Arzneimittel und Therapie

Levothyroxin nicht routinemäßig bei latenter Hypothyreose

Fachgesellschaften sind skeptisch

Patienten mit latenter Schilddrüsenunterfunktion sollten nicht routinemäßig mit Levothyroxin behandelt werden – so lautet das Urteil eines Experten-Gremiums, welches in der Fachzeitschrift BMJ veröffentlicht wurde. Zwei Fachgesellschaften reagierten prompt im Rahmen einer Pressemitteilung und übten Kritik an dieser pauschalen Empfehlung.

Von subklinischer oder latenter Hypothyreose spricht man, wenn freies Triiodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) im Normbereich sind und nur der Wert für das Thyreoidea-stimulierende ­Hormon (TSH) erhöht ist (> 4,0 mU/l). Rund 90% der Patienten mit einer latenten Schilddrüsenunterfunktion weisen TSH-Werte im Bereich von 4,0 bis 10,0 mU/l auf. Bei älteren Patienten werden auch etwas höhere TSH-Werte als normal angesehen. In rund 62% der Fälle mit TSH-Werten zwischen 4,0 und 10,0 mU/l normalisiert sich der Wert innerhalb von fünf Jahren von alleine. Auch die biologische Variabilität des TSH-Wertes sollte berück­sichtigt werden. So kann sich der Wert infolge von Stress oder einer vorübergehenden Erkrankung kurzfristig erhöhen. Deswegen sollte bei der Diagnose eines erhöhten TSH-Wertes der Bluttest wiederholt werden, um das Ergebnis zu bestätigen. Rund vier bis 20% der Erwachsenen sind von einer subklinischen Hypothyreose betrof­fen. Die Symptome sind jenen einer klassischen Hypothyreose ähnlich und umfassen Müdigkeit, depressive Verstimmungen, Muskelkrämpfe, Kältegefühl, trockene Haut, Stimmveränderungen und Verstopfung. Etwa ein Drittel der Patienten ist jedoch symptomfrei. Bei einer ausgeprägten latenten Hypothyreose (> 10,0 mU/l) erhöht sich das Risiko für koronare Herzkrankheit. Das Risiko, aus einer latenten Hypothyreose eine manifeste Schilddrüsenunterfunktion zu entwickeln, liegt zwischen 2% und 5% pro Jahr. Antikörper gegen thyreoidale Peroxidase oder sehr hohe TSH-Werte erhöhen das Risiko.

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Therapieren oder nicht? Die Datenlage zur Hormonsubstitution bei latenter Schilddrüsenunterfunktion ist unklar.

Zurückhaltende Empfehlungen, steigende Verordnungszahlen

In den bisherigen Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften wird eine Therapie mit Levothyroxin bei TSH-Werten > 10 mU/l empfohlen. Bei geringeren TSH-Werten wird in vielen Leitlinien nur bei jüngeren ­Patienten, vorhandenen Symptomen oder vorliegender kardiovaskulärer ­Erkrankung eine Hormonsubstitution in Betracht gezogen. Aus Sicht der Autoren des aktuellen Artikels im BMJ haben die Verordnungszahlen von Levothyroxin in den letzten Jahren allerdings deutlich zugenommen. Die Autoren führen dieses Phänomen auf die stark steigenden Behandlungszahlen bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose zurück.

Im Rahmen eines systematischen Reviews wurden nun alle vorliegenden klinischen Studien zu subklinischer Hypothyreose und Behandlung mit Levo­thyroxin oder Placebo bzw. ohne Behandlung ausgewertet. Insgesamt wurden 21 Studien mit 2192 Probanden analysiert. Die größte Studie dabei war die TRUST-Studie mit über 700 älteren Personen, die somit die Auswertung dominierte.

Keine Routinebehandlung mit Levothyroxin

Das Experten-Gremium des BMJ-Artikels sprach sich aufgrund der Datenlage dafür aus, bei subklinischer Hypothyreose nicht mit Levothyroxin zu behandeln. Das begründet das Gremium damit, dass mit der Therapie keine erkennbaren Vorteile wie Verbesserung der Lebensqualität oder Besserung der klassischen Hypothyreose-Symptome wie Depression oder Müdig­keit verbunden seien. Auch rein praktische Aspekte werden in der Empfehlung berücksichtigt: Ohne Therapie mit Levothyroxin müssten lediglich regelmäßige Blutproben zur Überwachung durchgeführt werden. Bei Therapie mit Levothyroxin hingegen müssten ebenfalls die Blutspiegel kontrolliert werden und zusätzlich täglich über einen langen Zeitraum Tabletten eingenommen werden mit den bekannten Einschränkungen (Nüchterngabe, zeitlicher Abstand) und dem Risiko einer Überdosierung mit Symptomen einer Hyperthyreose.

Folgende Patientengruppen wurden aus der Empfehlung ausgeschlossen: Frauen mit Kinderwunsch oder einem Risiko für ungeplante Schwangerschaft, Patienten mit sehr hohen TSH-Werten (> 20 mU/l), sehr junge Patienten unter 30 Jahren und Patienten mit schweren Symptomen. Ansonsten gelte die Empfehlung, nicht mit Levothyroxin zu behandeln, aber für den Großteil der Erwachsenen – mit besonders hoher Evidenz für Personen über 65 Jahren.

Was sagen die ­deutschen Leitlinien?

Auch in der S2k-Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM) wird auf die uneinheitliche Datenlange bei latenter Hypothyreose verwiesen. Bei TSH-Werten ≤ 10,0 mU/l wird von einer Behand­lung mit Levothyroxin abgeraten. Bei höheren Werten muss im Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweiligen Patientenwunsches entschieden werden, ob mit einer Hormonsubstitution begonnen wird oder ob die TSH-Werte lediglich in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden. In jedem Fall sollten die Patienten umfassend über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Vorgehensweisen aufgeklärt werden.

[Quelle: Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis. DEGAM-Leitlinie Nr. 18. Stand 2016]

Fachgesellschaften protestieren

Kurz nach Veröffentlichung dieser Empfehlung meldeten sich zwei prominente Fachgesellschaften zu Wort, die britische Society for Endocrinology und die British Thyroid Association. Sie widersprechen der Empfehlung, dass der Großteil der Erwachsenen mit subklinischer Hypothyreose keiner Behandlung bedürfe. Die Datenlage sei nicht substanziell genug, um diese Aussage zu stützen, vor allem bei jüngeren Patienten. Die vorliegende Evidenz sei zwar gut zusammengefasst, die Datenlage bei jüngeren Personen sei aber zu schwach, um daraus eine eindeutige Empfehlung abzuleiten. Die beiden Gesellschaften fordern Studien mit einer deutlich höheren Probandenzahl, die Berücksichtigung genetischer Faktoren und den Einsatz genauerer Methoden zur Bestimmung der Symptome. |

Literatur

Bekkering GE et al. Thyroid homomes treatment for subclinical hypothyroidism: a clinical practice guideline. BMJ 2019; 365:l2006. doi: 10.1136/bmj.l2006

Society for Endocrinology & British Thyroid Association. Pressemitteilung, vom 29. Mai 2019. www.endocrinology.org

Apothekerin Dr. Birgit Benedek

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