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Toxikologie

Glyphosat in aller Munde

Wie gefährlich ist das Pflanzenschutzmittel?

Gibt man bei der Internet-Such­maschine Google den Begriff „Glyphosat“ ein, so wird man aktuell mit ungefähr 2,5 Millionen Treffern beliefert [1]. Der entsprechende Wikipedia-Eintrag umfasst stolze 17.000 Worte und enthält allein mehr als 230 Literaturhinweise [2]. Glyphosat gilt als das am häufigsten eingesetzte Herbizid – und es steht in der Kritik, weil ein Zusammenhang zwischen der Anwendung Glyphosat-haltiger Herbizide und dem Auftreten von Tumorerkrankungen diskutiert wird. Problematisch ist dabei vor allem, dass unterschiedliche Behörden zu einer unterschiedlichen Gefährdungsbeurteilung kommen. | Von Kurt Grillenberger

Die aktuellsten Meldungen beziehen sich auf ein Gerichts­urteil des Bundesbezirksgerichts Kalifornien vom 20. März 2019, in dem dieses zu der Überzeugung gelangt, dass das Glyphosat-haltige Mittel „Roundup“ einen „erheblichen Faktor“ bei der Entstehung der Krebserkrankung des Klägers ausgemacht hat [3]. Bereits im August 2018 wurde die Bayer-Tochter Monsanto zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von umgerechnet rund 250 Millionen Euro verurteilt, da das Gericht einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflich bedingten, jahrelangen Anwendung Glyphosat-haltiger Herbizide und der Non-Hodgkin-Lymphom-Erkrankung des Klägers als erwiesen ansah [4].

Was im Zusammenhang mit diesen Meldungen zu einer vermehrten Verunsicherung führt, ist die – zumindest auf den ersten Blick – unterschiedliche Gefährdungsbeurteilung des Wirkstoffs Glyphosat durch jeweils in ihrer Seriosität an­erkannte nationale und internationale Aufsichtsbehörden: Während die Internationale Krebsforschungsagentur IARC (International Agency for Research on Cancer), eine Ein­richtung der Weltgesundheitsorganisation WHO, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft, kommen das nationale Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority) – neben einer Anzahl weiterer internationaler Einrichtungen – zu der Einschätzung, dass von diesem keine Krebsgefahr ausgeht. Zunächst aber nochmals mindestens einen Schritt zurück. Was ist dieser so heiß umstrittene Stoff genau?

Glyphosat – ein Steckbrief

Glyphosat ist weltweit das seit Jahren meist verkaufte, in mehr als 160 Ländern erhältliche Unkrautvernichtungsmittel und gehört zur Gruppe der Totalherbizide. Im Jahr 2017 wurden allein in Deutschland rund 4700 Tonnen Glyphosat verkauft, was einem Anteil von 28% an der gesamten nationalen Herbizid-Abgabe entspricht [5].

Es tötet nichtselektiv alle ein- und zweikeimblättrigen Pflanzen ab – außer diese wurden gentechnisch so ver­ändert, dass sie gegen die Glyphosat-Wirkung resistent sind. Chemisch gehört die Verbindung zu den Phosphonaten und stellt ein Derivat der Aminosäure Glycin dar (siehe Abb.1).

Abb. 1: Glyphosat

Der Wirkstoff wurde 1974 von der Firma Monsanto, die seit dem Jahr 2018 zur Bayer-Gruppe gehört, unter dem Namen „Roundup“ zur Unkrautbekämpfung in der Landwirtschaft, im Gartenbau und in Privathaushalten auf den Markt gebracht. Bei Glyphosat handelt es sich um einen wenig wasserlöslichen, farblosen Feststoff mit einem Schmelzpunkt (unter Zersetzung) von 230 °C. Als amphotere Substanz besitzt es vier unterschiedliche pKS-Werte und kann sowohl als undissoziierte Säure als auch als Isopropylamin-, Ammonium- oder Kalium-Salz eingesetzt werden. Der Hauptmetabolit von Glyphosat ist Aminomethylphosphonsäure (AMPA), die in der Natur häufiger und in höherer Konzentration nachgewiesen werden kann als Glyphosat selbst (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Glyphosat-Metabolit AMPA

Der Wirkmechanismus von Glyphosat beruht – basierend auf der Strukturähnlichkeit zu Phosphoenolpyruvat (siehe Abb. 3) – auf einer kompetitiven Hemmung des Enzyms 5-Enol­pyruvylshikimat-3-phosphat-Synthase (EPSPS), das die Umsetzung von Shikimat-3-phosphat mit Phosphoenolpyruvat zu 5-Enolpyruvylshikimat-3-phosphat katalysiert (Abb. 4).

Abb. 3: Phosphoenol­pyruvat
Abb. 4: Angriff im Shikimisäure-Stoffwechselweg Der Shikimat-Weg ist ein Stoffwechselweg in Pflanzen und Mikroorganismen zur Synthese der aromatischen Amino­säuren Tryptophan, Tyrosin und Phenylalanin. Glyphosat blockiert die 5-Enolpyruvyl­shikimat-3-phosphat-Synthase (EPSPS), sodass die Pflanzen keine aromatischen Aminosäuren mehr produzieren können.

Letzteres stellt eine nicht ersetzbare Zwischenstufe in der pflanzlichen Synthese der aromatischen Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan dar. Fehlen die genannten Aminosäuren oder sind sie nur in unzureichender Menge vorhanden, so stirbt die Pflanze. Autotrophe Lebewesen wie Pflanzen beherrschen den Shikimisäure-Weg. Er ist Teil ihres Primärstoffwechsels, liefert aber auch Vorstufen für sekundäre Pflanzenstoffe. Abgesehen von den oben genannten proteinogenen aromatischen Aminosäuren werden eine Reihe weiterer Substanzen mit aromatischen Ringen über den Shikimat-Weg generiert. Auch bei zahlreichen Bakterien und Pilzen wurde der Shikimisäure-Weg nachgewiesen. Tieren fehlen dagegen die entsprechenden Enzyme [6]. Der Mensch nimmt Phenylalanin und Tryptophan über die Nahrung auf und Tyrosin wird aus Phenylalanin biosynthetisiert, sodass der beschriebene Mechanismus den menschlichen Aminosäure-Stoffwechsel nicht tangiert. Dies begründet die sehr geringe akute Toxizität der Substanz.

Glyphosat wird als Blattherbizid über alle grünen Pflanzenteile durch Diffusion aufgenommen und über das Phloem systemisch über die ganze Pflanze verteilt. Die Ausbringung erfolgt in der Regel vor der Aussaat der Nutzpflanzen, um vorhandene Unkräuter abzutöten. Um die Verteilung und Aufnahme der (vor allem in der Salzform) sehr polaren Substanz über die äußerst lipophile Cuticula auf der Pflanzen­oberfläche zu verbessern, wird der Wirkstoff in den Handelspräparaten in der Regel mit grenzflächenaktiven Netzmitteln wie Talgfett-Aminoxethylaten (Tallowaminen) versetzt, deren Toxizität – beispielsweise gegenüber Amphibien – um ein Vielfaches höher angenommen wird als die von Glyphosat [7].

Wegen seiner Strukturähnlichkeit zu Phosphat lagert sich Glyphosat ähnlich stark an Bodenmineralien wie z.B. Aluminium- oder Eisenverbindungen an wie Phosphat selbst. Durch diese starke Adsorption wird Glyphosat, das auf den Boden gelangt, nur in sehr geringem Umfang von den Pflanzen aufgenommen. Von daher kann auch relativ rasch nach einer Herbizid-Anwendung eine Aussaat oder Neubepflanzung erfolgen [8]. Entgegen der Annahme, dass höhere Phosphatkonzentrationen im Boden zu einer vermehrten Auswaschung von adsorbiertem Glyphosat führen könnten, haben verschiedene Labor- und Feldstudien keinen signifikanten Einfluss des Bodenphosphat-Gehalts gezeigt [9]. Die starke Mineralienadsorption begründet auch die Tatsache, dass Glyphosat nur selten und nur in geringen Konzentrationen im Grundwasser nachweisbar ist. Vom Umweltbundesamt vorgelegte Studien zeigen, dass der Anteil der insgesamt über 66.000 Grundwassermessstellen, an denen der gesetzlich festgelegte Grenzwert von 0,1 µg/l in den Jahren 2008, 2009 und 2011 überschritten wurde, bei etwa 0,5% liegt [10]. Glyphosat wird von Mikroorganismen im Boden rasch abgebaut. Die Halbwertszeit im Boden (DT50-Wert) beträgt auf Ackerland im Mittel 14 Tage [11]. Feldversuche auf Acker- und Waldflächen in Europa und Nordamerika erbrachten DT50-Werte zwischen 1,2 und 197 Tagen, der Durchschnitt aus allen Studien betrug 32 Tage [8]. Aufgrund des hohen Schmelzpunktes verdunstet Glyphosat nicht. Eine Kontamination der Luft ist damit ausgeschlossen.

Glyphosat wirklich in aller Munde?

Im Bier?

In den Jahren 2016 und 2017 hat das privatrechtliche Umweltinstitut München e.V. jeweils 14 der beliebtesten deutschen Biere auf deren Glyphosat-Gehalt mittels LC-MS/MS-Methode untersucht [20]. Die schlechte Nachricht: In allen untersuchten Bieren konnte Glyphosat nachgewiesen werden. Die gute Nachricht: Die analysierte Menge an Unkrautvernichter nahm von 2016 (durchschnittlich 7,7 µg/l) auf 2017 (durchschnittlich 1,7 µg/l) deutlich ab. Vergleicht man diese Werte mit dem gesetzlichen Grenzwert für Trinkwasser (0,1 µg/l), so sind sie noch immer kein Grund zur Beruhigung. Aber wie immer bei solchen Zahlenvergleichen sollte kritisch betrachtet werden, was man vergleicht. Die geschätzte Tagesaufnahme von Trinkwasser pro Tag (durch Trinken und Essen) beträgt ca. 5 Liter [21]. Verglichen mit einem halben Liter Bier dürfte der Grenzwert also verzehnfacht werden.

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Fakt ist: In Bier (und auch in anderen Lebensmitteln) ist Glyphosat nachweisbar, dessen krebserregende Wirkung zumindest stark umstritten ist. Fakt ist aber auch: Alkohol ist krebserregend. Bei über 45 g Alkohol (ca. 1 Liter Bier) pro Tag nimmt das Darmkrebsrisiko um 41% zu. Der Konsum von mehr als 80 g Alkohol pro Tag erhöht das Leberkrebsrisiko um das Vier- bis Siebenfache [22]. Argumente, die auch vergleichbare Untersuchungen über Glyphosat-Nachweise in Wein relativieren.

Und in der Muttermilch? Im Jahr 2015 wurden auf Veranlassung der Partei Bündnis 90/Die Grünen Milchproben von 16 stillenden Müttern mittels ELISA-Test auf Glyphosat untersucht, was Gehalte von 0,2 bis 0,4 ng/ml erbrachte. Später stellte sich heraus, dass die verwendete Analysenmethode für Milch nicht sicher geeignet ist. Nachfolgende vom BfR in Auftrag gegebene LC-MS/MS-Analysen von 114 Muttermilchproben konnten bei keiner der untersuchten Proben Glyphosat nachweisen [23].

Im Fokus heftiger Diskussionen

Wie bereits erwähnt, ist die unterschiedliche Bewertung der Gesundheitsgefahren, insbesondere die kontrovers diskutierte Frage einer krebserregenden Wirkung, durch verschiedene nationale und internationale Behörden nur auf den ersten Blick widersprüchlich, denn die Institutionen verfolgen unterschiedliche Ansätze und Definitionen. Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC hinterfragt, ob Substanzen – wie hier Glyphosat – grundsätzlich schädigende Auswirkungen auf Zellen haben können, die zur Entstehung von Krebs führen können. Dieser Definition folgend, stuft die IARC Glyphosat prinzipiell in die Kategorie 2A („wahrscheinlich krebserregend“) ein. Neben zahlreichen anderen chemischen Einzelsubstanzen sind in dieser IARC-Kategorie auch der Genuss heißer Getränke über 65 °C, der Konsum von rotem Fleisch oder Schichtarbeit eingestuft [12].

Andere Institutionen wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) oder die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nehmen eine Einschätzung des Krebsrisikos unter realistischen Anwendungsbedingungen vor und kommen zu wesentlich weniger kritischen Stellungnahmen. Auch das Joint FAO/WHO Meeting on Pesticide Residues (JMPR), das sich speziell mit der Harmonisierung der Risikoeinschätzung von Pestizid-Rückständen beschäftigt, kommt 2016 zu dem Ergebnis, dass von Glyphosat bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung und innerhalb des Acceptable Daily Intake (ADI) – also der erlaubten Tagesdosis – „keine Gefahr für den Verbraucher ausgeht“.

Wichtig zu unterscheiden von einer Gefahr für den Verbraucher ist das Risiko für den Anwender, also den Gärtner oder den Landwirt, der ohne ausreichende Schutzausrüstung Glyphosat regelmäßig in Gärten und auf Felder ausbringt. Hier gibt es Studien, die ergeben haben, dass solche Anwender einem signifikant höheren Risiko für eine bestimmte Art des Lymphdrüsen-Krebses, das Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), ausgesetzt sind. Eine der neuesten derartigen Stu­dien von Zhang et al. [13] wertet dazu aktualisierte Daten der Agricultural Health Study (AHS), einer großen Kohortenstudie, sowie von fünf Fall-Kontroll-Studien aus und kommt zu dem Schluss, dass Personen, die Glyphosat-haltigen Pflanzenschutzmitteln am stärksten ausgesetzt waren, häufiger an einem NHL erkrankten als Personen, die weniger oder nicht exponiert waren. Es gebe demnach eine „überzeugende“ Verknüpfung zwischen der Aufnahme Glyphosat-haltiger Pflanzenschutzmittel und einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin-Lymphom. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung widerspricht in einer Stellungnahme vom 3. April 2019 [14] dieser Schlussfolgerung und zweifelt die Studienergebnisse an, „da nicht zwischen Glyphosat und den unterschiedlichen in den ausgebrachten Produkten enthaltenen Beistoffen unterschieden werden kann. Zudem wurde in einigen Studien nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Landwirte möglicherweise weiteren Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt waren.“ Aus Sicht des Bundesinstituts für Risikobewertung sei „bei Gesamtbetrachtung aller Erkenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Exposition (dem Kontakt) mit dem Wirkstoff Glyphosat und dem Auftreten eines Non-Hodgkin-Lymphoms daher nach wie vor nicht belegt“.

Streit vor Gericht

Amerikanische Gerichte fällten jedoch anderslautende Urteile. Die sechs Geschworenen der Jury des Bundesbezirksgerichts im US-Bundesstaat Kalifornien gelangten im März 2019 einstimmig zu der Überzeugung, dass das Glyphosat-haltige Mittel Roundup einen „erheblichen Faktor“ bei der Entstehung der Krebserkrankung des Klägers ausgemacht hat, der das Herbizid 25 Jahre (!) lang auf seinem Grundstück ausgebracht hat [3]. Bereits im August 2018 war Monsanto in einem anderen Prozess in San Francisco zur Zahlung von Schadenersatz in vielfacher Millionenhöhe verurteilt worden. Allerdings ist dieser Richterspruch noch nicht rechtskräftig, Bayer hatte Berufung eingelegt. Und auch ganz aktuell verlor Bayer Mitte Mai 2019 den dritten Prozess einer Schadensersatzklage und wurde von einem kalifornischen Gericht zur Zahlung von zwei Milliarden US-Dollar an ein Ehepaar verurteilt, das an Lymphdrüsenkrebs erkrankt ist. Auch dagegen hat Bayer angekündigt, Rechtsmittel einzulegen. Dennoch reagierte die Börse auf die aktuellen Gerichtsurteile höchst sensibel. Unmittelbar nach Bekanntwerden des aktuellen Urteils verlor die Bayer-Aktie zeitweise mehr als 10% an Wert und war nur noch rund 62 Euro wert. Zum Vergleich: Vor einem Jahr kostete die Bayer-Aktie noch rund 100 Euro, vor vier Jahren fast 150 Euro. Hinzu kommt, dass die ersten Gerichtsurteile als Präzedenzfälle für die mehr als 700 weiteren allein bei dem Gericht in San Francisco anhängigen Verfahren dienen könnten. Insgesamt sieht sich Bayer in den USA wegen des Unkrautvernichtungsmittels mit mehr als 13.000 Klägern konfrontiert. Grund genug für die Bayer-Aktionäre, dem Vorstand auf der Aktionärsversammlung Ende April die Entlastung zu versagen.

Die aktuelle Rechtslage

Für Europa ist die rechtliche Situation wie folgt: Die Europäische Kommission hat am 12. Dezember 2017 die Zulassung von Glyphosat als Pflanzenschutzmittel um weitere fünf Jahre bis zum 15. Dezember 2022 verlängert. Drei Jahre vor dem Ablaufdatum, also am 15. Dezember 2019, muss das Erneuerungsverfahren beginnen, in dem Antragsteller eine Verlängerung der Genehmigung beantragen können.

Der weitere Verlauf des mehrstufigen Genehmigungsverfahrens ist genau geregelt [15]:

  • 1. Der Hersteller des Wirkstoffs legt einem zuvor benannten berichterstattenden Mitgliedstaat einen Antrag auf Zulassung eines Wirkstoffs vor, zusammen mit den entsprechenden Unterlagen (Dossier).
  • 2. Für jeden Stoff wird zunächst von dem berichterstattenden Mitgliedstaat ein vorläufiger Risikobewertungs­bericht erstellt.
  • 3. Die Risikobewertung des berichterstattenden Mitgliedstaats wird von der EFSA zusammen mit allen Mitgliedstaaten einem Peer-Review unterzogen.
  • 4. Die EFSA verfasst eine Schlussfolgerung bezüglich des Wirkstoffs.
  • 5. Die Europäische Kommission trifft eine gesetzgeberische Entscheidung über die Aufnahme des Stoffs in die gemeinschaftliche Liste der genehmigten Wirkstoffe.

Im Fall von Glyphosat wurde aufgrund der zu erwartenden Fülle an vorgelegtem Datenmaterial und der damit verbundenen erheblichen Arbeitsbelastung nicht nur ein einzelner berichterstattender Mitgliedstaat, sondern eine Gruppe (Assessment Group on Glyphosate, AGG) von vier Mitgliedstaaten – Frankreich, Ungarn, Niederlande und Schweden – bestimmt, die das Antragsdossier durchsehen und einen vorläufigen Bewertungsbericht zur Erneuerung (Draft Renewal Assessment Report, RAR) erstellen soll, der dann von der EFSA im Jahr 2021 zu prüfen ist.

Auch international überwiegen Bewertungen von Glyphosat, die dieses nicht als krebserregend einstufen. Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Bewertungen internationaler Institutionen.

Tab. 1: Vergleichende Bewertung von Glyphosat hinsichtlich einer krebserregenden Wirkung
Institution
Bewertung
Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC)
wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)
nicht krebserregend
Europäische Chemikalienagentur (ECHA)
nicht krebserregend
gemeinsamer FAO/WHO-Sachverständigenausschuss für Pestizidrückstände (Joint FAO/WHO Meeting on Pesticide Residues, JMPR)
kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen
kanadisches Gesundheitsministerium Health Canada
kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen
Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV)
unwahrscheinlich, dass Glyphosat über die Ernährung ein Krebsrisiko für den Menschen darstellt
amerikanische Umweltschutzbehörde (Environmental Protection Agency, EPA)
wahrscheinlich nicht krebserregend
neuseeländische Umweltschutzbehörde (Environmental Protection Agency, EPA)
wahrscheinlich nicht krebserregend
Australian Pesticides and Veterinary Medicines Authority (APVMA)
weder krebserregend noch genotoxisch

Pflanzenschutz und Umweltschutz

Ein weiterer Kritikpunkt, der in Zusammenhang mit Glyphosat, eigentlich aber mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ganz allgemein verbunden ist, bezieht sich auf negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt (Biodiversität). Ein Positionspapier des Bundesamtes für Naturschutz beschäftigt sich ausführlich mit dieser Thematik [16]. Demnach wird Glyphosat in Deutschland mittlerweile auf ca. 27,5% der landwirtschaftlich bzw. auf ca. 39,4% der ackerbaulich genutzten Fläche angewendet [17]. Zu unterscheiden sind gemäß dem Positionspapier „direkte toxische Wirkungen auf Nichtzielarten“ von „indirekten Wirkungen auf Nichtzielarten“. Zu den direkten toxischen Wirkungen zählen die Vernichtung von unerwünschten (aber seltenen) Ackerwildkräutern, teilweise letale Auswirkungen auf Amphibien (z.B. Kaulquappen) sowie subletale Auswirkungen auf terrestrische Lebewesen wie eine Beeinträchtigung des Navigations- und Orientierungsverhaltens von Honigbienen bei höheren Expositionen mit Glyphosat oder negative Auswirkungen auf Nützlinge wie Spinnen. Indirekte Auswirkungen auf die biologische Vielfalt sind wesentlich schwieriger nachzuweisen, da diese ganz generell mit einer Intensivierung der Landwirtschaft einhergehen. Die großflächige Vernichtung der die Äcker begleitenden Flora durch Herbizide und die daraus folgende Dezimierung des Blütenangebots verknappen die Nahrung für blütenbesuchende sowie auf Wildkräuter spezialisierte Insekten. Die mit der Intensivierung der Agrarlandschaften einhergehenden steigenden Herbizid-Applikationen werden als eine mögliche Ursache für den massiven Insektenrückgang genannt [18]. Dies wiederum kann zu einem Populationsrückgang für höhere Arten wie Vögel und Kleinsäuger führen, die auf Samen, Insekten und Regenwürmer als Nahrungsgrundlage angewiesen sind. Besonders eindrücklich ist dies in Ländern, in denen gentechnisch veränderte Pflanzen mit Herbizid-Resistenz großflächig angebaut werden.

Die Einführung gentechnisch veränderter, Glyphosat-resistenter Nutzpflanzen brachte einen deutlichen Anstieg des Einsatzes von Glyphosat mit sich [19], denn diese können mit dem Herbizid besprüht werden, ohne Schaden zu nehmen, während Beikraut und andere Pflanzen absterben. In Deutschland sind aktuell keine gentechnisch veränderten Kulturpflanzen zum Anbau zugelassen.

Was ist die Alternative?

Natürlich gibt es Alternativen zum Einsatz von Glyphosat. Da wäre zum einen die Abkehr von der Industrialisierung der Landwirtschaft. Mit konventionellen Methoden wie „Pflügen und Jäten statt Spritzen“, dem Anbau von Boden­decker-Pflanzen oder mit Mischkulturen statt Monokulturen lassen sich auch auf natürlichem Weg Unkräuter beherrschen. Jeder Hobbygärtner weiß, dies ist zeitaufwendig, beschwerlich und nicht immer effektiv. Diese Methode eignet sich für den heimischen Garten, nicht aber für die professionelle Landwirtschaft. Chemische Alternativen für die konventionelle Landwirtschaft existieren zwar, sind aber in der Regel wesentlich toxischer für die Umwelt und belasten das Grundwasser stärker als Glyphosat. Nichtchemische, mechanische Alternativen (Pflügen u. a.) sind teuer, nicht für jede Gegebenheit geeignet und rufen möglicherweise größere Umweltschäden durch Erosion hervor. Ein Verzicht auf Glyphosat ist für den konventionellen Landwirt heute wirtschaftlich schwer darstellbar, solange sich am Preisgefüge nichts ändert. Das kann nur der ökologische Landbau durch seine höhere Wertschöpfung leisten. Und diesen zu fördern, das haben wir Verbraucher in den reichen Industrieländern durch unser Einkaufsverhalten zumindest zum Teil in der Hand. Eine Chance, die der Bevölkerung in armen Teilen unserer Welt verwehrt bleibt. |

Literatur

 [1] Google, abgerufen am 23. April 2019

 [2] Seite „Glyphosat“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 14. April 2019, 13:59 UTC. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Glyphosat&oldid=187558895, abgerufen am 23. April 2019

 [3] Monsanto: US-Jury gibt Glyphosat Mitschuld an Krebserkrankung. In: www.zeit.de. 20. März 2019, Abruf am 23. April 2019

 [4] Monsanto zu 289 Millionen US-Dollar Schmerzensgeld verurteilt. In: www.zeit.de. 11. August 2018, abgerufen am 23. April 2019

 [5] Absatz an Pflanzenschutzmitteln in der Bundesrepublik Deutschland (Ergebnisse der Meldungen gemäß §64 Pflanzenschutzgesetz für das Jahr 2017). Korrigierte Version November 2018, Informationen des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), www.bvl.bund.de/psmstatistiken

 [6] Horton HR, Moran LA, Scrimgeour KG, Perry MD, Rawn JD. Biochemie. Pearson Studium München, 4. aktualisierte Auflage 2008:711-712

 [7] Rick E. The lethal impact of Roundup on aquatic and terrestrial amphibians. Ecological Applications 2005;15(4):1118-1124

 [8] Giesy JP, Dobson S, Solomon KR. Ecotoxicological risk assessment for Roundup herbicide. In: Reviews of Environmental Contamination and Toxicology 2000;167:61-62

 [9] Borggaard OK. Does Phosphate Affect Soil Sorption and Degradation of Glyphosate? – A Review. Trends in Soil Science and Plant Nutrition 2011;2(1):16-27

[10] Glyphosat. Informationen des Umweltbundesamts vom 5. Februar 2016, www.umweltbundesamt.de

[11] Copping LG. Metabolic pathways of agrochemicals: part two - insecticides and fungicides. Royal Society of Chemistry, Cambridge 1999 in: Pest Management Science 2000;56:397-398

[12] IARC Monographs on the Evaluation of Risk to Humans. International Agency for Research on Cancer (IARC), List of Classifications, Volumes 1-115, 22. Februar 2016. Retrieved 5. März 2016, www.iarc.fr

[13] Zhang L, Rana I, Shaffer RM, Taioli E, Sheppard L. Exposure to Glyphosate-Based Herbicides and Risk for Non-Hodgkin Lymphoma: A Meta-Analysis and Supporting Evidence. Mutation Research-Reviews in: Mutation Research 2019

[14] Neue Metaanalyse zu Glyphosat-haltigen Pflanzenschutzmitteln ändert die Bewertung des Wirkstoffs nicht. Stellungnahme Nr. 008/2019 des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 3. April 2019, www.bfr.de

[15] Glyphosat. Informationen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), www.efsa.europa.eu, Abruf am 23. April 2019

[16] Positionspapier des Bundesamtes für Naturschutz: Auswirkungen von Glyphosat auf die Biodiversität. 2018

[17] Dickeduisberg M, Steinmann HH, Thevsen L. Erhebung zum Einsatz von Glyphosat im deutschen Ackerbau. 25th German Conference on Weed Biology and Weed Control, 13. bis 15. Mai 2012, Braunschweig

[18] Hallmann CA, Sorg M, Jongejan E, Siepel H et al. More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS One 2017;12(10):e0185809

[19] Benbrook CM. Trends in glyphosate herbicide use in the United States and globally. Environmental Sciences Europe 2016;28:3

[20] Glyphosat im Bier: Wie belastet sind deutsche Biere 2017? Umweltinstitut München e.V., www.umweltinstitut.org, Abruf am 1. Mai 2019

[21] Zahl der Woche: 127 Liter Leitungswasser ... . Informationen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW), www.bdew.de, Abruf am 1. Mai 2019

[22] Heidt C, Mau M, Kahnert S. Alkohol und Krebs. Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg 2014

[23] BfR-Studie bestätigt: Kein Glyphosat in Muttermilch nachweisbar. Stellungnahme Nr. 008/2016 des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 11. Februar 2016, www.bfr.bund.de, Abruf am 1. Mai 2019

Autor

Prof. Dr. Kurt Grillenberger, Pharmaziestudium und Promotion in Erlangen; Forschungstätigkeit an der Abteilung Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Ulm; seit 1997 Dozent am Berufskolleg für PTA und an der Hochschule der Naturwissenschaftlich-technischen Akademie Prof. Dr. Grübler gGmbH; seit 2015 Rektor der nta Hochschule Isny; Lehrbeauftragter für Chemie an der Hochschule Kempten

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