Arzneimittel und Therapie

Unerwünschter Zuwachs

Bei Zahnfleischproblemen auch an UAW denken

Wenn ein Kunde in der Selbstmedikation zu einem Mittel gegen Zahnfleischprobleme beraten werden möchte, kann ein Blick in seine Dauermedikation aufschlussreich sein. Denn einige häufig eingesetzte Wirkstoffe können zu Gingiva­hyperplasien führen. In vielen Packungsbeilagen und Fachinformationen der entsprechenden Arzneimittel ist diese Nebenwirkung nicht enthalten oder als „sehr selten“ gekennzeichnet, obwohl sie womöglich viel häufiger auftritt.

Gingivahyperplasie (Zahnfleischwucherung) ist eine Erkrankung des Zahnbettes, bei der sich das Gewebe infolge übermäßiger Zellvermehrung vergrößert hat. Sie kann im Bereich einzelner Zähne oder am gesamten Zahnfleisch auftreten. In histologischen Schnitten betroffener Gewebe sind beispielsweise eine erhöhte Zahl an Fibroblasten sichtbar – Binde­gewebszellen, die unter anderem Kollagen produzieren.

Foto: Science Photo Library
Bei stark ausgeprägter Gingivahyperplasie muss das Zahnfleisch operativ entfernt werden (Gingivektomie). Im Falle einer Arzneimittel-induzierten Zahnfleisch­wucherung (hier nach der Einnahme von Phenytoin) ist dies meistens nicht notwendig, da sich das Gewebe nach dem Absetzen bzw. dem Wechsel auf einen anderen Wirkstoff innerhalb einiger Wochen deutlich zurückbildet.

Arzneistoffe als Auslöser

Die Ursachen für Gingivahyperplasien sind vielfältig und noch nicht voll­ständig bekannt. Entzündungen, Systemerkrankungen, hormonelle Umstellungen während der Schwangerschaft, Vitamin-C-Mangel oder bestimmte Medikamente zählen zu den häufigsten Auslösern. Faktoren, die die Entstehung begünstigen, sind beispielsweise ein höheres Lebensalter, das Vorliegen einer Parodontose oder eine Akkumulation von Plaque aufgrund unzureichender Zahnpflege. Die Gewebswucherungen sind nicht nur kosmetisch störend. Sie erschweren auch die Zahnpflege und Mundhygiene und leisten dadurch Entzündungen und bakteriellen Infektionen Vorschub.

Einzelfälle beschrieben

In der zahnmedizinischen Fachliteratur finden sich einige Fallberichte über medikamentös induzierte Zahnfleischwucherungen, die ausschließlich in zahntragenden Arealen der Mund­höhle sowie im Bereich um dentale Implantate auftraten. Zu den bisher bekannten auslösenden Wirkstoffen zählen Antiepileptika, Calcium-Antagonisten und das Immunsuppressivum Ciclosporin A (s. Tab.). Die pathophysiologischen Hintergründe wurden untersucht und sind inzwischen teilweise bekannt. Bei der Amlodipin-induzierten Gingivahyperplasie postuliert man eine stimulierende Wirkung des Calcium-Antagonisten auf die gingi­valen Fibroblasten. Außerdem wird vermutet, dass bei Patienten mit Parodontose Zytokine und Interleukine die Kollagensynthese der Fibroblasten anregen. Für die Gingivahyperplasie unter Ciclosporin hat man herausgefunden, dass der Wirkstoff unter anderem einen Konzentrationsanstieg des Wachstumsfaktors TGF-β (Transforming Growth Factor beta) und des Glykoproteins Fibronektin induziert. Diese fördern die Anreicherung extrazellulärer Matrix und hemmen die Freisetzung von Kollagenasen.

Tab.: Wirkstoffe mit Gingivahyperplasie als Nebenwirkung (Auswahl). In der zahnmedizinischen Fachliteratur finden sich Häufigkeitsangaben, die von denen in den Fachinformationen abweichen. Beispielsweise wird dort die Häufigkeit einer Gingivahyperplasie unter Ciclosporin mit 20 bis 70% und für die Calciumantagonisten mit bis zu 30% angegeben.
Wirkstoffe
Häufigkeit laut Fachinformation*
Antiepileptika
Ethosuximid
keine Angabe
Mesuximid
keine Angabe
Phenobarbital
keine Angabe
Phenytoin
gelegentlich
Valproinsäure
häufig
Antihypertonika (Calcium-Antagonisten)
Amlodipin
sehr selten
Diltiazem
sehr selten
Felodipin
gelegentlich
Lercanidipin
sehr selten
Manidipin
sehr selten
Nifedipin
selten
Nilvadipin
sehr selten
Nisoldipin
selten
Nitrendipin
gelegentlich
Verapamil
nicht bekannt
Immunsuppressiva
Ciclosporin
häufig
sehr häufig (≥ 1/10), häufig (≥ 1/100, < 1/10), gelegentlich (≥ 1/1000, < 1/100), selten (≥ 1/10.000, < 1/1000), sehr selten (< 1/10.000)
* Die Angaben in den Fachinformationen der verschiedenen Präparate eines Wirkstoffes sind nicht identisch. Angegeben ist jeweils die größte Häufigkeit.

Nach Absetzen meist reversibel

In den Fallberichten bildete sich die Gingivahyperplasie nach Absetzen des Arzneimittels innerhalb einiger Wochen deutlich zurück. Eine professionelle Zahnreinigung und Spülungen mit Chlorhexidindigluconat waren hilfreich. In einigen Fachinformationen wird darauf hingewiesen, dass eine Gingivahyperplasie durch sorgfältige Mundhygiene verhindert oder rückgängig gemacht werden kann. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, kann der Zahnmediziner das überschüssige Gewebe im Rahmen von Gingivektomien und Lappenoperationen abtragen. |

Quelle

Eder C. Gingivahyperplasie: Ein pathologisches Bild mit unterschiedlichen Ursachen. www.dzw.de/gingivahyperplasie-ein-pathologisches-bild-mit-unterschiedlichen-ursachen, Abruf am 2. Oktober 2018

Eumann C et al. Generalisierte Gingivawucherung und chronische Parodontitis: ein Fallbericht. Dtsch Zahnärztl Z 2018;73:15–21

Remmerbach TW. Gingivahyperplasie als Nebenwirkung des Calciumkanalblockers Amlodipin. www.zwp-online.info/fachgebiete/oralchirurgie/problemmanagement/gingivahyperplasie-als-nebenwirkung-des-kalziumkanalblockers-amlodipin, Abruf am 2. Oktober 2018

www.zahn-lexikon.com, Abruf am 2. Oktober 2018

Fachinformationen einiger Präparate mit den genannten Wirkstoffen, www.rote-liste.de

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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