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Tatsächlich „zerstört“?
Das Verhältnis der Apotheker zur FDP – ein Gespräch mit Parteichef Christian Lindner
Es sind turbulente Zeiten für die „Freien Demokraten“: In den letzten Wochen sorgten der Eklat um die Thüringer Ministerpräsidentenwahl und der knapp verpasste Einzug in die Hamburger Bürgerschaft für deutliche Kritik und zahlreiche Negativschlagzeilen. Das Ansehen der FDP in der Öffentlichkeit sowie das Verhältnis der Partei zu treuen und potenziellen Wählergruppen wurde immer wieder erneut auf die Probe gestellt. So nahm ABDA-Präsident Friedemann Schmidt die Vorgänge in Thüringen zum Anlass, seine Parteimitgliedschaft nach rund 20 Jahren zu kündigen. Im Hinblick auf die FDP-Positionen zum Apothekenmarkt bezeichnete er das Verhältnis schon vor einem Jahr im Rahmen eines Interviews als „weitgehend zerstört“.
Am Mittwoch in der vergangenen Woche, am Tag der Wiederholung der Thüringer Ministerpräsidentenwahl und der Regierungserklärung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Coronavirus-Epidemie, nahm sich Parteichef Christian Lindner Zeit für einen intensiven Austausch mit Armin Edalat und Benjamin Rohrer, den Chefredakteuren von DAZ bzw. DAZ.online.
„Ich glaube, es gibt ein paar Dinge, die man geraderücken muss“, kündigte der Bundesvorsitzende direkt zu Beginn des Interviews an. Lindner verfolgt regelmäßig die Berichterstattung in der pharmazeutischen Fachpresse und sieht sich in Meinungsbeiträgen der letzten Monate – vor allem in DAZ und bei DAZ.online – mitunter persönlich herabgewürdigt.
Das einstündige Gespräch fand in Berlin statt und wurde aufgezeichnet. Seit dieser Woche ist es als Video online verfügbar. (Geben Sie zur Ansicht in das Suchfeld von DAZ.online den Webcode D9PJ3 ein.)
Auf die Frage, ob er selbst die Vor-Ort-Apotheke oder den Versandhandel bevorzuge, gibt Lindner unmissverständlich zur Antwort: „Ich gehe in die Apotheke. Sicher.“ Er und seine Partei schätzten die Freiberuflichkeit und somit die inhabergeführten Apotheken „aus einer Vielzahl von Gründen“. Dazu gehöre auch der Respekt vor der beruflichen Selbstständigkeit.
Im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Märkten und Technologien müsse man jedoch die Wahlfreiheit der Patienten einerseits mit den Rahmenbedingungen der Leistungserbringer andererseits in Einklang bringen. Eine Interessenabwägung, die am Ende allen Beteiligten nutzen sollte.
„Wir sehen die Apothekerin und den Apotheker nicht primär als einen Händler, sondern den Apothekerberuf als einen Heilberuf.“ Und dann würden sich ganz andere Fragen ergeben, wie zum Beispiel die gezielte Vergütung der Beratung, des Notdienstes oder der Versorgung auf dem Land. Darüber hinaus weist Lindner auf Zukunftsfragen hin, wie der audio-visuellen Beratung und Betreuung von Patienten: „Daher wundere ich mich gelegentlich, dass an dieser Handelsfrage so festgehalten wird. Das macht ein Prozent des Umsatzes aus“. Damit spielt er auf den derzeitigen Anteil des Versandhandels am Markt der verschreibungspflichtigen Arzneimittel an und die Frage, ob dieser im Hinblick auf den Erhalt der Gleichpreisigkeit verboten werden sollte.
Das Thema Freiberuflichkeit hat sich die FDP tatsächlich sehr prominent auf die Fahnen geschrieben. Ein dreiseitiger Präsidiumsbeschluss vom Juni 2017 liest sich wie ein Plädoyer für die Freien Berufe in Deutschland. „Freie Berufe stehen für hohe Standards beim Verbraucherschutz. Freie Berufe stehen gleichermaßen für Fortschritt und Tradition. Wir Freien Demokraten wollen die Freien Berufe stärken und erhalten“, heißt es dort einleitend, und weiter: „Einige Freie Berufe, wie beispielsweise Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten und Apotheker, gewährleisten die wichtige Grundversorgung im hochsensiblen Bereich der Gesundheit. […] Dies rechtfertigt jeweils ein gewisses Maß an Regulierung und Kontrolle.“
Wie lassen sich diese Aussagen in Einklang bringen mit dem Bundestagswahlprogramm, dass ebenfalls 2017 nur wenige Wochen später veröffentlicht wurde? Darin findet man im Kapitel über den Apothekenmarkt den vielzitierten Absatz: „Ein pauschales Versandhandelsverbot von rezeptpflichtigen Arzneimitteln lehnen wir ab […]. Weitere Marktzugangshemmnisse wie das Fremdbesitzverbot müssen abgeschafft werden.“
Das passe „gar nicht“ zusammen, stellt Lindner klar, und solange er Parteivorsitzender sei, werde es keine Initiative im Bereich Fremdbesitzverbot geben. Im nächsten Bundestagswahlprogramm soll diese Passage demnach nicht mehr stehen. Zur Liberalität gehöre der Glaube an den einzelnen Menschen, das Streben danach, Selbstständigkeit zu ermöglichen und damit auch die Freien Berufe zu fördern. Doch diese Unterstützung dürfe nicht in Klientelpolitik münden. Es müsse einen umfassenden Zusammenhang geben. So käme die von der FDP geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch dem Apotheker als Staatsbürger zugute. Auch diese Maßnahme würde am Ende die Freiberuflichkeit unterstützen.
Lindner hat im Zusammenhang mit dem Wahlprogramm von 2017 viele Gespräche mit Apothekerinnen und Apotheker geführt. Dabei sei ihm eine Begegnung ganz besonders in Erinnerung geblieben, bei der ein Apotheker angekündigt hätte, statt der FDP zukünftig die Linke zu wählen, weil diese gegen Fremdbesitz und Versandhandel sei. Darauf hätte Lindner ihm entgegnet: „Die Linkspartei will Ihnen die Steuern erhöhen. Wir wollen dagegen den Soli entfallen lassen und zwar nicht nur für die Beschäftigten in der Apotheke, sondern auch für die Inhaber. Und falls sie eine vermietete Immobilie zur Altersvorsorge besitzen: SPD, Grüne und Linkspartei sind vielleicht gegen den Fremdbesitz und für das Versandverbot, wollen aber gleichzeitig den Mietendeckel und enteignen Sie damit. Und nicht zuletzt: Wir sind für eine kontrollierte Migrationspolitik und wollen nicht, wie aktuell die Grünen und die Linkspartei, wieder die Grenzen öffnen und die Flüchtlingsunterkünfte in Betrieb nehmen. Wollen Sie die also wirklich wählen nur wegen der ein Prozent Marktanteil des Versandhandels?“ Da sei der Apotheker ins Nachdenken gekommen, schließt Lindner seine Schilderung seines Erlebnisses ab. Wenn es also um die Frage gehe, welche Partei für Apotheker wählbar ist, erwarte er in der Berichterstattung eine Darstellung in voller Breite.
Unmittelbar nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur deutschen Arzneimittelpreisbindung im Oktober 2016 sagte Lindner in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass der EuGH kürzlich „eine Lanze für den Apothekenwettbewerb gebrochen“ habe. Auf die Frage des FAZ-Redakteurs, ob der FDP-Chef es für eine gute Idee halte, dass der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) „auf Druck der deutschen Apothekenlobby“ den Rx-Versandhandel wieder verbieten will, antwortete er: „Es muss Wettbewerb unterschiedlicher Angebote geben. Es wäre falsch, die Apotheken unter Naturschutz zu stellen und den Versandhandel zu verbieten. Wir brauchen aber einen fairen Wettbewerb.“
Was genau meinte Lindner mit „Naturschutz“? Sollte der Staat nicht dafür Sorge tragen, dass die Versorgung der Bevölkerung durch Apotheken auf diesem Niveau auch weiterhin gewährleistet wird? „Natürlich. Die Formulierung mit dem ‚Naturschutz‘ war unelegant und missverständlich. Ich würde sie heute nicht mehr so wählen“, erklärt Lindner. Gemeint hätte er etwas anderes: Es dürfe keine Politik geben, die Innovationen wie Versandhandel verhindert, nur um Besitzstände zu wahren und Bestandsschutz zu sichern.
Weshalb sieht Lindner den Versandhandel als eine Innovation an und damit gleichzeitig positiv? „Wir haben viele Bereiche im ländlichen Raum, die dünn und zunehmend dünner besiedelt sind. Da stellt sich doch die Frage, ob nicht eine Versandlogistik und eine audio-visuelle Beratung die Versorgungsqualität nicht sogar an dieser Stelle verbessert“, antwortet er. Für die FDP sieht das Konzept für den Apothekenmarkt der Zukunft folgendermaßen aus: In den stationären Apotheken soll vor allem die Leistung aus dem heilberuflichen Bereich besser vergütet werden. Bei den Handelsumsätzen möchten die Liberalen den Markt dagegen „ein Stück weit“ öffnen. Apotheken sollten die Möglichkeit bekommen, Umsätze aus dem Vertrieb von Drogeriemarktprodukten zu generieren. Auch eine kontrollierte Abgabe von Cannabis durch die Apotheken sei in diesem Zusammenhang denkbar.
Darüber hinaus müsse es eine Regelung für den Versandhandel geben: „Aggressiver Preiswettbewerb aus dem Ausland durch Rx-Boni muss unterbunden werden.“ Der Botendienst sollte von Vor-Ort-Apotheken auch im Verbund angeboten werden dürfen. Insbesondere über eine Vergütung müsse man sprechen. „Nur mit Schlagworten wie ‚Kein Versand!‘ werden wir das Problem nicht lösen können“, so Lindner.
Doch welche konkrete Lösung schlägt die FDP vor, um der Preisschlacht im grenzüberschreitenden Arzneimittelversandhandel ein Ende zu setzen? „Ich halte es für eine Aufgabe der Bundesregierung, auf europäischer Ebene hier Initiativen zu ergreifen. Augen zumachen und glauben, dass das Thema von alleine weggeht, wird im Binnenmarkt nicht funktionieren.“ Als „fairen Deal“ bezeichnet Lindner sein Angebot an den Berufsstand, den Versandhandelskonflikt mit mehreren Stellschrauben zu kompensieren, dazu sollen Steuererleichterungen („Kein Soli für Selbstständige“), zusätzliche Umsatzbringer und andere Vergütungsmodelle gehören. „Im Vergleich mit allen anderen Parteien können wir uns mit diesem Angebot an die Apothekerinnen und Apotheker durchaus sehen lassen“, resümiert er.
Während sich die Liberalen feste Honorare für beispielsweise Architekten und Ingenieure bei öffentlichen Aufträgen vorstellen können, findet die Arzneimittelpreisverordnung – also gewissermaßen die aktuelle Honorarordnung für die Apotheker – in der FDP offensichtlich keine Unterstützung. „Wir wollen den Charakter Heilberuf stärken und alles, was Beratungsleistung ist, anders und besser honorieren“, macht Lindner deutlich. Deshalb sei ein Preiswettbewerb auf Ebene der Distribution für ihn vorstellbar.
Auf die Frage, ob er nicht befürchte, dass sich dieser Preiswettbewerb dann auf die von der FDP favorisierten Beratungshonorare ausweiten könnte, muss Lindner passen. Für diesen Aspekt würde er die Meinung der Gesundheitsexperten seiner Partei heranziehen wollen.
„Die Angehörigen der Freien Berufe, die ich kenne, lieben nicht die HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, Anm. d. Red.) oder die Honorarvergütung. Der Arzt, der Architekt – das sind doch Menschen, die einen Beruf wählen, weil sie etwas persönlich können, und Verantwortung übernehmen möchten beispielsweise gegenüber ihren Patientinnen und Patienten. Das ist doch auch ein liberales Lebensgefühl“, berichtet Lindner. „Man geht doch nicht in einen freien Beruf wegen der Honorarordnung.“ Doch im Hinblick auf die Heilberufe könne man nicht die Kategorien eines freien Marktes ansetzen, weil es um Versorgungssicherheit und um gesundheitliche Belange gehe, stellt er klar. „Eine Apotheke ist eben keine Drogeriekette.“ |
Das Interview in voller Länge
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