Arzneimittel und Therapie

Blutdrucksenker zur Nacht

Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse lässt sich deutlich reduzieren

cst | Besser morgens oder abends schlucken? Diese Frage sollte sich bei Blutdrucksenkern nach der jüngsten Untersuchung zum Einnahmezeitpunkt nicht mehr stellen. Mit der Einnahme vor dem Schlafengehen kann nicht nur das nächtliche Blutdruckprofil signifikant verbessert werden, auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen wird verringert.

Der Blutdruck unterliegt starken tages­zeitlichen Schwankungen. Nachts werden üblicherweise niedrigere Werte gemessen, in den Morgenstunden steigt der Blutdruck dann wieder an. Aus diesem Grund empfehlen viele Ärzte die morgendliche Einnahme von Antihypertensiva. Sinnvoll ist dieses Vorgehen jedoch nicht, wie die Ergebnisse des Hygia Chronotherapy Trial belegen [1]. Bereits zuvor hatten die Wissenschaftler des spa­nischen Forschungsnetzwerks „Hygia Project“ gezeigt, dass niedrige nächtliche Blutdruckwerte mit einem geringeren kardiovaskulären Risiko assoziiert sind (s. DAZ 2018, Nr. 42, S. 24) [2]. Zudem gab es Hinweise aus klinischen Studien, dass die abendliche Einnahme von Antihypertensiva mit einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verknüpft ist. Eine großangelegte Langzeitbeobachtung unter Alltagsbedingungen fehlte bislang jedoch.

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Vor dem Schlafengehen eingenommen können Antihypertensiva ihre schützende Wirkung am besten entfalten.

Effekte im Alltag untersucht

In der nun veröffentlichten Untersuchung, an der 40 spanische Zentren beteiligt waren, wurden mehr als 19.000 Studienteilnehmer über einen Zeitraum von 6,3 Jahren im Median beobachtet. Die Studie folgte einem PROBE-Design: Sie wurde prospektiv, randomisiert, offen – aber mit Verblindung der Endpunkte – durchgeführt. Eingeschlossen wurden 10.614 Männer und 8.470 Frauen kaukasischer Abstammung. Im Schnitt waren sie 60,5 Jahre alt. Bei allen Teilnehmern war anhand einer ambulanten 48-h-Blutdruckmessung eine Hypertonie diagnostiziert worden. Die Probanden wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt: Sie wurden angewiesen, ihre gesamte antihypertensive Medikation entweder vor dem Schlafengehen oder nach dem Aufstehen zu nehmen. Die Auswahl und Verordnung der blutdrucksenkenden Therapie (Angiotensin-Rezeptor-Blocker, ACE-Hemmer, Calcium-Kanalblocker und/oder Diuretika) oblag dem behandelnden Arzt. Die Medikation konnte im Verlauf der Studie nach Bedarf angepasst werden.

Niedriger nächtlicher Blutdruck

Während der Studie wurde mindestens einmal im Jahr eine ambulante Blutdruckmessung über 48 Stunden durchgeführt. Bei der letzten Messung zeigten sich signifikante Unterschiede im nächtlichen Blutdruck während der Schlafenszeit: Patienten, die ihre antihypertensive Medikation zur Nacht einnahmen, wiesen im Schnitt niedrigere systolische und diastolische Werte auf als Patienten mit morgendlicher Einnahme (114,7 / 64,5 mmHg vs. 118,0 / 66,1 mmHg). Die blutdrucksenkende Wirkung während des Tages wurde durch die abendliche Einnahme nicht vermindert. Zudem war der Anteil an Patienten ohne nächtlichen Blutdruckabfall, sogenannte „Non-Dipper“, in der Gruppe mit abendlicher Einnahme geringer als in der Gruppe mit morgendlicher Einnahme (37,5% vs. 50,3%). „Non-Dipper“ besitzen im Vergleich zu Personen, bei denen der Blutdruck während des Schlafs physiologisch abfällt, bekanntermaßen ein erhöhtes Risiko für Endorganschäden.

Weniger Komplikationen

Die Unterschiede im nächtlichen Blutdruck spiegelten sich dann auch tatsächlich im Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen wider: Bei Patienten mit abendlicher Einnahme der Antihypertensiva war das Risiko nahezu halbiert. Unter Berücksichtigung bekannter Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Cholesterol-Spiegel, Typ-2-Diabetes oder Nierenerkrankungen errechneten die Wissenschaftler für den primären Endpunkt eine Hazard Ratio von 0,55 (95%-Konfidenzintervall 0,50 bis 0,61). Bei Betrachtung der einzelnen Komponenten zeigte sich eine Reduktion des Risikos für Herzinfarkt um 44%, für koronare Revaskularisation um 40%, für Herzinsuffizienz um 42% und für Schlaganfall um 49%. Das Risiko, an einer kardiovaskulären Ursache zu versterben, war sogar um 66% re­duziert.

Die Einnahme der blutdrucksenkenden Medikation zur Nacht war mit weiteren positiven Effekten verbunden: Zum einen profitierten die Patienten von einer besseren Nierenfunktion, zum anderen wiesen sie ein günstigeres Lipidprofil mit niedrigeren LDL-Cholesterol- und höheren HDL-Cholesterol-Werten auf als die Patienten, die ihre Medikation nach dem Aufwachen einnahmen.

Keine Sicherheitsbedenken

Mögliche Sicherheitsbedenken konnten die Studienautoren entkräftigen: Im Hinblick auf unerwünschte Ereignisse zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Nächtliche Hypotonien wurden während des gesamten Beobachtungszeitraums lediglich bei 39 Patienten mit morgendlicher Einnahme und bei 26 Patienten mit abendlicher Einnahme anhand von ambulanten Blutdruckmessungen bestätigt.

Trotz dieser überzeugenden Daten weist die Studie auch einige Einschränkungen auf: So wurden nur Patien­ten mit einem geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus berücksichtigt. Ob auch Schichtarbeiter von einer abendlichen Einnahme profitieren, bleibt unklar. Zudem wurden die Teilnehmer nicht einer bestimmten antihypertensiven Therapie zugeteilt. Obwohl die Unterschiede insgesamt gering ausfielen, so waren doch nicht alle Substanzklassen in den beiden Gruppen gleich häufig vertreten. Auch ist die Übertragbarkeit auf Populationen mit einem anderen ethnischen Hintergrund fraglich.

Protektive Wirkung

Dennoch zeigen die Ergebnisse eindrücklich, dass der nächtliche Blutdruck als wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Ereignisse angesehen werden kann. So kommt Erstautor Ramón Hermida von der Universität Vigo zu dem Schluss [3]: „Folglich sollten Rund-um-die-Uhr-Blutdruckmessungen empfohlen werden, um die echte arterielle Hypertonie zu diagnostizieren und um das Risiko einer solchen Erkrankung einzuschätzen. Zusätzlich wirken sich sowohl die Absenkung der durchschnittlichen Blutdruckwerte während des Schlafes als auch die Annäherung des relativen Blutdruckabfalls während der Schlafenszeit an ein normales ‚Dipping-Profil‘ in signifikantem Maß protektiv aus und stellen so ein gemeinsames neues Ziel zur Reduktion kardiovaskulärer Risiken dar.“ |

Literatur

[1] Hermida RC et al. Bedtime hypertension treatment improves cardiovascular risk reduction: the Hygia Chronotherapy Trial. Eur Heart J 2019; doi: 10.1093/eurheartj/ehz754

[2] Hermida RC et al. Asleep blood pressure: significant prognostic marker of vascular risk and therapeutic target for prevention. Eur Heart J 2018;doi: 10.1093/eurheartj/ehy47

[3] Bed time is the best time to take blood pressure medication. Pressemitteilung der European Society of Cardiology (ESC) vom 23. Oktober 2019. www.escardio.org; Abruf am 25. Oktober 2019

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