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Arzneimittel und Therapie
Erdnuss-Desensibilisierung mit Risiken
Mehr anaphylaktische Reaktionen nach oraler Immuntherapie
Schätzungen zufolge leiden in Europa und Nordamerika etwa sechs Millionen Menschen an Lebensmittelallergien, die die Lebensqualität zum Teil stark einschränken und unter Umständen tödlich verlaufen können. Während sich bei Milch- oder Hühnereiallergikern im Laufe der Kindheit häufig eine spontane Toleranzentwicklung einstellt, persistiert eine Erdnussallergie meist lebenslang. Daher kommt effektiven Präventions- und Behandlungsmethoden eine besondere Bedeutung zu. An erster Stelle steht hierbei – neben dem Bereithalten von Notfallarzneimitteln – die Allergenkarenz, die jedoch im Alltag nicht leicht praktikabel ist und ständige Aufmerksamkeit erfordert. Ein weiterer Ansatz ist die Desensibilisierung, bei der der Patient unter kontrollierten Bedingungen steigenden Dosen des jeweiligen Allergens ausgesetzt wird. Anders als beispielsweise bei Hausstaubmilben- oder Pollenallergien ist die spezifische Immuntherapie (subcutan, sublingual oder oral) bei Lebensmittelallergien bisher nicht etabliert.
Unbefriedigende Datenlage
Die deutsche Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien von 2015 empfiehlt, die spezifische orale, sublinguale oder subcutane Immuntherapie mit Nahrungsmittelallergenen bei der primären Nahrungsmittelallergie zurzeit nur im Rahmen von kontrollierten Studien einzusetzen, da Langzeitdaten fehlen und ein erhöhtes Risiko allergischer Reaktionen besteht [1].
Ein Cochrane-Review zur oralen Immuntherapie bei Erdnussallergien aus dem Jahr 2012, der allerdings nur eine einzelne kleine Studie einschloss, deutete zwar auf eine gewisse Desensibilisierung durch die orale Immuntherapie hin, beschrieb aber gleichzeitig ein erhöhtes Risiko zum Teil schwerwiegender allergischer Reaktionen [2]. Die unbefriedigende Datenlage nahm eine Gruppe kanadischer Wissenschaftler zum Anlass, einen umfassenden systematischen Review unter Einbeziehung auch nicht englischsprachiger Literatur durchzuführen, wobei sie immerhin zwölf randomisierte, kontrollierte Studien an insgesamt über 1000 Patienten identifizierte. Primäre Endpunkte der anschließenden Metaanalyse waren Anaphylaxie, allergische oder sonstige unerwünschte Reaktionen, Adrenalin-Gebrauch und Lebensqualität.
Die orale Immuntherapie mit Erdnussprotein führte im Vergleich zu Placebo zu einer erhöhten Toleranz: Die Patienten der Verumgruppe bestanden einen oralen Provokationstest unter klinisch überwachten Bedingungen zwölfmal häufiger als die der Placebogruppe. Der Anteil der toleranten Patienten sank jedoch mit jedem zusätzlichen Gramm Erdnussprotein. Demgegenüber standen vermehrte unerwünschte Ereignisse außerhalb der Klinik: Das Anaphylaxierisiko verdreifachte sich, der Einsatz von Adrenalin war etwa doppelt so häufig erforderlich, und auch milde allergische und nicht allergische Reaktionen wie Erbrechen oder Hautsymptome traten bei Patienten, die mit einer oralen Immuntherapie behandelt wurden, häufiger auf. Unterschiede in der Lebensqualität konnten nicht festgestellt werden.
Fokus auf Allergenkarenz
Insgesamt wird der Nettonutzen von den Studienautoren negativ bewertet: Anstatt allergische und anaphylaktische Reaktionen zu verhindern, werden diese durch die Desensibilisierung im Alltag scheinbar begünstigt. Die Autoren fordern daher weitere Studien, bevor die orale Immuntherapie bei Erdnussallergie Eingang in die Routineversorgung hält. Bis dahin liegt der Fokus weiter auf der Allergenkarenz. |
Quelle
[1] S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien. Allergo J Int 2015;24:256-293
[2] Nurmatov U et al. Allergen-specific oral immunotherapy for peanut allergy. Cochrane Database Syst Rev 2012;(9):CD009014
[3] Chu DK et al. Oral immunotherapy for peanut allergy (PACE): a systematic review and meta-analysis of efficacy and safety. Lancet 2019; doi:10.1016/S0140-6736(19)30420-9
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