Die Seite 3

Hitzige Debatten

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Für die derzeitigen Temperaturen im Land ist nicht nur das Wetter verantwortlich. Es kocht wieder einmal die grundlegende Diskussion über die Homöopathie hoch. Man könnte sogar meinen, dass die Wortführer es gerade bis zum Siedepunkt treiben und diesmal ein Exempel statuieren wollen. Die Diskussion ist zudem geprägt von einer ganzen Menge Polemik, wenn man sich vor Augen führt, welchen Klamauk der Satiriker Jan Böhmermann daraus in seiner Late-Night-Show veranstaltete.

Eine bedenkliche Entwicklung – denn vielleicht ist die Auseinandersetzung mit der Homöopathie nur ein Symptom, und es geht eigentlich darum, ob wir akzeptieren, dass jeder Mensch eben eine andere Vorstellung von Leid und Leben hat als man selbst.

Heilberufler, Wissenschaftler und Politiker streiten sich in der Frage, ob es Therapien ohne gesicherten Wirksamkeitsnachweis überhaupt geben darf, unter welchen Umständen sie erstattet werden und wie viel Spiritualität und Esoterik wir im Gesundheitswesen vertragen. Das muss alles zunächst einmal nichts mit der Homöopathie-Debatte zu tun haben.

So herrscht beispielsweise seit Jahren in der Fachwelt eine Kontroverse um die Klasse der Antidepressiva: Würde man auch die Ergebnisse von bisher unveröffentlichten und unter Verschluss gehaltenen Studien auswerten, käme heraus, dass Antidepressiva sich nicht in mehr als 90 Prozent der Untersuchungen, sondern nur bei weniger als die Hälfte als Placebo-überlegen ­herausstellen. Mit diesem Fazit einer wissenschaftlichen Übersichtsarbeit konfrontierte erst vergangene Woche wieder eine Reportage im Hessischen Rundfunk die Hersteller einschlägiger Präparate.

Die Therapieerfolge sind also auch hier eine Mischung aus Pharmakologie, ­Placebo und „Voodoo“. So was lässt sich auch ganz unspektakulär umschreiben mit Zuwendung oder mit „Sich-Zeit-nehmen“ für die Sorgen und Bedürf­nisse der Patienten. Eine zentrale heilberufliche Fähigkeit, die in der Schulmedizin lange unterschätzt wurde und daraufhin viele Patienten ihr Heil in der Komplementärmedizin hat suchen (und finden) lassen.

Es ist nicht zielführend, diese ­Menschen öffentlich an den Pranger zu stellen, ihre Wünsche nach Hilfe und Heilung zu ignorieren und sie im schlimmsten Fall in die Arme von Quacksalbern und Halsabschneidern zu treiben. Gegner der Homöopathie würden Globuli und Tropfen am liebsten im Bonbonregal des Supermarktes und nicht in der Apothekenpflicht sehen. Sie gehen davon aus, der Arzneimittelstatus und die ­Erstattungsfähigkeit würden „adeln“ und Präparate auf ein Podest stellen, die es ihrer ­Meinung nach nicht verdient ­haben.

Doch das trifft nicht den Gedanken unseres Zulassungsrechts. Alle ­Methoden und Mittel, die sich als ­Arzneimittel präsentieren, sollen unter besonderer Beobachtung und Verantwortung stehen. Im Zweifel sind sie gar nicht verkehrsfähig. Denn auch besondere Therapierichtungen können Risiken und Nebenwirkungen aufweisen, unabhängig davon, ob ihre Wirksamkeit nun nachgewiesen wurde oder nicht (S. 20).

In Frankreich will aktuell die oberste Gesundheitsbehörde die Erstattungs­fähigkeit von Homöopathika aufgrund mangelnder Wirksamkeitsnachweise streichen. Laut einer Umfrage sind drei Viertel der Franzosen dagegen (S. 19). Es ist schwierig, als Gesetzgeber mit dieser Diskrepanz umzugehen. Daher ist es umso wichtiger, dass – abgesehen von den hitzigen Debatten über Wirksamkeit und Erstattungsfähigkeit – die Wege in die Apotheke ­führen und nicht zwischen die unpersönlichen Regale des Einzelhandels.

Armin Edalat

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