionen des Virusproteins mit körpereigenen Eiweißen, die zu einer Autoimmunreaktion führen könnten, sind denkbare Risiken, die mit einer RNA-Impfung verbunden sein könnten [4]. Präklinische und einige wenige klinische Studiendaten zu RNA-Vakzinen gegen Tollwut und Influenza deuten jedoch darauf hin, dass die unerwünschten Wirkungen der Impfung in der Regel eher mild bis moderat verlaufen. Nur in Einzelfällen wurden schwerere Nebenwirkungen beobachtet [10, 11]. Letztlich gibt es aber bislang noch keine größeren Studien der Phase III, in denen das Prinzip der Impfung mit einer RNA-Vakzine validiert wurde. Dementsprechend liegen auch noch keine umfangreichen klinischen Erfahrungen zur Sicherheit und Verträglichkeit einer RNA-Impfung vor. Eine Übersicht über die Vor- und Nachteile bzw. möglichen Risiken von RNA-Vakzinen im Vergleich zu anderen Impfkonzepten ist in Tabelle 1 dargestellt.

Tab. 1: Vor- und Nachteile bzw. Risiken der unterschiedlichen Impfstrategien [3, 4, 5, 9, 16, 17].
Vorteile
Nachteile/Risiken
virusbasierte Vakzine
  • Es handelt sich um ein lange erprobtes Verfahren.
  • Die Impfstoffe ermöglichen eine relativ starke Immunisierung, vor allem wenn abgeschwächte Erreger eingesetzt werden.
  • Die Produktion ist aufwendig und zeitintensiv.
  • Es besteht ein geringes Infektionsrisiko durch abgeschwächte Erreger. Daher ist auch die Anwendung bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem nur eingeschränkt möglich.
  • Es gibt herstellungsbedingt ein Restrisiko von Verunreinigungen durch Hühnereiweiß.
  • Es können Störeffekte bei der Immunantwort auftreten, wenn das Immunsystem durch abgetötete Erreger nur zum Teil aktiviert wird.
protein-basierte Vakzine
  • Es besteht kein Infektionsrisiko, da keine kompletten Viren enthalten sind.
  • Bei Proteinfragmenten sind oft Wirkstoffverstärker (Adjuvanzien) und Mehrfachdosierungen erforderlich.
  • Hüllen des Coronavirus sind schwer herzustellen.
virale Vektor-Vakzine
  • Sicherheitsdaten sind bereits aus Impfungen gegen andere Erkrankungen verfügbar (z. B. Vektorimpfstoffe gegen Pocken). Allerdings sind hier dennoch Studien notwendig.
  • Es müssen für den Menschen sehr gut verträg­liche virale Vektoren eingesetzt werden.
  • Vorhandene Immunität gegenüber dem Vektorvirus kann die Impfwirkung abschwächen.
  • Die Produktion in großer Menge ist oft schwierig.
Nukleinsäure-Vakzine
allgemein
  • Es besteht kein Infektionsrisiko durch den Impfstoff.
  • Es gibt keine Verunreinigungen des Impfstoffs mit Hühnereiweiß.
  • Eine schnelle und einfache Produktion in großen Mengen und gegebenenfalls eine rasche Anpassung sind möglich.
  • Es gibt kaum praktische Erfahrung mit dieser Art von Impfstoffen. Bisher ist noch keine RNA- oder DNA-Vakzine für die Impfung von Menschen zugelassen.
RNA-Impfstoffe
  • Bei RNA-Impfstoffen ist in der Regel kein Wirkstoffverstärker (Adjuvanzien) notwendig.
  • RNA-Impfstoffe werden im Körper sehr schnell wieder abgebaut. Sie hinterlassen demzufolge keine Rückstände, die Langzeitschäden verursachen könnten.
  • RNA-Impfstoffe müssen nicht in den Zellkern gelangen und können auch nicht in das menschliche Genom (DNA!) eingebaut werden.
  • RNA-Moleküle sind sehr instabil, das heißt es sind chemische Modifikationen zur Stabilisierung nötig.
  • RNA-Impfstoffe benötigen in der Regel eine ununterbrochene Kühlkette. Ihr Einsatz in Entwicklungsländern könnte problematisch sein. Thermostabile Vakzine sind aber derzeit in der Entwicklung.
DNA-Impfstoffe
  • DNA ist chemisch stabiler als mRNA.
  • DNA-Impfstoffe benötigen oft einen starken Wirkstoffverstärker (Adjuvanzien).
  • Bei DNA-Impfstoffen ist ein zufälliger Einbau der DNA in das menschliche Genom theoretisch denkbar [22].

Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung und was ist zu erwarten?

Von den derzeit bei der WHO aufgeführten 108 Impfstoffkandidaten gegen COVID-19, befinden sich aktuell acht Vakzine im Stadium der klinischen Evaluation, darunter zwei Impfstoffe auf RNA-Basis (Stand 5. Mai 2020) [1, 2]:

  • Impfstoff des Unternehmens Moderna, der in Kooperation mit dem U.S. National Institute of Allergy and Infectious Diseases entwickelt wurde (Phase-I-Studie seit 16. März 2020 in den USA); hierzu liegen bereits erste Zwischenergebnisse vor, siehe Kasten „RNA-Impfstoff gegen COVID-19 erzeugt nachweislich Antikörper“). Die Produktion soll in Zusammenarbeit mit dem Basler Pharmaunternehmen Lonza erfolgen.
  • Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech sowie der Unternehmen Fosun Pharma und Pfizer (Phase-I-Studie seit 23. April 2020 in Deutschland, Studienbeginn in den USA ab Anfang Mai geplant).

Darüber hinaus basieren weitere 14 Vakzine, die sich aktuell in der präklinischen Phase befinden, ebenfalls auf Ribonukleinsäure [1]. Dazu gehört unter anderem der Impfstoff des Tübinger biopharmazeutischen Unternehmens Curevac, das ab Juni 2020 erste klinische Studien in Deutschland und Belgien plant [2].

Abb. 3: Phasen der Impfstoffentwicklung von der Forschung über die (prä-)klinische Erprobung bis hin zur Zulassung und Markteinführung. Die Angaben zur Zeitdauer sowie zur Probandenzahl können je nach Impfstoff variieren (nach [12]).

Die Entwicklung eines neuen Impfstoffs von der Identifikation und Isolierung der geeigneten Antigene (Forschung) über die präklinische Erprobung in Labortests und Tierversuchen bis hin zur klinischen Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit an gesunden Probanden sowie Patienten in Studien der Phase I, II und III ist ein zeitintensiver Prozess, der in der Regel insgesamt zwischen 8 und 17 Jahre in Anspruch nimmt (Abb. 3) [12]. Bevor der Impfstoff für den Patienten verfügbar ist, kommen dann noch das oft langwierige Zulassungsverfahren sowie die Markteinführung hinzu. Angesichts der pandemischen Situation und der dadurch gebotenen Dringlichkeit werden aktuell mehrere Möglichkeiten diskutiert, wie der Entwicklungsprozess einer gegen SARS-CoV-2 gerichteten Vakzine beschleunigt werden könnte. Hier sind verschiedene Ansätze denkbar [12, 13]:

  • Da für keine der klinischen Phasen eine feste Dauer vorgeschrieben ist, könnten die einzelnen Studien möglichst kurz gehalten werden, wobei jedoch der Sicherheitsaspekt keinesfalls vernachlässigt werden darf.
  • Es besteht die Möglichkeit, dass Studien der Phasen I und II bzw. II und III kombiniert werden, das heißt parallel stattfinden. Gleichzeitig könnten sich die Hersteller bereits während der Studienphase auf die Produktion in großem Maßstab vorbereiten, indem sie z. B. die Herstellungskapazitäten erhöhen.
  • Die normalerweise langwierigen, bürokratischen Zu­lassungsverfahren könnten beschleunigt werden. Dies schlug auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits im März dieses Jahres vor [14].

Während des gesamten Prozesses ist es jedoch wichtig, „die erforderliche Sorgfalt bei der Entwicklung der Impfstoffe walten zu lassen und auch in der Pandemie keine Shortcuts zulasten der Verträglichkeit oder Wirksamkeit in irgendeiner Form zu erlauben“, betonte Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), im Rahmen eines vom Science Media Center Germany durchgeführten Online-Seminars [15]. Das bedeutet: Einerseits sollten die Entwicklung und klinische Testung der Impfstoffe zwar möglichst rasch erfolgen, andererseits darf die Zulassung erst dann erteilt werden, wenn sicher ist, dass die Vakzine den gewünschten Effekt hat, ohne Schäden anzurichten. Oder wie es Professor Cichutek während des Online-Seminars formulierte: „Die wichtigste Voraussetzung sind harte Daten, die wir in den klinischen Prüfungen ermitteln, und davon darf nicht abgewichen werden“ [15]. Erschwerend kommt hinzu, dass Impfungen einer sehr großen Anzahl von gesunden Menschen verabreicht werden, das heißt bei der Zulassung der Vakzine muss besonders darauf geachtet werden, dass der Nutzen im Vergleich zu den potenziellen Risiken weit überwiegt [15].

RNA-Impfstoff erzeugt Antikörper

Im Rahmen der Phase-I-Studie wurden bislang 45 Personen mit dem Impfstoff mRNA-1273 geimpft, wobei je 15 Probanden Dosierungen von 25 µg, 100 µg oder 250 µg erhielten. Bei allen geimpften Personen kam es 15 Tage nach der ersten Impfdosis zu einer Serokonversion, das heißt zur Produktion der gewünschten Antikörper. In den Gruppen mit den Dosierungen von 25 µg und 100 µg, die zum Zeitpunkt der Auswertung - 43 Tage nach Studien­beginn - bereits beide Impfdosen erhalten hatten, war die Antikörperkonzentration weiter gestiegen. Dabei erreichten alle 15 Probanden, denen die niedrigste Impfdosis von 25 µg injiziert worden war, ähnliche Antikörpertiter, wie sie bei Patienten nach einer überstandenen Infektion gemessen wurden. Unter der mittleren Dosis von 100 µg waren die Konzentrationen der gebildeten Antikörper bei den zehn Teilnehmern, für die bereits Daten vorlagen, sogar signifikant höher als bei genesenen COVID-19-Patienten. Mit den Seren von jeweils vier Probanden aus den Dosisgruppen 25 µg und 100 µg wurde auch die Neutralisationskapazität geprüft: Es wurde untersucht, ob das Serum Viren binden kann und dadurch eine Infektion und das Absterben der Zellen verhindert wird. Bei allen acht Teilnehmern wurden neutralisierende Antikörper gefunden [20, 21].

Wenn die Zulassung für einen Impfstoff erteilt wurde, stellt sich als nächstes die Frage, wie viel Impfstoff benötigt wird und wann genügend Impfdosen hergestellt werden können. Hier gehen viele Experten davon aus, dass Milliarden Impfdosen erforderlich sind, um eine globale Abdeckung mit Impfungen zu gewährleisten, erklärte Prof. Dr. Uğur Şahin, Vorstandsvorsitzender des Mainzer Unternehmens Biontech [15]. Obwohl sich diese Zahl sicherlich auf mehrere der aktuellen Impfstoffkandidaten verteilen wird und auch verteilen muss, um die Aufgabe zu bewältigen, bedeutet das Upscaling von der Laborforschung auf eine industrielle Produktion dieses Ausmaßes eine große Herausforderung für die Unternehmen. RNA-Vakzine bieten dabei den Vorteil, dass zeit- und kostenintensive Prozesse der konventionellen Impfstoffproduktion entfallen, das heißt, eine Herstellung des ­Erregers in großer Menge und dessen Inaktivierung unter hohen Sicherheitsstandards ist nicht notwendig. Da sich mit gentechnischen Verfahren in relativ kurzer Zeit gezielt die mRNA produzieren lässt, die für den Impfstoff benötigt wird, können hier prinzipiell sehr schnell viele Injektions­dosen hergestellt werden [2, 15]. Dabei muss allerdings noch geklärt werden, welche Dosierung tatsächlich wirksam ist, um die Menge an benötigter RNA genau abschätzen zu können, betonte Professor Cichutek während des Online-Seminars [15]. Mittlerweile haben mehrere Unternehmen ‒ darunter auch die beiden deutschen RNA-Impfstoffhersteller Biontech und Curevac ‒ angekündigt, die Produktionskapazitäten vorsorglich auszubauen, um ihre Vakzine gegebenenfalls schnell und in ausreichender Menge zur Verfügung stellen zu können [2].

Auf einen Blick

  • Zur Vorbeugung gegen eine Infektion mit dem Coronavirus werden derzeit mehr als 100 Impfstoffe entwickelt, wobei verschiedene Strategien verfolgt werden.
  • Bei RNA-Vakzinen wird Ribonukleinsäure, die die Erbinformation für ein virales Protein enthält, in den menschlichen Körper eingebracht. Die Zellen des Organismus stellen dann nach dieser Bauanleitung ein Eiweiß her, das als Antigen wirkt und so eine Immunantwort des menschlichen Abwehrsystems provoziert. Dieses ist dann im Falle einer Infektion mit SARS-Cov-2 „vorbereitet“.
  • Eine RNA-Vakzine hat den Vorteil, dass sie schnell und einfach in großen Mengen produziert werden kann. Außerdem enthält die synthetisch hergestellte mRNA keine Verunreinigungen und wird sehr rasch abgebaut, was unter Sicherheitsaspekten von Vorteil ist.
  • Es fehlt die praktische Erfahrung mit dieser Art von Impfstoffen. Langzeitdaten zur Verträglichkeit liegen nicht vor. Eine technische Herausforderung ist die Instabilität der RNA-Moleküle, die durch chemische Stabilisierung und Verpackung in Nanopartikel gelöst werden kann.
  • Von den gegen SARS-CoV-2 gerichteten Impfstoffkandidaten basieren aktuell 16 Vakzine auf Ribonukleinsäure, zwei davon werden bereits klinisch evaluiert. In Deutschland arbeiten derzeit die Unternehmen Biontech und Curevac an der Entwicklung und Herstellung eines RNA-­basierten Impfstoffs.
  • Wann ein (RNA-)Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung steht und in ausreichender Menge produziert werden kann, ist derzeit noch nicht vorhersagbar.

Fazit

Aktuell wird weltweit intensiv an der Herstellung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus gearbeitet. RNA-Vakzine bieten hier gegenüber konventionellen Impfstoffen ­unter anderem den Vorteil, dass sie relativ rasch in großer Menge produziert werden können. Dennoch sind einer Beschleunigung der (prä-)klinischen Untersuchungen sowie des Zulassungsverfahrens Grenzen gesetzt. Zudem müssen die Unternehmen ihre Herstellungskapazitäten noch deutlich erhöhen, um den prognostizierten Impfstoffbedarf decken zu können. Hier gibt es jedoch bereits Ansätze. Wann ein Impfstoff zum Schutz vor COVID-19 verfügbar sein wird und wann dieser dann in der erforderlichen Menge produziert werden kann, lässt sich noch nicht sicher beurteilen. Wenn wirklich alles reibungslos verlaufen sollte, wäre es realistisch, dass ‒ je nach Konzept ‒ innerhalb von einem oder anderthalb Jahren ein Impfstoff zugelassen sein könnte, erklärte der Virologe Prof. Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité in einem Interview mit Focus online im April dieses Jahres [16]. |

Literatur

 [1] Draft landscape of COVID 19 candidate vaccine. World Health Organization (WHO), www.who.int/who-documents-detail/draft-landscape-of-covid-19-candidate-vaccines, Abruf 5. Mai 2020

 [2] Impfstoffe zum Schutz vor Covid-19, der neuen Coronavirus-Infektion. Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa), www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe-zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov, Abruf 4. Mai 2020

 [3] Callaway E. The race for coronavirus vaccines: a graphical guide. Nature 2020;580:576-577

 [4] Wie berechtigt sind Hoffnungen auf RNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2? Science Media Center Germany gGmbH (SMC), www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/fact-sheet/details/news/wie-berechtigt-sind-hoffnungen-auf-rna-impfstoffe-gegen-sars-cov-2/ Abruf 4. Mai 2020

 [5] Roier S, Petsch B. Design und Funktionsweise von mRNA-basierten Impfstoffen zum Schutz vor Infektionskrankheiten; www.trillium.de/zeitschriften/trillium-immunologie/archiv/ausgaben-2019/heft-32019/aus-der-grundlagenforschung/design-und-funktionsweise-von-mrna-basierten-impfstoffen-zum-schutz-vor-infektionskrank­heiten.html Abruf 8. Mai 2020 Trillium Immunologie 2019; 3.

 [6] Jackson NAC, Kester KE, Casimiro D, Gurunathan S, DeRosa F. The promise of mRNA vaccines: a biotech and industrial perspective. NPJ Vaccines 2020;5.

 [7] Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 isolate Wuhan-Hu-1, complete genome 2020.

 [8] Wu F, Zhao S, Yu B, Chen Y-M, Wang W, Song Z-G, Hu Y, Tao Z-W, Tian J-H, Pei Y-Y, Yuan M-L, Zhang Y-L et al. A new coronavirus associated with human respiratory disease in China. Nature 2020;579:265-269.

 [9] Zhang C, Maruggi G, Shan H, Li J. Advances in mRNA Vaccines for Infectious Diseases. Front Immunol 2019;10.

[10] Alberer M, Gnad-Vogt U, Hong HS, Mehr KT, Backert L, Finak G, Gottardo R, Bica MA, Garofano A, Koch SD, Fotin-Mleczek M, Hoerr I et al. Safety and immunogenicity of a mRNA rabies vaccine in healthy adults: an open-label, non-randomised, prospective, first-in-human phase 1 clinical trial. Lancet 2017;390:1511-1520

[11] Bahl K, Senn JJ, Yuzhakov O, Bulychev A, Brito LA, Hassett KJ, Laska ME, Smith M, Almarsson Ö, Thompson J, Ribeiro AM, Watson M et al. Preclinical and Clinical Demonstration of Immunogenicity by mRNA Vaccines against H10N8 and H7N9 Influenza Viruses. Mol Ther 2017;25:1316-1327

[12] Südwest Presse. Weltweit wird nach einer Impfung gegen das Coronavirus geforscht; abrufbar unter: https://www.swp.de/panorama/impfstoff-gegen-corona-impfungen-und-medikamente-gegen-coronavirus-weltweit-wird-nach-einem-mpfstoff-gegen-den-coronavirus-geforscht-45322167.html, Abruf am 6. Mai 2020

[13] Wann kommt die Impfung? Zeit online, www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-04/sars-cov-2-impfstoff-forschung-beschleunigung-coronavirus, Abruf am 6. Mai 2020

[14] Von der Leyen hofft auf Corona-Impfstoff von CureVac bis Herbst. Wochenblatt, www.wochenblatt.de/news-stream/deutschland-welt/artikel/320356/von-der-leyen-hofft-auf-corona-impfstoff-von-curevac-bis-herbst, Abruf 6. Mai 2020

[15] Prof. Dr. Uğur Şahin, Prof. Dr. Klaus Cichutek. RNA-Impfstoffe: der schnellste Weg zum Impfschutz gegen SARS-CoV-2? Online-Seminar am 27. April 2020, www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/fact-sheet/details/news/wie-berechtigt-sind-hoffnungen-auf-rna-impfstoffe-gegen-sars-cov-2/, Science Media Center Germany

[16] Es gibt mehrere Wege: Top-Virologe Drosten erklärt Wettlauf um Corona-Impfstoff. Focus online, www.focus.de/gesundheit/news/beschleunigung-der-herstellung-unwahrscheinlich-es-gibt-mehrere-wege-top-virologe-drosten-erklaert-wettlauf-um-corona-impfstoff_id_11844474.html, Abruf am 5. Mai 2020

[17] Sars-CoV-2: Wann kommt ein Corona-Impfstoff? NDR Info, www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Coronavirus-Wann-kommt-ein-Impfstoff-gegen-Sars-CoV-2,coronaimpfstoff100.html, Abruf am 5. Mai 2020

[18] Elektroporation. https://flexikon.doccheck.com/de/Elektroporation

[19] Freund I, Eigenbrod T, Helm M, Dalpke AH. RNA Modifications Modulate Activation of Innate Toll-Like Receptors. Genes 2019;10(2):92, https://doi.org/10.3390/genes10020092

[20] SARS-CoV-2: Erster Impfstoff erzeugt neutralisierende Antikörper in Phase-1-Studie. Dtsch Arztebl online vom 19. Mai 2020, www.aerzteblatt.de/nachrichten/112990/SARS-CoV-2-Erster-Impfstoff-erzeugt-neutralisierende-Antikoerper-in-Phase-1-Studie

[21] Moderna Announces Positive Interim Phase 1 Data for its mRNA Vaccine (mRNA-1273) Against Novel Coronavirus. Information der Moderna Inc. vom 18. Mai 2020, https://investors.modernatx.com/news-releases/news-release-details/moderna-announces-positive-interim-phase-1-data-its-mrna-vaccine

[22] Zylka-Menhorn V, Grunert D. Genbasierte Impfstoffe: Hoffnungsträger auch zum Schutz vor SARS-CoV-2. Dtsch Arztebl 2020;17(21):A-1100 / B-927, www.aerzteblatt.de/archiv/214122/Genbasierte-Impfstoffe-Hoffnungstraeger-auch-zum-Schutz-vor-SARS-CoV-2

Autor

Stefan Oetzel hat Biologie (Diplom) an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken sowie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen studiert. Im Anschluss absolvierte er eine Weiter­bildung zum Fachzeitschriftenredakteur beim Ernst Klett Verlag in Stuttgart. Seit 1998 arbeitet er als freiberuflicher Medizinjournalist.

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