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Arzneimittel und Therapie
Irritationen um Methadon
Der Streit um den Nutzen für Krebspatienten geht in die nächste Runde
Das Glioblastom ist ein gefürchteter Tumor des Zentralnervensystems. Er kann unter anderem mit Bestrahlung und einer Chemotherapie mit Temozolomid behandelt werden. Die mediane Überlebenszeit unter einer solchen Standardtherapie wird mit knapp 15 Monaten angegeben. Zellkulturversuche mit Glioblastomzellen hatten ergeben, dass sich bei Gabe des Zytostatikums Doxorubicin durch Methadon die Überlebensrate der Zellen deutlich reduzieren lässt. Klinische Studien, die diesen wirkverstärkenden Effekt bestätigen, fehlen. Doch positive Fallberichte lassen immer mehr Patienten hoffen, dass durch eine zusätzliche Methadon-Gabe ihre Prognose verbessert werden könnte (s. a. DAZ 2018, Nr. 11, S. 34; DAZ 2017, Nr. 11, S. 40).
Der Leipziger Zellkulturversuch
Nun hat eine Leipziger Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Frank Gaunitz, Studienleiter und Professor für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig sowie Leiter der Forschungslabore der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Leipzig, anhand eines Zellkulturmodells mit Glioblastom-Zellkulturen und Fibroblastenkulturen von sechs Glioblastom-Patienten die Methadon-Hypothese erneut überprüft. Die Zellen wurden mit Bestrahlung (4 Gy) und/oder Temozolomid (200 μM) und mit verschiedenen Methadon-Konzentrationen (1 μM, 5 μM, 10 μM und 30 μM) behandelt. Die Überlebensfähigkeit wurde mithilfe einer ATP-Messung in Zelllysaten und der Dehydrogenase-Aktivität in lebenden Zellen ermittelt. Als 100% Lebendzellanteil wurde die Zahl der unbehandelten Zellen bestimmt. Das Ergebnis fasst Prof. Gaunitz in der Pressemitteilung der Universität Leipzig wie folgt zusammen: „Unsere Resultate zeigen, dass die Standardbehandlung wirksam ist, aber durch Methadon kein Zugewinn erzielt wird. Es dürfte auch nichts nützen, wenn ein Patient nur Methadon nimmt. Das würde erst in Konzentrationen wirken, die für den Körper tödlich sind“. Und weiter: „Zudem konnten wir die Arbeiten von anderen Forschergruppen bestätigen, dass manche Tumorzellen bei niedrigen Methadon-Konzentrationen sogar schneller wachsen.“ Zudem wird in der Pressemeldung darauf verwiesen, dass auch die gesunden Zellen im Experiment unter Methadon-Dosierungen zerstört würden, bei denen auch Krebszellen absterben. Gaunitz rät Patienten von einer „Selbstmedikation“ durch Methadon ab. Darüber hinaus warnt er: „Sollten Vorerkrankungen vorliegen, etwa eine geschädigte Leber, könne es schnell tödlich enden.“
Petition im Deutschen Bundestag
Die von vielen Medien aufgegriffenen positiven Ergebnisse und Fallberichte zum wirkverstärkenden Einsatz von Methadon in der Krebstherapie haben bei Betroffenen und Angehörigen große Hoffnung geschürt. Gleichzeitig warnen viele Onkologen vor dem Einsatz von Methadon. Konsens in der ganzen Diskussion war und ist jedoch, dass nur klinische Studien Klarheit bringen können. Federführend in der Forderung nach weiterer Forschung ist die Chemikerin Dr. Claudia Friesen vom Universitätsklinikum Ulm. Sie kann auf erfolgversprechende Grundlagenversuche zurückblicken. Ungeachtet dessen, so ihr Vorwurf, seien mehrere Finanzierungsanträge für weitere Forschungsprojekte sowohl durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft als auch die Deutsche Krebshilfe abgelehnt worden. Am 30. April 2018 wurde beim Deutschen Bundestag eine Petition eingereicht, die die staatliche Finanzierung klinischer Studien zum Einsatz von Methadon bei der Behandlung von unterschiedlichen Krebserkrankungen eingefordert hat. Mit über 53.000 Unterzeichnern wurde im Juli 2018 das Quorum erreicht, so dass im November 2018 die öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag stattfinden konnte. Über die Petition ist noch nicht entschieden, allerdings waren Dr. Claudia Friesen und der Palliativmediziner Dr. Hans-Jörg Hilscher am 3. April 2019 in dieser Sache zur Vorstellung ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse in den Deutschen Bundestag geladen. Am 1. April 2019 sorgte die von vielen Medien aufgegriffene Pressemitteilung der Universität Leipzig für Schlagzeilen.
Nachgefragt
Mithilfe von Zellkulturversuchen wurden schon viele Hypothesen generiert, die Hoffnung auf Therapiefortschritte machten, die sich dann aber in der weiteren klinischen Erprobung nicht bestätigen ließen. Deshalb lässt sich der endgültige Beweis der Richtigkeit einer solchen Hypothese erst in klinischen Studien erbringen. Das gilt umso mehr, wenn Zellkulturversuche widersprüchliche Ergebnisse liefern. Zudem haben Zellkulturversuche so ihre Tücken. Die Wahl unterschiedlicher Testsysteme kann schnell auch unterschiedliche Ergebnisse liefern. Deshalb haben wir die Ulmer Methadon-Forscherin Dr. Claudia Friesen um Stellungnahme gebeten (s. S. 40). Zudem haben wir bei der Pressestelle der Universität Leipzig nachgefragt, die zum 1. April 2019 die Meldung „Methadon bei Krebspatienten von Hirntumoren unwirksam“ herausgegeben hat. Geantwortet hat Prof. Dr. Frank Gaunitz, der Studienleiter des in „Cancer Chemotherapy and Pharmacology“ publizierten Zellkulturversuchs.
DAZ: Zum 1. April 2019 hat die Pressestelle der Universität Leipzig basierend auf den Ergebnissen einer unter Ihrer Federführung durchgeführten Zellkulturstudie eine Pressemitteilung herausgegeben, nach der Methadon bei Krebstherapie von Hirntumoren unwirksam ist. Allein diese Aussage verwundert, denn aus Zellkulturversuchen auf eine therapeutische Wirksamkeit zu schließen und Therapieempfehlungen zu geben, ist zumindest unüblich.
Gaunitz: Aus der Pressemitteilung geht klar hervor, dass eine Laborstudie durchgeführt wurde und keine klinische Studie. Gerne können Sie dies noch einmal deutlich hervorheben. Dass von einer Medikation ohne fortlaufende Kontrolle durch einen Arzt abzuraten ist, versteht sich eigentlich von selbst. Im Originaltext der Publikation wird auch keine Therapieempfehlung gegeben. Hier haben wir geschrieben, „a recommendation for the use of D,L-methadone in glioblastoma therapy cannot be given.“ Im Klartext: Auf der Grundlage unserer experimentell erhobenen Daten können wir keine Empfehlung für die Verwendung von Methadon für die Behandlung von Glioblastomen geben.
DAZ: Warum haben Sie in Ihren Zellkulturversuchen das Prodrug Temozolomid und nicht die aktive Substanz Monomethyltriazenylimidazolcarboxamid (MTIC) verwendet?
Gaunitz: Das Prodrug Temozolomid wird bei pH-Werten > 7 spontan in die aktive Substanz MTIC umgewandelt (Denny et al. Biochemistry 1994; 33, 9045-9051), was in den Kulturmedien unter CO2-Begasung im Inkubator gegeben ist. Außerdem erfolgt die Umwandlung des Temozolomids in MTIC offensichtlich auch direkt im Bereich von „runs of guanine residues“ (gleiche Publikation) also direkt an den Alkylierungspositionen. Außerdem ist anzumerken (und das diskutieren wir in der Arbeit), dass die Zellen im Experiment einen sehr niedrigen MGMT-Promotor-Methylierungsstatus hatten, was durchaus nicht unbeabsichtigt war. Unsere große Hoffnung war ja, dass sich durch Methadon Zellen erreichen lassen, die gegenüber Temozolomid eher unempfindlich sind. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf ein im Supplement der Arbeit gezeigtes Experiment verweisen, in dem Zellen mit einem sehr hohen MGMT-Promotor-Methylierungsstatus (erhöht die Sensitivität gegenüber Temozolomid) verwendet wurden. In diesen Zellen war das Temozolomid sehr stark wirksam und die Vitalität durch Temozolomid (Dehydrogenase-Assay) um mehr als 90% gesenkt. Dies dürfte auch die Frage nach der Wirksamkeit des Temozolomids als Prodrug im Experiment hinreichend bestätigen. Im Übrigen sehen Sie in diesem Experiment, dass auch die Bestrahlung allein die Vitalität um 40% senkt.
Wie Temozolomid wirkt
Die Fachinformation zu Temozolomid beschreibt den Wirkungsmechanismus wie folgt: Bei Temozolomid handelt es sich um ein Triazen, das bei einem physiologischen pH-Wert rasch chemisch in seine Wirkform Monomethyltriazenylimidazolcarboxamid (MTIC) umgewandelt wird. Die Zytotoxizität von MTIC wird hauptsächlich auf die Alkylierung an der O-6-Position von Guanin mit zusätzlicher Alkylierung an der N-7-Position zurückgeführt. Es wird davon ausgegangen, dass bei später auftretenden zytotoxischen Läsionen eine falsch verlaufende (aberrante) Reparatur des Methyladdukts eine Rolle spielt.
Die Rolle von MGMT
MGMT (O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase) ist ein Reparaturenzym der Zelle, das Alkylierungen an der O6-Position von Guanin wieder rückgängig machen kann. Damit wirkt dieses Enzym der Zytotoxizität von Temozolomid entgegen. Daher ist es für den Erfolg einer Temozolomid-Therapie vorteilhaft, wenn die Glioblastomzellen dieses Enzym nicht bilden. Bei vielen Gliompatienten weist die Promotor-Region des MGMT-Gens eine Methylierung auf, die die MGMT-Bildung verhindert. Ein hoher MGMT-Promotor-Methylierungsstatus ist damit ein wichtiger Prädiktor für ein gutes Ansprechen von Temozolomid.
DAZ: Ungeachtet dessen verwundert der geringe Effekt der Bestrahlung und der Temozolomid-Behandlung (10%) auf die Dehydrogenase-Aktivität und die doch sehr hohe Standardabweichung. Wie aussagekräftig sind diese Daten?
Gaunitz: Die hohen Standardabweichungen, die in den Grafiken zu sehen sind, ergeben sich daraus, dass hier die Daten von sechs Patienten zusammengefasst wurden und sich das individuell unterschiedliche Ansprechen in den Fehlerbalken bemerkbar macht. Um eine Aussage treffen zu können, ob der Effekt auf die Vitalität signifikant ist, wurden statistische Analysen durchgeführt, welche in der Arbeit beschrieben werden. Damit eine erhöhte Spezifität erreicht wird, haben wir zusätzlich die Falscherkennungsrate (FDR) nach Benjamini und Hochberg berechnet. Die Frage nach der Aussagekraft haben bereits zwei unabhängige Gutachter im Rahmen des Publikationsvorganges bestätigt (Peer-Review).
DAZ: Herr Professor Gaunitz, wir danken für die Antworten. |
Quelle
Oppermann H, Matusova M, Glasow A, Dietterle J, Baran-Schmidt R, Neumann K, Meixensber J, Gaunitz F: D,L-Methadone does not improve radio- and chemotherapy in glioblastoma in vitro. Cancer Chemotherapy and Pharmacology doi: 10.10007/s00280-019-03816-3
Methadon bei Krebstherapie von Hirntumoren unwirksam. Pressemitteilung der Universität Leipzig vom 1. April 2019.
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