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KI im Gesundheitswesen
24. International Health Forum thematisiert Digitalisierung und Zukunftstechnologien
Betrachtet man die Fortschritte, die die Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) in den letzten Jahren gemacht hat, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus: Inzwischen schlagen „intelligente Maschinen“ nicht nur im Schach die besten menschlichen Großmeister, sondern auch im japanischen Strategiespiel Go, von dem man bis dato glaubte, dass es nur mit menschlicher Intuition gewonnen werden kann. Computer erkennen heute nicht nur Gesichter, sie können auch Bilder von ihnen erschaffen, die Menschen nicht mehr als künstlich erkennen. Computer können Berichte von Fußballspielen und Kurzgeschichten schreiben. Angesichts dieser rasanten Entwicklungen der letzten Jahre verwundert es nicht, dass der Wort & Bild Verlag die 24. Auflage seines jährlichen International Health Forum am 8. November ganz dem Thema künstliche Intelligenz (KI) und Gesundheit gewidmet hat.
„KI ist kein Zweck, sie ist ein Mittel.“
Zu Beginn des eintägigen Symposiums im Verlagsgebäude in Baierbrunn bei München, versuchten Prof. Dr. Aleksandra Przegalinska vom MIT in Boston und Jonnie Penn von der Universität Cambridge die Euphorie ein wenig zu dämpfen. KI sei nur ein „Buzzword“ und „ein Hype“, so Przegalinska. Streng genommen gebe es gar keine „künstliche Intelligenz“, man müsse eigentlich von „Machine Learning“, also lernenden Maschinen, und Natural Language Processing (NLP; natürliche Sprachverarbeitung) sprechen. Penn stößt ins gleiche Horn und betont die Grenzen von KI: Eine künstliche Intelligenz könne eine ganz bestimmte Aufgabe sehr gut lösen, besser als der beste Mensch – „aber sie kann das Gelernte nicht auf andere Aufgaben übertragen“. Der Mensch dagegen rage dadurch heraus, dass er so viele unterschiedliche Dinge kann – und das auf einem Gebiet Erlernte bei ganz anderen Aufgaben wieder anwende.
Trotz dieser Limitationen sieht Penn wichtige Einsatzgebiete für KI in der Medizin. Insbesondere bei der Erkennung von Mustern in riesigen Datenmengen sind intelligente Algorithmen dem menschlichen Gehirn weit überlegen. Das eröffne neue Möglichkeiten beispielsweise in der Diagnostik oder der Genom-Analyse.
„Es geht nicht darum, ob KI den Arzt ersetzt, sondern darum, wie der Arzt mit der KI zusammenarbeitet.“
Auch für Przegalinska ist die Unterstützung bei Diagnose und Befundung durch Datenklassifizerung eine der wertvollsten Einsatzgebiete von KI. So funktioniere KI z. B. bei der Voraussage, welche Patienten ein erhöhtes Diabetes-Risiko haben, viel besser als „normale“ statistische Algorithmen. Allerdings nur unter einer Voraussetzung: Die KI benötigt sehr große Mengen kontextueller (also miteinander in Verbindung stehender) Daten, um die Mustererkennung erlernen zu können.
Wichtige Lieferanten solcher gesundheitsbezogener Daten können Sensoren sein. Die bisher eingesetzten Sensoren seien aber oft noch sehr unbequem, so Przegalinska, weswegen Patienten oder Probanden sie nur ungern tragen. Sie empfiehlt aber, die sehr vitale Start-Up-Szene für die sogenannten Wearables wie beispielsweise Fitness-Armbänder oder Smart Watches im Auge zu behalten. Denn viele Sensoren, die gar nicht primär für medizinische Zwecke entwickelt werden, könnten später genau dort eine wichtige Funktion erfüllen. Dazu sei es aber notwendig, dass die Wearables auch Rohdaten an die KI liefern können. Heute lieferten sie oft nur ein „fertiges“ Ergebnis, was eine Auswertung und Verarbeitung durch intelligente Algorithmen unmöglich macht.
„Wenn sich ein Arzt von einer Maschine ersetzen lässt, dann hat er es nicht anders verdient!“
KI im Marketing und Drug Design
Auf ein weiteres Einsatzgebiet für KI u. a. für die Pharmaindustrie weist der Marketing-Profi David McCaughan hin. KI sei dabei, Marketing und vor allem die Marktforschung zu revolutionieren. Eines von vielen eindrucksvollen Beispielen ist die japanische OTC-Firma SSP. Mithilfe von KI-Algorithmen errechnet sie aus Social-Media-Postings, wann welche Arzneimittel ausgeliefert werden, damit sie bei dem begrenzten Regalplatz der kleinen japanischen Apotheken genau dann in der Sichtwahl stehen, wenn z. B. die Erkältungswelle eine Stadt erreicht – und dort nicht gefragteren Produkten den Platz streitig macht.
Für Jonnie Penn dagegen ist KI in der Pharmaindustrie vor allem bei der Wirkstoffentwicklung interessant. Es gebe heute bereits über 150 Start-Ups, die sich diesem Thema widmen. Ähnlich sieht das Dr. Anastassia Lauterbach, Technologie-Investorin und -Beraterin aus Bonn. Alleine von 2018 auf 2019 habe sich die Zahl der Start-Ups, die sich mit diesem Thema beschäftigen, verdoppelt. Theoretisch gebe es 1060 unterschiedliche chemische Verbindungen, sie alle auf eine mögliche Wirkung zu untersuchen, sei ohne die Unterstützung von KI unmöglich, betonte sie.
„KI schafft mehr Zeit, sich um den Patienten zu kümmern statt auf schlechte Displays zu starren.“
Virtuelle oder humane Ärzte?
Wird der rasante Fortschritt der KI-Entwicklung dazu führen, dass intelligente Roboter menschliche Ärzte ersetzen? Lauterbach ist zumindest davon überzeugt, dass sich die Arbeit in Krankenhäusern und Arztpraxen grundlegend verändern wird. „In Zukunft wird ein virtueller Assistent der erste Arzt sein, mit dem wir Kontakt haben, bevor wir weitere Behandlung erfahren“, sagte sie in Baierbrunn.
Sie geht aber nicht davon aus, dass Maschinen menschliche Ärzte ganz ersetzen können. Es gehe eher um eine „Zusammenarbeit“ zwischen menschlichen Medizinern und „intelligente“ Maschinen. Das sei auch eine Voraussetzung dafür, die Lebenserwartung wie prognostiziert auf 130 Jahre steigern zu können. Es werde zu einem breiten Einsatz sogenannter virtueller Assistenten für bestimmte Krankheiten kommen, die sehr individuell auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten sind.
Es gehe eher darum, Ärzte zu unterstützen als sie zu ersetzen, pflichtet ihr Dr. Bertalan Meskó, Direktor des Medical Futurist Institute in Budapest, bei. „KI verschafft den Ärzten mehr Zeit, sich um den Patienten zu kümmern, anstatt auf schlechte Displays zu starren“, sagte er beim International Health Forum.
Für Meskó stellt sich die Frage, warum das Gesundheitswesen deutlich weniger offen für Innovationen ist als andere Branchen. Während wir in einer Zeit lebten, in der die Science-Fiction-Erfindungen seiner Kindheit langsam Realität werden, seien diese Technologien in der Medizin bisher kaum angekommen. Wir hätten zwar inzwischen selbstfahrende und sogar fliegende Autos, Drohnen und mit den allgegenwärtigen Smartphones hochpotente Mini-Computer, die wir ständig bei uns tragen – aber von dem Traum, jede Krankheit und Verletzung binnen Minuten heilen zu können, seien wir immer noch Lichtjahre entfernt. In seinen Augen liegt das im Großen und Ganzen an vier Gründen: dem Mangel an Ärzten, einem Mangel an Vertrauen in neue Technologien, dem Geldmangel im Gesundheitssystem – und den ethischen Albträumen, die mit vielen neuen Technologien assoziiert werden.
Trotz aller Skepsis und Uneinigkeit in Detailfragen: Dass KI eine technologische und gesellschaftliche Revolution ist, die auch das Gesundheitswesen und die Medizin erfassen wird, darin waren sich die Experten zumindest auf dem International Health Forum in Baierbrunn einig. Den Menschen aber werde die KI so schnell nicht ablösen – schon gar nicht als Arzt. Denn der Mensch als soziales Wesen brauche die Interaktion mit anderen Menschen. |
Das International Health Forum
Bereits zum 24. Mal fand am 8. November das International Health Forum des Wort & Bild Verlags mit etwa 200 geladenen Gäste aus der Pharma- und Healthcare-Branche in Baierbrunn bei München statt. Internationale Experten analysierten globale Trends, skizzierten Zukunftsszenarien und diskutierten die Auswirkungen auf die Pharmabranche, das Gesundheitswesen und die medizinische Versorgung.
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