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Phytotherapie
Der Hype um ein Holz
Das steckt im „Wunderbaum“ Zirbe
Die Zirbe (Pinus cembra) ist ein in Mitteleuropa beheimateter Nadelbaum aus der Familie der Kieferngewächse. Im Gegensatz zur verbreiteten Waldkiefer (Pinus sylvestris) ist sie ein reiner Alpenbewohner. Zirben wachsen bevorzugt in der Krummholzzone oberhalb der Waldgrenze, nur selten gedeihen sie unterhalb von 1400 Metern. Die Waldgrenze markiert eine Linie, oberhalb derer Bäume eigentlich aufgrund einer zu niedrigen mittleren Jahrestemperatur, einer zu kurzen Vegetationsperiode und übermäßiger Windexposition nicht mehr wachsen können. In Abhängigkeit von Einflussfaktoren wie geografischer Ausrichtung, kleinräumiger Geländemorphologie und nicht zuletzt dem Weltklima in Bezug auf Warm- und Kaltzeiten liegt die Waldgrenze in den Alpen zwischen 1800 Metern NN (Nord- und Südalpen) und 2300 Metern NN (Zentralalpen).
Ein Nadelbaum der Extreme
Die Zirbe jedoch steigt bis in eine Höhe von 2500 Metern. Dort ist sie zusätzlich zu den vorgenannten Schädigungsfaktoren auch noch einer im Vergleich zur Meereshöhe etwa viermal höheren kosmischen Strahlung ausgesetzt, die im lebenden Organismus zu einem erheblichen Flüssigkeitsverlust führt [2]. Nur die Zirbe kann dieser Belastung mit der Gefahr einer weitreichenden Austrocknung standhalten, da sie in ihren Tracheiden, den Wasserleitungen der Nadeln, einen besonders hohen Druck aufrechterhält, der eine gute Wasserversorgung sogar bei Kahlfrösten von unter -40°C zulässt. Als Hilfskonstruktion fungiert ein Netz von Nebenleitungen, das den Druck optimal verteilt. Anderen Bäumen fehlt dieser Mechanismus, es kommt in der Wasserversorgung zur Bildung von Luftbläschen und damit zu Minderversorgung und nachhaltiger Schädigung der Nadeln [3].
Bis Zirben zu beeindruckend knorrigen Baumriesen der Hochalpen herangewachsen sind, vergehen allerdings oft Jahrhunderte. Nach zehn Jahren misst ein Zirbenbäumchen gerade einmal zehn Zentimeter; die älteste bekannte Zirbe bei Celerina im Engadin ist dagegen rund 1200 Jahre alt. Bei Bäumen dieses Alters messen die Jahresringe oft nur einen Millimeter!
Deutliches Unterscheidungsmerkmal zur nahe verwandten Waldkiefer (Pinus sylvestris), die zwar nie über die Waldgrenze ansteigt aber im tiefergelegenen Verbreitungsgebiet zwischen 1400 und 1800 Metern mit der Zirbe vergesellschaftet sein kann, sind die in Büscheln zu je fünf Nadeln angeordneten, dreikantigen Zirbennadeln. Bei der Waldkiefer stehen die Nadeln stets paarweise.
Die Zirbe ist selten geworden im Alpenraum, nur noch an wenigen Standorten wie etwa am Patscherkofel bei Innsbruck, rund um den Puntleider See in Südtirol sowie den urwaldartigen Aletschwald im Schweizer Wallis gibt es noch größere Vorkommen; in den bayerischen Alpen befinden sich nur noch vereinzelte Restvorkommen im Wetterstein und im Nationalpark Berchtesgaden.
Inhaltsstoffe und pharmakologische Wirkung
Die Zirbe als Baum hat ein sehr breites Spektrum von Nutzungsmöglichkeiten aller Pflanzenteile. Zirbenholz wird vor allem im Möbelbau verwendet, Zirbennadeln in der Phytotherapie oder zur Gewinnung von ätherischem Zirbenöl, unreife Zirbenzapfen werden zu Zirbenlikör veredelt und die Zirbennüsse – rein botanisch handelt es sich hierbei aufgrund der nicht verholzten Fruchtwand nicht um richtige Nüsse – als schmackhafte Backzutat und als Heilnahrung.
Hauptwirkstoff der Zirbe ist die in Holz, Rinde, Nadeln und Knospen enthaltene phenolische Substanz Pinosylvin [4]. Pinosylvin schützt den Baum vor Fäulnis und zeigt im therapeutischen Spektrum antifugale und antibakterielle Eigenschaften. Es ist 30-mal stärker desinfizierend als reines Phenol [5].
Mehrere Arbeiten haben sich bislang mit der Analyse der Zirbennadeln beschäftigt und konnten eine Vielzahl von Inhaltsstoffen identifizieren. Neben Wachs [6], Stärke [7], Ascorbinsäure [8], Chlorophyll und Carotinoiden enthalten Zirbennadeln die Flavonoide Kaempferol und das als Bestandteil von Propolis bekannte Pinocembrin [4]. Beide Flavonoide wirken im Organismus antientzündlich, kardio- und neuroprotektiv. Der Gehalt an Spurenelementen wie Phosphor, Kalium, Magnesium, Schwefel nimmt mit zunehmendem Nadelalter ab, ihr Calciumgehalt bleibt dagegen beständig [9].
Organische Säuren wie die Shikimisäure und das bei Pflanzen als Ruhetaktgeber in Phasen erhöhter Umweltstressbelastung wirksame Phytohormon Abscisinsäure [10] sind vor allem in den Nadeln, Polyphenole [11] und weitere Anthocyane auch in den männlichen Zapfen enthalten. In einer grundlegenden Arbeit [12] konnten aus dem ätherischen Öl von Zirbennadeln sieben unterschiedliche Monoterpene (α-Pinen, β-Pinen, Myrcen, Limonen, β-Phellandren, Camphen und Sabinen) sowie Spuren von Terpinenen, Sesquiterpenlactone und Bornylacetat, letzteres verantwortlich für den charakteristischen Geruch von Nadelbäumen, isoliert werden. In Versuchsreihen wurde eine deutliche antimikrobielle Wirkung von Rinden- und Nadelextrakten der Zirbe gegenüber Staphylococcus aureus, Sarcina lutea, Bacillus cereus, Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa und Candida albicans nachgewiesen [4].
Die Zirbe in der Heilkunde
Wesentlichen Anteil an der Bekanntheit der Zirbe auch außerhalb des Alpenraums hat die 2003 veröffentlichte Studie „Evaluation der Auswirkungen eines Zirbenholzumfeldes auf Kreislauf, Schlaf, Befinden und vegetative Regulation“ [1]. Hierin konnte nachgewiesen werden, dass die Zirbe als Möbelholz zur Raumgestaltung einen positiven Einfluss auf das vegetative Nervensystem hat.
Insbesondere der Schlaf in den im Alpenraum schon immer beliebten Zirbenbetten lindert Wetterfühligkeit, verbessert den individuellen Erholungszustand und senkt dabei den Herzschlag des Schläfers um bis zu neun Herzschläge pro Minute. Auf den ganzen Tag hochgerechnet entspricht das der Ersparnis einer kompletten Stunde Herzarbeit. Bei Frauen wirkt die Zirbe generell etwas stärker als bei Männern, bei beiden Geschlechtern blieb die positive Wirkung der Zirbe im Versuch auch jeweils über den Tag bestehen. Zirbenholzmöbel behalten über Jahrzehnte, oft sogar über Jahrhunderte, ihren charakteristischen Duft, wobei sich dieser mit der Zeit zu erwärmen und eine vanilleartige Note anzunehmen scheint. Sie haben nur einen Nachteil: den relativ hohen Anschaffungspreis. Mittels mit Zirbenspänen gefüllten Dekorationskissen kann dieser Effekt bedauerlicherweise nicht genügend dargestellt werden, diese sind jedoch geeignet um Motten aus Küchen- und Kleiderschränken zu vertreiben: Zirbenholz wirkt der Entwicklungsbiologie der Kleidermotte (Tineola bisselliella) entgegen und kann zu einer Verminderung der Larvenzahl um fast die Hälfte führen [13]. Eine regelmäßige Aufbesserung von Zirbenkissen oder Zirbensäckchen mit ätherischem Zirbenöl verstärkt deren Wirkung. Vom Menschen wird der Duft ätherischen (Zirben-) Öls von den Geruchsrezeptoren aufgenommen und direkt an das limbische System im Gehirn weitergeleitet, das unter anderem für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist und in Abhängigkeit davon Hormonausschüttungen reguliert. Diese wiederum steuern Körperfunktionen wie Blutdruck, Herzfrequenz oder ganz allgemein Elan und Stimmungslage. Da das limbische System auch das Duftgedächtnis des Menschen beherbergt, wirken Duftstoffe nicht nur auf den physischen Körper, sondern sind gleichermaßen wertvolle Heilmittel bei psychosomatischen und seelischen Erkrankungen.
In der naturheilkundlichen Praxis wird die Zirbe in Form von ätherischem Zirbenöl vor allem in der Behandlung von organischen wie von seelischen Erkrankungen im Zusammenhang mit einer dauerhaften Stressbelastung eingesetzt. Gerade bei den ersten Alarmsignalen chronischer Stresseinwirkung wie Konzentrations- und Antriebsschwäche, Lustlosigkeit, Wetterfühligkeit, Nervosität, Kopfschmerzen und Schlafstörungen hat sich die Zirbe als Therapeutikum bewährt. Eine erste Maßnahme ist bereits das Verdampfen von Zirbenöl in einer Duftlampe. Es sorgt für einem ruhigen, erholsamen Schlaf und wirkt Beschwerden im Formenkreis von Angststörungen entgegen.
Volksmedizinische Verwendung
Zirbenöl zeigt in vitro antibakterielle Eigenschaften. Zudem soll es entzündungshemmend, durchblutungsfördernd, schmerzlindernd und schleimlösend wirken. Wie das ätherische Öl anderer Nadelbäume fördert auch inhaliertes Zirbenöl eine vertiefte Atmung bei Erkältungen und Nebenhöhlenerkrankungen und damit die Sauerstoffaufnahme der Lunge. Sehr wohltuend bei Erkältungen ist eine Raumluftbefeuchtung mittels nasser Handtücher, auf denen Zirbenöl aufgetropft wird. Ätherisches Zirbenöl eignet sich aber auch durchaus für Inhalationen. Bei rheumatischen Beschwerden, Muskel- und Gelenkschmerzen kann Zirbenöl Einreibungen oder Bädern beigegeben werden. Volksmedizinisch wird ein starker Aufguss aus unreifen Zirbenzapfen zubereitet, der als Badezusatz dem schmerzenden Bewegungsapparat Erleichterung verschaffen, allgemein entspannend wirken und vor dem Zubettgehen zu einem ruhigeren Schlaf verhelfen soll. Bei Muskelkater, Verkrampfungen und neuralgischen Beschwerden wirken Umschläge mit Zirbenwasser (5 Tropfen Zirbenöl auf 1 Liter gut handwarmes Wasser) schmerzlindernd und entspannend. Volksmedizinisch werden auch junge Zirbennadeln, frisch oder getrocknet, zur Zubereitung von Inhalationen und Bädern genutzt.
Wie jedes andere ätherische Öl kann jedoch auch Zirbenöl bereits in geringen Dosierungen Haut- und Schleimhautreizungen hervorrufen, die innere Einnahme ist nicht ratsam. Kinder sind von ätherischen Ölen fernzuhalten.
Im Alpenraum beliebt und noch dazu ausgesprochen wohlschmeckend ist die Zubereitung von unreifen, zerschnittenen Zirbenzapfen in Obstbrand. Traditionell wird der „Zirmschnaps“ bei Magenverstimmung und Übelkeit eingesetzt, er soll aber auch bei Nervenschwäche und allgemeinem Schwächezustand helfen. Eine alkoholfreie Variante ist Zirbenzapfenhonig, für den die unreifen, klein zerteilten Zapfen in Honig ausgezogen werden. Diese Zubereitung steht auch in mancher Hausapotheke als Hustenmittel bereit.
Ausblick
Bedauerlicherweise weder wissenschaftlich untersucht noch volksmedizinisch erhalten ist die Verwendung des „Zirbenmilch“ genannten Pressöls aus den Zirbennüssen, die bis in die 1930er-Jahre hinein als Stärkungskur, in der Rekonvaleszenz und als Heilmittel bei schweren Infektionskrankheiten verabreicht wurde [14, 15]. Einer historischen Anekdote nach soll die vom bayerischen Kurfürsten veranlasste Verteilung von Zirbennüssen an Münchner Stadtkinder jeweils am Nikolaustag zu deren gesundheitlicher Stärkung über den Winter hinweg zur Gründung des Münchner Christkindelmarktes geführt haben.
Gemessen an der steigenden Beliebtheit von Zirbenprodukten ist die Anzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen im medizinischen Bereich sehr überschaubar, derzeit sind außer den Forschungsergebnissen von Moser et al. [1] keine Langzeitstudien zur Wirksamkeit von Zirbenpräparaten in der therapeutischen Praxis verfügbar. Die Verwendung in der Praxis geschieht deshalb ausschließlich aufgrund von Erkenntnissen aus der Erfahrungsheilkunde unter Berücksichtigung der derzeitigen pharmakologischen Erkenntnisse. Die Compliance der Patienten und auch die therapeutischen Ergebnisse sind dabei sehr gut.
Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Jahren die Zirbe verstärkt Gegenstand von Forschungsvorhaben, vor allem in Bezug auf ihre Wirksamkeit als sanftes Phytotherapeutikum, werden wird. |
Literatur
[1] Moser M, Grote V, Lackner H, Muhry F, Trapp M: Evaluation der Auswirkungen eines Zirbenholzumfeldes auf Kreislauf, Schlaf, Befinden und vegetative Regulation. Joanneum Research, Institut für Nichtinvasive Diagnostik, 2003
[2] Mayer M: Physiologie im alpinen Raum. Lehrstuhl für Physiologie Medizinische Universität Graz, 2011
[3] Mayr S, Schwienbacher F, Bauer H: „Winter at the Alpine Timberline. Why does Embolism occur in Norway Spruce but not in Stone Pine?”, in Plant Physiology 131, 2003
[4] Apetrei C, Tuchilus A C, Oprea A, Malterud KE, Miron A: „Chemical, Antioxidant and Antimicrobial Investigations of Pinus cembra L. Bark and Needles” in Molecules 16, 2011
[5] Fugmann B: RÖMPP Lexikon Naturstoffe, Georg Thieme Verlag, 2014
[6] M.S. Günthardt, Goerg: „Epicuticular wax of needles of Pinus cembra, Pinus sylvestris and Picea abies” in Forest Pathology 16, 1986
[7] Hoch G, Popp M, Körner Ch: „Altitudinal increase of mobile carbon pools in Pinus cembra suggests sink limitation of growth at the Swiss treeline” in OIKOS 98, 2002
[8] Bukatsch F: „Ascorbinsäure-Gehalt und Atmungsintensität“ in Phyton 4, 1952
[9] Nebel B, Matile Ph: „Longevity and senescence of needles in Pinus cembra L.” in Trees 6, 1992
[10] Bianco J, Dalstein L: „Abscisic acid in needles of Pinus cembra in relation to ozone exposure” in Tree Physiology 19, 1999
[11] Wieser G, Tausz M, Wonisch A, Havranek WM: Free radical scavengers and photosynthetic pigments in Pinus cembra L. needles as affected by ozone exposure. Biol. Plantarum 44, 2001
[12] Dormont L, Roques A, Malosse Ch: „Cone and foliage volatiles emitted by Pinus cembra and some related conifer species” in Phytochemistry Vol 49, No 5
[13] Steinlechner E, Rinesch Ch, Trinkaus P: Wissenschaftliche Untersuchung zur Beurteilung der bioinhibitorischen Wirkung von Zirbenholz. Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH, Institut für Nachhaltige Techniken und Systeme – JOINTS Fachbereich Chemisch-Technische Pflanzennutzung, 2003
[14] Kroeber L: „Alpenpflanzen in der Volksheilkunde“ in der Jahresschrift des Vereins zum Schutz der Bergwelt e.V., 1930
[15] Meiners Ch: Briefe über die Schweiz, Band 1. Frankfurt und Leipzig, 1785
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