Arzneimittel und Therapie

Bei Antidepressiva auf Blutzucker achten

Langfristige Therapie und höhere Dosen sind mit erhöhtem Risiko für Diabetes verbunden

cst | Mit einem Diabetes mellitus zu leben, stellt für viele Patienten eine große psychische Belastung dar. Dass die chronische Erkrankung mit einer Depression einhergehen kann, ist wenig verwunderlich. Doch was, wenn nicht der Diabetes auf die Stimmung schlägt, sondern eine antidepressive Therapie den Glucose-Stoffwechsel negativ beeinflusst? Könnten selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) und Co. einen Diabetes hervorrufen?

Einige epidemiologische Untersuchungen haben solch einen Zusammenhang nahegelegt, während andere wider­sprüchliche Ergebnisse lieferten. Im Rahmen einer retrospektiven, populationsbasierten Kohortenstudie wurden die Assoziationen nun genauer analysiert. Dabei wurden Art, Dauer und Dosis der antidepressiven Therapie ebenso berücksichtigt wie die Auswirkungen des Absetzens der Medikation. Dazu wurden Verordnungsdaten und Krankenakten von mehr als 90.000 erwachsenen Japanern im Alter von 20 bis 79 Jahren ausgewertet. Mittels Propensity-Score-Matching-Verfahren wurden hinsichtlich ihrer grundlegenden Charakteristika vergleichbare Gruppen mit je 45.265 Personen gebildet. Die Personen der einen Gruppe hatten im Zeitraum vom 1. April 2006 bis 31. Mai 2015 erstmals ein Antidepressivum für mindestens einen Monat verschrieben bekommen, die anderen hatten keine antidepressive Therapie erhalten. SSRI wurden am häufigsten verordnet (25,8%).

Insgesamt entwickelten 5225 Personen einen Typ-2-Diabetes. In der exponierten Gruppe wurden 11,45 Fälle pro 1000 Personenjahre registriert, in der nicht exponierten Gruppe waren es 8,03 Fälle pro 1000 Personenjahre. Das Diabetesrisiko war umso höher, je länger Antidepressiva eingenommen wurden und je höher die Dosierung war. So ging eine kurzzeitige, niedrig dosierte Therapie von weniger als einem Jahr mit einem geringfügig erhöhten Risiko einher (adjustierte Hazard Ratio [HR] 1,27; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,16 bis 1,39). Bei einer langfristigen Behandlung über mehr als zwei Jahre und hoher Dosierung war das Risiko deutlich erhöht (aHR 3,95; 95%-KI 3,31 bis 4,72). Die Art des Antidepressivums hatte keinen Einfluss auf das Ergeb­nis: Sämtliche Substanzklassen waren signifikant mit dem Auftreten eines Diabetes assoziiert.

Foto: lara-sh – stock.adobe.com

Diabetes und depressive Erkrankungen gehen häufig Hand in Hand.

Normalisierung nach Absetzen

Interessanterweise verbesserte sich die Stoffwechselsituation der Patienten nach Absetzen der Medikation oder einer Dosisreduktion um mindestens 50% signifikant, was für einen kausalen Zusammenhang spricht. Als Maß für die durchschnittlichen Blutzuckerwerte wurden die HbA1c-Spiegel betrachtet. Diese waren bei Personen, die die antidepressive Therapie fortführten, höher als bei Personen, deren Therapie angepasst oder beendet wurde. Nach Absetzen der Therapie normalisierten sich die HbA1c-Werte bei 79 von 81 Patienten (97,5%), nach einer Dosisreduktion bei 63 von 67 Patienten (94,0%).

Wie Antidepressiva die Entstehung eines Diabetes begünstigen könnten, bleibt unklar. Denkbar ist, dass unter anderem eine vermehrte Körper­gewichtszunahme zu dem erhöhten Risiko beiträgt. Zudem scheinen die verschiedenen Substanzklassen den Glucose-Stoffwechsel auf unterschiedliche Art und Weise zu beeinflussen. Beispielsweise aktivieren SSRI die Glykogensynthase-Kinase 3β und fördern so die Insulinresistenz. Das trizyklische Antidepressivum Clomipramin hemmt dagegen den 5-HT2c-Rezeptor, der in der Glucosehomöostase eine wichtige Rolle spielt.

Auch wenn viele Fragen offen bleiben und ein kausaler Zusammenhang derzeit noch nicht belegt ist, können aus den vorliegenden Studienergebnissen erste Empfehlungen abgeleitet werden. So raten die Studienautoren dazu, während einer Therapie mit Antidepressiva regelmäßig den HbA1c-Wert zu kontrollieren. |
 

Literatur
Miidera H et al. Association Between the Use of Antidepressants and the Risk of Type 2 Diabetes Mellitus: A Large, Population-Based Cohort Study in Japan. Diabetes Care 2020; doi:10.2337/dc19-1175

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