DAZ-Spezial COVID-19

Gefährliches Hamstern

Horten von Desinfektionsmitteln, Mund- und Atemschutzmasken gefährdet die Klinikversorgung

du | Die Sorge vor einer Coronavirus-Epidemie versetzt immer mehr Menschen in Angst und Panik – und stellt die ärztliche Versorgung vor allem in Kliniken vor unvorhergesehene Probleme. Hamsterkäufe von Mundschutz, Atemmasken und Desinfektionsmitteln führen dazu, dass diese dort knapp werden, wo sie dringend gebraucht werden: in Kliniken, Arztpraxen und auch in Apotheken, die für die Zytostatikaversorgung und parenterale Ernährung zuständig sind.
Foto: Klinikum Nürnberg

Dr. Annette Sattler, Leiterin der Apotheke des Klinikums Nürnberg

Dr. Annette Sattler, Leiterin der Apotheke des Klinikums Nürnberg, hat deshalb auch weniger Angst vor dem Coronavirus, sondern davor, dass ­beispielsweise Schutzkleidung für die Sterilherstellung fehlt, Operationen aus diesem Grund nicht durchgeführt werden können sowie Frühchen, Krebspatienten und andere Kranke dadurch gefährdet werden. Im Gespräch mit der DAZ gibt sie einen Einblick in die Situation ihres Klinikums, eines Krankenhauses der ­Maximalversorgung.

„Eine bevorstehende Coronavirus-Epidemie bereitet mir zur Zeit weniger Sorge als die Panikreaktionen der Menschen, die nun Atemmasken, Mundschutz und Desinfektionsmittel in großen Mengen aufkaufen und horten, ohne dass dies für den Einzelnen sinnvoll ist.“

DAZ: Frau Dr. Sattler, die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Bereitet Ihnen das Sorge?

Sattler: Eine bevorstehende Corona­virus-Epidemie bereitet mir zur Zeit weniger Sorge als die Panikreaktionen der Menschen, die nun Atemmasken, Mundschutz und Desinfektionsmittel in großen Mengen aufkaufen und ­horten, ohne dass dies für den Einzelnen sinnvoll ist. Diese Hamsterkäufe können dazu führen, dass diese wichtigen für den Klinikbetrieb essenziellen Hilfsmittel fehlen. Meine große Sorge ist daher, dass so der ­Klinikbetrieb zum Erliegen kommt, Operationen nicht mehr durchgeführt werden können, Frühchen und Intensivpatienten, die vor Infektionen geschützt werden müssen, wegen fehlender Schutzkleidung nicht mehr ordnungsgemäß versorgt werden ­können und einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt werden.

DAZ: Nun scheint ja in der Tat Schutzkleidung weltweit knapp zu sein, ­Desinfektionsmittel sind in deutschen Apotheken immer wieder nicht lieferbar, Atemschutzmasken nahezu ausverkauft. Wie sieht die Situation in Ihrer Klinik aus?

Sattler: Momentan sind wir noch ganz gut gerüstet. Doch auch wir verzeichnen Lieferengpässe zum Beispiel bei Desinfektionsmitteln und Atemschutzmasken, denen wir durch verstärkten Einkauf entgegenwirken. Wir haben ­unsere Vorräte hochgefahren, doch das hat Grenzen. So müssen wir die ethanolischen und damit brennbaren Desinfektionsmittel gesondert lagern, hierzu benötigen wir geeignete Räumlichkeiten.

DAZ: Nun sind wir ja nicht nur in der Wirkstoffproduktion in hohem Maß von China abhängig. Schutzkleidung oder auch nur das Vlies für Atemschutzmasken wird dort produziert.

Sattler: Das ist ein großes Problem, doch im Arzneimittelbereich kämpfen wir ja schon lange damit. Momentan können wir zwar im Arzneimittelbereich noch kaum zusätzliche Verknappung feststellen, doch mittelfristig müssen wir aufgrund der eingeschränkten Produktion in China, aber auch dem eingeschränkten Transport damit rechnen.

DAZ: Nun gibt es ja Pandemiepläne, die sicher die Schutzkleidung im Blick haben.

Sattler: Selbstverständlich haben wir für den Pandemiefall Schutzkleidung eingelagert. Doch auch diese Vorräte sind begrenzt. Umso wichtiger ist es, mit den vorhandenen Ressourcen klug umzugehen, Atemschutzmasken haben in normalen Haushalten zum jetzigen Zeitpunkt nichts verloren. Wir benötigen sie dringend in den Kliniken. Falsch angewendet stellen sie sogar ein erhöhtes Infektionsrisiko dar.

„Atemschutzmasken und ­Desinfektionsmittel nützen in der aktuellen Situation Privathaushalten nicht viel, es sei denn, jemand ist ­bereits erkrankt und ver­meidet durch eine Atemschutzmaske, seine Viren weiter zu verteilen.“

DAZ: Wir schauen immer auf China, wenn wir Lieferengpässe befürchten. Was bedeutet der Ausbruch in Norditalien denn für die Versorgung?

Sattler: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der noch zu wenig beachtet wird. So werden die für unsere Kardiotechnik notwendigen Verbrauchsmaterialien ausnahmslos in Norditalien produziert. Das wurde offenkundig, als Norditalien von Erdbeben erschüttert wurde und die Produktion zum Erliegen kam. Durch die Abriegelung ganzer Städte in Norditalien wegen des Coronavirus-Ausbruchs besteht das Risiko von Lieferabrissen, daher lagern wir einen Mehrmonatsbedarf ein. Ein Versorgungsengpass wäre eine fatale Situation, zum Beispiel für die Herzchirurgie und die Patienten an Herz-Lungen-Maschinen.

Aber auch die ganz banalen Abstrichtupfer, die wir beispielsweise auch für den Nachweis der Coronaviren benötigen, stammen aus Norditalien. Das ist besonders spannend: wir haben wegen der Grippesaison sowieso einen erhöhten Bedarf und jetzt gleichzeitig einen Lieferengpass, weil Nachschub aus Norditalien fehlt. Auch hier müssen wir schon improvisieren.

DAZ: Inzwischen steigt die Zahl der positiv auf SARS-CoV-2 Getesteten mit jedem Tag weiter, immer mehr Patienten werden isoliert. Ist das sinnvoll?

Sattler: Ob die Isolierung aller diagnostizierter Patienten und ihrer Kontaktpersonen die Pandemie eindämmen wird, kann ich nicht einschätzen. Allerdings erhöht die Krankenhausaufnahme nur leicht Erkrankter ­meiner Ansicht nach das Risiko für Versorgungsengpässe. Wenn dauerhaft alle, bei denen das Virus nach­gewiesen wurde, in Krankenhäusern in Isolierzimmern versorgt werden, dann werden Ressourcen verbraucht um Patienten zu betreuen, die ihren Infekt auch zu Hause auskurieren könnten. Früher oder später werden wir uns fragen müssen, ob wir diese Ressourcen nicht besser für die Versorgung schwerkranker Patienten ­aufsparen sollten.

DAZ: Das klingt alles nicht sehr be­ruhigend. Was ist Ihr Appell an die Kollegen in der öffentlichen Apotheke und die Bevölkerung?

Sattler: Ganz generell: Die verun­sicherten Menschen müssen über die brenzlige Situation sinnvoll aufgeklärt werden. Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel nützen in der aktuellen Situation Privathaushalten nicht viel, es sei denn, jemand ist bereits erkrankt und vermeidet durch eine Atemschutzmaske, seine Viren weiter zu verteilen. Eine Atemschutzmaske senkt das Infektions­risiko aber nur bei korrekter Hand­habung, und sie schützt gar nicht vor Infektion über die Augenschleimhaut – aber kaum jemandem ist bewusst, wie oft man sich ins Gesicht und an die Augen fasst. Andererseits kann man das Risiko einer Übertragung von Krankheitserregern durch regelmäßiges gründliches Händewaschen erheblich senken, und dafür braucht man kein Händedesinfektionsmittel. Schutzkleidung und Desinfektionsmittel werden aber dringend bei der Versorgung von schwerkranken Menschen und Frühge­borenen benötigt, die besonders infektionsanfällig sind. Es darf nicht passieren, dass mehr Menschen an den Folgen eines durch sinnlose Hamsterkäufe verschärften Versorgungsnotstands sterben müssen als an einer Coronavirus-Infektion.

 

DAZ: Frau Dr. Sattler, wir danken ­Ihnen für das Gespräch. |

 

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