Aus den Ländern

Herausforderung Digitalisierung

Pharmazierätetagung 2019 im Zeichen der digitalen Zukunft, Gesetzgebung und Politik

Rund 80 ehrenamtliche Pharmazieräte und Amtsapotheker aus ganz Deutschland trafen sich vom 6. bis 9. Oktober 2019 in Kassel mit Vertretern der zuständigen Ministerien und der Standesvertretungen zur Diskussion über Fragen zur geplanten oder verabschiedeten Gesetzgebung und zur Apothekenüberwachung. Ein Schwerpunkt dieser Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands (APD), die gleichzeitig die 67. Jahrestagung war, war der Umgang der Apotheken mit der zukünftigen digitalen Welt. Die Ergebnisse der intensiven Diskussion wurden in Form einer Resolution* verabschiedet.
Foto: APD

Der Vorstand der APD mit den scheidenden und neuen Mitgliedern: (v. l.) Christian Züllich, Dr. Wolfgang Kircher, Dr. Ute Stapel, Kerstin Schack, Marco Bubnick, Dr. Walter Taeschner, Christian Bauer.

*Die Resolution finden Sie am Ende dieses ­Artikels auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de.

Zur Eröffnung der Arbeitstagung stellte der Vorsitzende der APD, Christian Bauer, die kommenden Veränderungen in den Mittelpunkt. Die geplanten Gesetzesvorhaben, das E-Rezept bis hin zur künstlichen Intelligenz – all das werde die öffentliche Apotheke gravierend verändern. Ob dabei auch für die Apotheke vor Ort und nicht nur für Konzerne Chancen für eine Weiterentwicklung entstünden, solle auf der Tagung diskutiert werden.

Ministerialdirigent Dr. Stephan Hölz, Hessisches Ministerium für Soziales und Integration, betonte, dass die Apotheken wichtige Partner im Gesundheitswesen und Teil des Gesundheitspaktes seien. Das Land Hessen unterstütze die inhabergeführte Apotheke mit der persönlichen Beratung. Technik könne nur unterstützende Funktion haben. Laut Prof. Dr. Mona Abdel-Tawab, Landesapothekerkammer Hessen, steht die Apotheke vor dem größten Umbruch, ausgelöst durch die Digitalisierung. Die Apotheke solle ihre Chancen sehen in der pharmazeutischen Kernkompetenz, im direkten Kontakt vor Ort auch mit gesunden Kunden (Vorsorge, Prävention), mit individuellen Dienstleistungen und mit personengenauen Rezepturen. Ministerialrat Hans-Georg Will, Bundesgesundheitsministerium (BMG), berichtete über bereits verabschiedete Gesetze und über geplante Gesetzesvorhaben im BMG, die auch die Apotheken beträfen. Einen breiten Raum nahm das „Apothekenpaket“ mit VOASG, den Änderungen in § 17 ApBetrO und das PTA-Reformgesetz ein. Das E-Rezept könne den Versandhandel stärken. Der Erhalt der flächendeckenden Arzneimittelversorgung sei ein Ziel der Politik. Ein Baustein dazu sei der Versuch des Erhalts der Gleichpreisigkeit. In der anschließenden ausführlichen Diskussion wurde intensiv die Problematik des geplanten neuen § 17 Abs. 1b ApBetrO angesprochen, der Abgabe­automaten à la „Hüffenhardt“ legali­sieren würde. Bei den vorgesehenen Dienstleistungen stelle sich die Frage, was passieren würde, wenn die geplanten 150 Millionen Euro aufgebraucht wären. Auch die Digitalisierung und das kommende E-Rezept in Verbindung mit Apps, Steuerung etc. wurden thematisiert. Die freie Apothekenwahl sei auch hier in jedem Fall zu gewährleisten.

Als derzeitige Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Arzneimittel-, Apotheken-, Transfusions- und Betäubungsmittelwesen“ (AATB) der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG), berichtete Ministerialrätin Veronika Lamberti-Wesserling, Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, aus den Sitzungen. Die Anlaufschwierigkeiten für ein so komplexes System wie Securpharm mit täglich über 3,7 Mio. Transaktionen seien normal und würden sukzessive behoben. Neu sei ein Ordnungswidrigkeits-Tatbestand in § 97/2d AMG bei Nichtumsetzung der europäischen Regelung. Bei Hanfprodukten seien Cannabidiol(CBD)-haltige Lebensmittel in den Novel-Food-Katalog der EU-Kommission aufgenommen worden und müssten als „neuartige Lebensmittel“ zugelassen sein. Sie dürften höchstens 0,2% THC enthalten. Bei einigen in § 15/2 ApBetrO aufgeführten Arzneimitteln (z. B. Diphterie-Antitoxin, Schlangengift-­Immunserum, Botulismus-Antitoxin) sollte geprüft werden, ob die Bevorratungspflicht auf die Krankenhausapotheken ver­lagert werden könne.

Der Geschäftsführer Recht der ABDA, Lutz Tisch, berichtete ausführlich über die aktuelle Rechtsprechung im Bereich Arzneimittel- und Apothekenrecht und über aktuelle Gesetzgebungsverfahren, die die ABDA permanent und intensiv begleite. Auf EU-Ebene sei der Versandhandel mit Rx-Tier-AM grundsätzlich untersagt. Aber es wurde auch ausgeführt, dass die Regulierung des Einzelhandels (auch Apothekenpflicht!) im Wesent­lichen in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleibe.

Distanz zum Kunden abbauen

In einem zweiten Referat ging Lutz Tisch unter anderem auf die Grenzen der Arzneimittel-Abgabe ohne persönlichen Kontakt ein. Die Vertriebswegbindung, die Apothekenpflicht oder die Abgabe-Bindung an staatlich definiert ausgebildetes Personal dürfe nicht der Convenience oder der Bequemlichkeit des Kunden geopfert werden. Bei der Präsenzversorgung könnte auch die PTA ohne Aufsicht verantwortlich AM abgeben. Mit der neuen Botendienst­regelung als eigenständige Regelversorgung sei es möglich, kontaktfrei verschreibungspflichtige AM zu beziehen, ebenso im Versandhandel oder durch Pick-up-Stellen. Auch Abgabe­automaten würden die AM-Abgabe ohne persönlichen Kundenkontakt ermöglichen. Die Telepharmazie werde dazu als Beratungschannel etabliert. Andere Anbieter setzen auf Multichannel-Lösungen: Versandhandel und Zustellung durch eine kooperierende und mithaftende Präsenzapotheke (siehe doc-morris/Zur Rose in Spanien), prescription-corner + upgrade-PTA (siehe Schweiz). All das berge große judikative Risiken, die die derzeitige Präsenz-Apotheke in den Grundfesten erschüttern könne. Die Apotheker müssten aus Gründen der Versorgungssicherheit dagegen kämpfen, dass merkantile Interessen über Gesundheitsinteressen gestellt werden.

Die Vorträge am Dienstag waren ganz dem Online- versus stationären Handel (nicht nur im Apothekenbereich) und den geplanten Plattformen gewidmet. Nach Univ.-Prof. Dr. Henrik Schröder, Uni Duisburg-Essen, sucht der Kunde in der Vorkaufsphase im Internet, zur Kaufphase sei es nur ein kleiner Click. Die Beratung zu einem Produkt könne auch durch Video, Telefon oder Lifechats erfolgen. Neuerdings würden Konzepte entstehen, die eine Entkopplung der Ware und der dazugehörigen Dienstleistung zur Folge hätten (z. B. Brillenkauf im Internet und Anpassung beim kooperierenden Optiker vor Ort). Die Auslieferung der Ware werde zunehmend auf Abholstationen oder stationäre Geschäfte übertragen. Als Antwort auf den Online-Handel müsse der stationäre Handel die Distanz zum Kunden abbauen.

Apotheker als „Digital Dealer“?

Florian Giermann, Noventi Health SE, München, erklärte, dass Plattformen als geschickte Vermittler stationären Handel und Versand kombinieren. Auch Apotheker sollten sich bei der Einführung des E-Rezeptes mit Plattformen beschäftigen bzw. sie anbieten oder Angebote nutzen. Es werde sich langfristig nur eine Plattform durchsetzen. Derzeit stehen mehrere Anbieter in den Startlöchern. In der Diskussion wurde deutlich gemacht, dass keine irgendwie geartete Steuerung, Lenkung, Zuweisung oder Makeln von Verordnungen stattfinden dürfe. Es war der Wunsch der Versammlung, dass eine gemeinsame Plattform/App aus allen Anbietern unter Beteiligung der gesamten Apothekerschaft und unter deren Kontrolle (DAV?) entstehen sollte. Den traditionellen Festvortrag zum Abschluss der Tagung hielt Dr. med. Tobias D. Gantner, HealthCare Futurists GmbH, Köln, zum Thema „Data, Drugs and Digital. Zwischen Merkantilismus und Heilberuf. Wird der Apotheker zum Digital Dealer?“ Er betrachtete den Gesundheitsmarkt als sehr wichtigen Markt und sah Healthcare als „new locomotive“. Auch andere Branchen drängen in diesen Markt (z. B. Audi mit EKG- oder Blutzucker-Messung im Auto). Die junge Generation lebe mit/über Smartphone und verwalte ihre Gesundheitsdaten mit dem Smartphone. Apotheker seien gut beraten, hier teilzuhaben und Angebote dafür zu entwickeln (z. B. GesundheitsApps, EinnahmeApps).

Der ausführliche Bericht zur APD-Tagung kann unter www.pharmazierat.de nachgelesen werden. 
Die nächste Tagung der APD findet vom 18. bis 21. Oktober 2020 in Saarbrücken statt.

Änderungen bei der APD

Um auch zukünftig die rechtlichen und finanztechnischen Anforderungen an die APD sicherzustellen, war die Erstellung einer Satzung als Berufsverband e. V. erforderlich. Sie wurde in der konstituierenden Sitzung einstimmig verabschiedet und tritt nach Eintragung ins Vereinsregister zum 1. Januar 2020 in Kraft.

Auch im Vorstand der APD gibt es zum Jahresende Veränderungen: Die hochverdienten Vorstandsmitglieder Dr. Ute Stapel und Dr. Wolfgang Kircher scheiden ruhestandsbedingt aus. Dafür wurden als 2. Vorsitzende Amtsapothekerin Kerstin Schack, Rhein-Sieg-Kreis, und als Beisitzer Marco Bubnick, Schwerin, einstimmig nachgewählt. Die ausgezeichnete Vorbereitung der Tagung und des Rahmenprogramms, in Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister, und die Finanzen lagen beim Schatzmeister der APD, Dr. Walter Taeschner, in bewährten Händen. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle dem Vorstand der APD, Dr. Ute Stapel, Dr. Wolfgang Kircher, Dr. Walter Taeschner und Christian Züllich, für die Vorbereitung, Unterstützung und Durchführung der Tagung. Die APD bedankt sich für die freundliche Unterstützung der Tagung bei: ABDA, Landesapothekerkammer Hessen, Alliance Healthcare, Sanacorp, Avoxa, Wepa und VSA. Ein herzliches Dankeschön ebenso an die Treuhand Hannover mit Dr. Diener, für die rechtliche und steuerliche Prüfung der Satzung. |

Christian Bauer, Vorsitzender der APD

Resolutionen 2019 der APD

Einstimmig verabschiedet von der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands APD in Kassel am 9. Oktober 2019 anlässlich der Jahrestagung vom 6. bis 9. Oktober 2019.

Die APD betrachtet die öffentliche, inhabergeführte Apotheke vor Ort als die tragende und unersetzbare Säule in der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, die nicht durch andere Vertriebsformen gefährdet werden darf.

Deshalb wurden auf der Tagung folgende Punkte beschlossen (aus Vereinfachungsgründen wurde bei Berufsbezeichnungen die maskuline Form gewählt):
 

  • Vorrang der Arzneimittelsicherheit

Die Gesundheit der Bevölkerung und die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln sind ein wertvolles Gut, das nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen werden darf. Merkantile Wettbewerbsinteressen dürfen nicht über dem Gesundheitsschutz stehen.

Der Umgang mit Arzneimitteln erfordert einen hohen Sicherheitsstandard. Deshalb ist die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung den Apotheken übertragen.

Diese Tätigkeit setzt die Abgabe von Arzneimitteln aus den öffentlichen Apotheken durch pharmazeutisches Personal unter Verantwortung eines approbierten Apothekers zwingend voraus. Jegliche Gesetzgebung muss diese Forderungen berücksichtigen.

Die Arzneimittelsicherheit darf nicht Convenience-Überlegungen geopfert werden.
 

  • Plattformen

Die Ausgestaltung und das Betreiben digitaler Plattformen dürfen den rechtlichen Vorschriften, die die Apotheke betreffen, nicht entgegenstehen.

Insbesondere muss gewährleistet sein:

  • Keine Bevorzugung einzelner Leistungserbringer
  • Offen für alle Apotheken ohne Zugangsbeschränkung
  • Keine Zuweisung, Steuerung, Lenkung oder Makeln von Rezepten, Bestellungen usw.
  • Freie und unbeeinflusste Auswahl der Apotheke durch den Kunden
     
  • PTA

Die PTA darf nach Auffassung der APD in allen, einschließlich externen, Betriebsräumen der Apotheke nur unter der Aufsicht eines persönlich anwesenden Apothekers arbeiten.
 

  • Überwachung der „Grenzapotheken“

In den Niederlanden haben Versandapotheken an der Grenze zu Deutschland durch die niederländischen Behörden den Status „Grenzapotheken“ erhalten und sollen nach den Vorschriften des Landes überwacht werden, in das diese Versandapotheken hauptsächlich oder ausschließlich liefern. Diese Überwachung findet bisher nicht statt.

Die APD fordert die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass auch diese Versandapotheken in die Überwachung mit einbezogen werden, um die Arzneimittelsicherheit und den Verbraucherschutz zu gewährleisten.
 

  • Lagertemperatur § 4 Abs. 2d ApBetrO

In der Apotheke ist die Einhaltung der vorgeschriebenen Lagertemperatur für Arzneimittel und Medizinprodukte sicherzustellen, zu überwachen, zu dokumentieren und diese Dokumentation zu archivieren (z. B. für Ziehschränke, Automat, Offizin, Kühlschrank, Rezeptur).

Dazu ist auch erforderlich, dass Ausmaß und Zeitspanne der Abweichungen von den vorgeschriebenen Lagertemperaturen festgestellt und aufgezeichnet werden. Zur Überwachung der Lagertemperaturen entsprechen nach Auffassung der APD kalibrierte Datenlogger, möglichst webbasiert, dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik.

Auch im Botendienst der Apotheke sind die Einhaltung der vorgeschriebenen Lagertemperaturen und ggf. deren Nachweis zwingend erforderlich.
 

  • Identitätsprüfung Ausgangsstoffe § 11 Abs. 2 ApBetrO

Die Identitätsprüfungen für Ausgangsstoffe sind auch bei vorliegenden validen Prüfzertifikaten nach anerkannten pharmazeutischen Regeln durchzuführen. Die Prüfung der Eigenschaften reicht nicht aus. Die Ergebnisse der durchgeführten Prüfungen sind zu dokumentieren.

Die Qualität der durchgeführten Prüfungen ist auch ein Hinweis auf die Qualität der Apotheke.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.