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Tierpharmazie

Keine Angst vor Silvester

Stressfrei mit Hund und Katze ins neue Jahr

Die meisten Menschen freuen sich auf den Jahreswechsel. Einige blicken jedoch mit gemischten Gefühlen auf den Silvestertag, nicht zuletzt wegen ihrer Tiere. Während manche Hunde und Katzen lediglich etwas beunruhigt sind, wenn draußen die Welt unterzugehen scheint, haben andere panische Angst vor der Knallerei. Sie versuchen wegzurennen, verstecken sich zitternd oder machen gar unter sich. Manchmal wird das Knallgeräusch auch mit bestimmten Personen, einer bestimmten Umgebung oder anderen Umweltreizen verknüpft, sodass diese dann zum Auslöser für weiteres Angstverhalten werden. Ein Teufelskreis entsteht. Bei der Therapie von Geräuschängsten und anderen Angstproblemen stehen verhaltenstherapeutische Maßnahmen im Vordergrund. Reichen diese nicht aus, können sie mit einer gezielten Pharmakotherapie ergänzt werden. Der vorliegende Beitrag ist ein Update des Artikels „Keine Angst vor Silvester!“ aus der DAZ 2013, Nr. 49. | Von Sabine Wanderburg

Steht kurzfristig ein angstauslösendes Geräuschereignis, wie z. B. Silvester, bevor, können folgende Maßnahmen helfen, damit der Hund oder die Katze die Situation möglichst angstfrei übersteht. Wichtig ist, das Tier von den Knall­geräuschen möglichst abzuschotten. Alle Türen und Fenster sollten fest geschlossen, Rollläden und Jalousien herunter­gelassen und Vorhänge zugezogen werden. Das Tier sollte seine Lieblingsplätze und auch mögliche Flucht- und Rückzugsorte leicht und uneingeschränkt erreichen können. Das kann z. B. eine höhlenartige Transportbox oder ein abge­dunkelter Raum mit einer Versteckmöglichkeit sein.

Zur Ablenkung können bekannte Geräusche z. B. Musik oder der Fernseher laufen, am besten etwas lauter als gewöhnlich, damit die Knallgeräusche darin untergehen. Auch das Tragen eines speziellen Hundegehörschutzes (z. B. Muff Muffs®, ähnlich Kopfhörern) oder von Silikon-Ohrstöpseln kann helfen, wenn das Tier vorher daran gewöhnt wurde.

Stark konzentrierte Tiere können nicht in Angst abgleiten. Diese Tatsache kann ausgenutzt werden, indem das Tier schon im Vorfeld mit attraktivem Kaumaterial, mit Spielzeug, das z. B. mit Futter bestückt ist, Suchspielen, Denksportaufgaben oder einfachen Gehorsamsübungen, bei denen viele Belohnungen eingesetzt werden, beschäftigt und so von den Knallgeräuschen abgelenkt wird. Ist ein Tier erst einmal panisch vor Angst, versprechen solche Maßnahmen keinen Erfolg mehr. Da selbsterzeugte Geräusche in der Regel keine Ängste auslösen, sollte das Tier dazu animiert werden, selbst laut zu spielen, z. B. mit einem mit Trockenfutter gefüllten Hartplastikspielzeug (Futterball). Die Gesellschaft eines erwachsenen souveränen Hundes, der keinerlei Geräuschangst hat, kann sich bei jungen Hunden positiv auswirken. Umgekehrt sollten Junghunde von geräusch­ängstlichen Tieren getrennt gehalten werden, um ein „Übertragen“ der Angst zu vermeiden. Tiere, die unter Geräuschängsten leiden, sollten Silvester grundsätzlich nicht allein und sich selbst überlassen bleiben.

Was tun, wenn das Tier Angst zeigt?

In einer Angstsituation gilt es Ruhe und Souveränität auszustrahlen. Seien Sie der „Fels in der Brandung“ und lassen Sie das Tier weder Mitleid noch Sorgen spüren. Ein ängstlicher Hund sollte weder überschwänglich getröstet werden, noch sollte mit mitleidiger Stimme „beruhigend“ auf ihn eingeredet werden. Das könnte er als Bestätigung seines Verhaltens auffassen und ihn in seiner Angst bestärken. Andererseits sollte die Angst auch nicht komplett ignoriert und damit dem Vierbeiner das Gefühl gegeben werden, ihn in seiner Not allein zu lassen. Lassen Sie Körperkontakt zu, streicheln Sie das Tier wortlos, halten Sie es fest oder setzen Sie sich daneben. Dieses Trostverhalten existiert auch unter den Tieren. Es ist wichtig für Bindung und Vertrauen und verstärkt nicht die Angst. In Angstsituationen sollte eine Bezugsperson immer in der Nähe des Tieres sein.

Tiere reagieren in Angstsituationen nicht in gewohnter Weise und laufen bei plötzlichen Knallgeräuschen oft panisch und unkontrolliert weg. Um mögliche Unfälle zu vermeiden, sollte geräuschängstlichen Tieren an Silvester und einigen Tagen davor und danach, wenn schon oder noch mit Knallerei gerechnet werden muss, der Freilauf (bei Hunden) bzw. der Freigang (bei Katzen) verweigert werden. Hunde sollten an der Leine gehalten werden, eventuell sogar doppelt ge­sichert mit Leine und Brustgeschirr. Die Spazierrunden sollten auf das Notwendigste beschränkt und das Tier stattdessen daheim beschäftigt werden.

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Dieser Hund zeigt typische Angstsymptome: unsicherer, zur Bezugsperson gewandter Blick, geduckte und angespannte Körperhaltung, herabgesenkte Rute.

Futtermittel und Pheromone in leichten Fällen

Zur Unterstützung der oben beschriebenen Maßnahmen kann das stresslindernde Futterergänzungsmittel Zylkène® (Fa. Vetoquinol), in einer Dosierung von 15 mg/kg Körpergewicht einmal täglich eingegeben werden. Es enthält Alpha-Casozepin aus Caseinhydrolysat, das die GABA-Aktivität potenziert und ohne Benzodiazepin-typische Nebenwirkungen mild anxiolytisch wirkt. Alternativ kann das Futter­mittel Calm® (Fa. Royal Canin), das neben Alpha-Casozepin auch L-Tryptophan enthält, als Alleinfutter gefüttert werden. Die Verabreichung sollte mindestens zwei Wochen vor dem angstauslösenden Ereignis begonnen werden, da eine erkennbare Wirkung erst nach zehn bis 14 Tagen auffällt.

Über sogenannte Wohlfühlpheromone (Feliway® für Katzen, Adaptil® für Hunde, beide Fa. Ceva) kann nebenwirkungsfrei eine angenehme Umgebungssituation hergestellt werden. Als alleinige Maßnahme reicht dies jedoch nur in milden Fällen von Unsicherheit und Stress aus. Feliway® enthält in synthetischer Form vier Komponenten des Gesichtspheromons der Katze. Mithilfe dieser Pheromone, die von speziellen Drüsen am Kopf abgesondert werden, markieren Katzen den Teil ihres Reviers, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen. Die Anwendung im Wohnbereich unterstützt das Sicherheitsgefühl. Adaptil® enthält die synthetische Formulierung des Dog Appeasing Pheromons (D.A.P.), das in speziellen Drüsen in der Zitzenumgebung gebildet wird und mit dem die Welpen beim Saugen ständig „konfrontiert“ werden. In den ersten fünf Lebenswochen stehen Welpen unter dem vorherrschenden Einfluss des für Ruhe und Entspannung verantwortlichen Parasympathikus. Das Pheromon ist daher für alle Hunde, die in den ersten fünf Wochen gesäugt wurden, ein Geborgenheitsreiz, der auch im späteren Leben eine Erinnerung an den Zustand von Wohlbefinden auslöst.

Benzodiazepine früher Mittel der Wahl

Bei schweren Ängsten reichen obige Mittel nicht aus. Bis zur Zulassung von Dexmedetomidin im Jahr 2016 war Diazepam Mittel der Wahl für Hund und Katze vor einem kurzen vorhersehbaren Angstereignis wie Silvester. Die Dosierung beträgt bei Hunden 0,5 (bis 2,0) mg/kg Körpergewicht, bei Katzen 0,1 (bis 1,0) mg/kg Körpergewicht. Bei Verabreichung sollten die Tiere noch ruhig sein. Die Wirkung tritt nach 15 bis 45 Minuten ein und hält im Unterschied zum Menschen nur für etwa drei bis vier Stunden an. Nachdosierungen sind möglich, jedoch besteht bei adipösen Tieren die Gefahr der Kumulation. Nebenwirkungen sind Enthemmung, Appetitsteigerung, unzuverlässiger Gehorsam (daher Freigang bzw. Freilauf verwehren), albernes Verhalten, Müdigkeit und Torkeln. Bei Katzen sind als seltene Nebenwirkung spontane Lebernekrosen möglich. Da die Wirkung individuell unterschiedlich ist und paradoxe Reaktionen möglich sind, sollte Diazepam sinnvollerweise im Vorfeld einmal ausprobiert werden.

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Alkohol als „Hausmittel“ Einige Tierbesitzer verwenden Alkohol, um ihren Tieren Silvester erträglich zu machen. In Form von Eierlikör wird er von fast allen Hunden gerne aufgenommen. Eine bewährte Richtdosis zur Sedierung ist ein knapper Esslöffel Eierlikör pro 10 kg Hund. Wenn es notwendig ist, kann diese Dosis nach drei bis vier Stunden wiederholt werden.

Neu: Dexmedetomidin

2016 wurde für Hunde Dexmedetomidin (Sileo®, Fa. Orion Pharma, in Deutschland Vertrieb über Fa. Ecuphar) zur Linderung akuter Geräuschangst zugelassen. Damit ist für den Hund erstmals für diese Indikation ein zugelassenes Arzneimittel erhältlich. Aufgrund § 56a, Abs. 2 AMG (Umwidmungskaskade) darf der Tierarzt beim Hund zur Linderung akuter Geräuschangst seitdem nur dieses einzige für diese Indikation und Tierart zugelassene Arzneimittel abgeben. Dexmedetomidin ist ein hochwirksamer und selektiver α2-Adrenorezeptoragonist, der die Freisetzung von Noradrenalin aus noradrenergen Neuronen hemmt. Es verhindert die sympathische Neurotransmission und wirkt anxiolytisch und in hohen Konzentrationen, die bei der angegebenen Dosierung von Dexmedetomidin allerdings nicht erreicht werden, auch sedierend. Sileo® ist ein Gel zur oromukosalen Anwendung. Es wird bei den ersten Anzeichen von Angst verabreicht und erreicht seine volle Wirksamkeit nach 15 bis 60 Minuten. Bei Bedarf kann es bis zu fünfmal im Abstand von jeweils mindestens zwei Stunden gegeben werden. Bei der Handhabung des Applikators sollte der Anwender Einweghandschuhe tragen. Voraussetzung für die Wirkung ist, dass das Gel in die Backentasche auf die Maulschleimhaut zwischen Lefze und Zahnfleisch aufgetragen und nicht vom Hund abgeschluckt wird. Dies unterscheidet Sileo® von anderen Gelen zur oralen Eingabe, z. B. Mittel zur Entwurmung. Auf der Internetseite www.sileodog.com/de wird die Anwendung Schritt für Schritt in einem Video demonstriert. Geben Sie den Webcode S8SS5 in die Suchfunktion bei DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de ein und Sie gelangen direkt zum Video. Mögliche Nebenwirkungen sind blasse Schleimhaut an der Applikationsstelle, Erbrechen und Harninkontinenz, bei Überdosierung Sedierung, Bradykardie, Blutdrucksenkung und Abnahme von Atemfrequenz und Körpertemperatur. Als spezifisches Antidot bei Überdosierungen kann Atipamezol gegeben werden.

Und wenn das Trauma da ist?

Nach einem Geräuschtrauma kann zur Blockade der Lern­erfahrung das sehr potente Anxiolytikum Alprazolam in einer Dosierung von 0,1 mg/kg Körpergewicht gegeben werden. Liegt das Trauma erst wenige Stunden zurück, reicht eine einmalige Gabe aus. Ist das angstauslösende Ereignis bereits mehrere Tage her, kann Alprazolam dreimal täglich in einer Dosierung von 0,05 bis 0,1 mg/kg Körpergewicht gegeben werden. Diese Dosierung gilt auch für eine mehrtägige Anwendung, wenn ein längerdauerndes angstauslösendes Ereignis zu erwarten ist. Ist das Tier angstfrei bzw. das angstauslösende Ereignis vorüber, muss Alprazolam langsam über mehrere Wochen ausgeschlichen werden, um einen Rebound-Effekt zu vermeiden. Die Tiere verhalten sich unter Alprazolam „albern“ und un­gehemmt, sodass ihnen Freilauf bzw. Freigang verwehrt werden sollte. Zudem führt Alprazolam zu einer deutlichen Appetitsteigerung, wodurch es im Einzelfall zu aggressivem Verhalten bezüglich Futterressourcen kommen kann.

Langfristig hilft Verhaltenstherapie

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Für eine dauerhafte Lösung von Angstproblemen sollte ein individuell auf das Tier zugeschnittener verhaltenstherapeutischer Übungsplan erarbeitet und umgesetzt werden. Dazu gehört ein Anti-Geräuschangst-Training, das systematische Desensibilisierung und klassische Gegenkonditionierung kombiniert. Mit speziellen Geräusch-CDs kann das Tier schonend und in kleinen Schritten an Feuerwerk und andere Geräusche gewöhnt werden. Während es erst sehr leisen, dann langsam immer lauter werdenden Geräuschen ausgesetzt wird, kann eine positive Verknüpfung erfolgen, indem es gefüttert oder mit ihm gespielt wird. Die Lautstärke darf alle paar Tage nur minimal gesteigert werden, damit das Tier ruhig und entspannt bleibt. Wichtig ist auch der Aufbau eines konzentrationsintensiven Alternativverhaltens, z. B. durch die Etablierung eines „Sicherheitssignals“. Ausreichend geistige und körperliche Beschäftigung und ein spezielles Entspannungstraining sorgen für einen allgemeinen Stressabbau. An das Tragen des oben erwähnten Gehörschutzes muss der Hund ebenso schrittweise gewöhnt werden. Insgesamt ist mit einer Therapiedauer von sechs bis zwölf Monaten zu rechnen.

Psychopharmaka für andere Angstpatienten

Nicht zur Vorbeugung von plötzlichen Angstzuständen, wie z. B. an Silvester, sondern zur Behandlung schwerer Ängste in Kombination mit einer Ver­haltenstherapie sind zwei Arzneimittel für Hunde zugelassen:

Das trizyklische Antidepressivum Clomipramin (Clomi­calm®, Fa. Novartis) kann in einer Dosierung von 1 bis 3 mg/kg Körpergewicht zweimal täglich vor allem bei Trennungsängsten und Stereotypien eingesetzt werden. Die Anflutungszeit beträgt vier bis sechs Wochen. Clomipramin selbst wirkt als starker und selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmer, während sein Hauptmetabolit Desmethylclomipramin die Wiederaufnahme von Noradre­nalin blockiert. Clomipramin besetzt zudem cholinerge Rezeptoren des Muscarin-Typs und hat anticholinerge Eigenschaften.

Der MAO-Hemmer Selegilin (Selgian®, Fa. Ceva) kann in einer Dosierung von 0,5 (bis 1) mg/kg Körpergewicht einmal täglich bei schweren Ängsten eingesetzt werden. Die Anflutungszeit beträgt ebenfalls vier bis sechs Wochen. Selegilin bindet rasch und irreversibel an die Monoaminoxidasen. Als MAOH-A und MAOH-B erhöht es die Konzentration der monoaminergen Neurotransmitter Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und Adrenalin. Unabhängig von dieser Wirkung schützt Selegilin das ZNS gegenüber freien Radikalen und Neurotoxinen. |

Literatur

Zentrum für angewandte Kynologie und klinische Ethologie Lupologic, www.lupologic.de

www.tierärzte-duisburg-mülheim.de/archiv02.htm

www.vetpharm.uzh.ch

del Amo C. Einsatz von Arzneimitteln, Futterzusatzstoffen und Futtermitteln bei Angstproblemen. In: team.konkret. Nr. 4/2012

Gebrauchsinformation Sileo®

Autorin

Tierärztin Sabine Wanderburg hat in Hannover Veterinärmedizin studiert und hält mit ihrem Dackel Bodo auch Seminare für Apotheker zu veterinärmedizischen Themen.

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