DAZ aktuell

Wie Jens Spahn die Vor-Ort-Apotheken „stärken“ will

Gesetzentwurf liegt vor: Boni-Verbot, Impfen, Honorar, Dauerverordnungen

BERLIN (ks) | Es ist so weit: Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat am 8. April 2019 den Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ vorgelegt. Dieser setzt die Eckpunkte um, die Minister Jens Spahn Mitte März angekündigt hatte. Doch es findet sich noch mehr darin: Insbesondere soll es Modellprojekte für Grippeschutzimpfungen in Apotheken geben. Auch das Honorarplus fällt mit insgesamt 205 Millionen Euro wieder etwas höher aus als in der zweiten Version der Eckpunkte.

Spahn hatte die Rückkehr zur Gleichpreisigkeit versprochen. Geschehen soll dies über einen Zusatz in § 129 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) – der Norm, die aufzählt, wozu sich Apotheken nach dem Rahmenvertrag zwischen Deutschem Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband bei der Abgabe von Arzneimitteln verpflichten müssen. Bislang finden sich hier insbesondere Bestimmungen zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel, zu Importen oder wirtschaftlichen Einzelmengen. Künftig sollen Apotheken auch verpflichtet sein, die in der Arzneimittelpreisverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise einzuhalten. Für den Fall, dass sie gegen diese Vorgabe verstoßen, ist im Rahmenvertrag vorzusehen, dass Apotheken Vertragsstrafen von bis zu 50.000 Euro erhalten oder bis zur Dauer von zwei Jahren von der GKV-Versorgung ausgeschlossen werden.

Streichen will das BMG dagegen jenen Satz im Arzneimittelgesetz, der vor dem EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 die Rx-Preisbindung für EU-Versender gesetzlich fixiert hatte. Dies geschieht offensichtlich unter dem Druck des Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission. Diese Streichung hatten die apothekerlichen Standesorganisationen schon im Eckpunkte-Stadium kritisiert – nicht zuletzt, um für Privatversicherte die Gleichpreisigkeit zu sichern.

EU-Logo statt Länderliste

Zudem soll ein weiterer Satz im Arzneimittelgesetz wegfallen: Die Rechtsgrundlage der sogenannten Länder­liste. Hier sind bislang die EU-Staaten aufgeführt, aus denen der Arzneimittelversand nach Deutschland zulässig ist, weil in ihnen mit dem deutschen Recht vergleichbare Sicherheitsstandards bestehen. Für die Niederlande ist der Versand laut Liste bislang nur erlaubt, soweit die fragliche Versandapotheke auch eine Präsenzapotheke unterhält. Doch das BMG hält die Länderliste angesichts des 2015 eingeführten einheitlichen europäischen Versandhandelslogos mittlerweile für obsolet.

Versicherte erhalten Anspruch auf Dienstleistungen

Die zugesagten neuen pharmazeu­tischen Dienstleistungen werden ebenfalls in § 129 SGB V geregelt. Versicherte sollen künftig einen „Anspruch auf zusätzliche honorierte pharmazeutische Dienstleistungen“ haben. Um welche es sich dabei genau handelt, vereinbaren DAV und GKV-Spitzenverband „im Benehmen“ mit dem PKV-Verband. Laut Begründung gehören dazu Medikationsanalyse und -management, die Betreuung besonderer Patientengruppen sowie die Gesundheitsberatung und die Erfassung definierter Gesundheitsparameter.

Die Finanzierung erfolgt durch einen zusätzlichen in der Arzneimittelpreisverordnung verankerten Festzuschlag in Höhe von 20 Cent je abgegebener Rx-Packung. Die Verteilung dieser zusätzlichen Mittel erfolgt durch den DAV. 150 Millionen Euro sollen ins­gesamt für diese Dienstleistungen zusammenkommen.

350 Euro Notdienstpauschale

In der Arzneimittelpreisverordnung wird zudem der bisherige Festzuschlag zur Förderung der Sicherstellung von Notdiensten von derzeit 16 Cent auf künftig 21 Cent angehoben – 40 Millionen Euro mehr soll dies für die Apothekennotdienste bringen. Die Pauschale würde damit künftig bei rund 350 Euro liegen. Und auch für die Abgabe von Betäubungsmitteln soll es künftig mehr Geld geben: Statt zusätzlich 2,91 Euro können Apotheken künftig 4,26 Euro einschließlich Umsatzsteuer berechnen. 15 Millionen Euro Mehrausgaben kalkuliert hier das Ministerium.

Impf-Projekt und Wieder-holungsverschreibungen

Der Gesetzentwurf greift auch das umstrittene Thema Impfen in der Apotheke auf: Ein neuer § 132i SGB V sieht regionale Modellvorhaben zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen in Apotheken vor. Krankenkassen oder deren Landesverbände können mit Apotheken, Gruppen von Apotheken oder den Landesapothekerverbänden entsprechende Vorhaben vereinbaren. In den Verträgen sollen die Voraussetzungen für die Durchführung, Vergütung, Abrechnung und Dokumentation geregelt werden. Die Modellprojekte sollen auf fünf Jahre begrenzt sein sowie wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden. In ihrem Rahmen können Apotheken sodann – soweit das Berufsrecht nicht entgegensteht – Grippeimpfungen durchführen. Allerdings sind zuvor ärztliche Schulungen nötig.

Eine weitere Überraschung des Entwurfs: Es sollen Verschreibungen eingeführt werden, die eine wiederholte Abgabe von Arzneimitteln ermög­lichen. Konkret sollen Ärzte für GKV-Versicherte mit einer schwerwiegend chronischen Erkrankung Rezepte ausstellen, auf die bis zu drei Mal ein Arzneimittel abgegeben werden kann. Das soll die Ärzteschaft entlasten, heißt es. Für wen dies infrage kommt, soll der Entscheidung der Ärzte obliegen.

Absage an Abgabeautomaten

Weiterhin plant das BMG Änderungen an § 17 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Ein neuer Absatz soll ausdrücklich klarstellen, dass Geschäftsideen wie der Hüffenhardter Arzneimittelautomat keinen Einzug in die Versorgungslandschaft halten sollen: „Eine Bereitstellung und Abgabe von Arzneimitteln mittels automatisierter Ausgabestation ist unzulässig, soweit die Ausgabestation nicht unmittelbar mit den Apothekenbetriebsräumen verbunden ist und nicht ausschließlich der Abholung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln dient, die zuvor bei der Apotheke bestellt wurden und zu denen eine Beratung bereits stattgefunden hat (…)“. In der Begründung heißt es, es bestehe im Hinblick auf das vorhandene flächendeckende Apothekennetz und den ergänzenden Versandhandel kein Bedarf an zusätzlichen Versorgungsoptionen. Automatische Ausgabestationen verwischten zudem die Grenze zwischen der Versorgung durch Präsenzapotheken und dem Versandhandel.

Botendienst auf neuen Füßen

Auch der Botendienst wird neu geregelt. Er wird nach dem Referentenentwurf legal definiert als „Zustellung durch Boten der Apotheke“. Hierunter ist laut Begründung die Zustellung durch Personal der Apotheke oder auch externes Personal, das der Weisungshoheit der Apothekenleitung untersteht, zu verstehen. „Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei der Zustellung durch nicht durchgehend weisungsgebundene beauftragte externe Dienstleister um Versandhandel.“ Zudem wird die Begrenzung des Botendienstes auf den Einzelfall aufgegeben. Künftig soll er grundsätzlich auf Kundenwunsch zulässig sein. Es wird auch klargestellt, dass die Zustellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch pharmazeutisches Personal erfolgen muss, wenn die Beratung nicht zuvor in der Apotheke stattgefunden hat. Alternativ kann auch im Wege der Telekommunikation aus der Apotheke beraten werden. Geregelt wird auch, dass die Verordnung für ein Rx-Arzneimittel bei der Botendienstzustellung spätestens bei der Aushändigung des Arzneimittels übergeben werden muss. Dies ist anders als beim Versandhandel, wo die Verschreibung vor der Versendung des Arzneimittels vorliegen muss.

Eine weitere Neuregelung in § 17 ApBetrO stellt klar, dass beim Versenden von Arzneimitteln insbesondere die nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse für das Arzneimittel geltenden Temperaturbedingungen während des Transports eingehalten werden müssen – und zwar bis zur Abgabe an den Besteller, einschließlich eines eventuellen Rücktransports und der Zwischenlagerung im Falle der Abwesenheit des Bestellers. Soweit erforderlich, ist die Einhaltung der geltenden Temperaturbedingungen während des Transports von besonders temperaturempfindlichen Arzneimitteln durch das Mitführen von Temperaturkontrollen nachzuweisen.

Freie Apothekenwahl

Last not least sind Regelungen geplant, mit denen die freie Apothekenwahl erhalten und gestärkt werden soll – gerade im Hinblick auf das kommende E-Rezept. So soll Ärzten und Krankenkassen verboten werden, Patienten hinsichtlich ihrer Apothekenwahl zu beeinflussen. Außerdem wird klargestellt, dass das Absprache- und Zuweisungsverbot im Apothekengesetz (§ 11) auch für E-Verordnungen gilt. Ebenso, dass diese Vorgaben auch für EU-Versender gelten, die Patienten in Deutschland versorgen.

Weiterhin soll im Apothekengesetz die Rechtsgrundlage für den Erlass der Apothekenbetriebsordnung erweitert werden: Das BMG als Verordnungs­geber soll künftig auch Regelungen zu den Anforderungen an den Botendienst treffen können. Diese Klarstellung sei nötig, weil der Botendienst auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werde. Zudem soll das BMG „unzulässige Formen der Arzneimittelabgabe“ regeln können. Dazu heißt es in der Begründung, dass sich die Begrenzung der bestehenden Formen der Arzneimittelversorgung (Präsenzapotheken und Versandhandel) „grundsätzlich bewährt“ habe. Abgabeformen, die nicht mit den hohen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung im Einklang stünden, könnten somit künftig aus­geschlossen werden. |

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