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Jens Spahn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
BMG plant immense Eingriffe in die Arzneimittelversorgung
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat am Dienstag vor Ostern einen weiteren Entwurf für eine Eilverordnung auf Grundlage der Neuregelungen im Infektionsschutzgesetz vorgelegt. Die „Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“ (Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung, MedBVSV) sieht unter anderem weitreichende Ausnahmen von Regelungen des Arzneimittelgesetzes, der Arzneimittelhandels-, der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung und des Transfusionsgesetzes vor.
Zentrale Verteilung von lebenswichtigen Produkten
Erklärter Zweck der Verordnung ist die „Sicherstellung einer angemessenen Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs im Zusammenhang mit der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten epidemischen Lage“. Es ist nicht zu bestreiten: In einer solchen Ausnahmesituation können die zahlreichen Vorschriften rund um Arzneimittel ein beherztes Handeln erheblich erschweren. Und so soll dem Bund nun befristet ermöglicht werden, Produkte des medizinischen Bedarfs zu beschaffen – damit gemeint sind Arzneimittel, deren Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe, Medizinprodukte, Labordiagnostika, Hilfsmittel, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Produkte zur Desinfektion. Ziel ist, diese Produkte zentral zu verteilen und so für eine flächendeckende Versorgung zu sorgen – dazu wird für die vom Bund beschafften Arzneimittel unter anderem der Apothekenvertriebsweg außer Kraft gesetzt.
Zudem sieht der Verordnungsentwurf Marktzugangserleichterungen für Arzneimittel und Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung vor. So sollen die für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln erforderlichen Verfahren im Einzelfall beschleunigt werden können. Auch die Erforschung neuer Therapien und Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 soll unterstützt und beschleunigt werden. Bei all dem soll insbesondere ein länderübergreifendes einheitliches Vorgehen ermöglicht werden. Gelten sollen die Verordnung und die auf ihrer Grundlage erlassenen Anordnungen bis die am 25. März 2020 vom Bundestag festgestellte „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ wieder aufgehoben ist – längstens jedoch bis zum 31. März 2021. Die grundsätzliche Befugnisnorm des § 2 Abs. 1 MedBVSV ist sehr weit gefasst: „Das Bundesministerium [für Gesundheit] sowie das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und das Bundesministerium der Verteidigung können Produkte des medizinischen Bedarfs selbst oder durch beauftragte Stellen beschaffen, lagern, herstellen und in den Verkehr bringen.“
Ausnahmen von der Haftung
Für diese Produkte sollen die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes über die Kennzeichnung, Herstellung, Zulassung, Vertriebswege, Ein- und Ausfuhr sowie die Gefährdungshaftung und die Pflicht zur Deckungsvorsorge keine Anwendung finden. Was die Abgabe an den Endverbraucher betrifft – die für diese nach § 2 Abs. 1 MedBVSV beschafften Produkte ja nicht über die Apotheken läuft –, stellt die Verordnung klar, dass diese zumindest bei nicht zugelassenen Arzneimitteln (zur Vorbeugung oder Behandlung von COVID-19) unter der Verantwortung eines Arztes oder Apothekers erfolgen muss. Zudem ist die Abgabe nur zulässig, wenn die Qualität des Arzneimittels gewährleistet ist und dessen Anwendung ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis erwarten lässt.
Die Abweichungen von diesen zahlreichen arzneimittelrechtlichen Vorgaben bedingen auch Ausnahmen bei den Haftungsregeln. Die Haftung der Beteiligten soll sich nicht nach § 84 AMG richten, sondern nur nach Maßgabe des § 7 Absatz 2 der AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung. Das heißt, es gilt ein grundsätzlicher Haftungsausschluss. Die allgemeine Verschuldenshaftung von pharmazeutischen Unternehmern, Herstellern und Angehörigen der Gesundheitsberufe wird ebenfalls eingeschränkt.
Ferner kann die Bundesoberbehörde – das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – diverse Anordnungen treffen. Sollen zum Beispiel Arzneimittel aus dem Ausland in Deutschland genutzt werden können, kann sie verfügen, dass auf Kennzeichnungsvorschriften und/oder deutschsprachige Packungsbeilagen und Fachinformationen verzichtet werden kann. Nach entsprechender Bewertung im Einzelfall kann auch ein Abweichen vom Verfalldatum angeordnet werden.
Zentrale Beschaffungen laufen bereits
Grundsätzlich würde eine solche Verordnung Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erlauben, während einer Krise wie der jetzigen weitreichend in die gesamte Arzneimittelversorgung – von der Herstellung bis zur Abgabe des Medikaments – einzugreifen. Allerdings dürfte nicht anzunehmen sein, dass er dies gegenwärtig umfassend beabsichtigt und den Job der Apotheken übernehmen will. Der Zweck der Verordnung darf jedenfalls nicht aus den Augen verloren werden. Vordergründig im Blick haben dürfte der Minister die Beschaffung spezieller Arzneimittel unter einheitlichen Bedingungen. So hatte das BMG schon Ende März eine zentrale Beschaffung der Arzneimittel Kaletra®, Avigan®, Foipan® und der Wirkstoffe Chloroquin und Hydroxychloroquin eingeleitet. Diese sollen der Versorgung von COVID-19-Erkrankten mit schweren Verläufen in den Kliniken dienen.
Dennoch dürfte die geplante umfassende Ermächtigung für Spahn bei so manchem ungute Gefühle auslösen. Man kann sich fragen, warum nicht deutlichere Eingrenzungen vorgenommen wurden. Doch vermutlich will Spahn sich die Optionen so offen wie möglich halten.
Durchregieren kann Spahn so oder so: Seine Verordnung läuft am Parlament vorbei und bedarf auch nicht der Zustimmung des Bundesrats. Inwiefern allerdings die Stellungnahmen der betroffenen Verbände noch Einfluss auf den Entwurf haben und Nachbesserungsbereitschaft beim BMG wecken, war zum Redaktionsschluss dieser DAZ noch nicht abzusehen. |
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