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Arzneimittel und Therapie
Gesunde Zähne, geringerer IQ?
Fluorid-Zufuhr während der Schwangerschaft in der Diskussion
Fluor bzw. Fluorid galt lange Zeit als essenzielles Spurenelement. Dieser Status wurde ihm mittlerweile wieder aberkannt, nachdem keine unverzichtbare Funktion für Wachstum und Entwicklung des Körpers und keine klinischen Symptome eines Mangels nachgewiesen werden konnten. Wissenschaftlich unbestritten ist, dass Fluorid der Demineralisation der Zahnhartsubstanzen entgegenwirken und die Remineralisation fördern kann. Fluoride lagern sich präeruptiv und posteruptiv in den Zahnschmelz ein. Auch direkte Einflüsse auf die Mundflora sind denkbar, etwa durch eine antibakterielle Wirkung von Fluorid. Zahncremes enthalten aus diesem Grund Natriumfluorid, Zinn(II)-fluorid oder Aminfluoride. Nach Meinung der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) soll bereits der erste Milchzahn mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta geputzt werden. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGK) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfehlen dagegen Fluorid-Tabletten in den ersten Lebensjahren, dafür sollte auf fluoridhaltige Zahnpflegeprodukte verzichtet werden.
Wie viel Fluorid braucht Deutschland?
So oder so: Ohne Fluorid geht es nicht – zumindest in Deutschland. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt im Säuglingsalter weniger als 0,5 mg Fluorid pro Tag, ab 19 Jahren eine Gesamtzufuhr von 3,1 mg/Tag, dies gilt auch für Schwangere und Stillende. Natürliche Fluorid-Quellen sind Milch, Tee (vor allem schwarzer und grüner) und Mineralwässer, die ab einem Gehalt von 1,5 mg/l als „fluoridhaltig“ gekennzeichnet sein müssen. In manchen Gegenden Deutschlands (z. B. in der Eifel) weist das Trinkwasser von Natur aus einen hohen Fluorid-Gehalt (> 1 mg/l) auf. Ab einem Trinkwassergehalt von 0,7 mg/l sollten laut DGE weder Fluorid-Tabletten noch Speisesalz mit Fluorid konsumiert werden.
Fluorid im Trinkwasser – ein Für und Wider
Zu Zeiten des geteilten Deutschlands gab es sowohl in der BRD als auch in der DDR Orte, deren Trinkwasser mit Fluorid angereichert wurde, um der „Volkskrankheit Karies“ vorzubeugen. Wie die meisten europäischen Staaten ist die Bundesrepublik heute von dieser Maßnahme abgerückt. In Singapur und Hongkong sowie Teilen der USA, von Kanada, Australien, aber auch Irland und Großbritannien wird die Trinkwasserfluoridierung nach wie vor praktiziert. Befürworter sehen die positiven Auswirkungen auf die Zahngesundheit im Vordergrund. Kritiker halten die Trinkwasseranreicherung für eine medizinische Intervention, die ein individuelles Einverständnis voraussetzen müsste. Zumal zu viel Fluorid auch schaden kann: Bei einer Dentalfluorose treten weiße bis braune Verfärbungen in Form von Flecken oder Streifen auf, die nicht nur kosmetisch störend sind, sondern auch die Zahnschmelzoberfläche schädigen.
Signifikante Assoziationen
Und es kommen weitere Zweifel an dieser Maßnahme auf: In einer aktuellen prospektiven Kohortenstudie aus Kanada untersuchte eine Arbeitsgruppe um Rivka Green die Auswirkungen von Fluorid in der Schwangerschaft. Eingeschlossen wurden 601 Mutter-Kind-Paare aus sechs Großstädten. 141 Schwangere lebten in Haushalten mit fluoridiertem Trinkwasser. Im Vergleich zu 228 Frauen aus Haushalten ohne Trinkwasserfluoridierung wurden bei ihnen signifikant höhere Urinkonzentrationen (0,69 mg/l vs. 0,40 mg/l) gemessen. Zudem wurde bei den werdenden Müttern anhand von Fragebögen eine höhere tägliche Fluorid-Zufuhr ermittelt (0,93 vs. 0,30 mg Fluorid/Tag). Bei ihrem Nachwuchs zeigte sich abhängig vom Geschlecht eine signifikante Assoziation zwischen den mütterlichen Fluorid-Konzentrationen im Urin und den kognitiven Fähigkeiten der Kinder. Ein Anstieg um 1 mg/l war mit einem um 4,49 Punkte schlechteren IQ-Score bei Jungen verbunden – aber nicht bei Mädchen. Eine um 1 mg höhere tägliche Fluorid-Zufuhr während der Schwangerschaft war sowohl bei Jungen als auch Mädchen mit einem um 3,66 Punkte schlechteren IQ-Score verbunden. Die Studienautoren schlussfolgern, dass sich eine hohe mütterliche Fluorid-Exposition ungünstig auf die Intelligenz der Kinder im Alter zwischen drei und vier Jahren auswirkt, und empfehlen, den Konsum von fluoridiertem Trinkwasser während der Schwangerschaft zu reduzieren.
Vorsicht ja, Panik nein
Die Studie weist einige Limitationen auf. So wurde die Fluorid-Konzentration im mütterlichen Urin nur punktuell in der 12., 20. und 34. Schwangerschaftswoche gemessen (Spot-Urin). Fluorid ist für seine kurze Halbwertszeit bekannt, außerdem lassen sich durch diesen Messparameter keine genauen Rückschlüsse auf die kindliche Exposition ziehen. Der IQ der Mutter war in allen Fällen unbekannt. Die Fluorid-Aufnahme aus fluoridiertem Trinkwasser schätzten die Wissenschaftler nur über die Zuordnung der Mütter zu bestimmten Wohngebieten über die Postleitzahl sowie einen Fragebogen.
Hellhörig sollte man dennoch werden. Denn dies ist nicht die erste Studie, die Fluorid unter Verdacht stellt. Bereits im Jahr 2012 kamen Choi et al. anhand einer Metaanalyse mit 27 epidemiologischen Studien zu dem Ergebnis, dass eine hohe Fluorid-Aufnahme über das Trinkwasser mit einer niedrigeren kindlichen Intelligenz assoziiert ist. Allerdings stammten die meisten Studien aus Gegenden mit besonders hohen Fluorid-Konzentrationen (0,88 bis 31,6 mg/l). 2017 zeigten Bashash et al. in der ELEMENT-Studie (Early Life Exposures in Mexico to Environmental Toxicants) anhand der Daten von 299 mexikanischen Mutter-Kind-Paaren, dass die vierjährigen Kinder von Müttern mit einem höheren Fluorid-Gehalt im Urin während der Schwangerschaft einen niedrigeren General Cognitive Index (GCI) im McCarthy Scales of Children’s Abilities (MSCA) Test aufwiesen. Im Alter von sechs bis zwölf Jahren erreichten die Schulkinder auch im Wechsler Abbreviated Scale of Intelligence (WASI) Test niedrigere IQs. Anders als die Ergebnisse von Green et al. ergab sich in diesen Studien jedoch kein Unterschied zwischen den Geschlechtern.
Lokale Anwendung empfohlen
Die Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK) reagierte auf die jüngste Publikation mit einer offiziellen Stellungnahme – das Fazit: In Deutschland bestehe kein Zusammenhang zwischen der systemischen Fluorid-Aufnahme bei Schwangeren und dem IQ der Kinder, da die Quellen für Fluorid hierzulande begrenzt sind. In der Studie war die systemische Aufnahme von Fluorid über das Trinkwasser vergleichsweise hoch. Bei Nutzung von fluoridiertem Speisesalz nehmen die Deutschen etwa 0,1 mg aus dieser Quelle auf, hinzu kommen etwa 0,24 mg aus dem natürlichen Fluorid-Gehalt des Trinkwassers. In der Summe ergibt sich daraus ein Wert von etwa 0,34 mg/Tag, der im Bereich der Aufnahme der Mütter in der Kanada-Studie in Regionen ohne Trinkwasserfluoridierung (0,30 mg/Tag) liegt, aber weit unterhalb der Werte bei Trinkwasserfluoridierung (0,93 mg/Tag).
Die deutschen Zahnmediziner empfehlen für Schwangere ausschließlich Maßnahmen der lokalen Fluoridierung der Zahnoberflächen (mit Zahnpasten, Mundspüllösungen, Gelees oder Lacken), die zum größten Teil wieder ausgespuckt werden und wenn überhaupt nur kurzfristig zu einer geringen Erhöhung der Fluorid-Konzentration im Plasma und Urin führen. Einer entsprechenden Studie zufolge ist der ursprüngliche Plasmaspiegel nach acht Stunden wieder erreicht. Gesunde Zähne sind in der Schwangerschaft unverzichtbar, da davon nicht nur die orale Gesundheit der Mutter abhängt, sondern auch die allgemeine Gesundheit des Kindes. Eine pränatale Fluorid-Prophylaxe scheint indes keine ausgeprägte kariespräventive Wirkung auf die Milchzähne des Kindes zu haben.
Professor Helmut Schatz von der Ruhr-Universität Bochum hat die Diskussion um die Auswirkungen von Fluorid in der Schwangerschaft im Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) in den letzten Jahren verfolgt. Sein Kommentar auf Seite 22 zeigt, dass sich an Fluorid nach wie vor die Geister scheiden. |
Literatur
S2k-Leitlinie Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe, 2013. AWMF-Register Nr. 083/0012013 (Leitlinie wird zurzeit überprüft)
Green R et al. Association Between Maternal Fluoride Exposure During Pregnancy and IQ Scores in Offspring in Canada. JAMA Pediatr 2019; doi:10.1001/jamapediatrics.2019.1729
Choi AL et al. Developmental fluoride neurotoxicity: a systematic review and meta-analysis. Environ Health Perspect 2012;120(10):1362-1368
Bashash M et al. Prenatal Fluoride Exposure and Cognitive Outcomes in Children at 4 and 6 – 12 Years of Age in Mexico. Enviromental Heal Perspect 2017;125(9):097017
Schiffner U. Zahnärztliche Fluoridierungsmaßnahmen in der Schwangerschaft sind sicher! Artikel auf zm online vom 06. Dezember 2017. www.zm-online.de
Ekstrand J et al. Plasma fluoride concentration and urinary fluoride excretion in children following application of the fluoride-containing varnish Duraphat. Caries Res 1980;14(4):185–189
Leverett DH et al. Randomized clinical trial of the effect of prenatal fluoride supplements in preventing dental caries. Caries Res 1997;31(3):174–179
Stellungnahme der Informationsstelle für Kariesprophylaxe zu Fluorid-Studien aus Nordamerika: Beeinträchtigt die Fluoridaufnahme in der Schwangerschaft den IQ von Kindern, und schädigen Fluoride Leber und Nieren? Presseinformation vom 14. Oktober 2019
Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), verfügbar unter https://blog.endokrinologie.net
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