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Toxikologie

Klein, stark, schwarz …

Aktivkohle im Einsatz – nicht nur gegen Vergiftungen

Aktivkohle, häufig auch als A-Kohle oder medizinische Kohle (Carbo medicinalis) bezeichnet, ist eine sehr feinkörnige, poröse Kohle, die aufgrund ihrer großen inneren Oberfläche als Adsorptionsmittel in Chemie und Medizin, in der Wasser- und Abwasseraufbereitung sowie in der Lüftungs- und Klimatechnik Verwendung findet. Sie gehört zu den ältesten bekannten Arzneimitteln und wurde bereits vor mehr als 3000 Jahren von den Ägyptern bei Magen-Darm-Beschwerden, zur Reinigung von Wunden und zur Entgiftung eingesetzt. Auch in Kosmetika und Körperpflegeprodukten spielt sie heute eine zunehmende Rolle. Und sogar in manchen Lifestyle-Produkten der Lebensmittelindustrie ist der schwarze Inhaltsstoff enthalten. Doch was steckt hinter den viel gepriesenen positiven Eigenschaften dieses eigentlich doch eher ziemlich unreaktiven chemischen Elements? | Von Kurt Grillenberger 

Weltweit besteht ein Bedarf von rund zwei Millionen Tonnen Aktivkohle pro Jahr. Tendenz steigend. Auch die Aktivkohle-Importe nach Deutschland steigen seit Jahren. Wurden 2008 noch ungefähr 45.000 Tonnen Aktivkohle nach Deutschland gebracht, so waren es 2017 schon mehr als 70.000 Tonnen [1].

Herstellung: konventionell und regenerativ

Ausgangsstoff für die Gewinnung von Aktivkohle sind vor allem pflanzliche Materialien wie Holz, Torf, Baumrinde, Fruchtkerne oder Nussschalen. Man spricht in diesem Fall auch von Pflanzenkohle. Als Tierkohle werden Produkte bezeichnet, die durch Aktivierung von tierischem Blut oder Tierknochen hergestellt werden.

Auch mineralisches Material wie Stein- oder Braunkohle oder petrochemische Produkte wie Kunststoffe dienen zur Herstellung von Aktivkohle. Diese Materialien werden zunächst entweder durch chemische oder thermische Verfahren verkohlt. Dies geschieht im Allgemeinen entweder durch Behandlung mit Dehydratisierungsmitteln wie Zinkchlorid, Natronlauge oder Phosphorsäure bei Temperaturen von 500 bis 900°C oder durch trockenes Erhitzen des Kohlenstoff-haltigen Ausgangsmaterials in sauerstofffreier Atmosphäre auf ca. 800°C [2]. Dabei entstehen zunächst nur sehr kleine Poren. Das aktive Porensystem wird anschließend durch Entfernen von flüchtigen Komponenten geschaffen. Dabei werden teerige Zersetzungsprodukte, die die Feinporen verstopfen, ausgetrieben und das Kohlenstoffgerüst weiter freigelegt. Durch Einwirkung von 900 bis 1000°C heißem Wasserdampf findet an den inneren Oberflächen eine oxidative Aktivierung statt, die Kohlenstoff durch Umwandlung in Kohlenmonoxid von den Porenwänden entfernt, wodurch weitere Poren entstehen und sich die Oberfläche um ein Vielfaches vergrößert. Durch Variation der Verfahrensparameter (Temperatur, Zeit und andere) kann die Porengröße maßgeschneidert werden.

Da es sich bei der konventionellen Herstellung von Aktivkohle um einen äußerst energie- und ressourcenintensiven Prozess handelt [3], versucht man schon seit einiger Zeit, alternative Quellen zur Gewinnung zu finden. In dem von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojekt ­RE-DIRECT [4], an dem neben Deutschland auch Belgien, Frankreich, Irland und Wales beteiligt sind, geht es darum, Verfahren zu entwickeln, um aus regionalen Restbiomassen Aktivkohle zu erzeugen. Seit 2019 ist die weltweit erste Pilotanlage auf dem Areal der Kläranlage Sinzheim im Testbetrieb [5]. Aus rund 1000 Tonnen von Rückständen aus der Grünabfallentsorgung sollen in der Verkohlungsanlage 200 bis 300 Tonnen Aktivkohle produziert werden, die dann im Kreislauf zur Wasseraufbereitung genutzt werden sollen. Bei einer geschätzten Menge von rund 34 Millionen Tonnen ungenutzter Biomasse, die allein in Nordwesteuropa anfallen, steckt darin ein enormes Potenzial an alternativen ­Ausgangsstoffen zu den eigentlich viel zu wertvollen Materialien wie Holz oder Kohle.

Eigenschaften und Wirkungsweise

Die hohe Adsorptionsfähigkeit von Aktivkohle beruht auf ihrer hochporösen Struktur (siehe Abb. 1). Die Poren sind offenporig, das heißt, sie sind wie bei einem Schwamm untereinander verbunden. Die innere Oberfläche beträgt bis zu 2000 m2 pro Gramm. Damit besitzen zwei Gramm Aktivkohle ungefähr die Fläche eines Fußballfeldes. Je nach Größe und Verteilung der Poren werden diese eingeteilt in:

  • Submikroporen (< 0,4 nm),
  • Mikroporen (0,1 bis 2 nm),
  • Mesoporen (2 bis 50 nm) und
  • Makroporen (> 50 nm).

Während Makro- und Mesoporen vor allem das Eindringen von Gasen und Flüssigkeiten in das Innere der Aktivkohle ermöglichen, erfolgt die Adsorption der meisten Substanzen vor allem an die Oberfläche der Mikroporen. Der Prozess der Adsorption geschieht auf physikalischem oder chemischem Weg. Bei der physikalischen Anheftung eines Stoffs erfolgt die Anlagerung aufgrund molekularer Oberflächenkräfte (van-der-Waals-Kräfte). Bei chemischen Anlagerungen gehen der adsorbierte Stoff und die Aktivkohle eine chemische Reaktion an der Oberfläche ein, was in der Regel zu einer stärkeren Bindung führt. Eine analytische Methode zur Quantifizierung des Adsorptionsvermögens von Aktivkohle ist die Ermittlung der Iodzahl. Diese ist ­definiert als die Masse an Iod in Milligramm, die in wässriger Lösung von einem Gramm Aktivkohle adsorbiert wurde, wenn die Iod-Restkonzentration im Filtrat 0,02 mol/l beträgt [7]. Dieser Parameter wird auch genutzt, um die Ausschöpfung von ­Aktivkohle zu messen. Andere Kenngrößen, die häufig in ­Aktivkohle-Datenblättern zu finden sind, sind physikalische Eigenschaften wie Dichte, spezifische Oberfläche oder Korngröße.

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Abb. 1: Eine große innere Oberfläche charakterisiert ­Aktivkohle, hier Kohle pflanzlichen Ursprungs.

Technische Anwendung

Aufgrund der enorm großen Adsorptionsfähigkeit existieren zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten von Aktivkohle zur Entfernung unerwünschter Farb-, Geschmacks- und Geruchsstoffe aus Gasen, Dämpfen und Flüssigkeiten. Hauptsächlich verwendet wird dabei die Aktivkohle in Form von Granulaten, als Pulver oder in pelletierter Form. Da die Adsorption ein reversibler Prozess ist, können die Schadstoffe wieder von der Aktivkohle entfernt werden. Dieser Prozess wird auch als Desorption bezeichnet und ermöglicht eine Reaktivierung und Regenerierung der Aktivkohle.

Ein Viertel der weltweit produzierten Aktivkohle wird allein in der Wasser- und Abwasserbehandlung eingesetzt. Dies gilt vor allem für die großindustrielle Trinkwasser- und Abwasseraufbereitung, aber auch im kleinen Maßstab z. B. in der Aquaristik. Die meisten Atemschutz-Masken sind mit Aktivkohle gefüllt. Abluftfilter von Industrieanlagen, in häuslichen Klimaanlagen oder im Auto zählen genauso zu den Anwendungen wie die Adsorption farbgebender oder sonstiger Störstoffe in der Nahrungsmittelindustrie (z. B. bei der Herstellung von Bier oder Spirituosen). In der chemischen Verfahrenstechnik dient Aktivkohle als Elektrodenmaterial und als Träger für Katalysatoren, vor allem für die katalytische Hydrierung. Zur Bindung von unangenehmen Gerüchen findet Aktivkohle Verwendung in Schuheinlagen genauso wie im Bereich der Inkontinenz- und Stomaversorgung.

Anwendung bei Vergiftungen

Die pharmazeutische und toxikologische Bedeutung von Aktivkohle lässt sich unter anderem darin ablesen, dass die Substanz im Europäischen Arzneibuch mit einer Monografie (Medizinische Kohle – Carbo activatus) beschrieben ist. In § 15 der Apothekenbetriebsordnung ist medizinische Kohle (als Pulver zur Herstellung einer Suspension) bei den zwingend in jeder Apotheke vorrätig zu haltenden Stoffen aufgeführt. In der vom Giftinformationszentrum Nord erstellten sogenannten „Bremer Liste“ ist Aktivkohle eines von fünf Antidoten, die zur Mitführung in den Fahrzeugen des Rettungsdienstes empfohlen werden [8]. Und von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird Aktivkohle in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel genannt [9]. Trotz dieser prominenten Stellung und auch trotz der jahrtausendealten Tradition des medizinischen Einsatzes sucht man international gültige Leitlinien zur Gabe von Aktivkohle bei Vergiftungen vergebens. Das vorhandene Datenmaterial beruht im Wesentlichen auf Tierversuchen, In-vitro-Studien oder Fallberichten, da kontrollierte klinische Studien sich bei Vergiftungen ethisch ausschließen. Die umfangreichsten Arbeiten zum Einzeldosis-Einsatz von Aktivkohle stellen zwei Positionspapiere von Chyka et al. aus den Jahren 1997 bzw. 2005 dar [10, 11]. 2019 ­erschien eine Übersichtsarbeit, die den aktuellen Stand der Fach­literatur bis Oktober 2018 sichtet und hinsichtlich der ­Wirkungsweise, Indikationen und Kontraindikationen, des Zeitfensters, der Applikationsart sowie der Neben­wirkungen einer Aktivkohlegabe bei Vergiftungen auswertet [12]. Demnach wurde im Jahr 2016 von allen Gift­informationszentren in Deutschland bei insgesamt fast 270.000 Vergiftungsberatungen in 4,37% der Fälle die ­Gabe von Aktivkohle empfohlen. Das klingt prozentual zunächst wenig, entspricht aber in absoluten Zahlen immerhin 11.746 Anwendungen.

Die Wirkung von Aktivkohle bei Vergiftungen beruht natürlich auch auf der adsorptiven Bindung der Giftstoffe und einer daraus resultierenden Verhinderung bzw. Verminderung der gastrointestinalen Resorption und damit auch gegebenenfalls der Unterbrechung eines enterohepatischen Kreislaufs. Da die bereits beschriebene Bindung an die Oberfläche der Mikroporen auf physikalisch-chemischen Prozessen beruht, hängt die Adsorbierbarkeit giftiger ­Noxen wesentlich von deren physikalisch-chemischen­ Eigenschaften wie Molekülgröße, Löslichkeit, Ionisierungs- bzw. Dissoziationsgrad sowie dem pH-Wert und Füll­zustand des Magens ab.

Dosierung und Applikation

Die Adsorption gelöster Teilchen an die Grenzfläche der Aktivkohle ist ein reversibler Vorgang, der dem Massenwirkungsgesetz folgt. Eine Erhöhung der Aktivkohle-Dosis vermindert daher den freien Anteil des Giftes, während durch Resorption des freien Giftes im Gastrointestinaltrakt das Gleichgewicht verschoben wird und weiteres Gift von der Aktivkohle desorbiert wird. Aus diesem Grund sollte die ­Dosierung von Aktivkohle zur Sicherstellung einer ausreichenden Bindungskapazität im Bereich von mehreren -zig Gramm liegen (siehe Tab. 1). Deshalb ist die Verabreichung von Kohlekompretten mit einer Einzeldosis von 250 mg zwar eventuell bei akuten Durchfällen ausreichend, bei Vergiftungen hingegen sollte Aktivkohle als Pulver oder Granulat aufgeschlämmt in viel Flüssigkeit – bevorzugt Wasser – gegeben werden. Bei Kindern kann auch auf andere Flüssigkeiten ausgewichen werden, und falls ein Patient nicht schlucken kann, ist auch eine Verabreichung über eine Magensonde möglich.

Tab. 1: Dosierung von Aktivkohle (nach [12, 13, 14])
Einmalgabe
gegebenenfalls wiederholte Gabe
Kinder
0,5 bis 1 g/kg Körpergewicht, ­maximal 30 bis 50 g
alle 1 bis 4 Stunden über 24 Stunden 0,125 bis 0,25 g/kg Körpergewicht/Stunde
Erwachsene > 50 kg Körpergewicht
50 g
alle 1 bis 4 Stunden über 24 Stunden 12,5 g/Stunde
bekannte Menge des Giftes
10- bis 40-facher Überschuss zum Gift
keine gesonderte Dosisempfehlung

Um sicherzustellen, dass die verabreichte Aktivkohle auch in direkten Kontakt mit dem Gift kommt, sollten zwischen der oralen Giftaufnahme und der Aktivkohlegabe nicht mehr als ein bis maximal zwei Stunden liegen. In 115 kontrollierten klinischen Studien an freiwilligen Probanden konnten Chyka et al. [10, 11] zeigen, dass für 43 unterschiedliche Wirkstoffe innerhalb von 30 Minuten nach Einnahme durch Aktivkohlegabe deren Bioverfügbarkeit um durchschnittlich 69,1% gesenkt werden konnte, nach einer Stunde nur noch um durchschnittlich 34,4% [12]. Bei Retardpräparaten oder Substanzen, die aufgrund verzögerter Magen-Darm-Motilität langsamer resorbiert werden (z. B. Opiate, Salicylate, Anticholinergika) kann die Verabreichung von Aktivkohle auch noch längere Zeit – bis zu vier bis sechs Stunden - nach der Arzneimittelaufnahme sinnvoll sein. Bei einer Überdosierung von Paracetamol konnte sogar bis zu 16 Stunden nach Aufnahme durch die Gabe von Aktivkohle und gleichzeitig Acetylcystein eine signifikante Reduzierung der Leberschädigung erreicht werden [15]. 
Bei Vergiftungen mit einigen Arzneistoffen, die entweder eine längere Verweildauer im Magen haben oder aufgrund eines enterohepatischen Kreislaufs auch zu späteren Zeitpunkten im Darm in nennenswerter Konzentration vorkommen, mag eine wiederholte Gabe von Aktivkohle angezeigt sein. Zu den Arzneistoffen mit Indikation zur wiederholten Aktivkohlegabe zählen [12]:

 

  • Acetylsalicylsäure/Salicylate
  • Amatoxin
  • Amitriptylin
  • Carbamazepin
  • Chinin
  • Citalopram
  • Colchicin
  • Dapson
  • Digoxin/Digitoxin
  • Lamotrigin
  • Oxcarbazepin
  • Phenobarbital
  • Phenytoin
  • Piroxicam
  • Quetiapin
  • Sotalol
  • Theophyllin
  • Venlafaxin

Bei der wiederholten Gabe von Aktivkohle ist aufgrund der eventuell resultierenden Veränderung der Darmmotilität der Elektrolyt- und Wasserhaushalt zu kontrollieren. Außerdem sollte vor der nächsten Gabe von Aktivkohle die Magenentleerung sichergestellt sein, um einen Reflux des kohlehaltigen Speisebreis auszuschließen.

Indikation

Die Verabreichung von Aktivkohle bei Vergiftungen sollte nur erfolgen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Eine ausreichende Adsorption der giftigen Noxe ist sichergestellt.
  • Es sind schwere oder potenziell lebensbedrohliche Komplikationen zu erwarten.
  • Die Aktivkohle wird vom Patienten freiwillig eingenommen.

Tabelle 2 gibt einen Überblick über das Adsorptionsverhalten verschiedener medikamentöser, pflanzlicher oder chemischer Substanzen gegenüber Aktivkohle.

Tab. 2: Adsorptionsverhalten gegenüber Aktivkohle (nach [12])
Arzneistoffe, die adsorbiert werden
pflanzliche Substanzen, die adsorbiert werden
Substanzen, die nicht/nicht ausreichend ­adsorbiert werden
  • ACE-Hemmer
  • Amphetamine
  • Antidepressiva
  • Antiepileptika
  • Antihistaminika
  • ASS, Salicylate
  • Atropin
  • Barbiturate
  • Benzodiazepine
  • Betablocker
  • Calciumkanal-Blocker
  • Chinin, Chinidin
  • Chloroquin, Primaquin
  • Dapson
  • Digoxin, Digitoxin
  • Diuretika
  • NSAR
  • Neuroleptika
  • orale Antidiabetika
  • Opiate
  • Paracetamol
  • Piroxicam
  • Tetracycline
  • Theophyllin
  • Amatoxin (Knollenblätterpilz)
  • Aconitin (Eisenhut)
  • Colchicin (Herbstzeitlose)
  • Cucurbitacin (Zucchini)
  • Ergotamin, ­Mutterkornalkaloide
  • Ibotensäure, Muskarin (­Fliegenpilz, Pantherpilz)
  • Nicotin (Tabak)
  • Rizin (Wunderbaum)
  • Strychnin (Brechnuss)
  • Taxane (Eibe)
  • Digitalisglykoside (Fingerhut)
  • Alkohole (Ethanol, ­Methanol)
  • Glykole (Ethylenglykol)
  • anorganische Salze
  • organische Lösungs­mittel ­(Aceton, DMSO)
  • Säuren und Laugen
  • Cyanide

Kontraindikationen und ­Nebenwirkungen

Voraussetzung für eine Aktivkohlegabe sind das Einverständnis und die Mitwirkung des Patienten. Bei bewusstseinsgetrübten Patienten ohne ausreichenden Schluckreflex, bei Magen-Darm-Verätzungen oder –Perforation, bei rezidivierendem Erbrechen oder bei unmittelbar drohenden zerebralen Krampfanfällen ist die Verabreichung von Aktivkohle kontraindiziert. Als Nebenwirkungen können Erbrechen, Obstipation, selten aber auch Diarrhö, Übelkeit, Stuhldrang und eine Analreizung auftreten. Ungefährlich ist die Schwarzfärbung des Stuhls. Eine sehr selten beschriebene Aspiration von Kohle kann tödlich enden [12].

Schwarze Zahnpasta und schwarzes Eis

Von der Hausapotheke erobert das schwarze Pulver zunehmend auch die Küche und den Kosmetikschrank. Aktivkohle ist laut dem Verbraucherpanel des Marktforschungsunternehmens GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) der am stärksten wachsende Ernährungs- und Lifestyle-Trend überhaupt [16]. So hat sich die Mengennachfrage nach Produkten mit Aktivkohle – dabei handelt es sich vornehmlich um Kosmetik und Pflegeprodukte – im Zeitraum von 2013 bis 2017 von Jahr zu Jahr fast verdreifacht.

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Auch die Kosmetikindustrie setzt zunehmend Aktivkohle ein. Bei Zahnpasta ist nicht geklärt, ob der Zahnschmelz dadurch angegriffen wird.

Die Kosmetikindustrie reichert Gesichtsmasken und Peelings, Shampoos, Seifen und Duschgel mit Aktivkohle an, um Haut und Haare besonders effektiv zu reinigen und von überschüssigem Hautfett und Umweltgiften zu befreien. Schwarze Zahnpasta verspricht hellere Zähne, da die Aktivkohlepartikel Zahnbeläge und Verfärbungen durch Rückstände von Wein, Tee oder Kaffee abtragen und Gerbstoffe und Bakterien adsorbieren. Dass die Verwendung von Aktivkohle tatsächlich für weißere Zähne sorgt, ist nicht bewiesen. Zudem raten Mediziner vom Zähneputzen mit Aktivkohlepaste ab, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Zahnschmelz dadurch angegriffen wird. Außerdem ist die in Kosmetikprodukten verwendete Kohle häufig nicht so rein, wie es den Verbrauchern vermittelt wird. Sie kann gesundheitsschädliche Kohlenstoffverbindungen wie sogar hochtoxische polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) enthalten.

„Black-Food“, ein Trend, der bereits von Japan über die USA nach Europa gekommen ist und zunächst Überwindung kostet, sind Lebensmittel mit Aktivkohle – auf der Zutatenliste mit dem Kürzel E153 beziffert. Schwarze Smoothies, schwarzes Eis und schwarzes Gebäck gehören zum sogenannten „Detox“ und sollen den Körper beim „Entgiften“ und „Entschlacken“ unterstützen. Diese Wirkung konnte bisher jedoch nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Außerdem sollte man beachten, dass die Kohle nicht nur schädliche Stoffe, sondern auch lebenswichtige Nährstoffe wie sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, Vitamine und Mineralien adsorbiert. Es besteht langfristig das Risiko eines Nährstoffmangels. Auch Arzneimittel können dadurch ihre Wirkung einbüßen. So haben Studenten der biotechnologischen Fakultät der Hochschule Biberach in einem vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst geförderten Projekt den Zusammenhang zwischen der Gabe von oralen Kontrazeptiva und dem Genuss Aktivkohle-haltiger Lebensmittel untersucht und konnten dabei eine Reduzierung der Hormonkonzentration bis unter die Nachweisgrenze beobachten [17].

Rezepte für selbstgemachte Black Smoothies empfehlen teils einen Teelöffel Aktivkohle auf einen halben Liter Getränk. Das entspricht bis zu zwölf Kohletab­letten. Bei hoher Dosierung besteht das Risiko einer Verstopfung. Es spricht sicher nichts dagegen, Lebensmittel mit Aktivkohle einmal zu probieren. Vom regelmäßigen Verzehr größerer Mengen ist aber aus den genannten Gründen abzuraten. |

Literatur

[1] Wie aktiv kann Kohle sein? Die Zeit online, www.zeit.de/wissen/2018-07/aktivkohle-produkte-gesundheit-rohstoff/komplettansicht?print, Abruf am 30. Juli 2019

[2] Quicker P, Weber K. Biokohle – Herstellung, Eigenschaften und ­Verwendung von Biomassekarbonisaten. Springer Vieweg 2017

[3] Esser-Schmittmann W, Schmitz S. Vergleichende Ökobilanzen für Adsorbentien zur Abgasreinigung, https://forschungsboerse.de/fileadmin/user_upload/scientists/files/dca8c637de2b8618d36d5c0b33ff1c8f513dee23.pdf, Abruf am 30. Juli 2019

[4] RE-DIRECT (REgional Development and Integration of unused biomass wastes as REsources for Circular products and economic Transformation). https://re-direct-nwe.eu/index.php/tag/activated-carbon/, Abruf am 16. September 2019

[5] Weltweites Pilotprojekt: wertvolle Aktivkohle aus Restbiomasse. https://bnn.de/lokales/baden-baden/weltweites-pilotprojekt-wert­volle-aktivkohle-aus-restbiomasse, Abruf am 30. Juli 2019

[6] Kray D, Schmidt H-P. Pflanzenkohle (PK) – Ein Missing Link für das 1,5°C-Ziel. Informationen des Solarenergie-Fördervereins Deutschland e. V. (SFV), www.sfv.de/artikel/pflanzenkohle_pk__ein_missing_link_fuer_das_15c-ziel.htm, Abruf am 16. September 2019

[7] Produkte zur Aufbereitung von Wasser für den menschlichen Gebrauch - Anorganische Filterhilfs- und Filtermaterialien – Prüf­verfahren. DIN EN 12902:2005-02

[8] „Bremer Liste“: Antidota im Rettungsdienst. Informationen des Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (GIZ-Nord) der Universitätsmedizin Göttingen – Georg-August-Universität, www.giz-nord.de/cms/index.php/kooperationen-projekte/308-qbremer-listeq-antidota-im-rettungsdienst.html, Abruf am 30. Juli 2019

[9] WHO model list of essential medicines 21st list 2019. World Health Organization, https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/325771/WHO-MVP-EMP-IAU-2019.06-eng.pdf?ua=1, Abruf am 30. Juli 2019

[10] Chyka PA, Seger D. Position statement: single-dose activated charcoal. J Toxicol Clin Toxicol 1997;35:721–741

[11] Chyka PA, Seger D, Krenzelok EP, Vale JA. Position paper: single-dose activated charcoal. Clin Toxicol (Phila) 2005;43:61–87

[12] Zellner T, Prasa D, Färber E, Hoffmann-Walbeck P, Genser D, Eyer F. Applikation von Aktivkohle bei Vergiftungen. Dtsch Ärztebl Int 2019;116:311–317

[13] Olson KR. Activated charcoal for acute poisoning: one toxicologist’s journey. J Med Toxicol 2010;6:190–198

[14] Jürgens G, Hoegberg LC, Graudal NA. The effect of activated charcoal on drug exposure in healthy volunteers: a meta-analysis. Clin Pharmacol Ther 2009;85:501–505

[15] Spiller HA, Winter ML, Klein-Schwartz W, Bangh SA. Efficacy of activated charcoal administered more than four hours after acetaminophen overdose. J Emerg Med 2006;30:1–5

[16] Die wichtigsten FMCG-Trends der letzten vier Jahre – Teil 1. Gesellschaft für Konsumforschung – Consumer Index 08|2017, www.gfk.com/fileadmin/user_upload/dyna_content/DE/documents/News/Consumer_Index/GfK_Consumer_Index_08_2017.pdf, Abruf am 30. Juli 2019

[17] NN. Finger weg von schwarzen Lebensmitteln: Studierende untersuchen Auswirkungen auf Medikamente. Informationen der Hochschule Biberach vom 3. Mai 2019, www.hochschule-biberach.de/web/oeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilungen/-/asset_publisher/x1ZuMuwvP0FK/content/artikel_hbc_fakultat-biotechnolog-1/maximized?, Abruf am 30. Juli 2019

Autor

Prof. Dr. Kurt Grillenberger, Pharmaziestudium und Promotion in Erlangen; Forschungstätigkeit in der Abteilung Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Ulm; seit 1997 Dozent am Berufskolleg für PTA und an der Hochschule der Naturwissenschaftlich-technischen Akademie Prof. Dr. Grübler gGmbH; seit 2015 Rektor der nta Hochschule Isny; Lehrbeauftragter für Chemie an der Hochschule Kempten

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