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Arzneimittel und Therapie
Tumorschmerzen individuell behandeln
Neue WHO-Leitlinie stellt patientenzentrierte Strategie in den Fokus
Unter einer Tumortherapie leidet mehr als die Hälfte der Patienten an Schmerzen, in fortgeschrittenen Stadien einer Krebserkrankung sind es zwei Drittel. Die International Association for the Study of Pain (IASP) definiert Schmerz als „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird.“ Die Schmerzwahrnehmung ist jedoch ein höchst individuelles Geschehen und wird von jedem einzelnen Patienten ganz unterschiedlich erlebt. Diesen individuellen Unterschieden trägt die kürzlich veröffentlichte Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Behandlung von Tumorschmerzen bei Erwachsenen und Jugendlichen verstärkt Rechnung.
Eine Überarbeitung der WHO-Empfehlungen war angebracht, da die bislang gültigen WHO-Leitlinien zur Therapie von Tumorschmerzen aus den 1980er- und 1990er-Jahren stammten. Die wichtigste Neuerung des nun veröffentlichten Dokuments: Das WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie wird zwar weiterhin als nützliche Orientierungshilfe betrachtet, muss aber nicht mehr strikt befolgt werden. Vielmehr gilt es, die Therapie den individuellen Bedürfnissen entsprechend anzupassen.
Schmerzanamnese durchführen
So wird eine umfassende Anamnese und Beurteilung des Schmerzzustandes des Patienten von der WHO auch als erster und essenzieller Schritt in der Therapie von Tumorschmerzen angesehen. Um die Schmerzintensität besser einschätzen zu können, stehen zahlreiche Hilfsmittel (z. B. Schmerzfragebögen wie der Brief Pain Inventory [BPI], die visuelle Analogskala [VAS] etc.) zur Verfügung. Auch während der Therapie sollte der Zustand des Patienten in regelmäßigen Abständen erneut evaluiert werden.
Die Grundprinzipien der Schmerztherapie fasst die WHO mit vier Kernaussagen zusammen (s. Kasten). Das bislang gültige Vorgehen „by the ladder“ – dem dreiteiligen WHO-Stufenschema, das in zahlreichen Therapieleitlinien zu finden ist – ist nicht länger Bestandteil der Grundprinzipien.
Die vier Grundprinzipien der Schmerztherapie nach WHO-Leitlinie
„By mouth“ – orale Therapie
Die orale Gabe von Analgetika ist zu bevorzugen. Sollte bei einer Opioid-Therapie weder eine orale noch eine transdermale Applikation möglich sein, wird eine subkutane Verabreichung empfohlen. Gegenüber einer intramuskulären Applikation ist diese für den Patienten weniger schmerzhaft.
„By the clock“ – nach festem Zeitplan
Die einzelnen Dosen sollen in geeigneten Zeitabständen nach einem festen Zeitplan gegeben werden. Dabei ist die Dosis so lange kontinuierlich zu erhöhen, bis der Patient eine ausreichende Schmerzlinderung verspürt. Die nächste Dosis soll verabreicht werden, bevor der Effekt der vorherigen Analgetikadosis abgeklungen ist.
„For the individual“ – individuell angepasst
Die Therapie soll auf einer genauen Charakterisierung des individuellen Schmerzzustandes, der Schmerzart (z. B. Nozizeptor-Schmerz, neuropathischer Schmerz) und der Schmerzlokalisation basieren. Die Dosis sollte entsprechend den Bedürfnissen des jeweiligen Patienten gewählt werden.
„With attention to detail“ – mit Sorgfalt
Die erste und die letzte Dosis des Tages sollen an die Schlafenszeiten des Patienten angepasst werden. Idealerweise erhalten Patienten und Angehörige einen detaillierten Medikationsplan. Die Patienten sind über mögliche Nebenwirkungen aufzuklären.
Bei moderaten und starken Schmerzen sofort Opioide
Die Empfehlungen der Leitlinie zur Pharmako- und Radiotherapie gliedern sich in drei zentrale Bereiche: Analgetika, Koanalgetika sowie Therapiemaßnahmen bei Knochenmetastasen.
In der initialen Schmerztherapie empfiehlt die Leitlinie den Einsatz von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Paracetamol sowie von Opioiden – entweder als Monotherapie oder in Kombination. Dabei sollte ein Analgetikum gewählt werden, das die Schmerzen des Patienten ausreichend zu lindern vermag. Voraussetzung für eine adäquate Therapiewahl ist die vorherige Bestimmung der individuellen Schmerzintensität. Bei moderaten und starken Schmerzen ist eine alleinige Therapie mit schwach wirksamen Analgetika (NSAR, Paracetamol) nicht angezeigt. Hier kann mit einem Opioid kombiniert werden.
In der Erhaltungstherapie sollte ein Opioid gewählt werden – gegebenenfalls in Kombination mit NSAR oder Paracetamol –, um eine effektive und langanhaltende Schmerzlinderung zu erzielen. Als adäquate Dosis gilt die Dosis, die das Ausmaß der Schmerzen auf ein für den Patienten akzeptables Niveau reduziert. Es ist zu berücksichtigen, dass einzelne Patienten möglicherweise sehr unterschiedlich auf verschiedene Opioide ansprechen. Daher sollten idealerweise immer mehrere Optionen zur Verfügung stehen – dies betrifft auch die Darreichungsform (schnell freisetzende Formulierungen, Retardpräparate). Zur Behandlung von Durchbruchschmerzen muss ein Opioid in einer schnell freisetzenden Formulierung verfügbar sein. Hinsichtlich einer Opioid-Rotation – dem Wechsel auf ein anderes Opioid bei unzureichender Wirksamkeit oder Verträglichkeit – finden sich in der WHO-Leitlinie keine Empfehlungen: Hier lässt die Datenlage keine eindeutigen Schlüsse zu.
Corticoide so kurz wie möglich
Als Koanalgetika kommen generell Corticosteroide, Antidepressiva und Antikonvulsiva in Betracht. Dabei sollten Glucocorticoide jedoch nur so lange wie nötig und so kurz wie möglich eingesetzt werden. Die optimale Dosierung hängt von zahlreichen klinischen Faktoren ab (z. B. Schmerzlokalisation, Komorbiditäten wie Diabetes etc.). Werden Corticoide zur Behandlung von Tumorschmerzen eingesetzt, welche zumindest teilweise von Ödemen verursacht werden, sollte ein Glucocorticoid mit möglichst geringer mineralocorticoider Wirkung (Methyl- oder Hydroxylgruppe an C16; z. B. Dexamethason) bevorzugt werden.
Obwohl trizyklische Antidepressiva und selektive Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren bei Tumorpatienten häufig als Koanalgetika zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden, ist die Studienlage dünn. Daher spricht sich die WHO weder für noch gegen den Einsatz von Antidepressiva aus. Ähnlich verhält es sich mit Antikonvulsiva wie Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin oder Valproat – auch hier fehlt die Evidenz.
Bisphosphonate bei Knochenmetastasen
Bei Patienten mit Knochenmetastasen wird eine Therapie mit Bisphosphonaten (z. B. Clodronat, Ibandronat, Pamidronat, Risendronat, Etidronat, Zoledronat) empfohlen. Dabei sind jedoch die möglichen renalen Nebenwirkungen zu beachten.
Obwohl monoklonale Antikörper (z. B. Denosumab) bei Knochenmetastasen ebenfalls eine wirksame Therapieoption darstellen können, spricht sich die Leitlinie weder für noch gegen deren bevorzugten Einsatz aus: Den positiven Effekten stehen mögliche Nebenwirkungen (z. B. Osteonekrosen des Kiefers) und hohe Kosten gegenüber.
Ist eine Radiotherapie zur Linderung der Schmerzen aufgrund von Knochenmetastasen angezeigt, sollte eine hypofraktionierte Bestrahlung (Einzeldosis) durchgeführt werden. |
Quelle
World Health Organisation (WHO). WHO Guidelines for the pharmacological and radiotherapeutic management of cancer pain in adults and adolescents. Januar 2019; www.who.int; Abruf am 28. Februar 2019
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