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Rezension
„Start slow, go slow … but go!“
Für mehr Arzneimitteltherapiesicherheit im Alter
Die Anwendung von Arzneimitteln im Alter stellt Ärzte, Apotheker, Pflegepersonal und nicht zuletzt die Patienten selbst und ihre Angehörigen vor große Herausforderungen. Mit dem nun erschienenen Buch „Arzneimittel im Alter“ bietet die Autorin Dr. Beate Mussawy, Krankenhausapothekerin im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, einen Überblick über die wichtigsten Aspekte der geriatrischen Pharmazie.
Von Beate Mussawy
Arzneimittel im Alter
Strategien für eine optimale Pharmakotherapie
XII, 164 S., 37 farb. Abb., 29 farb. Tab., 17,0 × 24,0 cm, Kartoniert, 24,80 Euro
ISBN 978-3-8047-3614-6
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2018
Im ersten Teil des Buches werden neben verschiedenen Theorien und Statistiken über das Altern die vier „I’s“ des fortschreitenden Lebensalters vorgestellt: intellektueller Abbau, Instabilität, Immobilität und Inkontinenz. Jeder dieser Punkte kann unter Umständen medikamentös beeinflusst sein: Man denke nur an das erhöhte Sturzrisiko durch Sedativa, verstärkten Harndrang unter der Einnahme von Diuretika oder Verwirrungssymptome durch Anticholinergika. Nach einem kurzen Abschnitt über die wichtigsten altersbedingten metabolischen Veränderungen werden typische Erkrankungen im Alter inklusive ihrer medikamentösen Therapie beschrieben.
An mehreren Stellen im Buch wird der wichtige Aspekt hervorgehoben, dass es den geriatrischen Patienten nicht gibt und das kalendarische Alter allein wenig Aussagekraft hat. Stattdessen muss neben verschiedensten patientenindividuellen Faktoren auch das biologische Alter berücksichtigt werden: So gibt es fitte, unabhängige Senioren („Go-go‘s“), Gleichaltrige mit leichten Beeinträchtigungen („Slow-go‘s“) und pflegebedürftige, stark beeinträchtigte Patienten („No-go’s“), für die jeweils ganz eigene Zielvorgaben und Konzepte im Hinblick auf eine optimale Pharmakotherapie gelten. So kann z. B. bei junggebliebenen, fitten Typ-2-Diabetikern eine leitliniengerechte, wie bei Jüngeren auf Lebensverlängerung ausgerichtete Therapie sinnvoll sein, während bei gleichaltrigen, aber bereits stark beeinträchtigten Patienten eher einfache, alltagstaugliche Strategien mit z. B. möglichst wenigen Blutzuckermessungen im Vordergrund stehen.
Für in der Betreuung geriatrischer Patienten aktive Apotheker besonders lesenswert ist die Vorstellung der unterschiedlichen Methoden zur Ermittlung einer potenziell inadäquaten Medikation für Ältere (PIM). Die Eigenschaften und Besonderheiten von Beers- und START-STOPP-Kriterien, FORTA-, Priscus- und EU(7)-PIM-Liste werden übersichtlich herausgearbeitet und die Arbeit mit diesen Instrumenten anhand realistischer Fallbeispiele erläutert. Für den Apothekenalltag hochrelevant sind das Kapitel „Selbstmedikation“ – wiederum mit mehreren Praxisbeispielen – und vor allem der letzte Teil mit dem schönen, sicher auch als Aufforderung an alle beteiligten Akteure aufzufassenden Titel „Was macht das Leben im Alter leichter?“. Hier werden z. B. das Erstellen eines Medikationsplans, die Auswahl einer geeigneten Arzneiform, das Stellen/Verblistern sowie Hilfsmittel zur Erleichterung der Arzneimitteleinnahme besprochen.
Besonders positiv fallen die zahlreichen Verweise auf nützliche, vielleicht weniger bekannte Internetseiten und Apps ins Gewicht, z. B. die Sonden- und Teilbarkeitstabelle der Spital-Pharmazie Basel, Kurzfilme zur korrekten Anwendung von Inhalationssystemen auf der Homepage der Deutschen Atemwegsliga oder eine App, mit der der Bundeseinheitliche Medikationsplan mittels Barcode eingelesen und gespeichert werden kann. Zahlreiche „Exkurs“-Kästen bieten einen Blick über den Tellerrand und rufen beispielsweise in Erinnerung, was unter der Delphi-Methode zu verstehen ist, was explizite und implizite Kriterien sind oder wie geriatrische Assessments durchgeführt werden.
Ein klarer Sprachstil und eine gute Lesbarkeit runden das positive Gesamtbild ab. Das Buch eignet sich sicher auch als Nachschlagewerk für die Apotheke, kann aber ebenso gut an zwei oder drei ruhigen Abenden „durch-gelesen“ werden und den Leser ohne unnötige Komplexität auf den neuesten Stand bringen – er wird sich am nächsten Morgen hochmotiviert ans Werk machen, die Pharmakotherapie seiner betagteren Kunden und Patienten zu optimieren. „Altwerden ist nichts für Feiglinge“, aber mit diesem Buch kann ihm zumindest in Bezug auf die Pharmakotherapie ein Teil seines Schreckens genommen werden. |
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