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Arzneimittel und Therapie
Hüftfrakturen unter Vitamin B6 und B12
Verdacht auf vermehrtes Auftreten erhärtet
Seit einigen Jahren verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Supplementation von B-Vitaminen Gesundheitsrisiken bergen könnte [Giovannucci 2002; Sanjoaquin et al. 2005]. 2009 zeigte sich in zwei randomisiert-kontrollierten Studien eine Assoziation zwischen der Anwendung von Vitamin-B12- bzw. Vitamin-B9(Folat)-Supplementen und einer erhöhten Inzidenz von Lungenkrebs [Ebbing et al. 2009]. Auch die Auswertung der VITAL-Kohorte (Vitamins and Lifestyle Cohort Study) lieferte bei Männern Hinweise auf ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko nach Vitamin-B6- und -B12-Supplementation [Brasky et al. 2017]. Und 2018 bestätigte eine methodisch sehr gute Studie die Hypothese, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen hochdosierter Vitamin-B12-Supplementation und Lungenkrebs gibt [Fanidi et al. 2018, DAZ 2019, Nr. 6, S. 28].
In einer nun publizierten Auswertung der Nurses’ Health Study fanden Wissenschaftler aus Norwegen und den USA einen Zusammenhang zwischen der erhöhten Zufuhr der Vitamine B6 und B12 und dem Risiko für Hüftfrakturen bei Frauen [Meyer HE et al. 2019].
Auswertung der prospektiven Kohortenstudie
In die Nurses’ Health Study wurden über 75.000 Frauen eingeschlossen, die im Zeitraum von 1984 bis 2014 beobachtet wurden. Die Erhebung der Ernährungsdaten beinhaltete auch die eingenommenen Nahrungsergänzungsmittel. Innerhalb des Beobachtungszeitraums kam es bei 2.304 Frauen zu Hüftfrakturen. Dabei zeigte sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Zufuhr der Vitamine B6 und B12 (kumulativ aus Nahrung und Supplementen) und dem relativen Risiko für Hüftfrakturen.
Im Vergleich zu den Frauen, die pro Tag < 2 mg Vitamin B6 aufnahmen, hatten die Frauen mit ≥ 35 mg/d ein relatives Risiko für Hüftfrakturen von 1,29 (95%-KI 1,04 – 1,59, p = 0,06). Frauen mit einer täglichen Vitamin-B12-Zufuhr ≥ 30 µg/d hatten im Vergleich zu Frauen mit einer Vitamin-B12-Zufuhr < 5 µg ein relatives Frakturrisiko von 1,25 (95%-KI 0,98 – 1,58, p = 0,02). Das höchste Risiko für Hüftfrakturen besaßen Frauen mit einer überdurchschnittlich hohen Zufuhr an beiden B-Vitaminen: Das Risiko der Hochzufuhr-Gruppe (B6 ≥ 35 mg/d und B12 ≥ 20 μg/d) für Hüftfrakturen war ungefähr um 50% höher als das der Niedrigzufuhr-Gruppe (B6 < 2 mg/d und B12 < 10 μg/d) (RR 1,47; 95%-KI 1,15 – 1,89).
Bestätigung früherer Daten
Zwar weist diese aktuelle Studie einige methodische Schwächen auf: z. B. gab es keine differenzielle Erfassung der Vitamin-B-Zufuhr aus Nahrung und Supplementen, keine Blutwertmessung, und die Ernährunganamnese erfolgte in mehrjährigem Abstand. Auch fehlt es bislang an einer schlüssigen biologischen Hypothese, die diese Beobachtung erklären würde.
Nichtsdestotrotz bestätigen diese Daten zahlreiche Studien, die unerwünschte Wirkungen der Vitamin-B-Supplementation beschrieben haben [Clarke et al. 2010, Loland et al. 2010, van Wijngaarden et al. 2014, Kok et al. 2015]. Und bereits 2017 hatte die Auswertung von zwei großen, randomisiert-kontrollierten Studien aus Norwegen gezeigt, dass die hochdosierte Vitamin-B6-Gabe das Risiko für Hüftfrakturen signifikant erhöht [Garcia Lopez et al. 2017]. Auch in diesen Studien war das Frakturrisiko in der Gruppe der kombinierten Vitamin-B6- und -B12-Gabe am höchsten.
Sehr hohe Praxisrelevanz
Die neuen Daten sind damit nicht die ersten Risikohinweise bei einer hochdosierten Vitamin-B-Supplementation. Dies ist äußerst praxisrelevant, da gerade die wasserlöslichen B-Vitamine häufig in unphysiologisch hohen Dosierungen eingenommen werden, die weit oberhalb der Zufuhrempfehlungen (Deutsche Gesellschaft für Ernährung, DGE) [DGE 2018] oder sogar der Tolerable Upper Intake Levels (European Food Safety Authority, EFSA) [EFSA 2018] liegen. Häufig geschieht dies in der Annahme, mit wasserlöslichen Vitaminen könne man nichts falsch machen, da überschüssige Substanz ohne Schaden mit dem Urin ausgeschieden wird. Dabei könnte es sich um einen gravierenden Irrtum handeln.
Für Vitamin B6 liegt die DGE-Zufuhrempfehlung für Erwachsene bei 1,4 mg/d (Frauen) – 1,6 mg/d (Männer); die Höchstmengenempfehlung des BfR für Vitamin B6 in Nahrungsergänzungsmitteln beträgt 3,5 mg [Weißenborn et al. 2018]. Für Vitamin B12 empfiehlt die DGE eine Zufuhr von 4 µg/d; die entsprechende BfR-Höchstmengenempfehlung für Vitamin B12 in Nahrungsergänzungsmitteln beträgt 25 µg.
Ein kurzer Marktcheck genügt, um zu sehen, dass bei uns Präparate weit verbreitet sind, deren Dosierungen teilweise weit oberhalb der BfR-Höchstmengenempfehlungen liegen. Auch im Hinblick auf die neuen Studiendaten sollten diese Hochdosispräparate echten medizinischen Indikationen wie dem spezifischen Ausgleich eines diagnostizierten Mangels vorbehalten sein [Podlogar und Smollich 2019]. Die unspezifische, hochdosierte Anwendung dagegen könnte erhebliche Risiken bergen.
In der Beratung zur nicht eindeutig medizinisch indizierten Supplementation sollte man sich aus gutem Grund auf Präparate beschränken, deren Dosierungen unterhalb der BfR-Höchstmengenempfehlungen (Vitamin B6: max. 3,5 mg/NEM; Vitamin B12: max. 25 µg/NEM) bzw. unterhalb des Tolerable Upper Intake Levels der EFSA liegen (Vitamin B6: max. 25 mg/d; für Vitamin B12 nicht definiert) [Weißenborn 2018, EFSA 2018]. |
Literatur
Brasky TM et al. Long-Term, Supplemental, One-Carbon Metabolism-Related Vitamin B Use in Relation to Lung Cancer Risk in the Vitamins and Lifestyle (VITAL) Cohort. J Clin Oncol 2017; 10.1200/JCO.2017.72.7735.
Clarke R, Halsey J, Lewington S, et al; B-Vitamin Treatment Trialists’ Collaboration. Effects of lowering homocysteine levels with B-vitamins on cardiovascular disease, cancer, and cause-specific mortality: meta-analysis of 8 randomized trials involving 37 485 individuals. Arch Intern Med. 2010; 170(18):1622–1631.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung. D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, 2. Aufl., 4. aktualisierte Ausgabe 2018.
Ebbing M et al. Cancer incidence and mortality after treatment with folic acid and vitamin B12. JAMA 2009; 302(19):2119–2126.
EFSA (European Food Safety Authority): Overview on Tolerable Upper Intake Levels as derived by the Scientific Committee on Food (SCF) and the EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (NDA). EFSA (2018)
Fanidi A et al. Is high vitamin B12 status a cause of lung cancer? Int J Cancer 2018. doi: 10.1002/ijc.32033 [Epub ahead of print]
Garcia Lopez M, Bonaa KH, EbbingM, et al. B-vitamins and hip fracture: secondary analyses and extended follow-up of two large randomized controlled trials. J Bone Miner Res. 2017;32(10):1981–1989.
Giovannucci E. Epidemiologic studies of folate and colorectal neoplasia: a review. J Nutr 2002;132(8):2350S–2355S.
Kok DEG et al. The effects of long-term daily folic acid and vitamin B12 supplementation on genome-wide DNA methylation in elderly subjects. Clin Epigenetics 2015;7:121.
Meyer HE et al. Association of High Intakes of Vitamins B6 and B12 From Food and Supplements With Risk of Hip Fracture Among PostmenopausalWomen in the Nurses’ Health Study. JAMA Netw Open 2019;2(5): e193591.
Podlogar J, Smollich M. Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente: Beratungswissen für die Apothekenpraxis. 1. Auflage 2019, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart.
Sanjoaquin MA et al. Folate intake and colorectal cancer risk: a meta-analytical approach. Int J Cancer 2005;113(5):825–828.
van Wijngaarden JP, Swart KM, Enneman AW, et al. Effect of daily vitamin B12 and folic acid supplementation on fracture incidence in elderly individuals with an elevated plasma homocysteine concentration: B-PROOF, a randomized controlled trial. Am J Clin Nutr. 2014;100(6):1578–1586.
Weißenborn A et al. Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln. J Consum Prot Food Saf 2018;13:25–39.
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