Pandemie Spezial

ACE-Hemmer und Sartane nicht absetzen!

RAS-Hemmer könnten Hypertoniker sogar vor schweren COVID-19-Verläufen schützen

du/mb | Als vor einigen Wochen der Verdacht aufkam, dass die Einnahme von ACE-Hemmern oder Sartanen den Verlauf von COVID-19 negativ beeinflussen könnte, war die Sorge groß. Werden diese Präparate doch weltweit in großer Menge eingesetzt. Präklinische Modellversuche haben zunächst diese Hypothese unterstützt, klinische Studien am Menschen kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Eine kritische Sichtung der Datenlage ergibt keinerlei Evidenz dafür, dass diese Wirkstoffe die Prognose von COVID-19-Patienten verschlechtern. Sie sollten keinesfalls abgesetzt werden.

Bereits zu Beginn der COVID-19-Pandemie wurde aus China gemeldet, dass vor allem Patienten mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck einen schwereren Krankheitsverlauf hatten. Als der Zusammenhang zwischen ACE2 und dem SARS-CoV-2 (s. Abb.) bekannt wurde, kam schnell die Frage auf, inwieweit Wirkstoffe wie ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptor- Antagonisten (Sartane), die in das Renin-Angiotensin-System eingreifen, über eine Hochregulation des für den Viruseintritt in die Zelle wichtigen ACE2-Rezeptors einen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung nehmen könnten. Dieser Fragestellung haben sich zwei Forschergruppen gewidmet und die vorhandenen Daten analysiert. Die Ergebnisse wurden in Form eines Special Report im „New England Journal of Medicine“ [1] und eines Reviews in der Zeitschrift „Cardiovascular Research“ veröffentlicht [2].

Abb.: Wie SARS-Viren über das ACE-System die Lunge schädigen sollen. Angiotensin I wird durch das Angiotensin Converting Enzyme (ACE) in Angiotensin II gespalten. Angiotensin II seinerseits kann sowohl an die Angiotensin-II-Rezeptoren AT2R als auch an AT1R binden. Die Bindung an AT1-Rezeptoren fördert Gewebeschäden und ein Lungenödem, die Bindung an AT2-Rezeptoren soll dem entgegenwirken. Das Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2) spaltet Angiotensin II in Angiotensin1-7, das nicht mehr an AT1R bindet. SARS-Viren nutzen den ACE2-Rezeptor zum Eintritt in die Zelle und starten dann die Virusreplikation. Parallel dazu nimmt die ACE2-Expression in den Zellen ab und damit auch die Möglichkeit, Angiotensin II durch Umwandlung in Angiotensin1-7 zu entschärfen. AT1R-Antagonisten wie Sartane (ATA) können nach dieser Hypothese die schädliche Angiotensin-II-Wirkung antagonisieren. Rekombinantes lösliches ACE (rACE) mit erhaltener Enzymfunktion soll nicht nur die Viren abfangen, es soll auch die Bildung des protektiven Angiotensin1-7 fördern [nach Nicholls J, Peiris M, Nature Medicine 2005;11(8):821; Penninger JM et al. Nature Medicine 2005;11(8):875].

Widersprüchliche Ergebnisse

Die Gruppe um Scott D. Solomon vom Brigham and Womens Hospital in Boston [1] hat sich die Tierversuche näher angeschaut, in denen der Einfluss von ACE-Hemmern und Sartanen auf die Up- und Down-Regulation des ACE2-Rezeptors untersucht worden ist. Die Ergebnisse waren widersprüchlich, teilweise wurden höhere ACE2-Spiegel gemessen, teilweise blieben sie unverändert.

Im Gegensatz zu den Tierversuchen konnten die Forscher nur wenige klinische Studien zu dieser Fragestellung identifizieren. In einer Studie war KHK-Patienten intravenös ACE-­Inhibitoren verabreicht und anschließend der Spiegel von Angiotensin1-7gemessen worden. Angiotensin1-7 wird mithilfe von ACE2 aus Angiotensin II gebildet und soll potenziell schädliche Effekte von Angiotensin II, wie die Förderung entzündlicher Prozesse oder eine Ödembildung zum Beispiel in der Lunge, verhindern. Sollte unter ACE-Hemmern ACE2 hochreguliert werden, könnte sich das auch in höheren Angiotensin1-7-Spiegeln äußern. Da hier keinerlei Veränderung messbar war, stellt sich die Frage, ob ACE-Hemmer die Expression von ACE2 tatsächlich beeinflussen. In einer weiteren Studie mit Hypertonikern blieb zu Beginn einer Captopril-Behandlung der Angiotensin1-7-Spiegel ebenso unbeeinflusst, erst nach einer Langzeitgabe von sechs Monaten erhöhte sich der Spiegel. Eine in Japan durchgeführte Longitudinalstudie hat gezeigt, dass Patienten, die zuvor über lange Zeit mit Olmesartan behandelt worden waren, höhere ACE2-Spiegel im Urin aufwiesen als die unbehandelte Kontrollgruppe. Allerdings konnte man diesen Effekt nicht bei Langzeitgabe von Enalapril oder Sartanen (Losartan, Candesartan, Valsartan, Telmi­sartan) feststellen.

Diese widersprüchlichen Ergebnisse führen die Autoren rund um Solomon auf die Komplexizität des Renin-­Angiotensin-Systems zurück. Selbst wenn RAS-Inhibitoren in tierischen Gewebeproben die ACE2-Spiegel verändern, können diese Erkenntnisse nicht auf die menschliche Physio­logie übertragen werden. Weitere ­Studien seien notwendig, um besser verstehen zu können, ob es einen ­Zusammenhang zwischen schweren COVID-19-Verläufen und der Therapie mit RAAS-Inhibitoren gibt – so ihr Resümee.

Schutz für Herz und Nieren

Nachdem SARS-CoV-2 über ACE2 in die Zelle gelangt ist, repliziert sich das Virus in der Zelle und reguliert gleichzeitig die ACE2-Expression runter. Inzwischen wird angenommen, dass die herabgesetzte ACE2-Expression und der damit verbundene erhöhte Angiotensin-II-Spiegel mitverantwortlich für das multiple Organversagen unter COVID-19 sind. Besonders für Patienten, die zuvor an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung gelitten haben, erhöht sich das Risiko für weitere myokardiale Schäden während COVID-19, da die protektive Wirkung von ACE2 auf das Herz entfällt. Medikamente, die auf das Renin-Angiotensin-System wirken, bieten einen erwiesenen Schutz für Herz und Nieren. Etliche Studien haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass ein abruptes Absetzen dieser Medikamente stets ein Risiko für Herzerkrankte darstellt. Auch Umstellversuche, die oft mit Blutdruckschwankungen in der Umstellphase einhergehen, sollten aufgrund des daraus resultierenden erhöhten kardiovaskulären Risikos nicht unternommen werden.

Risikofaktor Hypertonie?

Eine Forschergruppe um Prof. Dr. Reinhold Kreutz vom Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin [2] hat nicht nur die Hypothese, dass ACE-Hemmer und Sartane eine COVID-19-Erkrankung negativ beeinflussen geprüft. Sie ist auch der Frage nachgegangen, ob eine Hypertonie ein unabhängiger Risikofaktor für fatale COVID-19-Verläufe ist. Denn 75% aller in Italien an COVID-19 verstorbenen Patienten sollen Hypertoniker gewesen sein. Viele von ihnen wurden mit ACE-Hemmern und Sartanen behandelt. Das Ergebnis des Reviews: es gibt keine Evidenz dafür, dass eine Hypertonie ein unabhängiger Risikofaktor für schwere COVID-19-Erkrankungen ist. Begründet wird dies damit, dass ein Bluthochdruck mit einer Dysregulation des Immunsystems verbunden ist, die dann ihrerseits zu schwereren COVID-19-Ver­läufen führt. Die Autoren erklären dies wie folgt: Eine schnelle Verschlechterung einer SARS-CoV-2-­Infektion geht einher mit einem proinflammatorischen Zytokinsturm. Beobachtet wird hier ein Anstieg der Interleukine 2, 6 und 7, des Granulozyten-Colonie-stimulierenden Faktors (GCS-F), des CXCL 10 (C-X-C motif chemokine 10), des CCL2 (C-C motif ligand 2) und des Tumornekrosefaktors alpha (TNF­alpha). Diese Zytokine werden auch mit der Entwicklung einer Hypertonie in Verbindung gebracht. So ist Interleukin 6, dessen Anstieg eng mit der Prognose einer COVID-19-Erkrankung assoziiert ist, eines der entscheidenden Zytokine für die immuninflamma­torischen Reaktionen im Rahmen einer Hypertonie. Zudem soll eine Hypertonie mit einer Dysregulation von CD4+- und CD8+-Zellen ein­hergehen, was wiederum zu einer verstärkten Produktion der auch bei COVID-19 entscheidenden proinflammatorischen Zytokine wie Interleukin 6 und TNF­alpha führt. Darüber hinaus weisen CD4+- und CD8+-Zellen bei Hypertonie ein par­tielles immunoseneszentes Profil auf, das durch eine verstärkte Zytokinproduktion bei geschwächter antiviraler Aktivität gekennzeichnet ist. Alle diese Mechanismen können, so die Autoren um Kreutz, zu einem beschleunigten Endorganversagen bei schweren COVID-19-Verläufen beitragen.

ACE-Hemmer und Sartane weiter unter Beobachtung

Mitte April wurden im European Heart Journal Ergebnisse zur ACE2-Präsentation auf Zellen des Herzmuskelgewebes und Gefäßzellen des Herzens als Brief Communication veröffentlicht. Eine Frankfurter Forschergruppe unter Federführung von Professor Stefanie Dimmeler, Direktorin des Instituts für kardiovaskuläre Regeneration, Professor Andreas Zeiher, Direktor der Kardiologie, und Professor Thomas Walther, Direktor der Herzchirurgie des Universitätsklinikums Frankfurt konnten an einer kleinen Zahl von Proben eines Herzgesunden und von sieben Patienten mit Herzerkrankungen zeigen, dass die ACE2-Expression bei Herzerkrankungen erhöht war. In vier Fällen waren die ­Patienten mit ACE-Hemmern behandelt worden, in zwei Fällen mit Sartanen. Unter ACE-Hemmer-Therapie war die ACE2-Präsentation noch einmal deutlich erhöht, nicht dagegen unter Sartanen. Therapieempfehlungen wollen die Autoren daraus allerdings nicht abgeleitet wissen. Denn wegen der kleinen Zahl der Proben seien die Ergebnisse allenfalls zur Hypothesen­generierung geeignet. In einem Podcast, veröffentlicht auf den Seiten des „European Heart Journals“, rät auch Professor Zeiher davon ab, ACE-Hemmer und Sartane abzusetzen. Allerdings fordern die Forscher, bei SARS-CoV-2-Infizierten auf kardiovaskuläre Komplikationen zu achten und den Einfluss von ACE-Hemmern und Sartanen auf den Krankheitsverlauf weiter zu untersuchen.

Quelle: Nicin L et al. Cell type-spcific expression of the putative SARS-CoV-2 receptor ACE2 in human hearts. European Heart Journal 15. April 2020 ehaa311, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaa311

Schützende RAS-Hemmung?

Auch sehen die Autoren dieses Reviews Hinweise dafür, dass eine Behandlung mit ACE-Hemmern und Sartanen mit einer verringerten Inzidenz und/oder einem günstigeren Verlauf von tiefen Atemwegsinfektionen assoziiert sein könnte. Eine detaillierte Betrachtung des Renin-Angiotensin-Systems in der Lunge und die Rolle von ACE2 unterstützt die Hypothese eines potenziell protektiven Einflusses von ACE-Hemmern und Sartanen. Denn ACE-Hemmer reduzieren die Bildung des für die Lungenschäden mitverantwortlich gemachten Angiotensin-II, AT1-Rezeptorantagonisten (Sartane) verhindern die Bindung von Angiotensin II an seine Rezeptoren und damit eine potenziell schädliche Wirkung. Eine Hochregulation von ACE2 unter diesen Wirkstoffen würde zudem dazu führen, dass Angiotensin II verstärkt in das protektiv wirkende Angiotensin1-7 gespalten wird.

Beide Forschergruppen kommen zu dem Schluss, dass die bestehende Datenlage keinesfalls das Absetzen von ACE-Hemmern oder Sartanen bei gut eingestellten Patienten rechtfertigt. Eine Empfehlung die auch von mehreren Fachgesellschaften gegeben worden ist. |
 

Literatur

[1] Solomon SD et al. Renin–Angiotensin–Aldosterone System Inhibitors in Patients with Covid-19. N Engl J Med 2020 DOI: 10.1056/NEJMsr2005760

[2] Kreutz R et al. Hypertension, the renin-angiotensin system, and the risk of lower respiratory tract infections and lung injury: implications for COVID-19. Cardivascular Research 2020 doi:10.1093/cvr/cvaa097

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