Arzneimittel und Therapie

Rasch handeln bei Harnwegsinfekten

Ältere Patienten profitieren von schneller Antibiotika-Gabe

Abwarten oder doch lieber ein Antibiotikum nehmen? Bei einem Harnwegsinfekt sollten ältere Patienten zeitnah einen Arzt aufsuchen. Das Risiko für schwere Komplikationen steigt, wenn eine antimikrobielle Behandlung hinausgezögert wird.
Foto: Alexander Raths
Ein Urintest kann Hinweise auf eine Harnwegsinfektion liefern.

Häufiges Wasserlassen, eine schmerzhafte oder erschwerte Blasenentleerung oder Inkontinenz sind typische Anzeichen einer Harnwegsinfektion. Sind die Grenzen der Selbstmedikation überschritten (z. B. Blut im Urin), ist der Gang zum Arzt unvermeidlich. Der Mediziner steht dann vor der Aufgabe abzuwägen, ob für den Patienten eine antimikrobielle Therapie sinnvoll ist und – wenn ja – welcher Wirkstoff, welche Dosierung und welche Therapie­dauer die optimalen Heilungschancen bringen. In Zeiten der Resistenzentwicklungen ist dies mitunter keine leichte Entscheidung.

In diesem Zusammenhang untersuchte das Team um Gharbi et al. im Rahmen einer retrospektiven Kohortenstudie die Assoziation zwischen einer antibiotischen Therapie und dem Auftreten schwerer Komplikationen (Hospitalisierung, Blutbahninfektion, Tod) bei älteren Patienten mit Harnwegsinfekten. Dazu wurden Daten zu 312.896 Harnwegsinfekten analysiert, die bei insgesamt 157.264 Patienten ≥ 65 Jahren zwischen 2007 und 2015 in Hausarztpraxen in Großbritannien diagnostiziert worden waren. Während der Mehrzahl der Patienten (86,6%) bei der ersten Vorstellung ein Antibiotikum verordnet worden war, hatten 6,2% der Patienten erst später – nach dem ersten Arztbesuch, aber innerhalb der ersten sieben Tage – und 7,2% gar kein Antibiotikum erhalten. Während der 60-tägigen Beobachtungsphase wurden 1539 Fälle einer Bakteriämie registriert. Auffällig war hierbei, dass spät (2,2%) oder nicht behandelte Patienten (2,9%) eine höhere Wahrscheinlichkeit für diese Komplikation aufwiesen als Patienten, die unmittelbar behandelt worden waren (0,2%). Die Number Needed to Harm (NNH) verdeutlicht den Zusammenhang: Wird der Therapiebeginn verzögert, ist im Schnitt bei jedem 51. Patienten mit einem zusätzlichen Fall einer Blutbahninfektion zu rechnen – wird kein Antibiotikum verordnet, sogar bei jedem 37. Patienten.

Neues Antibiotikum überzeugt in Phase-3-Studie

Als vielversprechender Ansatz im Kampf gegen komplizierte Harnwegsinfekte erwies sich kürzlich der neue Wirkstoff Plazomicin. Das Aminoglykosid zeichnet sich insbesondere durch seine antibakterielle Wirkung gegen multiresistente – einschließlich Carbapenem-resistente – Enterobakterien aus. In einer randomisierten, doppelblinden Phase-3-Studie wurden 609 Patienten mit kompliziertem Harnwegsinfekt sieben bis zehn Tage lang entweder mit Plazomicin (15 mg/kg i. v. einmal täglich) oder Meropenem (1 g i. v. alle acht Stunden) behandelt. Die Patienten wurden an Tag 5 nach Behandlungsbeginn auf klinische Heilung sowie bakterielle Eradikation untersucht und nach zwei bis drei Wochen erneut kontrolliert. Dabei erwies sich Plazomicin gegenüber Meropenem an Tag 5 als nicht unter­legen: Bei 88,0% bzw. 91,4% war die Therapie erfolgreich. Nach 15 bis 19 Tagen zeigte sich unter Plazomicin sogar ein größerer Behandlungserfolg als unter Meropenem (81,7% vs. 70,1%). Auch die Rezidivrate nach einem Monat war in der Plazomicin-Gruppe geringer (3,7% vs. 8,1%). Unter Plazomicin wurden jedoch häufiger erhöhte Serum­kreatinin-Werte beobachtet als unter Placebo (7,0% vs. 4,0% der Patienten).

Plazomicin könnte eine effektive Waffe gegen multiresistente Enterobakterien darstellen, bei denen Betalaktam-Antibiotika und andere Aminoglykoside nicht wirksam sind. Zuvor muss das neue Antibiotikum in Europa allerdings noch zugelassen werden - dies könnte bereits dieses Jahr geschehen.

[Quelle: Wagenlehner FME et al. Once-Daily Plazomicin for Complicated Urinary Tract Infections. N Engl J Med 2019;380(8):729-40]

Der Anteil an Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, war bei verzögerter oder fehlender Antibiotika-Therapie im Vergleich zu einer sofortigen Behandlung etwa doppelt so hoch (26,8% bzw. 27,0% vs. 14,8%). Auch das Sterberisiko während der 60-tägigen Beobachtungsphase war bei Patienten, die nicht direkt behandelt worden waren, signifikant erhöht. Dies galt insbesondere für Männer im Alter von über 85 Jahren. Aufgrund dieser Erkenntnisse geben die Studienautoren die Empfehlung, bei geriatrischen Risikopatienten mit Harnwegsinfekten nicht mit einer Antibiotika-Therapie zu zögern. |

Quelle

Gharbi M et al. Antibiotic management of urinary tract infection in elderly patients in primary care and its association with bloodstream infections and all cause mortality: population based cohort study. BMJ 2019;364:l525

Apotheker Dr. Simko Sama

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