Management

Willkommen in der VUCA-Welt

Gemeinsam den Weg des Wandels gehen

Gewissheit gibt es nicht mehr, Planbarkeit wird zur Illusion und widersprüchliche Informationen lassen jede Fragestellung noch komplexer werden – das ist die wechselhafte Welt von heute. Die Apotheke muss immer flexibler auf die stetig neuen Anforderungen reagieren, um am Puls der Zeit zu bleiben. Digitalisierung und Automatisierung stehen auf der Tagesordnung. Da muss das Team erstmal mitkommen. Für die Führungskraft stellt sich nicht nur die Frage nach der richtigen Entscheidung, sondern auch, wie sie das Team auf dem neuen Weg begleiten kann. Ist sogar ein ganz anderer Führungsstil nötig? Auch bei diesem Thema gibt es keine klare Richtschnur, aber durchaus vielversprechende Ansätze und Strategien. Von Anja Keck

In den letzten Jahren wurde VUCA als Schlagwort für die sich schneller verändernden Rahmenbedingungen schon fast überstrapaziert. Es ist ein Akronym für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity und beschreibt damit die Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit, die sich zur Zeit in vielen Bereichen finden lässt.

Diejenigen, die schon lange ein Unternehmen leiten, werden sagen, dass es auch früher ganz unerwartete Ereignisse in der Apothekenwelt gab, ohne Eindeutigkeit der Ursache-Wirkungs-Beziehung. Trotzdem dreht sich das Rad noch einmal schneller, die Auswirkung von Änderungen im Umfeld der Apotheke werden schlechter einschätzbar, der Markt scheint wankelmütiger zu werden. Wo vor 30 Jahren noch darüber nachgedacht wurde, ob ein Computer angeschafft wird, stellen sich jetzt die Fragen: Wie viele und was müssen sie alles leisten?

Auch wenn die VUCA-Welt wie ein neuer Hype anmutet – sie wird zu einer Herausforderung für Führungskräfte, die selbst vor dem ­eigenen Rollenverständnis keinen Halt macht.

Eine Strategie, um dem Ganzen entgegenzutreten, leitet sich aus dem identischen Akronym ab: ­Vision, Understanding, Clarity, Agility – als Vision, Verstehen, Klarheit und Agilität. Im Detail zielt es darauf ab, spezifische Handlungsmuster zu entwickeln, um mit den neuen Anforderungen gekonnter umgehen zu können.

Vision gegen Unbeständigkeit

Bei schnellen, oft unvorhersehbaren Veränderungen trotz guter Informationslage, wo Ursache-Wirkungs-­Beziehungen nicht mehr klar zu­zuordnen sind, wird ein Leitbild ent­gegengesetzt.

Wenn das Team zusammen mit der Führungskraft eine Idee entwickelt, wie ihre eigene Arbeitswelt in der Zukunft aussehen soll, dient das zur Orientierung bei schnellen Entscheidungen die ggf. auch dezentral getroffen werden müssen. Durch das übergeordnete Ziel bekommt das Handeln einen Sinn und wird nicht zu einer Verkettung von Reaktionen auf die Anforderungen eines wankelmütigen Umfeldes. Um sich gut aufzustellen sind konkrete, gemeinsame Ziele von großem Wert.

Foto: Chris Gardiner – stock.adobe.com

Verstehen gegen Unsicherheit

Die Gestaltung der Zukunft lässt sich nicht mehr aus der Vergangenheit ableiten, die sichere Planbarkeit gibt es nicht mehr.

Eine Intervention wäre ein „Mehr“ an Verständnis dessen, was im Moment passiert. Sofern das möglich ist. Die Informationen sind reichhaltig, aber sind auch unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt? Wird nicht nur ein Teil, sondern das große Ganze – der Kontext – betrachtet? Ein gutes, heterogenes Business-Netzwerk bietet unterschiedliche Perspektiven und die Möglichkeit zeitnah von den Projekten anderer zu lernen. Informationen, die den Kontext der eigenen Apotheke einschließen, z. B. die Kundschaft, können aus kleinen Praxistests stammen. Was bedeutet, dass Entscheidungen nicht direkt für das gesamte Unternehmen getroffen werden, sondern im kleinen Maßstab an Prototypen getestet wird. Wird ein Prototyp gut angenommen, lohnt sich die Umsetzung im größeren Stil. Durch die Einführung von Feedbackschleifen zwischen den Teams und der Leitungsebene lassen sich Anpassungen vornehmen oder es wird festgestellt, dass eine Maßnahme viel besser in eine andere Filiale oder einen anderen Bereich passen würde. Diesem iterativen und häufig vorgeschlagenen Vorgehen liegt der Demingkreis zugrunde, genauso wie wir ihn aus dem Qualitätsmanagementsystem kennen. Was ausgeprägter ist, ist der zeitnahe, vernetzte Austausch der verschiedenen Berufsgruppen. Die Praxis­erfahrungen des Teams bekommen mehr Relevanz für die Entscheidungen der Führungskraft.

Klarheit gegen Komplexität

Probleme, deren Ursachen, aber auch deren Auswirkungen werden vielschichtiger und unübersichtlicher. Die richtige Entscheidung zu treffen, wird immer schwieriger.

Hilfreich ist es, den Fokus auf das zu richten, was beeinflussbar ist, und als Führungskraft Klarheit in Prozesse und die Beziehung zu den Mitarbeitern zu bringen.

In diesem Zusammenhang bekommt das Vertrauen zwischen Führungskräften und ihrem Team einen ganz neuen Stellenwert. Immer häufiger wird das Vertrauen in die Führungskraft und die damit empfundene Sicherheit als Kern eines erfolgreichen Unternehmens diskutiert. Ohne Vertrauen geht das Team keinen steinigen Weg mit. Aber wenn eine Führungskraft – in der neuen Welt – nicht mehr voller Überzeugung verkünden kann: „Das ist der richtige Weg!“, woher soll dann das Vertrauen kommen?

Frances X. Frei, Professorin der Harvard Business School, sprach im Jahr 2018 in einem Vortrag über drei wichtige Elemente, um Vertrauen aufzubauen. Dazu zählen für sie Authentizität, Empathie und eine klare Logik. Auf den Arbeitsalltag angewendet bedeutet das, dass der Mitarbeiter viel eher dazu bereit ist, Vertrauen zu schenken, wenn die Worte und Handlungen der Führungskraft stimmig sind. Wenn das Verhalten der Führungskraft zur eigenen Person passt, dem jeweiligen Mitarbeiter und der Situation. Wenn die Führungskraft bei Gesprächen aufmerksam und empathisch ist und ihre Argumentation plausibel nachvollziehbar. Vertrauen wird zum Erfolgsfaktor

Agilität gegen Mehrdeutigkeit

Die Widersprüchlichkeit von Informationen und Anforderungen lässt sich in vielen Fällen nicht mehr auflösen.

Eine Möglichkeit ist, auf Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit zu setzen, Konzepte mit einer hierarchischen Führungsstruktur zu hinterfragen und diese in eine agilere Führung umzuwandeln, wozu Mut, Bewusstheit und Fehlerfreudigkeit gehört.

Keine leichte Kost, denn die Meinungen, wie agile Führung aussieht und eingeführt werden soll, sind umfangreich. Einen Gedanken daran zu verschwenden, scheint allerdings vielversprechend. Der allgemeine Tenor: Agilität steigert die Erfolgswahrscheinlichkeit. In der Apotheke ist der Anfang meist schon gemacht. Die Hierarchien sind flach und es gibt für viele Bereiche bereits Verantwortliche. Warum nicht einfach einen Schritt weitergehen? Agile Führung bedeutet nicht nur, Mitarbeiter in wichtige Entscheidungen mit einzubeziehen, sondern sie selber entscheiden zu lassen. Der Umgang mit Widersprüchen muss transparent gestaltet werden und der Mut, Neues auszuprobieren, sollte nicht fehlen.

Für eine agile Führung brauchen die verantwortlichen Mitarbeiter klare Entscheidungsbefugnisse. Nur, wenn die Möglichkeit besteht, Entscheidungen auch ohne die Rücksprache mit der Führungskraft treffen zu können, können die Mitarbeiter ihre Funktion vollends ausfüllen. Teams können durch das oben genannte, gemeinsame Ziel und klare Handlungsspielräume autonom agieren. Die Teilung der Führung erfolgt dementsprechend aufgabenbezogen, kann zeitlich begrenzt sein und wird unter Umständen zielgerichtet aneinander abgegeben. Was bedeutet, dass gemeinsame Entscheidungen auch die gemeinsame Verantwortung für die Ergebnisse nach sich ziehen.

Aber, wie wir wissen, wer Verantwortung übernimmt, kann Fehler machen, auch wenn im besten Wissen und Gewissen gearbeitet wird. Für diejenigen, die die Führung dezentralisieren wollen, bedeutet das, dass zumindest im Bereich Wissen das Bestmögliche getan werden muss. Neue Mitarbeiter werden gezielt gefördert, sodass sie neue Tätigkeitsfelder ausführen können. Zusätzlich muss eine Fehlerkultur etabliert werden, sodass Fehler zeitnah behoben werden können und für das Lernen des Teams nutzbar gemacht werden. Da in der Apotheke Fehler dramatische Folgen haben können, werden Konzepte, wie die Tandembildung zwischen erfahrenen Mitarbeitern und Neueinsteigern oder das Vieraugenprinzip, ­relevanter. Ein Schritt, der auch des Vertrauens der Führungskraft in seine Mitarbeiter bedarf.

Und was macht die Führungskraft?

Auf den ersten Blick scheint sich die Führungskraft durch eine geteilte Führung quasi überflüssig zu machen. Klassische Elemente, wie die Richtungsvorgabe, die Befugnis zum Treffen von Entscheidungen und spezifisches Erfahrungswissen, definieren die Rolle nicht mehr. An deren Stelle treten allerdings andere Tätigkeitsbereiche, z. B. proaktiv die Resilienz des Teams und des Unternehmens zu fördern, um für die wachsenden Anforderungen gewappnet zu sein. Die Entdeckung und Entwicklung von Potenzialträgern, die Aktivierung der Mitarbeiter-Ressourcen und die Etablierung funktionaler Bewältigungsstrategien bei Widersprüchen gehören dazu.

Prozesse agiler zu gestalten braucht Zeit, und Mitarbeiter müssen in die Selbstorganisation und Eigenverantwortung oftmals erst reinwachsen. Wenn Sie ihr Team in kleinen Schritten auf diesem Weg begleiten, können Sie mit mehr Motivation und Loyalität zum Unternehmen rechnen. Mitarbeiter, die schon ab dem ersten Gedanken in Prozesse involviert sind, sie sogar initiieren oder selbst leiten, werden wahrscheinlich weniger Vorbehalte haben, wendiger und sicher widerstandskräftiger sein. |

Anja Keck ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, 
Master-Coach (DGfC) und Systemische Beraterin 
www.anjakeck.de

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