Arzneimittel und Therapie

Mit Viren gegen Krebs

Immunonkologika auf dem Vormarsch

Mit der Einführung von Imlygic® (Talimogene laherparepvec, T-VEC) vor wenigen Jahren wurde ein neuer Therapieansatz in die Praxis umgesetzt: der Einsatz onkolytischer Viren zur Behandlung von Tumorerkrankungen. Was liegt diesem Vorgehen zugrunde, das derzeit in zahlreichen klinischen Studien bei unterschiedlichen Tumorentitäten untersucht wird und welche Arzneimittel sind bereits auf dem Markt?

Bereits vor rund 100 Jahren bestand die Vermutung, dass zwischen einer viralen Infektion und dem Rückgang einer Tumorerkrankung ein Zusammenhang bestehen könnte. Diese Annahme basierte auf mehreren Einzelfallbeobachtungen, bei denen es im Zug viraler Infektionen zu deutlichen Rückbildungen äußerlich sichtbarer Tumoren kam. Man kam zum Schluss, dass bestimmte Viren unter bestimmten Umständen bestimmte Tumore zerstören können [1]. Welche Mechanismen dafür verantwortlich sind und wie sie therapeutisch genutzt werden können, wird im Rahmen immunonkologischer Studien untersucht. Man geht von folgenden Grundlagen aus: Onkolytische Viren besitzen die Fähigkeit, selektiv Tumorzellen zu infizieren und sie dabei so zu zerstören, dass in der Folge eine gegen den Tumor gerichtete Immunantwort erzeugt wird. Dies erfolgt mithilfe der direkten und indirekten Onkolyse.

Abb. 1: Onkolytische Viren vermitteln die Zerstörung von Tumorzellen über zwei Mechanismen: 1. über die direkte Virus-vermittelte Onkolyse infizierter Krebszellen und 2. über die indirekte Onkolyse durch die Induktion einer systemischen antitumoralen Immunreaktion (nach Meinhardt M [1]).

Direkte Onkolyse: Die onkolytischen Viren werden so modifiziert, dass sie sich nur noch in Tumorzellen replizieren können. In jeder befallenen Krebszelle entstehen so zahlreiche Viren. Bei diesem Vorgang erschöpft sich die infizierte Krebszelle und kann ihre zelluläre Integrität nicht mehr aufrechterhalten; sie löst sich auf und „onkolysiert“. Dabei werden die neu gebildeten Viruspartikel massenhaft freigesetzt, die dann sofort bis dahin noch nicht infizierte Krebszellen in der Nachbarschaft befallen und ebenfalls onkolysieren. Dieser Prozess hält im Idealfall so lange an, bis keine einzige noch neu zu infizierende Krebszelle mehr vorhanden ist. Entsprechend können dann keine weiteren Viren mehr gebildet werden; die Virusvermehrung kommt von alleine zum Erliegen.

Indirekte Onkolyse: Beim Zerplatzen der Tumorzellen aufgrund der viralen Onkolyse werden auch Tumorzell-assoziierte Antigene, virale Antigene und eine Vielzahl von Entzündungsfaktoren freigesetzt, ein Prozess, der als immunogener Zelltod (immunogenic cell death; ICD) bezeichnet wird. Während die freigesetzten Viruspartikel ihrerseits neue Tumorzellen infizieren, wird im inflammatorischen Tumormikromilieu, das durch die Virusinfektion erzeugt wurde, eine Tumor­antigen-spezifische Immunantwort ausgelöst, die in der Folge eine gezielte Zerstörung der bis dato nicht infizierten Tumorzellen überall im Körper vermittelt [1].

Gentechnisch veränderte Viren

Onkolytische Viren werden nicht in ihrer ursprünglichen Form eingesetzt, sondern sind gentechnisch verändert, um ihre Selektivität gegenüber Tumorzellen zu steigern und ihre onkolytische Wirksamkeit gezielt zu verstärken. So wird etwa das Virus mit ­immunaktivierenden Zytokinen versehen (bewaffnete onkolytische Viren) wie z. B. mit humanen Granulozyten-Makrophagen-koloniestimulierenden Faktoren (GM-CSF) bei Talimogene laherparepvec. Eine weitere Strategie in der Entwicklung onkolytischer Viren ist das tumor targeting über einen zellulären Rezeptor oder das virale Andockprotein. So werden beispielsweise Viren eingesetzt, die an Rezeptoren binden, die von Tumorzellen hoch exprimiert werden. Folgende, veränderte Viren werden derzeit in Studien untersucht (Auswahl): Adeno-Viren, Reo-­Viren, Rhabdo-Viren, Newcastle Disease Viren, Herpes-simplex-Viren, Vaccinia-Viren (VACV); Pocken-Viren, Masern-Impfviren, Retro-Viren, Paro-Viren, Coxsackie-Viren, Influenza-A-Viren [2, 3].

Von der Forschung in die Praxis

Eine Monotherapie mit onkolytischen Viren wird wohl nur in wenigen Fällen erfolgreich sein. Daher werden derzeit verschiedene Kombinationstherapien untersucht, so Verbindungen mit Chemo-, Strahlen- und Immuntherapien. Am erfolgversprechendsten scheint die Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren zu sein. Onkolytische Viren können als intravenöse ­Infusion oder intratumoral appliziert werden. Die Therapie ist in der Regel gut verträglich; die unerwünschten Wirkungen sind ähnlich wie bei einer natürlichen Viruserkrankung, so können etwa grippeähnliche Symptome wie Fieber, Müdigkeit, Kopf- oder Gliederschmerzen auftreten [4, 5]. Derzeit sind über 80 Phase-I- bis Phase-­III-Studien mit onkolytischen ­Viren registriert. Hierzu einige Beispiele mit den dabei eingesetzten Viren:

Zugelassene Arzneimittel auf der Basis onkolytischer Viren

  • Imlygic® (Talimogen laherparepvec, T-VEC); FDA und EU-Zulassung 2015; T-VEC ist ein abgeschwächtes Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1), das durch die funktionelle Deletion von zwei Genen (ICP34.5 und ICP47) und die Insertion der codierenden Sequenz für den humanen Granulozyten-Makrophagen-koloniestimulierenden Faktor (GM-CSF) abgeleitet wurde. Talimogen laherparepvec wird mittels rekombinanter DNA-Technologie in Vero-Zellen hergestellt. Indikation: zur Behandlung von Erwachsenen mit nicht resezierbarem, lokal oder entfernt metastasiertem Melanom (Stadium IIIB, IIIC und IVM1a) ohne Knochen-, Hirn-, Lungen- oder andere viszerale Beteiligung [11].
  • Rigvir®; zugelassen in Lettland 2004, Georgien 2015, Armenien 2016; Echo-7-Virus; Indikation: zur Therapie von Melanomen [12].
  • Oncorine® (H101); 2005 zugelassen in China; veränderter Adenovirus; Indikation: in Kombination mit einer Chemotherapie bei Kopf- und Halstumoren [13].
  • Vaccinia-Virus: Derzeit wird das auf einem gentechnisch veränderten und dadurch abgeschwächten Vaccinia-Virus-basierte Virotherapeutikum Pexastimogen devacirep-vec (Pexa-Vec®) in einer Phase-IIb-Studie beim fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinom (HCC) getestet [6].
  • Vaccinia-Virus (GL-ONC1): Dieses Virus wurde in einer Phase-I/II-Studie bei Patienten mit Absiedelungen von Tumoren in die Bauchfellhöhle eingesetzt [7].
  • Masern-Virus: Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg wird die Virotherapie mit Masern-Viren untersucht [8].
  • Parvo-Virus: Am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in ­Heidelberg wird eine Parvovirus-Therapie zur Behandlung des fortgeschrittenen Glioblastoms entwickelt und geprüft [9].
  • Coxsackie-Virus (A21): Gabe bei nicht-muskelinvasivem Blasenkrebs in einer kleinen Phase-I-Studie [10]. |

Literatur

[1] Meinhardt M. Combined application of oncolytic vaccinia and measles vaccine viruses for the treatment of highly resistant human tumor cells. Diss. med. Tübingen 2018

[2] Russell L et al. The emerging role of oncolytic virus therapy against cancer. Chin Clin Oncol 2018;7(2):16

[3] Fountzilas C et al. Review: Oncolytic virotherapy, updates and future directions. ­Oncotarget 2017;8(60):102617-102639

[4] Engeland C et al. Immuntherapie mit onkolytischen Viren: Wenn Viren Tumorzellen zum „Platzen“ bringen. Dtsch Ärztebl 2019:116(23-24)[10], DOI:10.3238/PersOnko.2019.06.10.02

[5] Beil J et al. Onkolytische Virotherapie ­solider Tumore. Onkologie heute 2018;1

[6] Moehler M et al. Vaccinia-based oncolytic immunotherapy Pexastimogene Devacirepvec in patients with advanced hepatocellular carcinoma after sorafenib failure: a randomized multicenter Phase IIb trial (TRAVERSE). OncoImmunology 2019;8(8), DOI: 10.1080/2162402X.2019.1615817

[7] Lauer U et al. Phase I Study of Oncolytic Vaccinia Virus GL-ONC1 in Patients with Peritoneal Carcinomatosis. Clin Cancer Res 2018;24(18):4388-4398, doi: 10.1158/1078-0432.CCR-18-0244. Epub 17. Mai 2018, NCT01443260

[8] NN. Viren sollen beim Kampf gegen Krebs helfen. Informationen des Universitätsklinikums Heidelberg, www.klinikum.uni-heidelberg.de/newsroom/viren-sollen-beim-kampf-gegen-krebs-helfen/, Abruf am 18. Juni 2019

[9] NN. Maßgeschneiderte Viren für eine bessere Krebstherapie. Informationen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) vom 2. Mai 2019, www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2017/dkfz-pm-17-23-Massgeschneiderte-Viren-fuer-eine-bessere-Krebstherapie.php, Abruf am 18. Juni 2019

[10] Annels NE et al. Viral Targeting of Non-Muscle-Invasive Bladder Cancer and Priming of Antitumor Immunity Following Intravesical Coxsackievirus A21. Clin Cancer Res 4. Juli 2019, doi: 10.1158/1078-0432.CCR-18-4022, Epub ahead of print

[11] Fachinformation Imlygic®; Stand März 2019

[12] Alberts P. et al. The advent of oncolytic virotherapy in oncology: The Rigvir® story. European Journal of Pharmacology 837;2018:117-126

[13] Liang M et al. Oncorine, the World First Oncolytic Virus Medicine and its Update in China. Curr Cancer Drug Targets 2018;18(2):171-176, doi: 10.2174/1568009618666171129221503

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Das könnte Sie auch interessieren

Herpes-simplex-Viren mal ganz anders

Das erste onkolytische Immuntherapeutikum

Neues Wirkprinzip in der Therapie des malignen Melanoms

Viren lysieren Tumorzellen

Erfolge beim fortgeschrittenen Melanom

Immuntherapie mit onkolytischen Viren

Onkolyse plus Aktivierung des Immunsystems

Viren attackieren Krebszellen

Erfolge mit therapeutischem Krebsimpfstoff bei Melanom-Patienten

Tumore gezielt zerstören

Die Welt der Adenoviren

Bad guy – good guy?

Aus der Forschung

Antiepileptikum gegen Krebs

Die neuen Therapiemöglichkeiten beim schwarzen Hautkrebs

Gezielt aus- oder anschalten

Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus und die Folgen

Heiße Mandeln und mehr

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.