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Klinische Pharmazie

Wegweisende AMTS-Projekte

Studien und Daten zu pharmazeutischen Dienstleistungen in deutschen Apotheken

Ansätze zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit haben seit einigen Jahren Hochkonjunktur. Im Perspektivpapier der ABDA sind sie fest verankert, in den aktuellen Verhandlungen zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und der ABDA steht zur Diskussion, dass sie erstmals auch außerhalb von Projekten und Modellversuchen bundesweit implementiert und vergütet werden. Von einigen Vertretern der Krankenkassen wurde hingegen geäußert, dass die Datenlage für einen Nutzennachweis ziemlich dünn sei. Wie ist der Stand der Forschung? | Von Olaf Rose 

Der Status quo

Prinzipiell nehmen Apotheken in Deutschland eine herausragende Rolle im Gesundheitssystem ein. Sie sind niederschwellig nutzbar und werden von insgesamt ca. einer Milliarde Patienten und Kunden pro Jahr aufgesucht [1]. Durch zahlreiche Regulierungen tragen die Apotheken zu einer hochwertigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln bei, sind Ansprechpartner in Gesundheitsfragen und lösen tagtäglich unzählige Probleme in einem Bereich mit hohem Gefährdungspotenzial. Dabei erfüllen sie von der Prüfung von Medikamenten und Ausgangsstoffen bis zur Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen zahlreiche Aufgaben [2]. Deutsche Apotheken führen Gewerbe- und Mehrwertsteuer ab, sparen zusammen mit den Krankenkassen durch die oft unangenehme Erfüllung der Rabattverträge ca. 3,5 Milliarden Euro ein [3], kassieren den Eigenanteil der gesetzlich Versicherten in Höhe von 2 Milliarden Euro, gewähren einen Kassenabschlag von 1 Milliarde Euro und bieten ca. 160.000 Menschen einen wohnortnahen Arbeitsplatz. Bei Kosten von gerade einmal 2,2% (ca. 5 Milliarden Euro) an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung finanzieren sich die Apotheken also quasi selbst und müssten bei konstant hoher Patientenzufriedenheit eigentlich die Lieblinge der Politik und Krankenkassen sein. Umso erstaunlicher, dass der Berufsstand zum Beispiel nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung nur wenig Rückendeckung aus diesen Bereichen erfährt. Allerdings beklagen zahlreiche Politiker seit vielen Jahren eine relative Unbeweglichkeit und starre Strukturen der Apotheker in der Patientenver­sorgung. Dies ist möglicherweise auch in der Funktion der ABDA begründet, die ja die gemeinsame Interessenver­tretung der 34 verschiedenen Kammern und Verbände ist und stets nur auf deren gemeinsamen Beschluss hin tätig werden kann.

Der Wandel

In der Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Apotheke vom Hersteller zum zentralen Versorger. Die dezentrale Struktur ermöglichte eine lokale Vorratshaltung und eine rasche Versorgung der Bevölkerung. Beratung und Information wurden später als zusätzliche Aufgaben definiert. Ein gut funktionierender Versandhandel mit Waren jeder Art und die prinzipielle Informationsmöglichkeit im Internet scheinen einen Großteil der Aufgaben einer Apotheke jedenfalls vordergründig übernehmen zu können. Die Apotheke löst aber auch schnell und patientenorientiert zahlreiche Probleme wie etwa die Neuverordnung eines Insulins, das nicht zum Pen passt, fertigt individuelle Dosierungen an und leistet eine 24-Stunden-Akutversorgung. Selbst wenn Ärzte dispensieren würden, Versandhändler belieferten und Drogerien OTCs verkauften, würde man somit – unabhängig von der mangelnden Sinnhaftigkeit – nicht auf Apotheken verzichten können. Wird z. B. ein Insulin auf dem Versandweg falsch geliefert, droht durch den Verzug unmittelbare Gefahr. Ein dispensierender Arzt müsste früher oder später die gleichen Auflagen erfüllen wie eine Apotheke, würde nicht mehr unvoreingenommen verordnen, und eine zusätzliche Kontrollinstanz würde entfallen. Eine Drogerie könnte zu den OTCs nicht im gleichen Maße beraten. Vertrauen und persönliche Ansprache sind besonders in Gesundheitsfragen essenzielle Voraussetzungen. Allerdings werden diese Leistungen nicht von allen Bürgern permanent in Anspruch genommen und erlangen häufig erst dann die nötige Aufmerksamkeit, wenn man selbst schwer oder akut erkrankt.

Die Rolle von pharmazeutischer Betreuung und AMTS

In der 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts gab es eine Neuorientierung. Die Professoren Dr. Charles Hepler und Dr. Linda Strand von der University of Florida gelten als die ersten Pharmazeuten, die sich wissenschaftlich, intensiv und nachhaltig mit einem erweiterten Patientennutzen durch pharmazeutische Tätigkeiten auseinandersetzten [4]. Dass die Therapie nicht mit der Packungsabgabe endet, sondern damit erst anfängt, wurde das Credo von zahlreichen Meinungsführern. Treibende Kraft war also nicht die Neu­positionierung der Pharmazie, sondern der Patient und seine Bedürfnisse. Dennoch stellte man schnell fest, dass diese Ziele nur durch einen grundlegenden Wandel der Ausbildung zu erreichen sind. Dem „Dr. med. (M.D.)“ wurde ein „Dr. pharm. (Pharm.D.)“ gegenübergestellt, die universitäre Ausbildung wurde komplett neu gedacht und klinisch auf den Patienten ausgerichtet. Gleichzeitig versuchte man, die neuen Leistungen wissenschaftlich zu evaluieren, um die neue Rolle mit Daten zu untermauern. Mittlerweile scheinen international die Möglichkeiten grenzenlos zu sein. Pharmazeuten leiten Diabetes- oder Antikoagulationskliniken [5 – 13], stellen Rezepte aus [14 – 17], impfen [18 – 22], analysieren und optimieren die Medikation [23 – 26], führen Hausbesuche durch [27 – 29] und arbeiten als selbstverständliches Mitglied im therapeutischen Team [30 – 35], all dies, ohne jemals eine Packung abzugeben. Diese daher auch als kognitive Leistungen, „clinical services“ oder „patient care“ beschriebenen Dienstleistungen können in dieser Art effektiv nur vom Pharmazeuten erbracht werden und sind sein Alleinstellungsmerkmal, auch gegenüber Drogerien und Versandhandel.

Bedeutung der Forschung

Dass wissenschaftliche Daten ein wichtiges Pfund in den Verhandlungen mit Politik und Kostenträgern sind, lässt sich am Beispiel Kanadas beobachten [36]. Die Ergebnisse der Studien von Tsuyuki et al. führten dort jeweils quasi über Nacht zur Kompetenzerweiterung der Apotheker [37, 38]. So basiert z. B. die Befugnis zur Abgabe von Antibio­tika in der Akutversorgung von Harnwegsinfektionen wesentlich auf der Studie RxOUTMAP, in der eine hohe Leitlinientreue und Therapiequalität als Folgeapothekerlicher Interventionen gezeigt werden konnte [14]. Die Patientenzufriedenheit mit dieser Dienstleistung wurde parallel erhoben und war sehr hoch, so dass das Gesundheitsministerium klare Argumente zur Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung hatte. Die Behandlung von Patienten mit Hyperlipidämie durch Pharmazeuten führte in RxACT zu einer dreifach erhöhten Zahl von Patienten im Zielbereich [39]. Auf Grundlage dieser Studien wurde dann ein (situativ und auf Indikationen beschränktes) Verschreibungsrecht für Pharmazeuten eingeführt. In Großbritannien analysieren die Apotheker regelmäßig die durch sie eingesparten Kosten im Gesundheitssystem, z. B. durch die Behandlung leichterer Krankheiten (minor ailments), aber auch generell durch die Entlastung des Gesundheits­systems [40].

Diese Art der pharmazeutischen Versorgungsforschung wurde in Deutschland aus mehreren Gründen lange vernachlässigt. Nur wenige Universitäten verfügen über eine eigenständige Klinische Pharmazie, die auch Versorgungsforschung bzw. Patientenforschung betreibt. Die Forschung aus dem Berufsstand heraus ist überschaubar und wird von der ABDA und einigen Stiftungen getragen (z. B. Lesmüller-Stiftung, Apothekerstiftung Westfalen-Lippe, Förderinitiative Pharmazeutische Betreuung). Vom Innovationsfond wurden die von Apothekern geleitete Projekte kaum berücksichtigt, was möglicherweise auch mit der mangelnden vorgehaltenen Struktur zusammenhängen könnte. So ist eine Vernetzung mit den Krankenkassen auf wissenschaftlicher Ebene nur punktuell vorhanden. Auf den entsprechenden Kongressen (Deutsches Netzwerk für Versorgungsforschung, Bundesverband Managed Care) sind Apotheker kaum vertreten. Gleiches gilt für die pharmakotherapeutischen Kongresse der medizinischen Fachgesellschaften und die wissenschaftlichen Kongresse (z. B. Deutsche Gesellschaft für Sozial­medizin und Prävention, Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie). Hier ist der Berufsstand schlicht nicht breit genug aufgestellt. Somit fehlt eine Möglichkeit der Vernetzung und Forschung.

Klinisch-pharmazeutische Dienstleistungenin Deutschland

Auf den ersten Blick scheinen sämtliche Studien, Daten und Ergebnisse aus dem Ausland auch unmittelbar auf Deutschland übertragbar zu sein. Berücksichtigt werden muss hierbei aber unter anderem die im internationalen Vergleich noch sehr überschaubare klinische Ausbildung der deutschen Apotheker und die besondere Rolle und Kompetenz der Gesundheitsberufe [41]. Bislang wird eine Medikationsanalyse in Deutschland nach einer Untersuchung von Greißing et al. von Apothekern hauptsächlich mit einem Interaktionscheck und einer Überprüfung der Dosierung gleichgesetzt, therapeutische Aspekte fehlen häufig, ebenso wie patientenorientierte Lösungsansätze [42]. Dennoch fühlen sich deutsche Apotheken prinzipiell für die Durchführung von Medikationsanalysen und Medikationsmanagement gut gerüstet [43]. Bei der Implementierung klinischer Dienstleistungen wurden international mögliche Wegbereiter und Hindernisse identifiziert, die sich von Land zu Land unterscheiden können [44, 45]:

  • interprofessionelle und soziale Barrieren,
  • Kommunikations- und Durchsetzungsfähigkeit,
  • Gesundheitssystem und Gesetzeslage,
  • persönliche Motivation
  • Vergütung
  • Freiheiten und strukturelle Möglichkeiten innerhalb des Teams,
  • externe Unterstützung.

Die Implementierung von Dienstleistungen variiert inter­national entsprechend [41, 46]. Verschreibung und Medikationsmanagement mit umfassender Medikationsanalyse mögen die Königsdisziplinen der pharmazeutischen Dienstleistungen sein. Andere, für den Patienten möglicherweise ebenso wichtige Beispiele sind aber Interaktionscheck, Dosis­anpassung, Adhärenzverbesserung, Rezeptheilung, Beratung, Patientenschulung, Erstellung oder Update eines Medikationsplans, Entlassmanagement, Screening/Gesundheitstests, Prävention, Reiseberatung, Impfungen, Erkennen, Heilen oder Vermeiden von Medikationsfehlern (Anwendung, Mörsern, etc.) oder auch das Stellen oder Neuver­blistern von Medikamenten, ggf. sogar in vernetzten Dispensiersystemen. All diese Leistungen gilt es zu erforschen, auf Nutzen und Kosten zu evaluieren und dann zu implementieren. Prinzipiell kann jede Apotheke unabhängig von Personal- und Patientenstruktur irgendeine Art von Dienstleistung anbieten.

Klinisch-pharmazeutische Versorgungsforschung in Deutschland

Bevor eine interventionelle Dienstleistung getestet wird, ist entsprechend auch eine Betrachtung der Grundlagen erforderlich. So wurde z. B. in Nordrhein-Westfalen erhoben, bei wie vielen Patienten ein Medikationsplan vorliegt [47], wie ein Medikationsplan aus Patientenperspektive bewertet wird [48] oder wie viele Abweichungen zwischen der verordneten und der tatsächlich angewendeten Medikation bestehen [49, 50]. Hierbei wiesen rund 94% der Patienten relevante Unterschiede auf, bei ca. der Hälfte der Patienten betraf diese Diskrepanz sogar Arzneimittel mit einem hohem Risiko für Hospitalisierungen (Abb. 1). Interventionen zur Verringerung der Diskrepanz sind damit offensichtlich sinnvoll.

Abb. 1: Unterschiede zwischen Verordnung und Anwendung. Anteil Patienten, bei denen sich die Anwendung eines Medikamentes mit hohem Risiko für eine Hospitalisierung (Antikoagulanzien, Digoxin, Zytostatika, Diuretika, Insuline, orale Antidiabetika mit Hypoglykämiegefahr, NSAR oder DMARDs) von der Arztmedikation unterschied [aus Research in Social and Administrative Pharmacy, nach [50]].

Zusammenarbeit. Weißenborn et al. untersuchten die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern in Deutschland und fanden, dass zwar generell der Wille zur Kooperation vorhanden ist, sich aber die Einschätzung zur Relevanz der Probleme stark unterscheidet [51]. Telefonische Kontaktaufnahme wurde favorisiert, aber auch ein standardisierter Kommunikationsweg (z.B. Vordruck) vorgeschlagen. Pulst et al. testeten ein solches Faxformular in Bremen [52]. Entsprechend sollte auch weiterhin an der Etablierung von standardisierten Kommunikationswegen zwischen Arzt und Apotheker gearbeitet werden. Generell sind das gegenseitige Vertrauen und der Willen zur Zusammenarbeit zwischen den Professionen in Deutschland durchaus vorhanden, wie verschiedene Untersuchungen zeigen [53 – 55], standespolitische Bemühungen und eine frühe Zusammenarbeit schon im Studium werden aber weiterhin als dringend notwendig erachtet [56]. Patienten sind für eine Medikationsanalyse tendenziell aufgeschlossen [57].

Anwendung. Lohmann et al. untersuchten den Kenntnisstand zur Mörserbarkeit von Retardtabletten bei Pflegern und Ärzten [58, 59]. Unsicherheiten wurden hierbei von 61% der Ärzte, aber nur von 24% der Pfleger berichtet, dies bei in etwa vergleichbarem oder sogar geringerem Kenntnisstand der Pfleger. Ein Standard zur Überwachung der Verabreichung der Tabletten in Heimen würde sich entsprechend empfehlen. Schuhmacher et al. befanden nach einer Studie in 119 Offizinen in Deutschland, dass Beratungen zu Dosisänderungen lieber vorgeschlagen werden als Handhabungsschulungen [60]. Auch bei der Anwendung von transdermalen therapeutischen Systemen (TTS) durch Patienten wurde in einer Studie von Lampert et al. Handlungsbedarf erkannt [61]. Hieraus würde sich die Notwendigkeit ergeben, dass den Apotheken Unterstützungsmaterial zur Patientenschulung zur Verfügung gestellt werden muss. Zur Umsetzung von Rabattverträgen in deutschen Apotheken gibt es hingegen nur wenige Untersuchungen, obwohl sie den Kernbereich der Tätigkeit betreffen [62].

Screening/Gesundheitstests. Angeboten werden könnte neben Blutdruck-, Blutzucker- und Cholesterol-Messungen auch eine Messung der Nierenfunktion mit anschließendem Änderungsvorschlag der Dosierung von Wirkstoffen, die bevorzugt renal ausgeschieden werden [63].

Adhärenzforschung/Kommunikation. Die Adhärenz von Patienten wurde in Deutschland untersucht und gilt als stark verbesserungsbedürftig [64 – 67]. Eine strukturierte motivierende Gesprächsführung wäre folglich eine sinn­volle Dienstleistung, die allerdings idealerweise trainiert werden muss. Entsprechend sollten als weitere Grundlage für klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen auch die Kommunikationsfähigkeiten und klinischen Kompetenzen verbessert werden. Hierzu gibt es bereits erste Untersuchungen an Pharmaziestudierenden und Apothekern von Dircks et al. aus Erlangen resp. Laven et al. aus Düsseldorf, die mittels OSCE (objective structured clinical examinations)-vermittelten Lernblöcken Trainingsprogramme durchführten [68, 69]. Die Patientensicht und Patientenerwartungen im Verhältnis zu Apotheken sind in der Tiefe nur in Ansätzen erforscht [70].

Interventionsstudien

Schulung

.In einer der ersten deutschen kontrollierten Studien zur pharmazeutischen Betreuung am Patienten wurden im Jahr 2001 Asthmapatienten in öffentlichen Apotheken in Hamburg geschult [71]. Es wurden 26 Apotheken der Interventionsgruppe und 22 Apotheken der Kontrollgruppe zugeordnet. Die FEV1-Werte der Patienten unterschieden sich signifikant zur Kontrollgruppe nach sechs Monaten, nicht aber nach zwölf Monaten. Die abendlichen, nicht aber die morgendlichen Peak-Flow-Werte verbesserten sich in der Interventionsgruppe hingegen auch nach zwölf Monaten. Inhalationstechnik und krankheitsbezogenes Wissen verbesserten sich. Insgesamt konnte also eine geringfügige Auswirkung durch die pharmazeutische Dienstleistung nachgewiesen werden. Ähnlich verhält es sich mit den Ergebnissen der kontrolliert-randomisierten DIADEMA-Studie mit insgesamt 69 Patienten [72]. Hier wurden jugendliche Typ-1-Diabetiker in Apotheken geschult und betreut. Nach drei Monaten konnte eine signifikante Verbesserung des HbA1c -Wertes in der Interventionsgruppe von einem Prozentpunkt erreicht werden, der Unterschied schmolz aber nach weiteren drei Monaten ab. Insgesamt sind konkrete Patientenschulungen durchaus sinnvolle Dienstleistungen, die idealerweise nachhaltig implementiert werden sollten und bevorzugt bei chronischen, komplexen Krankheitsbildern (Parkinson, Herzinsuffizienz) oder einer komplizierten Anwendung von Geräten und Devices (Asthma, Diabetes) zur Anwendung kommen sollten.

Tab. 1: Auswahl deutscher Interventionsstudien zu pharmazeutischen Dienstleistungen am Patienten
Intervention
Autor
Setting
Indikation
Studiendesign
Primärer Endpunkt
Patienten-Schulung
Schulz et al. [71]
Apotheke
Asthma
kontrolliert
FEV1
Obarcanin et al. [72]
Apotheke
Typ-1-Diabetes
RCT
HbA1c
Hämmerlein et al. [85]
Apotheke
Asthma/COPD
unkontrolliert
Reduktion von Anwendungs­fehlern bei der Inhalation
Vermeidung von Medikationsfehlern
Niemann et al. [74]
Krankenhaus
Pädiatrie
unkontrolliert
Anzahl Medikationsfehler
Cortejoso et al. [86]
Krankenhaus
Geriatrie
unkontrolliert
Anzahl Medikationsfehler, ­relevante Interaktionen
Langebrake et al. [75]
Krankenhaus
deskriptiv
Anzahl Interventionen, Gründe und Schwere
Kantelhardt et al. [87]
Krankenhaus
Wirbelsäulen-chirurgie
unkontrolliert
Medikationsabgleich, ­Medikationsfehler
Schnittstellen-management
Greißing et al. [88]
Krankenhaus/Primärversorgung
Innere Medizin
kontrolliert
Reduktion von Umstellungen
Freyer et al. [89]
Krankenhaus/Reha
Reha-Patienten (Geriatrie)
kontrolliert
ABP Reduktion
Pauly et al. [90]
Krankenhaus/Primärversorgung
Psychiatrie
kontrolliert
Adhärenz (MARS)
Prävention
Schmiedel et al. [73]
Apotheke
Diabetes
RCT cluster kontrolliert
FINDRISC-Score
Medikations-management/Medikations-analyse
Köberlein-Neu et al. [78]
Allgemeinarzt/Apotheke
Patienten mit Polymedikation
RCT cluster kontrolliert
Verbesserrung der Qualität der Medikation (MAI-Score)
Wolf et al. [80]
Krankenhaus/Primärversorgung
Psychiatrie
kontrolliert
Verbesserrung der Qualität der Medikation (MAI-Score)
Seidling et al. [91]
Apotheke
Patienten mit Polymedikation
retrospektiv
ABP
Liekweg et al. [92]
Apotheke
Brustkrebs
kontrolliert
Abwesenheit von Emesis nach Chemotherapie
Henrichsmann et al. [83]
Apotheke
Parkinson
unkontrolliert
Verbesserung im UPDRS
Schröder et al. [82]
Apotheke
Parkinson
kontrolliert
Verbesserung im PS-23 und EQ-5D
Lennsen et al. [93]
Krankenhaus
Urologie
unkontrolliert
ABP
Aktas B. [84]
Apotheke
Polymedikation
unkontrolliert
ABP Reduktion

ABP: Arzneimittelbezogene Probleme, MAI: Medication Appropriate Index, MARS: Medication Adherence Rating Scale, RCT: randomisiert kontrollierte Studie

Prävention. Die GLICEMIA-Studie hat erfolgreich an über 1000 Patienten in 40 Apotheken versucht, das mittels FINDRISC-Score ermittelte Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, durch Lebensstilveränderungen zu senken [73]. Die teilnehmenden Apotheken wurden 1,5 Tage lang geschult und gaben Wissen und Materialien an ihre Patienten weiter. Auch Gewichtsverlust und Lebensqualität wurden in GLICEMIA über zwölf Monate positiv beeinflusst. Eine Studie zum Screening auf Vorhofflimmern in Apotheken wird derzeit in Schleswig-Holstein geplant.

Medikationsfehler. Im Krankenhaus konnte gezeigt werden, dass eine Überwachung der gestellten Medikation durch Pharmazeuten Medikationsfehler dramatisch reduzieren kann [74]. Langebrake et al. werteten fast 30.000 mittels ADKA-DokuPIK dokumentierte Interventionen von Stationsapothekern aus. Es wurden 4,1% davon als schwerwiegend beurteilt [75]. Die Interventionen zielten hauptsächlich auf systemische Antibiotika, aber auch auf Antikoagulanzien, Analgetika, Protonenpumpeninhibitoren und Renin-Angiotensin-Antagonisten.

Ein Modell zur Fehlerreduktion konnte auch in öffentlichen Apotheken erforscht werden [76]. In der Pflege kommt es immer wieder zu Fehlern beim Mörsern. Lohmann et al. testeten erfolgreich ein Modell zur Vermeidung dieser Fehler [77].

Medikationsmanagement. Zum Medikationsmanagement wurden in Deutschland bisher erst wenige Studien durchgeführt. Die WestGEM-Studie war die erste interprofessionelle krankheitsübergreifende Wirksamkeitsstudie zum interprofessionellen Medikationsmanagement in der Primärversorgung [78]. Sie konnte unter Studienbedingungen über zwölf Monate eine deutliche und signifikante Verbesserung der Qualität der medikamentösen Therapie anhand des Medication-Appropriateness(MAI)-Scores nachweisen, gleichzeitig wurden arzneimittelbezogene Probleme (ABPs) signifikant reduziert. Die Vorschläge der Pharmazeuten zur Pharmakotherapie wurden zu 55% von den Hausärzten umgesetzt. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass der Effekt eines Medikationsmanagements mit der Anzahl der verordneten Medikamente korreliert, nicht aber mit Alter, Morbidität oder Nierenfunktion [79]. Bereits ein Jahr zuvor konnten von Wolf et al. ähnliche Ergebnisse zur Verbesserung der Therapiequalität – gemessen mittels MAI-Score – bei Patienten in stationärer psychiatrischer Behandlung sowie nach Entlassung beschrieben werden [80]. Eine retro­spektive Auswertung der Daten aus ATHINA von Seidling et al. zeigte eine Reduktion von ABPs durch Offizin-Apotheker auch unter Praxisbedingungen. Die Reduktion von ABPs war auch der Endpunkt einer aktuellen Studie von Bitter et al. in Altenheimen [81]. Eine Medikationsanalyse durch zwölf Apotheken fand 154 ABPs, von denen ein Drittel gelöst und implementiert werden konnte. Studien von Schröder et al. und Henrichsmann et al. befassten sich mit dem Medikationsmanagement bei Parkinson. In beiden Untersuchungen konnten durch die pharmazeutischen Interventionen patientenrelevante Scores verbessert werden [82, 83]. Aktas setzte eine umfassende Medikationsanalyse in einer Apotheke erfolgreich um [84]. Tabelle 1 beschreibt ausgewählte deutsche Interventionsstudien nach Art der Intervention, Setting, Indikation und Endpunkt.

Laufende Studien. Derzeit läuft u.a. noch eine prospektive Studie zur Medikationsanalyse der APO-AMTS-Apotheken an der Universität Bonn. Die AMBER-Studie zum Medikationsmanagement in Altenheimen, die zudem einen Algorithmus für Apotheker erarbeitet [94], die PHARM-CHF-Studie zur pharmazeutischen Betreuung von Patienten mit Herzinsuffizienz [95] und die InTherACT-Studie [96], die ein Online-Tool zur Vernetzung und Kommunikation von Pflegern, Ärzten und Apothekern testete, befinden sich derzeit in der Auswertungs- und Veröffentlichungsphase. Die vom Innovationsfonds geförderte HIOPP-3-iTBX-Studie zum Medikationsmanagement in Altenheimen wird derzeit noch durchgeführt [97]. Gespannt wartet man auf Auswertungen des Greifswalder Medikationskonsils, bei dem Ärzte ein Medikationsmanagement anstoßen, was mutmaßlich zu einer hohen Akzeptanz der Empfehlungen führen kann. Das ABDA/KBV-Modellprojekt ARMIN in Sachsen und Thüringen ist zwar nicht als wissenschaftliche Studie konzipiert, wird aber möglicherweise weitere Erkenntnisse zur interprofessionellen Zusammenarbeit liefern.

Zusammenfassung

Dieser kurze und ohne Anspruch auf Vollständigkeit verfasste Überblick über den Stand der Forschung zu klinisch-pharmazeutischen Dienstleistungen in Deutschland basiert auf einer Pubmed-Recherche zu 221 veröffentlichten Studien zwischen Januar 2015 und Februar 2019 in Deutschland und wurde um weitere Einträge händisch ergänzt. Es zeigt sich, dass es durchaus nationale Forschungsergebnisse zu Grundlagen, Prävention, Patientenschulung und Medikationsmanagement gibt. Es hapert allerdings daran, diese Daten aktiv in die Politik zu tragen, den Nutzen für das Gesundheitswesen klarzustellen und die Dienstleistungen einer erfolgreichen Implementierung in der Regelversorgung zuzuführen. Möglicherweise ergibt sich in den laufenden Verhandlungen zwischen ABDA und BMG die Chance, dies zu ändern. Zwar werden klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen derzeit nicht die Haupteinnahmequelle für Apotheken werden können, aber durch den Nachweis des Patientennutzens und mögliche finanzielle Entlastungen an anderer Stelle bietet sich die Möglichkeit, auch in Deutschland den Mehrwert der Pharmazie aufzuzeigen und sie noch deutlich unverzichtbarer und zukunftsfähiger zu machen. Es ist klar ersichtlich, dass die Zukunft der Apotheke sich weder in einer merkantilen Ausweitung noch in einer weiteren Verbesserung der Logistik finden wird. Schon deshalb bietet sich keine andere Möglichkeit, als die einzigartige Stärke der akademischen Ausbildung stärker in den Fokus der Berufspositionierung zu rücken. |

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Autor

Dr. Olaf Rose, PharmD, Apotheker, Studium der Pharmazie in Münster, Gainesville und Bonn; Gründer impac2t-Forschung für Pharmakotherapie, Münster; Forschungsschwer­punkte: Medikationsmanagement und Pharmakotherapie kardiovaskulärer und neurologischer Erkrankungen

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