Arzneimittel und Therapie

Medizinisches Cannabis unter der Lupe

Kaum überzeugende Daten bei psychiatrischen Erkrankungen

Medizinisches Cannabis erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Die Anwendungsgebiete sind vielfältig und reichen von Autoimmunerkrankungen über chronische Schmerzen bis hin zu psychiatrischen Erkrankungen. Was die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei psychischen Störungen angeht, ziehen die Autoren einer umfassenden Metaanalyse allerdings eine ernüchternde Bilanz.

Die CB1-Rezeptoren des Endocannabinoidsystems befinden sich hauptsächlich im zentralen Nervensystem. Ein Zusammenhang mit psychischen Störungen ist denkbar. Um möglichen ­positiven Effekten medizinischer Cannabinoide systematisch auf den Grund zu gehen, führten australische Wissenschaftler eine umfangreiche Literaturrecherche durch. Von den relevanten Studien mit erwachsenen Probanden ab 18 Jahren, die sich mit der Wirksamkeit von Cannabinoiden bei Depressionen, Tourette-Syndrom, Angststörungen, posttraumatischer Belastungsstörung, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Psychosen beschäftigten, wurden 83 in der Metaanalyse berücksichtigt, darunter auch 40 randomisierte kontrollierte Studien. Sowohl synthetische Cannabinoide wie Nabilon und Dronabinol als auch pflanzliche Cannabis-Zubereitungen wie Cannabis-Blüten oder Extrakte wurden untersucht. Außerdem wurde zwischen dem psychoaktiven Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) und dem nicht psychoaktiven Cannabidiol (CBD) unterschieden.

Foto: arunsri – stock.adobe.com

Eine signifikante Linderung depressiver Symptome durch THC-haltige Präparate (mit oder ohne CBD) im Vergleich zu Placebo oder einem Antidepressivum konnte nicht festgestellt werden. Die gleiche Beobachtung wurde für reines CBD gemacht, jedoch nur in einer einzelnen, kleinen Studie. In einer weiteren kleinen Studie bei ADHS-Patienten konnten die Symptome unter THC-haltigen Arzneimitteln verglichen mit Placebo ebenfalls nicht verbessert werden. Auch Patienten mit Tourette-Syndrom schienen in zwei randomisierten kontrollierten Studien nicht von THC-haltigen Präparaten zu profitieren.

Wirksam bei Angstzuständen

Positive Effekte wurden indes in einer kleinen randomisierten Studie bei Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung beobachtet. Zwar wurde keine Remission der Erkrankung festgestellt, dafür aber eine Reduktion von Albträumen. Bei Patienten mit Angstzuständen als Komorbidität einer anderen Erkrankung war der Einsatz THC-haltiger Arzneimittel mit einer signifikanten Verringerung der Symptome verbunden. In einer ­gepoolten Analyse von sieben Studien erwiesen sich Cannabinoide im Vergleich zu Placebo als effektiver. Auch das synthetische Cannabinoid Nabilon hatte eine positive Wirkung.

Cave Psychosen

Besondere Vorsicht scheint jedoch bei Patienten mit einer Psychose geboten. Im Vergleich zu Placebo hatten THC-haltige Präparate keinen positiven Effekt, sondern verschlimmerten die negativen Symptome in einer Studie sogar. Ein Zusammenhang zwischen starkem Cannabis-Konsum und gehäuftem Auftreten von Psychosen wurde bereits in früheren Untersuchungen belegt. Auch CBD allein zeigte bei Patienten mit Psychose keinen positiven Effekt.

Über alle untersuchten Anwendungsgebiete hinweg traten unter medizinischen Cannabinoiden häufiger unerwünschte Ereignisse auf als unter Placebo, die Therapie wurde zudem öfter abgebrochen.

Insgesamt scheint die Datenlage gegen eine Anwendung von medizinischen Cannabinoiden bei psychischen Erkrankungen zu sprechen. Lediglich Patienten mit Symptomen einer Angsterkrankung und posttraumatischer Belastungsstörung könnten in begrenztem Rahmen profitieren. Es bleibt aber anzumerken, dass in den meisten Studien als primäre Indikation chronische Schmerzen oder multiple Sklerose definiert waren, als deren Folge psychische Erkrankungen oft auftreten. Viele Studien wurden zudem nur mit wenigen Patienten durchgeführt. Solange keine Ergebnisse aus geeigneten randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudien mit aus­reichend großen Patientenzahlen vorliegen, kann der Einsatz von Cannabinoiden bei psychischen Erkrankungen nach Meinung der Studienautoren nicht empfohlen werden. |

Literatur

Black N et al. Cannabinoids for the treatment of mental disorders and symptoms of mental disorders; A systematic review and meta-analysis. The Lancet Psychiatry 2019; doi:10.1016/S2215-0366(19)30401-8

Ulrich Schreiber, MSc

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