- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 6/2018
- Flau im Magen
Fünfte Jahreszeit
Flau im Magen
Was gegen Übelkeit und Erbrechen wirkt
Übelkeit (Nausea) und Erbrechen (Emesis) können das Symptom zahlreicher Erkrankungen sein. Der Brechvorgang kündigt sich durch Übelkeit, Blässe und verschiedene vegetative Symptome wie verstärkter Speichelfluss oder Schweißausbruch an. Nach einer tiefen Inspiration verschließt sich der Kehlkopfeingang, und Zwerchfell und Bauchmuskulatur kontrahieren bei gleichzeitig geschlossenem Pylorus, so dass der Mageninhalt durch die Speiseröhre wieder entleert wird. Grundsätzlich ist der Brechvorgang ein Schutzreflex, der toxische Stoffe wieder aus dem Körper entfernt. Starkes Erbrechen kann jedoch zu gefährlicher Dehydrierung führen. Außerdem kann, vor allem bei gedämpftem Zentralnervensystem, z. B. infolge von Alkoholkonsum, Erbrochenes aspiriert werden und der Patient daran ersticken.
Viele Wege führen zum Brechreflex
Der Brechreflex, der letztendlich vom Brechzentrum im Hirnstamm ausgeht, kann über verschiedene Wege ausgelöst werden. Bei Störungen im Gleichgewichtsorgan, vor allem bei Reiseübelkeit (Kinetosen), spielt der Neurotransmitter Histamin eine zentrale Rolle bei der Erregungsleitung, eine etwas geringere dagegen Acetylcholin. Toxische Stoffe im Blut (z. B. Opioide) werden in der Chemorezeptor-Trigger-Zone (CTZ) der Area postrema registriert, hier erfolgt die Reizweiterleitung über die Neurotransmitter Dopamin und Serotonin. Auch Stimuli aus den inneren Organen, vor allem dem Magen-Darm-Trakt, werden durch Serotonin-Freisetzung ins Brechzentrum übertragen. Dem Arzt stehen zahlreiche verschreibungspflichtige Wirkstoffgruppen zur Verfügung, mit denen jede Art von Erbrechen therapiert werden kann: Serotonin-5-HT3-Rezeptorantagonisten (z. B. Granisetron) werden vor allem bei Übelkeit durch Zytostatika- oder Strahlentherapie eingesetzt, Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Aprepitant) wirken gegen verzögert auftretendes Erbrechen nach einer Zytostatikatherapie, Dopamin-Antagonisten (z. B. Metoclopramid) verhindern Erbrechen bei Migräneattacken, Glucocorticoide sind effektiv zur Vorbeugung und Behandlung von postoperativer Übelkeit. Es ist also unerlässlich, der Ursache einer Übelkeit auf den Grund zu gehen, um zu entscheiden, ob einer der wenigen für die Selbstmedikation zur Verfügung stehenden Stoffe angewendet werden darf.
In jedem Fall an den Arzt verwiesen werden sollten Kunden
- mit andauerndem Erbrechen (über mehrere Tage; Auslöser können zahlreiche ernsthafte Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts sein),
- mit gleichzeitigen Brustschmerzen (Verdacht auf Herzinfarkt, v. a. bei Frauen),
- mit gleichzeitigen starken Augenschmerzen (Verdacht auf ein akutes Glaukom),
- mit Übelkeit nach einem Sturz oder Unfall (Verdacht auf Gehirnerschütterung).
Weiter ist bei Schwangeren im dritten Trimenon an eine Präeklampsie, bei Diabetikern an eine Ketoazidose sowie bei neuer Medikation an eine Nebenwirkung von Arzneimitteln zu denken. Auch Senioren (s. u.) und Kinder unter 6 Jahren sollten bei Erbrechen an den Arzt verwiesen werden. Selbstmedikation ist hingegen möglich bei Reiseübelkeit, mild verlaufenden Magen-Darm-Infektionen, Übelkeit als Folge einer ungeeigneten Mahlzeit oder nach übermäßigem Alkoholkonsum.
Welche Arzneimittel eignen sich in der Selbstmedikation?
Als einzige chemische Wirkstoffgruppe für die Selbstmedikation stehen die H1-Antihistaminika mit Diphenhydramin und Dimenhydrinat zur Verfügung, die in erster Linie zur Vorbeugung und Therapie von Kinetosen indiziert sind. Dimenhydrinat zerfällt beim Eintritt ins Blut in Diphenhydramin und 8-Chlortheophyllin, einem Xanthinderivat. Da die pharmakologische Wirkung ausschließlich dem Diphenhydramin zuzuschreiben ist, ist hier nur ca. 56 Prozent der angegebenen Wirkstoffmenge tatsächlich aktiv. Die Wirkung der H1-Antihistaminika tritt – abhängig von der Darreichungsform – nach 15 bis 30 Minuten ein und hält 4 bis 6 Stunden an. Zwischen zwei Einzelgaben sollten mindestens 4 Stunden liegen. In der Beratung gilt es die Kontraindikationen zu beachten: Patienten mit schwerem Bronchialasthma, Engwinkelglaukom, Epilepsie, Phäochromozytom und Prostatahyperplasie mit Restharnbildung dürfen die Substanzen gar nicht einnehmen. Bei Hypokaliämie (auch infolge einer Arzneimitteltherapie, z. B. mit Diuretika), Hypomagnesiämie, Bradykardie und anderen Arrhythmien sowie eingeschränkter Leberfunktion sollten sie nur unter besonderer Vorsicht angewendet werden. H1-Antihistaminika sind bekannt für ihre anticholinergen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Miktionsprobleme oder Sehstörungen. Sie sollten daher nicht mit anderen Arzneistoffen mit anticholinerger Wirkung kombiniert werden und sind laut priscus-Liste nicht geeignet für Senioren, da bei diesen anticholinerge Nebenwirkungen oft verstärkt auftreten. Als Alternativen werden die verschreibungspflichtigen Dopaminantagonisten Metoclopramid und Domperidon empfohlen, Senioren sollten demnach an den Arzt verwiesen werden. Ebenfalls kritisch sind die H1-Antihistaminika der ersten Generation für Kleinkinder bis 3 Jahre, sie können Krampfanfälle, Halluzinationen und in Überdosierung sogar Atemstillstände auslösen. Hier hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach fünf gemeldeten Todesfällen im Stufenplanverfahren verfügt, dass die Gebrauchsinformationen verschärfte Hinweise darauf enthalten müssen. Die Tagesgesamtdosis darf, egal ob oral oder rektal verabreicht, 5 mg/kg KG Dimenhydrinat nicht überschreiten, für Diphenhydramin sind die pharmazeutischen Hersteller aufgerufen, eine vergleichbare Dosis festzulegen. Beide Wirkstoffe werden erst ab einem Körpergewicht von 6 kg (Dimenhydrinat) bzw. 8 kg (Diphenhydramin) eingesetzt. Außerdem sollten die Eltern darauf hingewiesen werden, dass eine Gabe bei einer banalen Gastroenteritis nicht zur Heilung beiträgt und bei Kleinkindern nach Möglichkeit vermieden werden sollte. Vor allem bei fiebrigen Erkrankungen sollte bei Kleinkindern auf die Gabe von H1-Antihistaminika verzichtet werden, da sich dadurch das Risiko eines Krampfanfalles vervielfacht.
Anwendungshinweise zu H1-Antihistaminika
Auch bei der Abgabe von H1-Antihistaminika an ältere Kinder und Erwachsene gilt es, einige Hinweise zu geben. So tritt als Nebenwirkung eine ausgeprägte Sedierung auf, so dass die Fähigkeit, am Straßenverkehr teilzunehmen und Maschinen zu bedienen, für circa 8 Stunden eingeschränkt ist. Ausgiebiger Alkoholgenuss und ungenügende Schlafdauer vermindern die Fahrtüchtigkeit am nächsten Morgen zusätzlich. Auch bei gleichzeitiger Therapie mit blutdrucksenkenden Mitteln ist eine erhöhte Müdigkeit möglich. Um die Sedierung nicht zu verstärken, ist eine gleichzeitige Gabe anderer zentral dämpfender Arzneistoffe (z. B. Hypnotika, Opioid-Analgetika, Antiepileptika, manche Antidepressiva) und vor allem zeitgleicher Alkoholkonsum strikt zu vermeiden. In den letzten Wochen der Schwangerschaft sollte eine Anwendung von H1-Antihistaminika unterbleiben, da sie uteruskontrahierend wirken können, ansonsten können sie laut Embryotox nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung in der Schwangerschaft eingesetzt werden. Eine Auswahl von Präparaten für die Selbstmedikation ist in Tabelle 1 zu finden.
Wirkstoff |
Präparate |
---|---|
Diphenhydramin |
|
Dimenhydrinat |
|
Ingwer hochdosiert und andere Heilkräuter
Als pflanzliches Mittel mit der Indikation Reiseübelkeit sind Zintona® Kapseln erhältlich, sie werden jedoch auch bei Übelkeit oder Erbrechen anderer Genese eingesetzt. Die Hartkapseln enthalten 250 mg Ingwerwurzelstockpulver, eingenommen werden Einzeldosen von 2 Kapseln im Abstand von mindestens 4 Stunden, jedoch maximal 10 Kapseln pro Tag. Den enthaltenen Gingerolen und Shoagolen (Scharfstoffe) werden antagonisierende Effekte auf Serotonin-Rezeptoren zugeschrieben. Aufgrund der Schärfe tritt als häufige Nebenwirkung Sodbrennen auf. Eine Einnahme unmittelbar vor Operationen oder unter Therapie mit Cumarin-Derivaten ist zu vermeiden, da Ingwerwurzel die Blutgerinnung hemmt. Als weitere apothekenexklusive Zubereitungen stehen alkoholische Tropfen zur Verfügung z. B. Ingwer-Tropfen Dr. Muches (2 × täglich 20 Tropfen), oder ingwerPURE Tropfen (2 bis 4 × täglich 15 Tropfen), sie werden jeweils in einem Glas Wasser eingenommen. Da die Scharfstoffe des Ingwers nicht wasserlöslich sind, wird die Zubereitung von Ingwertee aufgrund des geringen Wirkstoffgehalts nicht mehr empfohlen. Trotzdem bleibt das „Ingwerwasser“ (Aufguss eines Stückes grob geschnittener Ingwerwurzel mit kochendem Wasser, 5 bis 10 Minuten ziehen lassen) ein Hausmittel bei Übelkeit jeglicher Genese, sowie zur Vorbeugung von Reiseübelkeit.
Auch Iberogast®, der „Allrounder“ bei Magenproblemen, kann gegen Übelkeit oder Erbrechen empfohlen werden. Es wirkt mit neun verschiedenen pflanzlichen Inhaltsstoffen (Hauptkomponente: Bittere Schleifenblume) auch unterstützend gegen Sodbrennen, Völlegefühl und Magen-Darm-Krämpfe. Kinder ab 3 Jahren nehmen 10 Tropfen, Kinder ab 6 Jahren 15 Tropfen, und Jugendliche ab 13 Jahren und Erwachsene 20 Tropfen 3 mal täglich. Iberogast® ist eine Möglichkeit, Schöllkraut kontrolliert einzunehmen, dessen Tagesmaximaldosis aufgrund seiner Lebertoxizität auf 2,5 mg Gesamtalkaloide, berechnet als Chelidonin, beschränkt ist (s. Liste bedenklicher Rezepturarzneimittel).
Ein Sonderfall ist eine durch säurebedingte Überreizung des Magens hervorgerufene Übelkeit. Hier sind nicht Antiemetika, sondern Antazida das Mittel der Wahl. Vorteilhaft sind langwirksame Schichtgitterantazida wie Hydrotalcit (Talcid® und Generika) oder Magaldrat (Riopan® und Generika). Sie sollten eine bis zwei Stunden nach dem Essen angewendet werden, jedoch stets in ausreichendem Abstand zu anderen Arzneimitteln, deren Resorption sie hemmen würden. Aluminiumhaltige Antazida sollten nicht mit säurehaltigen Getränken eingenommen werden, da die Aluminiumresorption dadurch verstärkt wird. Bei den Kautabletten ist ein gründliches Kauen der Arzneiform erforderlich.
Flüssigkeitsverluste substituieren
Vor allem nach durchfeierten Faschingsnächten und Karnevalspartys können den Kunden noch einige Tipps mit auf den Weg gegeben werden: Bei Übelkeit sollten die Mahlzeiten klein und fettarm sein. Auf Alkohol, Kaffee und Nicotin sollte komplett verzichtet werden. Bei Erbrechen ist auf ausreichende Flüssigkeitssubstitution zu achten, zum Beispiel mit gesüßtem Kamillentee, Fencheltee, oder Pfefferminztee. Es können auch Elektrolytpräparate wie Oralpädon® 240 oder Elotrans® empfohlen werden. Die angegebene Menge von 200 ml Wasser zum Auflösen sollte nicht unterschritten werden, da die Lösungen sonst nicht wie gewünscht schwach hypotonisch, sondern hyperton wären und als solche mit ihrer osmotischen Aktivität die Aufnahme von Wasser und Elektrolyten aus dem Darm sogar hemmen würden. Wird Flüssigkeit sofort wieder erbrochen, kann der Patient versuchen, alle zwei Minuten einen Teelöffel Flüssigkeit in den Mund zu nehmen, kurz zu halten, und langsam zu schlucken. Besteht der Verdacht auf eine infektiöse Magen-Darm-Erkrankung (z. B. bei gleichzeitigem Durchfall), sollten Antiemetika erst nach Abwarten der akuten Phase eingenommen werden, da das Erbrechen hier einen wichtigen Schutzreflex darstellt.
Was den „Kater“ nach ausgiebigem Alkoholgenuss angeht, ist noch nicht genau bekannt, über welche Mechanismen Übelkeit und Erbrechen ausgelöst werden, so dass nicht klar ist, welche Wirkstoffgruppe zur Therapie optimal wäre. Eine Rolle spielt sicher die Dehydrierung, die durch die unter Alkoholeinfluss verminderte ADH-Wirkung entsteht, es ist also auf eine ausreichende Flüssigkeits- und Mineralstoffzufuhr zu achten. Im Internet werden zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel und pflanzliche Präparate zur „Therapie“ von Katersymptomen angepriesen. In einzelnen Studien werden auch Effekte auf einzelne Symptome des „Katers“ beschrieben, insgesamt ist die Evidenz aber gering. Eine Reduktion der Kater-Symptomatik wurde z. B. in einer Studie beschrieben, in der die Probanden vor und während des Alkoholkonsums Vitamin B6 einnahmen (insgesamt 1200 mg).
Vorbeugend kann empfohlen werden, vor dem Alkoholkonsum eine fettreiche Mahlzeit zu sich zu nehmen, um die Resorption des Ethanols zu verlangsamen, und während des Alkoholkonsums immer wieder Wasser zu trinken. Auch die Art des konsumierten Alkohols macht einen Unterschied, vor allem wenn es um Hochprozentiges geht: „klare“ Spirituosen wie Wodka oder Gin verursachen am nächsten Tag weniger Beschwerden als dunkel gefärbte, kongenerenreiche Spirituosen wie Brandy, Whisky oder Tequila. Optimal wäre natürlich, den Alkoholkonsum generell auf ein Maß zu reduzieren das nicht zu einem „Kater“ am nächsten Morgen führt. |
Literatur
Hamacher, Wahl: Selbstmedikation. Arzneimittelinformation und Beratung in der Apotheke. (Stand 09/2017)
Zachary A: „Practical Selection of Antiemetics“, American Family Physician, Volume 69, Number 5 / March 1, 2004
Wiese JG et al: „The Alcohol Hangover“, Ann Intern Med. 2000; 132(11):897-902
Pittler MH et al: „Interventions for preventing or treating alcohol hangover: systematic review of randomised controlled trials“, BMJ 2005; 331 :1515
Jayawardena R et al: „Interventions for treatment and/or prevention of alcohol hangover: Systematic review”, Hum Psychopharmacol Clin Exp. 2017; 32:e2600.
BfArM: „Orale und rektale Darreichungsformen dimenhydrinathaltiger und diphenhydraminhaltiger Antiemetika für Kinder bis 3 Jahren“, Abschluss des Stufenplanverfahrens Stufe 2, 22.12.2017
Priscus-Liste unter priscus.net
Fachinformationen der Hersteller
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.