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Arzneimittel und Therapie
Migräneantikörper Nr. 2
Mit Galcanezumab ist ein weiterer CGRP-Hemmer verfügbar
Das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) ist bereits seit 1982 bekannt. In den Fokus der Schmerzforscher geriet das Neuropeptid 1990 durch die Beobachtung, dass die CGRP-Blutkonzentration während eines Migräneanfalls ansteigt. Die versuchsweise intravenöse Injektion des Neuropeptids löste migräneähnliche Kopfschmerzen aus, interessanterweise nur bei Migräne-Betroffenen, was auf eine erhöhte Sensitivität gegenüber CGRP in diesem Kollektiv hindeutete. Man stellte fest, dass CGRP nicht nur einer der potentesten Vasodilatatoren ist, sondern auch bei neuroinflammatorischen Prozessen eine Rolle spielt und als Neurotransmitter im enteralen Nervensystem und im respiratorischen Epithel aktiv ist. Wie genau das trigeminovaskuläre System während einer Migräne aktiviert wird und was diesen Prozess in Gang setzt, sei bis heute nicht vollständig geklärt, so Prof. Uwe Reuter, Charité Berlin, bei der Einführungspressekonferenz von Galcanezumab [1]. Doch die gegen CGRP und gegen den CGRP-Rezeptor synthetisierten Antikörper haben sich in klinischen Studien bewährt. Heute liegen placebokontrollierte Phase-2- und Phase‑3-Studien zur Prophylaxe der episodischen und chronischen Migräne für vier dieser Antikörper vor – Erenumab, Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab. Und alle wirken signifikant besser als Placebo. Schon ist von der „Impfung gegen Migräne“ die Rede (s. auch DAZ 2018, Nr. 48, S. 34).
Einmal monatliche Anwendung
Galcanezumab bindet mit hoher Spezifität CGRP, im Unterschied zu Erenumab, das den CGRP-Rezeptor blockiert. Nach einer subkutanen Applikation einer Einzeldosis Galcanezumab (120 mg) in Bauch, Oberschenkel, Rückseite des Oberarmes oder Gesäß wird eine maximale Serumkonzentration nach etwa fünf Tagen erreicht. Um zirkulierendes CGRP rasch zu binden, werden als Initialdosis zweimal 120 mg gegeben. Dank einer Halbwertszeit von 24 bis 27 Tagen genügt als Erhaltungsdosis eine einmal monatliche Injektion von 120 mg. Dies sei, betonte Reuter, zusammen mit der guten Verträglichkeit ein wesentlicher Vorteil gegenüber konventionellen Migräneprophylaktika wie Betablockern, Calcium-Antagonisten, Antiepileptika und Antidepressiva, bei denen die Einnahmetreue nach einem Jahr nur noch bei rund 30% liege.
Auch schwer betroffene Patienten profitieren
Direkte Vergleichsstudien mit den bekannten Substanzen haben Hersteller von CGRP-Antikörpern bisher nicht vorgelegt, was vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in der Nutzenbewertung für Erenumab bereits moniert wurde. Gegenüber Placebo jedenfalls wurden in den sechsmonatigen Zulassungsstudien signifikante Effekte einer Therapie mit Galcanezumab gezeigt: In den EVOLVE-Studien 1 und 2 (1338 Teilnehmer, zu 85% Frauen) konnte der Antikörper bei bis zu 62,3% der Patienten die mittlere Zahl der monatlichen Migräne-Kopfschmerztage (MKT) mindestens halbieren, unter Placebo bei maximal 38,6% der Patienten. Rund ein Drittel der mit Galcanezumab behandelten Patienten erzielte eine Reduktion der MKT um 75%. Bei einem mittleren Ausgangswert von 9,1 MKT pro Monat verringerte sich die Zahl der Schmerztage pro Monat um 4,3 bzw. 4,7 – gegenüber Placebo entspricht dies einem Vorteil von 2 Tagen [2, 3].
Ein zweiter Pluspunkt des CGRP-Antikörpers: Bei jenen Patienten, die zuvor auf mindestens zwei Migräneprophylaktika nicht ausreichend angesprochen hatten, verringerte sich die mittlere Zahl der Schmerztage unter dem Antikörper um 3,5 Tage/Monat, während die Placebo-Gabe in diesem Kollektiv kaum mehr eine Wirkung erzielte (Reduktion um 0,8 Tage) [2, 3]. Auch bei Patienten mit chronischer Migräne (> 15 MKT/Monat) reduzierte Galcanezumab die Anzahl der monatlichen Schmerztage im Mittel um 4,8 Tage, gegenüber 2,7 Tagen im Placebo-Arm. Ein signifikanter Effekt trat im ersten Monat ein und setzte sich über die Beobachtungsdauer von drei Monaten kontinuierlich fort[4].
Das Nebenwirkungsprofil der Therapie lag praktisch auf Placebo-Niveau. Am häufigsten traten mit rund 10% Schmerzen bzw. Reaktionen an der Injektionsstelle auf, die nach einigen Tagen verschwanden.
Langzeitsicherheit noch unklar
CGRP ist ein potenter Vasodilatator und spielt eine wichtige Rolle im respiratorischen Epithel und in der Darmmukosa. Aus diesem Grund wurden in den Zulassungsstudien alle Patienten mit Gefäßerkrankungen, schwerwiegenden Erkrankungen des respiratorischen Systems und des Darms ausgeschlossen, ebenso Schwangere und Frauen im gebärfähigen Alter ohne zuverlässige Kontrazeption. Welche Konsequenzen ein im Körper aktiver Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor bei medizinischen Komplikationen oder Akutsituationen hat – etwa einem akuten Koronarsyndrom oder einem Schlaganfall –, sei derzeit nicht bekannt, erläuterte Professor Hans-Christoph Diener von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) bei der Neurowoche 2018 in Berlin. „Bei aller Euphorie über die neuen Migräneprophylaktika sollte nicht vergessen werden, dass nichtmedikamentöse Ansätze der Verhaltenstherapie und eine Modifikation des Lebensstils genauso wirksam sind wie eine medikamentöse Prophylaxe“ [5]. |
Quelle
[1] Frischer Wind in der Migräne-Prophylaxe – was kann der neue CGRP-Hemmer Emgality® (Galcanezumab) bewirken? Launch-Pressekonferenz, Frankfurt, 25. Februar 2019
[2] Stauffer VL et al. Evaluation of galcanezumab for the prevention of episodic migraine: the EVOLVE-1 randomized clinical trial. JAMA Neurol 2018;75(9):1080-1088
[3] Skljarevski V et al. Efficacy and safety of galcanezumab for the prevention of episodic migraine: Results of the EVOLVE-2 Phase 3 randomized controlled clinical trial. Cephalalgia 2018;38(8):1442-1454
[4] Detke HC et al. Galcanezumab in chronic migraine. The randomized, double-blind, placebo-controlled REGAIN study. Neurology 2018;91:e1-e11
[5] Wie Neurologen die neue Migräneprophylaxe mit CGRP-Antikörpern bewerten. www.aerzteblatt.de; Abruf am 24. Februar 2019
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