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Arzneimittel und Therapie
Keine Entwarnung für Hydroxyethylstärke
Auch bei chirurgischen Patienten scheinen die Risiken zu überwiegen
Die ursprüngliche Hoffnung, mit Hydroxyethylstärke(HES)-haltigen Arzneimitteln zur Infusion verlängerte Plasmahalbwertszeiten, Volumeneinsparungen, weniger Ödeme und somit einen deutlichen therapeutischen Vorteil gegenüber reinen Salzlösungen zu erzielen, wurde seit Markteinführung zunehmend durch Sicherheitsbedenken erschüttert: Die Behandlung mit HES ist mittlerweile aufgrund schwerwiegender Risiken einschließlich einer erhöhten Sterblichkeit bei kritisch erkrankten Patientengruppen kontraindiziert (s. Kasten). Bei anderen Patientengruppen, beispielsweise Personen, die sich einer Operation unterziehen, sind Nutzen und Risiken einer HES-Volumenersatztherapie hingegen noch unklar. In einer doppelblinden, randomisierten, multizentrischen Parallelgruppenstudie wurde daher untersucht, ob eine perioperative Behandlung mit niedermolekularer HES-Lösung (6% HES 130/0,4) in 0,9% Kochsalzlösung einer Therapie mit 0,9% Kochsalzlösung überlegen ist. 775 Patienten, bei denen größere viszeralchirurgische Eingriffe vorgenommen wurden und die ein erhöhtes Risiko von postoperativen Nierenschädigungen aufwiesen, gingen in die Studie ein. Als primärer Endpunkt wurden Todesfälle und Komplikationen nach dem Eingriff (renale, respiratorische oder kardiovaskuläre Notfälle, ungeplante Reoperationen, Sepsis) definiert. Die primäre Hypothese ging von einer Reduktion des primären Endpunkts von 25% unter 0,9% Kochsalzlösung auf 15% unter HES-Behandlung am Tag 14 nach der Operation aus.
Strenge Auflagen
Nachdem Indikationseinschränkung, die Ergänzung von Kontraindikationen (Sepsis, kritisch kranke Patienten, Patienten mit Nierenfunktionsstörungen oder Nierenersatztherapie) und die Aufnahme zusätzlicher Warnhinweise nicht den gewünschten Effekt zeigten, mussten Zulassungsinhaber von HES-haltigen Arzneimitteln im Jahr 2018 Programme für einen kontrollierten Zugang einführen: Seitdem darf eine Auslieferung nur noch an akkreditierte Zentren und Kliniken erfolgen. Die Anwendung muss zudem in der niedrigsten Dosierung und über einen möglichst kurzen Zeitraum (< 24 Stunden) durchgeführt und dabei kontinuierlich hämodynamisch überwacht werden.
Kochsalzinfusionen schneiden tendenziell besser ab
Tatsächlich traten Todesfälle und postoperative Komplikationen unter HES-Behandlung bei 139 von 389 Patienten (36%) auf, unter reiner Kochsalzlösung bei 125 von 386 Patienten (32%). Statistisch wurde keine Überlegenheit einer der beiden Therapien gefunden, tendenziell jedoch eher eine Überlegenheit der reinen Kochsalzinfusion. Wichtige sekundäre Endpunkte unterstützen diesen Trend: Unter HES-Behandlung wurden vermehrt akute Nierenschädigungen (22% unter HES vs. 16% unter Salzlösung) sowie nominell eine höhere Mortalität an Tag 28 festgestellt (4,1% unter HES vs. 2,3% unter Salzlösung).
In einem begleitenden Kommentar zur Studie wird darauf verwiesen, dass „die Abwesenheit von Evidenz nicht gleich Evidenz von Abwesenheit“ sei: Dass kein statistisch signifikanter Unterschied im primären Endpunkt gefunden wurde, bedeute nicht, dass HES-Lösungen sicher sind. Betrachtet man alle Ergebnisse dieser Studie im Kontext der bisherigen Erkenntnisse zum Einsatz von HES, so verdeutlicht sich das bestehende Risiko Hydroxyethylstärke-haltiger Arzneimittel insbesondere hinsichtlich nierenschädigender Effekte. Somit kann auch für den perioperativen Einsatz von HES keine Empfehlung ausgesprochen werden. |
Literatur
[1] Futier E et al. Effect of Hydroxyethyl Starch vs. Saline for Volume Replacement Therapy on Death or Postoperative Complications Among High-Risk Patients Undergoing Major Abdominal Surgery. JAMA 2020; 323(3):225-236
[2] Zampieri FG et al. Hydroxyethyl Starch for Fluid Replacement Therapy in High-Risk Surgical Patients. JAMA 2020;323(3):217-218
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