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Pandemie Spezial

Könnte das Corona sein?

Vielfältige Symptome bei COVID-19

In der initialen Berichterstattung zum klinischen Bild von COVID-19 fokussierte man stark auf die Kernsymptomatik Fieber, unproduktiver Husten, Halskratzen und allgemeine Abgeschlagenheit. Ein richtungsweisendes Symptombild fehlte jedoch, und Abgrenzungsmöglichkeiten zu anderen respiratorischen Erkrankungen wie der Influenza wurden verzweifelt gesucht. Früh reifte die Erkenntnis, dass bei SARS-CoV-2-Infizierten auch asymptomatische Verläufe auftreten und eine eindeutige Diagnose anhand des klinischen Bilds nur schwer möglich bis unmöglich ist. | Von Verena Stahl

Eine Auswertung der ersten circa 56.000 COVID-19-Krankheitsverläufe in China belegt, dass bei neun von zehn diagnostizierten Fällen über Fieber und bei zwei Dritteln der Fälle über trockenen Husten berichtet wurde [1]. Daraufhin trugen hierzulande viele Patienten mit fiebrigen Erkältungskrankheiten Sorge, womöglich mit SARS-CoV-2 infiziert zu sein. Mit Zunahme der COVID-19-Fälle in Deutschland schärfte sich aber „unser“ Bild von der klinischen Symptomatik, genauer gesagt, es wurde verwässert. Aus den drei bis vier anfänglich meist genannten Symptomen wurde schnell eine lange Liste potenziell mit der Erkrankung in Zusammenhang stehender Anzeichen (siehe Tab.). Da gleichzeitig auch immer mehr asymptomatische Fälle bekannt wurden, relativierten sich die aus anderen betroffenen Ländern, insbesondere China, publizierten Angaben zur Häufigkeit und Schwere aufgetretener Symptome.

Tab.: Klinische Aspekte labormedizinisch bestätigter COVID-19-Fälle, bei denen dem Robert Koch-Institut entsprechende Informationen vorlagen (Stand: 13. April 2020). Diese Informationen geben keine Auskunft über den tatsächlichen Anteil auftretender Symptomatik bei COVID-19-Patienten, da nur 77% der Meldungen entsprechende Informationen enthielten, Symptome zum Zeitpunkt der Meldung eventuell noch nicht aufgetreten sind, asymptomatische Verläufe in unbekannter Höhe bestehen und Personen aufgrund überlasteter Kapazitäten nicht getestet wurden.
Symptom
prozentualer Anteil der Meldungen, die Angaben zum klinischen Bild enthielten
Husten
51%
Fieber
42%
Schnupfen
22%
Pneumonie
2%
Symptome ohne Häufigkeitsangabe: Halsschmerzen, Atemnot, Kopf- und Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Konjunktivitis, Hautausschlag, Lymphknotenschwellung, Apathie, Somnolenz

Teststrategie hat Einfluss auf Statistik

In Deutschland weisen deutlich weniger Patienten bei einer SARS-CoV-2-Infektion „klassische“ Symptome wie Fieber und Husten auf, was unter anderem anhand der Teststrategie erklärbar ist: Während in vielen Ländern hauptsächlich Patienten, die eindeutige Symptome einer Atemwegserkrankung aufwiesen, getestet wurden, schloss man in Deutschland von Beginn an auch Patienten ein, die zwar nur ein unspezifisches klinisches Bild zeigten, aber bei denen aufgrund eines epidemiologischen Zusammenhangs (Kontaktperson zu COVID-19-Patienten, Aufenthalt in einem Risikogebiet) ein begründeter Verdacht bestand. Asymptomatische Personen ohne epidemiologischen Zusammenhang sollten hingegen nicht getestet werden. Durch regionale Überlastungssituationen und Materialmangel innerhalb der primärärztlichen Versorgung und der Labordiagnostik scheint es indes nicht mehr möglich, durchgehend diesen hohen Standard aufrechtzuerhalten. Die für die Meldepflicht maßgebliche Falldefinition des Robert Koch-Instituts (RKI) wurde beispielsweise am 24. März 2020 angepasst, um der weiteren Verbreitung besonders in medizinischen Einrichtungen und Pflegeheimen Rechnung zu tragen. Hingegen soll bei Verdachtsfällen mit unspezifischem Symptombild und Aufenthalt in einem Risikogebiet keine Meldung mehr erfolgen [2]. Medienberichten zufolge beklagen auch immer mehr mild erkrankte Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen, dass ihnen keine Testung unter dem Verweis auf mangelnde Kapazitäten angeboten wurde. Das Robert Koch-Institut empfiehlt in einer Orientierungshilfe für Ärzte zur Verdachtsabklärung von COVID-19 sogar mittlerweile, Patienten mit akuten respiratorischen Symptomen ohne Risikofaktoren, die keinen Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall hatten, nur bei hinreichender Testkapazität zu testen [3]. Betroffenen mit leichten Symptomen, die keiner Risikogruppe angehören, wird in einer vom RKI herausgegebenen Orientierungshilfe für Bürger [12] empfohlen, sich selbst zu isolieren. Immer mehr Personen fallen folglich durch das Test- und Melderaster und tauchen in keiner Statistik auf. Die anzustrebende Genauigkeit der Daten muss sich hier scheinbar dem Umstand beugen, dass man sich in der Diagnostik nunmehr eher auf schwere und kritische Verläufe, Personen mit Risikofaktoren, Personen in Pflege­einrichtungen und Angehörige systemrelevanter Berufe des Gesundheitswesens konzentrieren muss. Es könnte also sein, dass sich das Blatt wieder ein wenig wendet und unter den dokumentierten Fällen scheinbar mehr Menschen Symptome aufweisen. Hier müsste dann sorgfältig überprüft werden, ob dies auf eine Verzerrung durch Änderung der Teststrategie und Unter­erfassung milder und asymptomatischer Fälle zurückzuführen ist.

Meldungen begrenzt aufschlussreich

In einem täglich aktualisierten Situationsbericht wertet das Robert Koch-Institut auch klinische Aspekte der labormedizinisch bestätigten COVID-19-Erkrankungen aus. Die Analysen beruhen auf den Meldungen der circa 400 Gesundheitsämter in Deutschland. Liegen diesen im individuellen Fall Angaben zur Symptomatik vor, können sie an das RKI übermittelt werden. Fieber und Husten dominieren im aktuellen Situationsbericht zwar bei den Erkrankten, werden aber nur in 51% (Husten) und 42% der Fälle (Fieber), die Angaben zu Symptomen enthalten, genannt (s. Tab.). Hieraus lässt sich für Deutschland nicht ableiten, dass annähernd jeder zweite COVID-19-Erkrankte von Fieber und / oder Husten betroffen ist. Man muss zunächst den Ursprung dieser Zahlen berücksichtigen. Sie beruhen auf den Angaben der Betroffenen, der meldenden Personen und der ermittelnden Gesundheitsämter. Eine durchgängige systematische Dokumentation des klinischen Bildes durch Mitarbeiter der Gesundheitsämter ist angesichts der Vielzahl der Fälle und der primären Aufgabe in der Kontaktpersonenermittlung und Infektionseindämmung nur schwer möglich. Das RKI gibt an, dass trotz dieser Erschwernisse klinische Informationen für 77% der Meldungen bestätigter Fälle vorliegen (Stand 13. April 2020). Fraglich ist, ob bei den verbleibenden Meldungen entsprechende Angaben schlichtweg nicht bekannt waren oder anderweitig fehlen (Defizite in der Erfassung, Dokumentation oder Weiterleitung) oder Patienten womöglich asymptomatisch waren. Eine gezielte Angabe über asymptomatische Verläufe wurde in 3% der Fälle getätigt (Stand 29. März 2020, seitdem wurde bis Redaktionsschluss diese Angabe im RKI-Situationsbericht nicht mehr aktualisiert). Darüber hinaus muss beachtet werden, dass die getestete Person zum Zeitpunkt der Meldung unter Umständen noch keinerlei Symptome oder nur einzelne Symptome entwickelt hat. Falls jemand nach der Datenerfassung schwerer erkrankt, besteht eine Schwierigkeit für die Gesundheitsämter, über neu aufgetretene Symptome oder Änderungen im klinischen Verlauf informiert zu werden und die aktualisierten Informa­tionen nachzutragen und an das RKI zu übermitteln (Ausnahme: Meldung eines Todesfalls, hier besteht eine Verpflichtung zur Meldung). Aufgrund der starken Belastung ist davon auszugehen, dass Nachmeldungen zum klinischen Verlauf nicht regelhaft erfolgen. Statistiker sprechen an dieser Stelle von rechtszensierten Daten, das heißt, ein Ereignis ist zum Abschluss der Datenerhebung (noch) nicht beobachtet worden. Erfolgt eine Testung oder Meldung nicht, weil der Verdachtsfall nicht den Kriterien des RKI entspricht (siehe oben), verliert man auch dadurch wertvolle Daten für die Statistik.

Andere Länder - andere Sitten

Im Arztmeldebogen für meldepflichtige Erkrankungen gemäß §§ 6, 8 und 9 Infektionsschutzgesetz (IfSG), welcher als Mustervorschlag vom RKI verfügbar ist, befindet sich aktuell leider noch keine Möglichkeit für die meldende Person, standardisiert Symptome einer COVID-19-Erkrankung zu erfassen. Viele Länder haben jedoch bereits spezielle Arztmeldebögen für COVID-19 entwickelt, zum Beispiel die Vereinigten Staaten von Amerika, Belgien und die Schweiz. Neben der Beschreibung des klinischen Bilds bieten diese Formulare beispielsweise die Möglichkeit, begleitende Grunderkrankungen, den potenziellen Infektionsursprung und Angaben zu Schwere und Verlauf der Erkrankung, insbesondere bei Hospitalisierung, systematisch zu erfassen. Bei sorgfältiger Erhebung dieser Daten ließen sich wissenschaftlich wertvolle Rückschlüsse ziehen. Nach Informationen der Pressestelle des Robert Koch-Instituts könnte eine systematische Erfassung von Symptomen, zum Beispiel mithilfe eines erweiterten Meldebogens, in der aktuell stark belasteten Situation der Ärzte und Gesundheitsämter vermutlich nicht erfolgen. Über die im Infektionsschutzgesetz geforderten Angaben hinaus würden von Seiten des Robert Koch-Instituts keine weiteren Auskünfte verlangt.

Das Heinsberg-Protokoll

Erste Erkenntnisse zu verschiedenen Aspekten der Situation in Deutschland lieferte die noch nicht abgeschlossene Untersuchung einer Kohorte von 1000 repräsentativ ausgewählten Einwohnern aus ca. 400 Haushalten der in Nordrhein-Westfalen stark betroffenen Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg. Ziel des „Heinsberg-Protokolls“ (offizieller Name: Covid-19 Case-Cluster-Study) unter der Leitung des Virologen Prof. Dr. Hendrick Streeck von der Universitätsklinik Bonn, ist es, Aufschlüsse unter anderem zu Ausbreitungswegen und Infektionsketten, der Symptomatik und der Dunkelziffer zu erhalten. Eine Generalisierbarkeit bestimmter Erkenntnisse der Feldstudie zum Beispiel zur Dunkelziffer ist jedoch nicht gegeben, wie die verantwortlichen Wissenschaftler selbst betonen. Ausschlaggebend hierfür ist, dass der Ausbruch der Infektion in dieser Gemeinde zu Beginn der Epidemie in Deutschland stattfand, also zu einem Zeitpunkt, als Einschränkungen des öffentlichen Lebens noch nicht verhängt und das allgemeine Bewusstsein vermutlich noch nicht hinreichend geschärft war. Es wurden zwar beispielsweise Schulen früh geschlossen und umfassende Maßnahmen eingeleitet, aber auch das konnte die Infektionswelle nicht aufhalten. Aus dem raschen Fortschreiten der Epidemie resultierte in der betroffenen Gemeinde mit großer Wahrscheinlichkeit eine höhere COVID-19-Prävalenz als andernorts. Auch unterscheiden sich die eingeleiteten Maßnahmen und medizinischen Behandlungen vermutlich von aktuellen Strategien und Möglichkeiten. Man muss sich daher bewusst sein, dass die Personenstichprobe nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ist, aber sehr gut abbildet, welche Symptome auftreten können und wie sich das Virus verbreiten kann. Erste, vorab veröffentlichte Zwischenergebnisse von circa 500 Studienteilnehmern wurden aber auch kritisiert, vor allem, weil das Studiendesign nicht offengelegt wurde. Bisher wurde bekannt gegeben, dass ein Antikörpernachweis (IgG) bei 14% der bis zu diesem Zeitpunkt eingeschlossenen Probanden positiv anschlug. Kritiker bemängeln, dass bei eventuell eingeschränkter Spezifität des Tests Kreuzreaktionen zu falsch positiven Ergebnisse beigetragen haben könnten.

Abb.: Häufigkeit der Schweregrade identifizierter Fälle in der Volksrepublik China. Unklar ist die Höhe nicht erfasster Fälle (adaptiert nach [11]).

Mildere Symptome als in Hubei

Ersten Schätzungen auf Basis chinesischer Daten zufolge verlaufen 80% der Erkrankungen mild (das heißt ohne Pneumonie) bis moderat (leichte Pneumonie, radiologisch auf weniger als die Hälfte der Lunge begrenzt, keine Atemnot, Sauer­stoffsättigung im Blut von über 93%). Eine schwere Ausprägung der Erkrankung wird bei 14% der Betroffenen angenommen und erfordert eine Hospitalisierung, kritische Fälle (akutes Atemnotsyndrom [ARDS], Sepsis, septischer Schock, Tod) werden mit 6% beziffert (s. Abb.) [1]. Zur Schwere der Symptomatik liegen mit Fortschreiten der Pandemie und entsprechend größeren Fallzahlen immer mehr Erkenntnisse vor: In einem aktuellen Report kommen Forscher des Robert Koch-Instituts zu dem Schluss, dass Fallserien, die außerhalb der initial betroffenen Provinz Hubei berichtet wurden, generell mildere Symptome aufweisen als diejenigen aus Hubei [4]. Bezogen auf Deutschland ist dieser Effekt ebenfalls auf dem dargestellten initial umfassenderen Einschluss von Verdachtsfällen mit nur leichter Symptomatik in der Diagnostik zurückzuführen. Ob sich bei zunehmender Überlastung diagnostischer Kapazitäten ein Trend hin zu schwereren Verläufen unter den registrierten Fällen verschieben wird, bleibt abzuwarten. Dass in Wuhan scheinbar mehr schwere Fälle auftraten, liegt indes auch an den unterschiedlichen Krankenhauskapazitäten und der darauf basierenden Erfassung hospitalisierter Fälle. Man konnte sich in Wuhan auf das Ausmaß der Epidemie kaum vorbereiten, so dass Hospitalisierungen milder Fälle nicht möglich und schweren Verläufen vorbehalten waren [5]. Hieraus resultiert ein Selektionsbias bei der Beschreibung des Schweregrades der Erkrankung. Hingegen wurden in Deutschland zu Beginn der Epidemie bestätigte Fälle zur Isolierung und nicht ausschließlich aus therapeutischen Grün­den stationär aufgenommen. In einer aktuellen Veröffentlichung des Epidemiologischen Bulletins des Robert Koch-Instituts wird konstatiert, dass hospitalisierte Pneumoniepatienten mit SARS-CoV-2-Infektion in China im Vergleich zu hospitalisierten Influenzaerkrankten mit Pneumonie in Deutschland ein jüngeres Alter, einen höheren Anteil an Patienten ohne Vorerkrankungen, mehr Patienten mit Beatmungspflichtigkeit und ARDS sowie längere Beatmungszeiten zeigen [5].

Auf einen Blick

  • Husten und Fieber sind mit 51% und 42% die am häufigsten genannten COVID-19-Symptome innerhalb der Meldungen deutscher Gesundheitsämter, die Informationen zum klinischen Bild enthalten.
  • Ein Vergleich zu Daten anderer Länder hinsichtlich Häufigkeit und Schwere der berichteten Symptomatik wird durch Selektionsbias aufgrund der Teststrategie und überlasteter Kapazitäten im Gesundheitswesen erschwert.
  • Auch unspezifische gastrointestinale Symptome und Riechstörungen wurden beobachtet und sollten in der Diagnostik berücksichtigt werden.

Asymptomatische Verläufe

Eine für viele Aspekte der Pandemie wesentliche Frage ist, wie viele Infektionen asymptomatisch verlaufen. Hieraus könnten medizinisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich relevante Rückschlüsse unter anderem zur Durchseuchung, zur möglichen Lockerung derzeitiger Restriktionen und zum Vorhalten von intensivmedizinischen Ressourcen gezogen werden. In naher Zukunft sollen validierte Antikörpernachweise in Verbindung mit epidemiologischen Modellrechnungen wichtige Erkenntnisse zur Beantwortung dieser Frage beisteuern. Unter anderem plant das RKI, serologische Untersuchungen an Blutspendern in Deutschland durchzuführen. Hierzu sollen alle 14 Tage circa 5000 Blutspenden auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 untersucht werden. Mit ersten Ergebnissen rechnet man Anfang Mai. Mitte April starten Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig gemeinsam mit Forschern des RKI seroepidemiologische Stichprobenstudien an vier besonders von COVID-19 betroffenen Orten (sogenannten Hotspots) in Deutschland. Pro Ort sollen ca. 2000 erwachsene Probanden mehrfach auf eine Serokonversion untersucht werden. Unter anderem soll durch Befragung zu klinischen Symptomen, Vorerkrankungen, Gesundheitsverhalten und Lebensumständen der Anteil asymptomatischer Infektionen und Risikofaktoren für einen schweren Verlauf abgeschätzt werden. Eine dritte Studie soll schließlich bundesweit repräsentative Daten erheben. Hierzu werden ab Mitte Mai in 150 Regionen insgesamt 15.000 Erwachsene rekrutiert, um die tatsächliche Verbreitung, Immunität, der Anteil asymptomatischer Infektionen, die tatsächliche Sterberate und Risikofaktoren für einen schweren Verlauf in Deutschland besser abzuschätzen.

Derzeitige Erkenntnisse stützen sich auf Auswertungen von Fallserien, und es ist nach wie vor unklar, wie hoch der Anteil gänzlich asymptomatischer Infektionen ist. So stellte man beispielsweise bei der Evakuierung von 126 meist deutschen Staatsbürgern aus der Stadt Wuhan fest, dass sieben Reisende Erkältungssymptome oder Fieber aufwiesen, aber nach labordiagnostischer Abklärung nicht an COVID-19 erkrankt waren, wohingegen zwei asymptomatische Personen positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden [6]. Auch eine Woche nach dem positiven Test wies eine der beiden Personen keine und die andere nur milde Symptome auf. Verdachtsfälle allein aufgrund von Fieber zu identifizieren, zum Beispiel über an Flughäfen oder Landes­grenzen eingesetzte Temperatur-Scanner, hat sich in dieser und weiteren Untersuchungen als nicht zuverlässig erwiesen.

Aufschlussreich: Corona an Bord

Eine unfreiwillig nach außen abgeschlossene Kohorte bildeten 3711 Reisende und Besatzungsmitglieder des Kreuzfahrtschiffs „Diamond Princess“, welche aufgrund eines bestätigten COVID-19-Falls gemeinsam für 14 Tage im Hafen von Yokohama isoliert wurden. Insgesamt wurden 3063 Tests durchgeführt, initial wurden hauptsächlich symptomatische Patienten getestet, einige Personen wurden mehrfach getestet (Personen mit hohem Risiko), andere gar nicht. Bestätigte Fälle durften zum Zweck der Behandlung in spezialisierten Krankenhäusern das Schiff verlassen. Bis zum Ende der Quarantäne-Maßnahmen an Bord zeigten 320 der 634 nachweislich infizierten Personen (50,5%) keine Merkmale einer Erkrankung [7]. Da jedoch eine potenziell nach der Testung verzögert einsetzende Symptomatik nicht nachverfolgt wurde, schätzen die Autoren anhand statistischer Modellierungen den Anteil asymptomatischer Fälle auf 17,9% (95% Credible Interval: 15,5 bis 20,2%) [7]. Zu beachten ist, dass sich insbesondere ältere Passagiere über 60 Jahre an Bord befanden. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Anteil asymptomatischer Fälle in der Normalbevölkerung noch höher liegen könnte, unter der Annahme, dass ältere Patienten eher Symptome entwickeln werden. Ein weiteres vom neuartigen Coronavirus betroffenes Kreuzfahrtschiff, die „Zaandam“, die Anfang März in Buenos Aires ausgelaufen war, konnte ihre Irrfahrt mittlerweile im US-amerikanischen Fort Lauderdale, Florida, beenden. Auch hier könnten Auswertungen zum Infektionsgeschehen und zur Dunkelziffer hilfreich für die Wissenschaft sein.

Besondere Symptome

Neben den klassischen Anzeichen einer Respirationskrankheit wurde von COVID-19-Patienten seltener auch über gastrointestinale Symptome berichtet. Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und Abdominalschmerzen treten mit einer Häufigkeit von circa 5 bis 10% der dokumentierten Fälle auf und stellen manchmal sogar die einzige Symptomatik des Patienten dar [8]. Hier besteht die Gefahr, dass unspezifische gastrointestinale Symptome nicht ausreichend beachtet werden und es zu einer Untererfassung potenzieller Erkrankungen und Infektionsquellen kommt. Ein weiteres Symptom erfährt in medizinischen Kreisen und der Laienpresse derzeit besondere Beachtung. Bei bis zu zwei Dritteln aller Patienten soll eine passagere Riechstörung aufgetreten sein [9]. Patienten, die über einen Riechverlust berichteten, schilderten ihn als plötzlich einsetzend und vollständig (sogenannte Anosmie). Bei manchen Betroffenen trat zusätzlich eine Beeinträchtigung des Geschmackssinns auf. Hierbei handelt es sich nach aktueller Experteneinschätzung vermutlich um ein neurologisches Symptom, nicht um eine postinfektiöse Riechstörung durch Obstruktion der Riechwege und Schwellung der Schleimhäute, wie sie aufgrund einer Rhinitis oder einem anderen oberen Atemwegsinfekt auftritt. Durch welche Mechanismen beteiligte Bereiche des Gehirns und olfaktorischen Systems (Bulbus olfactorius, Nervus olfactorius, Riechsinneszellen) durch SARS-CoV-2 gestört werden, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Auch bei der SARS-Epidemie wurde über dieses Phänomen berichtet. Die amerikanische Fachgesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (American Academy of Otolaryngology-Head and Neck Surgery, AAO-HNS) hat derweil einen Online-Berichtsbogen für Anosmie bei COVID-19 erstellt und ruft Ärzte weltweit dazu auf, diesen zu nutzen, um die Bedeutung dieser Symptomatik für die Diagnostik zu untersuchen [10]. |

 

Literatur

 [1] Report of the WHO-China Joint Mission on Coronavirus Disease 2019 (COVID-19). 2020 16-24.02.2020, Informationen der Weltgesundheitsorgnisation WHO, www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/who-china-joint-mission-on-covid-19-final-report.pdf, Abruf am 3. April 2020

 [2] Falldefinitionen des Robert Koch-Instituts zur Übermittlung von Erkrankungs- oder Todesfällen und Nachweisen von Krankheitserregern. Informationen des Robert Koch-Instituts, Stand 24. März 2020. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Falldefinition.pdf?__blob=publicationFile

 [3] COVID-19: Verdachtsabklärung und Maßnahmen. Orientierungshilfe für Ärztinnen und Ärzte. Informationen des Robert Koch-Instituts Stand 24. März 2020, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Massnahmen_Verdachtsfall_Infografik_DINA3.pdf?__blob=publicationFile

 [4] Tolksdorf K et al. Influenza-associated pneumonia as reference to assess seriousness of coronavirus disease (COVID-19). Euro Surveill 2020, https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2020.25.11.2000258

 [5] Tolksdorf K et al. Schwereeinschätzung von COVID-19 mit Vergleichsdaten zu Pneumonien aus dem Krankenhaussentinel für schwere akute Atemwegserkrankungen am Robert Koch-Institut (ICOSARI). Epid Bull 2020;14:3–9, DOI 10.25646/6601.2

 [6] Hoehl S et al. Evidence of SARS-CoV-2 Infection in Returning Travelers from Wuhan, China. N Engl J Med 2020;382:1278-1280, DOI: 10.1056/NEJMc2001899

 [7] Mizumoto K et al. Estimating the asymptomatic proportion of coronavirus disease 2019 (COVID-19) cases on board the Diamond Princess cruise ship, Yokohama, Japan, 2020 Euro Surveill 2020;25(10):pii=2000180. https://doi.org/10.2807/1560-7917

 [8] Jin X et al. Epidemiological, clinical and virological characteristics of 74 cases of coronavirus-infected disease 2019 (COVID-19) with gastrointestinal symptoms. Gut 2020;0:1–8, doi:10.1136/gutjnl-2020-320926

 [9] Lüers J-C et al. Die Covid-19-Pandemie und das HNO-Fachgebiet: Worauf kommt es aktuell an? Laryngorhinootologie, online veröffentlicht am 26. März 2020, doi: 10.1055/a-1095-2344

[10] COVID-19 Anosmia Reporting Tool for Clinicians. American Academy of Otolaryngology-Head and Neck Surgery (AAO-HNS), www.entnet.org/content/reporting-tool-patients-anosmia-related-covid-19, Abruf am 4. April 2020

[11] Thomas-Rüddel D et al. „Coronavirus disease 2019“ (COVID-19): update für Anästhesisten und Intensivmediziner März 2020. Anaesthesist, https://doi.org/10.1007/s00101-020-00758-x

[12] COVID-19: Bin ich betroffen und was ist zu tun? Orientierungshilfe für Bürgerinnen und Bürger. Informationen des Robert Koch-Instituts, 9. April 2020, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Orientierungshilfe_Buerger.pdf;jsessionid=9EC97E17559E6C63D91FB4F935C476A2.internet061?__blob=publicationFile

Autorin

Foto: Alois Müller

Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

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