Arzneimittel und Therapie

Nichtmedikamentös gegen Migräne

Erweiterte Möglichkeiten mit Apps, Inhalator und Verhaltenstherapie

Migränepatienten, die das Smartphone als ständigen Alltagsbegleiter schätzen, nutzen vermutlich auch eine Migräne-App. Diese und weitere nichtmedikamentöse Optionen sowie Bewertungen finden sich in der Migräne-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

Grundsätzlich betrachtet die S1-Leit­linie nichtmedikamentöse Verfahren als eine Möglichkeit zur sinnvollen Ergänzung zu Medikamenten. Im Einzelfall kann ihre Anwendung jedoch andere Gründe haben wie beispielsweise eine Kontraindikation gegen die pharmakologische Behandlung bzw. deren schlechte Verträglichkeit, ein ungenügendes oder fehlendes Ansprechen auf Medikamente oder der Patientenwunsch nach einer nichtmedikamentösen Alternative [1].

Foto: New Africa – stock.adobe.com
Eine Verhaltenstherapie kann einen Effekt auf die Frequenz von Migräneattacken haben.

Prophylaxe, Therapie oder beides?

Bei der Betrachtung nichtmedikamentöser Maßnahmen muss zwischen Prophylaxe und Therapie der Migräneattacke unterschieden werden. Zur Wirksamkeit nichtmedikamentöser Verfahren bei akuten Migräneattacken liegen bisher nur wenige Daten vor. Beispielsweise hatte eine randomisierte kontrollierte Studie aus 2003 die Wirksamkeit von Akupunktur mit Sumatriptan (6 mg s.c.) bzw. Placebo in der akuten Attacke verglichen. Beide Interventionen waren in der Prävention der Entwicklung zu einer ausgeprägten Attacke etwa gleichwertig und Placebo signifikant überlegen. Bei der Behandlung einer schon schweren Migräneattacke war Sumatriptan signifikant überlegen [2]. Gegenwärtig benennt die Migräne-Leitlinie lediglich das Vasokonstriktionstraining als geeignete nichtmedikamentöse Maßnahme bei einer akuten Attacke. Ganz anders sieht es in der Migräneprophylaxe aus. Hier besitzen nichtmedikamentöse Maßnahmen teilweise einen deutlichen Effekt und sollten immer als Add-on zu medikamentösen Optionen gegeben werden. Beispielsweise lässt sich laut verschiedener Metaanalysen mit Entspannungsverfahren wie der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson sowie mit Biofeedback im Mittel eine Reduktion der Migräne-Häufigkeit um 35 bis 45% erreichen. Diese Effektstärke liegt damit in dem Bereich, der für Propranolol angegeben wird. Daher können einige nichtmedikamentöse Maßnahmen auch als Alternative zur medikamentösen Prophylaxe eingesetzt werden [1].

Von Akupunktur bis Verhaltenstherapie

Nach der gegenwärtigen Datenlage gelten folgende nichtmedikamentöse Maßnahmen als effektiv in der Migräneprophylaxe:

Akupunktur: Sie eignet sich für Patienten, die eine medikamentöse Prophylaxe ablehnen oder nicht vertragen.

Regelmäßiger aerober Ausdauersport: Hierbei ist derzeit noch unklar, ob die Effekte eher unspezifisch im Sinne einer „Entspannung“ sind, oder ob spezifische Wirkungen durch eine Verbesserung der physischen Leistungsfähigkeit erreicht werden. Da Adipositas laut einer Studie mit einer höheren Kopfschmerzfrequenz einherzugehen scheint, könnte eine durch den Sport erzielte Gewichtsreduktion ebenfalls einen Effekt besitzen.

Psychologische Behandlung:

Dafür kommen laut Leitlinie vor allem Patienten mit häufigen Migräneattacken infrage. Eingeteilt werden können die Verfahren in einfache (Biofeedback, Entspannung) und kombinierte (kognitiv-verhaltenstherapeutische). Für die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren gibt es mittlerweile zahlreiche standardisierte Programme, die laut Studien in der Gruppendurchführung genauso wirksam wie in der Einzelintervention sind. Bei Patienten mit einer hochfrequenten Migräne sowie erheblicher Einschränkung der Lebensqualität sollten Verfahren der psychologischen Schmerztherapie (Schmerzbewältigung, Stressmanagement, Entspannungsverfahren) eingesetzt werden [1].

Start-up entwickelte „Rehaler“

Foto: Rehaler

Als Arzneimittel- und nebenwirkungsfreie Neuheit zur Migränebehandlung wird derzeit der Inhalator RehalerTM vermarktet. Es handelt sich dabei um ein dreiteiliges Set aus Inhalator, Kontroll-Einheit und Behandlungsapp. Es soll dafür sorgen, dass der CO2-Spiegel in der Atemluft erhöht und gleichzeitig ein hoher Sauerstoffgehalt aufrechterhalten wird. Damit soll die Empfindlichkeit des Nervensystems gemindert und die Sauerstoffversorgung des Gehirns deutlich erhöht werden. Als Folge davon könne ein Migräne-Anfall gehemmt oder gar vollständig ­gestoppt werden, so der dänische Hersteller [5]. Das Starterkit ist ab 199,99 Euro unter www.rehaler.de erhältlich.

Bisher ohne Wirksamkeitsnachweis

Wenn der Leidensdruck sehr hoch ist und alle Therapieversuche nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben oder sich als zu nebenwirkungsreich erweisen, sind komplementäre oder alternative Maßnahmen für viele Migräne-Betroffene der letzte Rettungsanker. Die Leitlinienautoren verweisen jedoch darauf, dass wegen fehlender Studien für viele Verfahren keine Aussage zur Effektivität gemacht werden kann. Zu den Verfahren mit derzeit fehlendem Wirksamkeitsnachweis zählen unter anderem die chiropraktische Therapie, die Kolonhydrotherapie, die Entfernung von Amalgamfüllungen, die Gebisskorrektur sowie Aufbissschienen, die Frischzell-, Ozon- und hyperbare Sauerstoff-Therapie, die Magnetfeldbehandlung und die Neuraltherapie. Abgeraten wird von der Corrugator-Chirurgie, bei der der Musculus corrugator supercilii, ein Gesichtsmuskel oberhalb der Nasenwurzel, durchtrennt wird, sowie von sogenannten Daith Piercings, einem speziellen Piercing im Ohr­knorpel. Eliminationsdiäten – nach vorheriger Bestimmung individueller Nahrungsmittelallergene – könnten bei Migräne effektiv sein, kontrollierte Studien liegen jedoch ebenfalls noch nicht vor.

Papier-Tagebuch war gestern – Migräne-Apps fürs Smartphone

Gesundheitsangebote im Internet sowie entsprechende Apps für das Smartphone boomen seit Jahren. Im Angebot der digitalen Stores für iOS- und Android-basierte Geräte finden sich auch einige Migräne-Apps wie Migraine Buddy, M-sense oder die Migräne App der Techniker Krankenkasse (entwickelt in Zusammenarbeit mit der Schmerzklinik Kiel), außerdem Bewertungen derselben [3]. Wie beim herkömmlichen Migräne-Tagebuch werden in die App Auslöser und Symptome der Kopfschmerzen eingetragen. Der Krankheitsverlauf kann digital dokumentiert und mit wenigen Klicks analysiert und kontrolliert werden. Im Idealfall werden auf der Grundlage der eingegebenen individuellen Daten Verhaltensmaßnahmen vorgeschlagen.

Sinnvoll erscheinen solche digitalen Helfer, bei denen der Patient mit der Anwendung nicht allein gelassen wird und wo auch der Arzt die aufbereitete Datenasis nutzen kann. Die Migräne-Leitlinie hält sich – abgesehen von einem Verweis auf mögliche Potenziale – mit einer generellen Empfehlung digitaler Angebote zurück, da zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung im Januar 2018 für viele der verfügbaren Angebote weder Qualitätsstandards noch aussagekräftige Evaluations­studien vorlagen.

Studie zeigt Vorteile der App

Für die Migräne App der Techniker Krankenkasse wurde im August 2018 eine Studie publiziert, in der gezeigt werden konnte, dass die Patienten von ihrer Anwendung profitieren können [4]. Dafür waren 1464 aktive Nutzer mit einem Durchschnittsalter von rund 47 Jahren online befragt worden. Diese litten zu diesem Zeitpunkt seit durchschnittlich 27 Jahren an Kopfschmerzen und nutzten die App durchschnittlich seit rund 13 Monaten. Die Befragten verzeichneten eine Reduktion der Kopfschmerztage pro Nutzer im Schnitt um gut drei Tage im Monat, von 13,3 Tagen im Monat auf zehn Tage im Monat (minus 25%). Außerdem reduzierte sich die Anzahl der Tage mit Akutmedikation von durchschnittlich 7,6 Tagen im Monat auf 6,8 Tage im Monat. Rund 70% der befragten Nutzer gaben an, dass sie ihre Migräne-App zum Arzttermin mitbringen. Bei 58% flossen die Ergebnisse in die Behandlungsentscheidung ein. Schließlich bewerteten 81% der Befragten die digitale Lösung deutlich vorteilhafter als das herkömmliche Kopfschmerztagebuch in Papierform. Mittlerweile wurde die App der Techniker Krankenkasse mit einem Tool zur Simulation einer Migräne-Aura ausgestattet. Sie veranschaulicht visuelle Störungen bei Migräne-Attacken. Experten finden das wichtig, da Migräne-Symptome häufig mit denen eines Schlaganfalls verwechselt werden. Auch die Nutzer wissen das Tool zu schätzen: 40% der Befragten lobten, dass sie damit Nicht-Betroffenen zeigen können, wie sich das Sichtfeld bei einer Migräne-Aura einschränkt. |

Literatur

[1] Diener HC et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), AWMF-Registriernummer: 030/057, Stand Januar 2018, gültig bis Januar 2021, www.dgn.org/leitlinien/3583-ll-030-057-2018-therapie-der-migraeneattacke-und-prophylaxe-der-migraene, Zugriff am 16. Juli 2019

[2] Melchart D et al. Acupuncture versus placebo versus sumatriptan for early treatment of migraine attacks: a randomized controlled trial. J Intern Med 2003;253(2):181-188

[3] Migräne-Apps: Die 3 besten kostenlosen Kopfschmerz-Apps im Test. https://blog.deinhandy.de/migraene-apps-die-3-besten-kostenlosen-kopfschmerz-apps-im-test, Zugriff am 16. Juli 2019

[4] Studie zeigt: 25% weniger Kopfschmerztage bei Einsatz von Migräne-App. Pressemitteilung der Techniker Krankenkasse vom 21. August 2018, www.tk.de/presse/themen/digitale-gesundheit/pressemitteilung-migraene-app-2040022, Zugriff am 16. Juli 2019

[5] Neu: Arzneimittelfreie Migränebehandlung mit Rehaler. Presseinformation der BalancAir ApS, Dänemark, Februar 2019, https://startup-communication.de/presseportal/news/neu-arzneimittelfreie-migraenebehandlung-mit-rehaler/, Zugriff am 16. Juli 2019

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn


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