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Biografie
Theodor Fontane und die Pharmazie
Ein zwiespältiges Verhältnis
Theodor Fontanes distanziertes Verhältnis zur Pharmazie hing eng mit seinem Vater, Louis Henri Fontane (1796 – 1867), zusammen. Nach einer Lehre in der Berliner Elefanten-Apotheke und dem Staatsexamen zum Apotheker Zweiter Klasse 1819 erwarb dieser die Löwen-Apotheke in Neuruppin, in der Theodor Fontane auch geboren wurde. In einem Brief an Karl Zöllner vom 15. Juli 1866 beschreibt Theodor Fontane seinen Vater als einen „eigentlich [...] schief gewickelten oder ins apothekerhaft übersetzten Weltweisen“ [4]. Er war viel eher ein Künstler, dem allerdings Ehrgeiz und Kraft zur wirklichen Leistung fehlten. Jedoch schildert Fontane ihn später als Geschichtenerzähler und Plauderer. Louis Henri Fontane wurde indes seine Spielleidenschaft zum Verhängnis; am Whisttisch soll er 10.000 Taler verloren haben [5]. Dies zwang ihn 1826 dazu, die Apotheke in Neuruppin zu verkaufen. Ein Jahr später veräußerte er diese wieder und erwarb die Adler-Apotheke in Swinemünde, 1837 eine noch kleinere in Mühlberg an der Elbe und schließlich 1838 die Offizin in Letschin. Sein sozialer Abstieg endete 1850 mit der Trennung von seiner Frau und dem Verkauf der Apotheke in Letschin an seinen Schwiegersohn Hermann Sommerfeldt. Die prekären finanziellen Verhältnisse machten es Theodor Fontane später unmöglich, eine Apotheke zu erwerben. Der junge Fontane empfand den Apothekerberuf daher als „Deklassierung“. In einem Brief an Bernhard von Leppel schreibt er resignierend: „Man ließ mich Apotheker werden, weil man das Geld verprassen wollte, was zur Ausbildung der Kinder hätte verwendet werden müssen“ [6]. Bis zum siebzehnten Lebensjahr hatte Fontane zuvor die Gewerbeschule in Friedrichswerder besucht, an der er einen guten Botanik-Unterricht bei Johann Friedrich Ruthe (1788 – 1859) erhielt [7].
Fontanes Lehrzeit
Theodor Fontane begann seine Lehrzeit Ostern 1836 in der „Apotheke zum weißen Schwan“ bei Wilhelm Rose, dem Sohn des wissenschaftlich sehr erfolgreichen Valentin Rose d. J. (1762 – 1807) [8]. Wilhelm Roses Brüder Heinrich (1795–1864) und Gustav Rose (1798 – 1873) waren Professoren für Chemie bzw. Mineralogie an der Berliner Universität. In seiner Autobiographie „Von Zwanzig bis Dreißig“ bemerkte Fontane über ihn: „Sein Vater war ein ausgezeichneter Mann gewesen, und seine beiden Brüder, Heinrich und Gustav Rose, waren es noch. Unter diesen beiden Berühmtheiten bewegte er sich als Unberühmter, immer beinah krampfhaft bemüht, sich durch irgendwas Apartes als ein Ebenbürtiger neben ihnen einzureihn“ [9]. Wilhelm Rose hielt sich selbst für einen bedeutenden Mann, Fontane hingegen charakterisierte ihn als einen „Bourgeois mit Geldsackgesinnung“ und „ein[en] Mann, der Apotheker hieß, während er doch eigentlich keiner war, weil er sich eben zu gut dafür hielt.“ Fontane warf ihm auch Sparsamkeit am falschen Ende vor: „Vierundeinhalbes Jahr lang hab‘ ich ihm in die Karten sehen können. Er war der Mann der ewigen sittlichen Entrüstung, und doch, wenn beispielsweise f e i n e r e, also kostspieligere Drogen, an deren Beschaffenheit etwas hing, zu Kauf standen – ich mag hier keine Details geben –, so wurde daran nicht selten gespart, gespart also an Dingen, an denen schlechterdings nicht gespart werden durfte“ [10].
Fontanes pharmazeutische Arbeit ließ sich gelegentlich mit Poesie verbinden: „Der alte Wilhelm Rose hatte geschäftliche Beziehungen nach England hin, und diese Beziehungen trugen ihm [...] enorme Bestellungen auf einen ganz bestimmten Artikel ein. Dieser Artikel hieß Queckenextrakt oder Extractum Graminis. [...] Mir fiel die Herstellung desselben zu, und so saß ich denn, tagaus, tagein, mit einem kleinen Ruder in der Hand, an einem großen eingemauerten Zinnkessel, in den ich, unter beständigem Umherpätscheln, die Queckensuppe kochte. Schönere Gelegenheit zum Dichten ist mir nie wieder geboten worden“ [11]. Neben Gedichten erschien 1839 seine erste Novelle, „Geschwisterliebe“, in der der ehemalige Apotheker Kämmerer vorkommt [12].
Obwohl Fontane schon in dieser Zeit großes Interesse an literarischen Dingen zeigte, war er ein tüchtiger Lehrling. Rose betonte 1840 in seinem Zeugnis, dass er „die ihm obliegenden Geschäfte [...] mit Eifer und Treue [versah] und [...] seine Mußestunden fleißig zum Studium pharmazeutischer und anderer, damit verbundener Wissenschaften“ nutzte [13]. Noch dreizehn Jahre später erinnert sich Fontane an den hektischen Betrieb in der Apotheke, wie er einem Freund berichtet: „Sputen Sie sich! Wiegen Sie genau aus! Denken Sie, die China-Pomade kostet dem Herrn X.Y. kein Geld? Mein Gott lassen Sie doch das schöne Kind nicht so lange warten; Sie sehen ja, sie hat Eile“ [14]. 1840 bestand Fontane das Gehilfenexamen. Der Stadtphysikus Dr. Natorp bescheinigte ihm „gute Kenntnisse der Chemie, Pharmazie, Botanik und Latinitaet“ [15].
Der junge Apothekergehilfe
Seine erste Stelle in Burg bei Magdeburg gefiel Fontane nicht, da sich der Besitzer Dr. Kannenberg als überaus sparsam erwies und der Ort ihm öde erschien [16]. So war er froh, zum 1. April 1840 in die „Apotheke zum weißen Adler“ in Leipzig bei Apotheker Ludwig August Neubert eintreten zu können. Darüber berichtet er: „Durch die ganze Tiefe zog sich der sogenannte Rezeptiertisch mit seinen vier Plätzen. Den ersten Platz nahm der etwas dickliche ältere Herr ein, der mich am Tage vorher empfangen hatte. Platz Nummer zwei (für mich bestimmt) war leer, auf Nummer drei und vier aber standen zwei junge Herren meines Alters, ein schwarzer und ein blonder, beide, wie auch der Herr auf Nummer eins, ausgesprochene Sachsen. Man begegnete mir sehr artig, freilich auch mit Zurückhaltung“ [17]. Aber auch der neue Prinzipal zeigte nur geringes Interesse an der Pharmazie, wie Fontane berichtet: „Ich war noch kaum installiert, als ich von einem schon im Hofflügel gelegenen Hinterzimmer her meinen Gönner und nunmehrigen Prinzipal Neubert in unser ‚Refektorium‘ eintreten sah. Ich dachte, er käme mich zu begrüßen; aber er begnügte sich damit, mir freundlich zuzunicken und mir zweimal einen ‚guten Morgen‘ zu wünschen. Und dann war er auch schon durch die Fronttür wieder verschwunden. Der ganze Geschäftskram war ihm höchst langweilig, und nun gar erst Klagen oder Wünsche mit anhören! Er war der reine Mikado. Das Mühselige des Regierens überließ er seinem Taikun, dem dicklichen Herrn auf ‚Platz Nummer eins‘“ [18]. In Leipzig wohnte er zwar mit drei Kollegen in einem armseligen Hinterhauszimmer, pflegte aber Kontakte zu Schriftstellern und literarisch interessierten jungen Männern, so zu dem Medizinstudenten Wilhelm Wolfsohn (1820 – 1865) [19].
1842 wechselte Fontane zu Dr. Gustav Adolf Struwe (1812 – 1889) in die Salomonis-Apotheke Dresden, die seit 1818 mit einer Mineralwasseranstalt verbunden war. Über ihn bemerkte Fontane: „Struwe galt als absolute Nummer eins in Deutschland, ich möchte fast sagen in der Welt, und verdiente diesen Ruf auch.“ Auch von diesem erhielt Fontane ein gutes Zeugnis: „Herrn Fontanes Moralität, deßen wißenschaftliche und praktische Ausbildung, seine aufopfernde Tätigkeit in Erfüllung der ihm obliegenden Geschäfte verpflichten mich zum Ausspruch des vollkommensten und unbedingtesten Lobes“ [20]. Auch Richard Kersting, Sohn des bekannten Malers Friedrich Georg Kersting (1785 – 1847), bestätigt, dass Fontane „bei alledem ein recht tüchtiger Apotheker“ war [21].
Im Frühjahr 1843 wechselte Fontane in die väterliche Apotheke in Letschin. Hier plante er, das Abitur nachzuholen, um anschließend Geschichte zu studieren. In Letschin bereitete er auch ein „Aqua Fontana“, ein natürliches Quellwasser, das der Vater aus dem Nachbarort Gusow leicht parfümiert in Flaschen abfüllen ließ und als heilkräftiges Schönheitswasser verkaufte. Im Zeugnis des Vaters heißt es: „mein ältester Sohn Theodor Fontane, [...] hat vom 1ten April 1843 bis dahin 1844, die Defectar=Stelle in meiner hiesigen Apotheke mit rühmlichem Eifer und zu meiner völligen Zufriedenheit verwaltet“ [22]. Der Ort Letschin und ein dort gefundenes Skelett boten die Anregung für Fontanes 1885 erschienene Novelle „Unterm Birnbaum“ [23].
Nach dem Militärdienst arbeitete Theodor Fontane ab 1845 in der Polnischen Apotheke in Berlin von Julius Edmund Schacht (1804 – 1871). Er trat dem Sonntagsverein „Tunnel über der Spree“ bei, verfasste erste Balladen, vernachlässigte aber seinen Beruf keinesfalls, denn auch Schacht attestierte ihm „Accuratesse und Pünktlichkeit in der Receptur.“ Eine enge Freundschaft entwickelte sich zu dem Apothekerlehrling Friedrich Witte (1829 – 1893), den er in den Sonntagsverein einführte und zu Gedichten anregte [24]. Witte, der 1853 zum Dr. phil. promoviert wurde und die Rostocker Hirsch-Apotheke übernahm, widmete sich ab 1862 der Großherstellung von Arzneimitteln, darunter auch dem sehr beliebten „Witte-Pepton“. Später war er Reichstagsabgeordneter und blieb Fontane [25] und besonders auch dessen Tochter Martha freundschaftlich verbunden [26].
Zur Vorbereitung auf das Apothekerexamen besuchte Fontane das Privatlaboratorium des Apothekers Franz Leopold Sonnenschein (1817 – 1879). Das Examen bestand er mit „gut“. In seiner Autobiographie erwähnt er nur die Prüfung in Botanik bei Heinrich Friedrich Link (1767 – 1851). Am 2. März 1847 erhielt Theodor Fontane seine Approbation als Apotheker Erster Klasse [27].
Approbierter Apotheker
Im September 1847 trat Fontane in die „Jungsche Apotheke zum Schwarzen Adler“ in Berlin ein. Hier erlebte er ein ganz anderes Publikum, „viel Proletariat mit vielen Kindern. Für letztere wurde seitens der Armenärzte meist Lebertran verschrieben, [...] und ich habe während meiner ganzen pharmazeutischen Laufbahn nicht halb so viel Lebertran in Flaschen gefüllt, wie dort innerhalb weniger Monate“ [28].
Fontane beabsichtigte in dieser Zeit, eine Apotheke zu erwerben, jedoch fehlte ihm dafür das erforderliche Kapital. Im Juni gab er schließlich die Gehilfenstelle auf [29]. Die Revolution von 1848 erlebte Fontane in Berlin. Um ihn von der Politik abzulenken, bot ihm Pastor Ferdinand Schultz (1811 – 1875), ein Freund von Fontanes Mutter und Geistlicher des Diakonissenkrankenhauses Bethanien in Berlin-Kreuzberg, eine Anstellung als Apotheker und Lehrer zweier Diakonissinnen an, um diese „zu Apothekerinnen auszubilden“. Schultz hatte über Fontane bemerkt: „Herr Fontane ist mir seit langem bekannt, und soweit das im Bereich meiner Beurtheilung liegt, völlig befähigt, den Unterricht mit Erfolg zu geben. Er wird außer dem practischen Unterricht am Receptiertische pp. den Schwestern wöchentlich vier Stunden in Chemie, Botanik u. s. w. ertheilen“ [30]. Der Arzt Dr. Bartels verwies auf Fontanes gute Zeugnisse und bemerkte, alle Voraussetzungen „bürgen für seine Qualification als Lehrer, welche bereits durch den Eifer und die planvolle Weise, mit welchen er diese Aufgabe übernommen hat, ihre Bestätigung findet“ [31]. Fontane selbst betont indes die Leichtigkeit, mit der er den Unterricht durchführte: „Meine Vortragsweise, wenn ich meiner Art zu sprechen diesen Namen geben durfte, war die plauderhafte, drin das wissenschaftliche nur so nebenher lief, während ich beständig Anekdoten und kleine Geschichten erzählte“ [32]. Die beiden Diakonissinen Emmy Danckwert und Aurelie von Platen legten die Prüfung vor dem Medizinalrat und Apotheker Johann Heinrich Julius Staberoh (1785 – 1858) mit der besten Note ab, was Fontanes Erfolg als Lehrer beweist. Laut Prüfungsprotokoll waren zahlreiche Arzneimittel, wie Kalium jodatum und nitricum, Chinin, Cinchonin, Strychnin, aber auch Digitalis und Belladonna, sowie Gifte zu erläutern. Staberoh resümierte: „Ich hatte bereits von vielen Seiten manches Rühmliche über den Grad der Bildung der zu Prüfenden vernommen, was ich aber, während dieses Examens von denselben vernahm und gesehen, war in der That ganz dazu geeignet, mein Erstaunen anzuregen“ [33]. Er lobte ihre chemischen Kenntnisse sowie ihr Wissen über zusammengesetzte Arzneimittel und über die Herstellung von Arzneiformen [34].
Nach Ablauf der Stelle und der Einsicht, dass aufgrund des fehlenden Kapitals der Erwerb einer Apotheke kaum möglich sein würde, beendete Fontane seine pharmazeutische Karriere. In seiner Autobiographie bemerkte er dazu: „Nach ernstlichem Erwägen kam ich endlich zu dem Schluß: es sei das Beste für mich, den ganzen Kram der Apothekerei an den Nagel zu hängen und mich, auf jede Gefahr hin, auf die eigenen zwei Beine zu stellen“ [35].
Abstand und Nähe zur Pharmazie
Fontane schrieb nun als freier Schriftsteller für Zeitungen. Auch wenn er zwischenzeitlich eine Anstellung annahm, lebte er überwiegend von seinen Artikeln und Büchern. Ob sich in seinen Werken tatsächlich „überall die Apothekerhand“ nachweisen lässt, wie Hans Rudolf Fromm behauptet, sei dahingestellt [36].
Obwohl er seine pharmazeutische Herkunft ungern erwähnte, besuchte er gern Apotheken, wie bei seiner Kur auf Norderney, von wo er seiner Frau schrieb: „Erst in die Apotheke. Hier traf ich Herrn Apotheker Ommen […]. Eine Inselgröße. Ich bat um ein Fläschchen Esprit de Menthe und bestellte mir für heut‘ ein großes Oxycroceum-Pflaster. Bei der Gelegenheit nannt‘ ich ihm meinen Namen und begann, diesen wie gewöhnlich zu buchstabieren. Er lehnte dies aber mit einer freundlichen Handbewegung ab und sagte nur, halb fragend, halb sich verneigend: ‚Theodor Fontane‘? Mit Betonung des Vornamens. Als ich meinerseits nur nickte und sozusagen meinen Prinzenstern zeigte, murmelte er allerlei dunkle Huldigungsworte, so daß ich die Apotheke mit dem Gefühl verließ, den größten Triumph meines Lebens erlebt zu haben“ [37].
Eine Nähe zur Pharmazie zeigt sein Alterswerk. 1892 war für Fontane „ein recht bitteres Jahr“ [38]; beginnend mit einer Influenza folgte eine Gehirnanämie oder Neurasthenie, verbunden mit einer Altersdepression [39]. Dazu kam die Angst, wie sein Vater mit 72 Jahren sterben zu müssen. Das Angebot, sich mit dem damals modernen Brown-Séquardschen Hodenextrakt behandeln zu lassen, lehnte Fontane mit der Skepsis eines Apothekers ab: „Mir widerstehen solche Mittel, die, wenn ich mich so ausdrücken darf, was geistreich ausgeklügeltes, beinah was Raffiniertes haben“ [40]. Sein Hausarzt, Wilhelm Delhaes (1843 – 1912), empfahl ihm, wieder zu schreiben: „Und wenn Sie sagen: ‚Ich hab ein Brett vorm Kopf, die Puste ist mir ausgegangen, mit der Romanschreiberei ist es vorbei‘, nun, dann sage ich Ihnen: wenn Sie wieder gesund werden wollen, schreiben Sie eben was anderes, zum Beispiel Ihre Lebenserinnerungen“ [41]. Fontane begann mit dem Abfassen des ersten Bandes „Meine Kinderjahre“ und schildert darin seinen Vater, nun in milderem Licht [42]: „Wenn ich gefragt würde, welchem Lehrer ich mich so recht zu Dank verpflichtet fühle, so würde ich antworten: meinem Vater, der sozusagen gar nichts wusste, mich aber mit dem aus Zeitungen und Journalen aufgepickten und über alle möglichen Themata sich verbreitenden Anekdotenreichtum unendlich viel mehr unterstützt hat als alle meine Gymnasial- und Realschullehrer zusammen genommen.“ Zugleich bemerkt er, dass er die „Neigung, im scherzhaften Tone mit Damen“ zu sprechen, von ihm geerbt und diese Neigungen in seine Schreibweise übernommen habe: „Wenn ich entsprechende Szenen in meinen Romanen und kleinen Erzählungen lese, so ist es mitunter, als höre ich meinen Vater sprechen“ [43].
Im zweiten autobiographischen Band „Von Zwanzig bis Dreißig“, der 1898 erschien, beschreibt er seinen Weg zum Schriftsteller, aber auch seine Ausbildung zum Apotheker. Mit dem ihm eigenen ironisch-distanzierten, aber doch versöhnlichen Blick schildert er die verschiedenen Apotheken und Prinzipale. Häufig nur skizzenhaft dargestellt ermöglicht er doch einen Einblick in den Alltag der deutschen Apotheke in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
1896 erschien schließlich sein Roman „Effi Briest“, in dem als Nebengestalt der Apotheker Dr. Alonzo Gieshübler vorkommt, „ein Mann von feinstem Empfinden“ und wohl der einzige wirkliche Mensch in dem Pommerschen Nest [44]. Gieshübler, der, „wenn es einen Apothekeradel gäbe, auf ihn Anspruch erheben könnte“, ist eine der sympathischsten Apothekergestalten der Weltliteratur, steht er doch für eine freie Menschlichkeit, und seine nur skizzenhafte Darstellung mündet in dem Satz: „Es wäre zu wünschen, dass es mehr Gieshübler gäbe“ [45]. Der Pharmaziehistoriker Georg Urdang bemerkte über diese Apothekerfigur: „Der Stimmungszauber des Berufes, in dem er, der Apothekersohn und langjährige Apotheker, im wahrsten Wortsinne aufgewachsen ist, hat in dem Schmelzprozeß des künstlerischen Schaffens die kalte Ratio völlig aufgelöst und eine Apothekergestalt entstehen lassen, wie sie die deutsche Literatur in gleicher Vollendung, in gleich treffsicherer Zeichnung der Vorzüge und Schwächen, der wahrhaft ‚apothekerlichen‘ Güte und Hilfsbereitschaft und der mehr rührenden als lächerlichen Mischung von Bescheidenheit und altfränkischer Würde kaum noch einmal aufzuweisen hat“ [46]. Vielleicht ist es diese Romanfigur, die Fontanes Versöhnung mit dem Apothekerberuf und der Pharmazie im vorgerückten Alter am besten widerspiegelt. |
Literatur
[1] Christoph Friedrich: Theodor Fontane: „Denn wie er zuletzt war, so war er eigentlich“. In: Pharmazeutische Zeitung 143 (1998), S. 3093–3100.
[2] Helmuth Nürnberger: Fontanes Welt. Eine Biografie des Schriftstellers. München 2007, S. 107.
[3] Christoph Friedrich: Apothekerliches in Fontanes Romanfragment „Allerlei Glück“. In: Geschichte der Pharmazie 44 (1992), S. 49–53.
[4] Ernst-Otto Denk, Helmut Otto, Volker Panecke: Louis Henri Fontane. Leben und Schicksal eines Dichtervaters. Werneuchen 2017, S. 46.
[5] Wolfgang Hädecke: Theodor Fontane. Biographie. München / Wien 1998, S. 20.
[6] Hädecke [wie Anm. 5], S. 27.
[7] Georg Schwedt: Der Dichter Theodor Fontane als Apotheker Erster Klasse. Eine Spurensuche zum 200. Geburtstag. Norderstedt 2019, S. 37–40.
[8] Otto Drude: Fontane und sein Berlin. Frankfurt a. M. / Leipzig 1998, S. 278f.
[9] Theodor Fontane: Autobiographische Schriften. Von Zwanzig bis Dreißig. Berlin 1981, S. 285.
[10] Fontane [wie Anm. 9], S. 284.
[11] Fontane [wie Anm. 9], S. 296f.
[12] Nürnberger [wie Anm. 2], S. 114f.
[13] Roland Berbig: „[...] ein Stück Doktor“ und „‘geschätzter Dichter‘ beim Pillen drehen“. Theodor Fontane auf medizinisch-pharmazeutischem Terrain. Ein Vortrag. In: Fontaneblätter 100 (2015), S. 112-127, hier S. 114 und Klaus-Peter Möller: „Sehr gute Kenntniße der Chemie Pharmacie Botanik und Latinität“. Fontanes Zeugnisse aus seiner Ausbildungszeit zum Apotheker als biografische Quellen. In: Fontane Blätter 73 (2002) S. 8–43, hier 21.
[14] Hans-Jürgen Schmelzer: Der junge Fontane. Berlin 1987, S. 41.
[15] Friedrich [wie Anm. 1], S. 3094.
[16] Schmelzer [wie Anm. 13], S. 52.
[17] Fontane [wie Anm. 9], S. 356.
[18] Fontane [wie Anm. 9], S. 357.
[19] Schmelzer [wie Anm. 13], S. 55 und Hädecke [wie Anm. 5], S. 64–66.
[20] Hans-Heinrich Reuter: Fontane. 2 Bde. Berlin 1968, Bd. 1, S. 143f.
[21] Nürnberger [wie Anm. 2], S. 155.
[22] Schmelzer [wie Anm. 13], S. 66f.
[23] Nürnberger [wie Anm. 2], S. 163f.
[24] Drude [wie Anm. 8], S. 352f.
[25] Irene R. Lauterbach: Friedrich Witte (1829 – 1893). Apotheker, pharmazeutischer Unternehmer und Reichstagsabgeordneter unter Berücksichtigung seiner Tagebücher. Stuttgart 2011, S. 122–128.
[26] Regina Dieterle: Die Tochter. Das Leben der Martha Fontane. München / Wien 2006, S. 97–112.
[27] Friedrich [wie Anm. 1], S. 3095f.
[28] Fontane [wie Anm. 9], S. 683.
[29] Nürnberger [wie Anm. 2], S. 215.
[30] Manfred Stürzbecher: Die Apothekenschwestern im Krankenhaus Bethanien und Theodor Fontane. Zur Geschichte der Dispensieranstalt in Bethanien. In: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 19 (1970), S. 85–105, hier S. 91.
[31] Stürzbecher [wie Anm. 30], S. 91.
[32] Friedrich [wie Anm. 1], S. 3097.
[33] Stürzbecher [wie Anm. 30], S. 99.
[34] Stürzbecher [wie Anm. 30], S. 99.
[35] Fontane [wie Anm. 9], S. 734–747.
[36] Hans Rudolf Fromm: Theodor Fontane. Pharmazeut und Dichter. In: Apotheker-Zeitung 62 (1950), S. 154f., hier 155.
[37] Fromm [wie Anm. 35], S. 155.
[38] Hädecke [wie Anm. 5], S. 358.
[39] Horst Gravenkamp: „Um zu sterben muß sich Herr F. erst eine andere Krankheit anschaffen“. Theodor Fontane als Patient. Göttingen 2004, S. 9–33.
[40] Hädecke [wie Anm. 5], S. 360.
[41] Reuter [wie Anm. 19], Bd. 2, S. 766.
[42] Claudia Liebrand: Das Ich und die andern. Fontanes Figuren und ihre Selbstbilder. Freiburg 1990, S. 30f.
[43] Friedrich [wie Anm. 1], S. 3098.
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