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„Eine Gefährdung des Versorgungsauftrages in der Fläche besteht nicht“
Interview mit Iris an der Heiden (Agentur 2HM)
DAZ: Gemäß Ihrem Gutachten ist fast die Hälfte der Apotheken in einer wirtschaftlich schlechten Situation. Dennoch empfehlen Sie, diesem System über eine Milliarde Euro zu entziehen. Im Gutachten versuchen Sie diesen Widerspruch mit dem Hinweis aufzulösen, das Minimum für die flächendeckende Versorgung sei nicht klar definiert. Allerdings werden Apothekenschließungen schon jetzt regional deutlich als Problem wahrgenommen. Welche Reaktion der Politik erwarten Sie auf Ihr Gutachten, insbesondere im Hinblick darauf, dass unser nach Ihren Ausführungen ohnehin fragiles Apotheken- und Arzneimittelversorgungssystem finanziell weiter geschwächt würde?
2HM: Wir liefern der Politik zunächst Daten und Berechnungen, die sie bisher nicht zur Verfügung hatte. Zum Beispiel, dass die ländlichen Apotheken wirtschaftlich nicht schlechter positioniert sind als städtische Apotheken. Und, dass eine Berechnung, die auf Kostendeckung beruht, eine Vergütung unterhalb des aktuellen Festzuschlags für Rx-Arzneimittel zum Ergebnis hat. Und, dass alle weiteren Vergütungsbestandteile dagegen zu erhöhen sind, um kostengerecht zu sein.
Den Apotheken, denen es aktuell wirtschaftlich nicht gut geht, fehlt es in erster Linie an Patienten- und Kundenfrequenz bzw. an Kauffrequenz, nicht an höheren Vergütungssätzen. Wie wollen Sie der Allgemeinheit vermitteln, dass mit zusätzlichen ein bis zehn Milliarden Euro Apotheken von den Krankenkassen über Kostendeckung hinaus bezuschusst werden, ohne dass die Relevanz dieser Apotheken für die Versorgung belegt wäre und zudem der größte Teil der zusätzlichen Ausgaben nicht bei den Apotheken landen würde, die gefährdet sind, sondern bei den Apotheken, die schon heute sehr erfolgreich sind?
DAZ: Sie stellen in Ihrem Gutachten fest, dass die Relation zwischen Kosten und Umsatz weitgehend unabhängig von der Größe der Apotheke ist. Es gibt demnach nur geringe Skaleneffekte. Doch warum sollten die größeren Apotheken, die nach der Schließung vieler kleiner Apotheken verbleiben würden, dann besser mit einem gekürzten Honorar auskommen? Würde eine massive Honorarkürzung nicht auch die verbleibenden Apotheken so sehr schwächen, dass dies langfristig das Ende der Apotheken im heutigen Sinn bedeuten müsste?
2HM: Da die Berechnungen unseres Gutachtens auf Kostendeckung beruhen, ist es generell für Apotheken gut möglich, mit der berechneten Vergütung auszukommen. Sollten Apotheken schließen, erhöht sich der Marktanteil der verbleibenden. Neben einer durchaus notwendigen Mindestgröße einer Apotheke, realisieren größere Apotheken prozentual ähnliche Roherträge und Kosten, absolut jedoch höhere Erträge.
DAZ: Die Apothekenräume und der weitaus überwiegende Teil der Apothekenausstattung sind notwendig, um den gesetzlichen Versorgungsauftrag wahrzunehmen. Insbesondere dürfen Rx-Arzneimittel nur abgegeben werden, wenn die Apotheken alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Wie begründen Sie, dass über die packungsbezogene Kostenverrechnung die Kosten für die nötige Ausstattung nur zu etwa 40 Prozent von der Solidargemeinschaft getragen werden?
2HM: Rezeptpflichtige Fertigarzneimittel sind nur ca. 40 Prozent aller Einheiten, die in den Apotheken abgegeben bzw. verkauft werden. Nicht alle Kosten sind dabei an den Versorgungsauftrag gebunden, beispielsweise große Freiwahlflächen in Premiumlagen. Zum gesetzlichen Versorgungsauftrag gehört zudem auch die Abgabe bzw. der Verkauf von OTC. Nur, weil die Apotheken hier die Preise selbst festlegen, sind die OTC nicht aus dem Versorgungsauftrag entlassen. Uns liegen über alle Kostenbereiche gesehen (Löhne, Sozialabgaben, Miete und alle sonstigen Kosten) keine Daten oder auch nur Abschätzungen vor, die einer Verteilung der Kosten nach Packungsanzahl widersprechen.
DAZ: Sie vertreten die These, die Subventionierung von OTC-Arzneimitteln über die Honorierung von Rx-Arzneimitteln sei gesetzeswidrig. Doch der gesetzliche Versorgungsauftrag umfasst schon nach seinem Wortlaut alle Arzneimittel und damit auch OTC-Arzneimittel. Außerdem regelt die Arzneimittelpreisverordnung die Preise für Rx-Arzneimittel unabhängig davon, wer diese zahlt. Die Besonderheiten der Gesetzlichen Krankenversicherung werden dagegen durch den Abschlag gemäß § 130 SGB V berücksichtigt. Dies hat insbesondere Dr. Heinz-Uwe Dettling in einer Stellungnahme auf DAZ.online ausgeführt und daraus gefolgert, dass die Rx-Arzneimittelpackungen als Anknüpfungspunkt für die Preisregulierung nicht mit dem Verrechnungsschlüssel für die Kostenkalkulation verwechselt werden dürfen. Wie begründen Sie die Vorgehensweise Ihres Gutachtens vor diesem Hintergrund?
DAZ: Im Gutachten schlagen Sie vor, Apotheken sollten Einbußen, die durch verminderte Einnahmen für Rx-Arzneimittel entstehen, bei OTC-Arzneimitteln und im Ergänzungssortiment kompensieren. Doch wie soll das möglich sein, allgemein angesichts des Preisdrucks durch Versender und ganz besonders in Apotheken mit sehr geringem OTC-Anteil? Letzteres betrifft typischerweise Landapotheken, die für die flächendeckende Versorgung besonders wichtig sind.
2HM: Unsere Daten zeigen nicht, dass Apotheken auf dem Land einen geringeren OTC-Anteil haben. In den städtischen Regionen gibt es nur eine größere Bandbreite, d. h. hier gibt es auch Apotheken, die überwiegend auf OTC und Freiwahl setzen und umgekehrt auch Apotheken, die fast ausschließlich Rx abgeben. Apotheken, die einen hohen Rx-Anteil haben, sind zwar von der Reduktion stärker betroffen, haben jedoch grundsätzlich damit eine gute Ausgangslage, da die Rx-Abgabe kostendeckend berechnet ist.
Ländliche Apotheken sind zudem im Durchschnitt wirtschaftlich besser aufgestellt als städtische, d. h. realisieren durchschnittlich höhere Bruttobetriebsüberschüsse, und könnten durch die vorgeschlagene höhere Vergütung im Notdienst stärker entsprechend ihrer Leistung vergütet werden.
Der Preisdruck der Versender führt bereits heute nicht zu einem Ausgleich der Preise und das ist wirtschaftlich auch sinnvoll. Vor-Ort-Apotheken gaben im Jahr 2016 ca. 8 bis 10 Prozent Rabatt auf OTC und Freiwahl, Versandapotheken ca. 25 bis 34 Prozent Rabatt. Die Apotheken können daher gegen Versandapotheken bereits heute nicht über den Preis gewinnen, sondern z. B. über die schnelle Verfügbarkeit und die gute Beratung. Wenn Apotheken trotz hoher Kompetenz und Innenstadtlagen und den damit verbundenen Kosten Arzneimittel unter Kostendeckung, also unwirtschaftlich abgeben bzw. verkaufen, dann ist dies eine unternehmerische Einzelentscheidung. Es kann jedoch kein allgemeines Modell der Versorgung sein.
DAZ: Bei Ihrer Argumentation zu OTC-Arzneimitteln nehmen Sie die freie Preisgestaltung als gegeben hin, aber diese wurde erst lange nach dem Versorgungsauftrag und seiner Finanzierung durch feste Arzneimittelpreise eingeführt. Damals ging es um Einsparungen bei OTC-Arzneimitteln, aber nicht darum, die Finanzierung der Versorgungsinfrastruktur zu verändern. Doch Sie sehen nun Widersprüche zwischen freien OTC-Preisen und der Vergütungslogik für die Versorgungsinfrastruktur. Wie stehen Sie dazu, diese Widersprüche durch die Wiedereinführung der OTC-Preisbindung aufzulösen?
2HM: Wir sehen keinen Widerspruch zwischen freien OTC-Preisen und der Vergütungslogik. Die AMPreisV regelt die Vergütung von Rx, Apotheken legen die Preise für OTC und Freiwahl fest. Diese Regelung besteht bereits seit 2004 und wurde von uns auftragsgemäß nicht infrage gestellt.
DAZ: Was würde Ihrer Ansicht nach geschehen, wenn die Politik Ihrer Empfehlung folgte und die Kompensation durch OTC-Arzneimittel nicht gelänge? Wie sähe das Apothekensystem dann aus und welche Konsequenzen hätte dies für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung?
2HM: Die Fragestellung erachte ich insgesamt als hypothetisch, da sie dem Apotheker die kaufmännische Anpassungsfähigkeit absprechen würde. Er verfügt u. a. über die freie Standortwahl, die freie Wahl des Ergänzungssortimentes und weitere unternehmerische Gestaltungsspielräume. Jedes Unternehmen ist regelmäßig von Gesetzesänderungen und den Veränderungen von Einkaufsgewohnheiten betroffen. Auch die Veränderungen der Preise für Rezepturen, BtM und Nacht- und Notdienst können nicht ohne Weiteres in ihrer Wirkung auf die Fläche prognostiziert werden. Die Entwicklung des Apothekensystems ist darüber hinaus von vielen Faktoren abhängig. Die AMPreisV kann mit der Vergütung eine Kostendeckung sicherstellen und zusätzlich steuernd über Fonds eingreifen. Sollten sich in Zukunft Engpässe ergeben, kann z. B. über einen zusätzlichen Strukturfonds gezielter die Versorgung in der Fläche sichergestellt werden. Da sich viele der aktuell gefährdeten Apotheken in den Städten befinden, müssen sich Schließungen, die mit und ohne Honoraränderung erfolgen können, nicht auf die Versorgung der Bevölkerung auswirken.
DAZ: Wenn die Zahl der Apotheken deutlich sinken würde, wäre der Versandhandel nicht mehr nur eine freiwillige Möglichkeit, sondern viele Patienten wären darauf angewiesen. Doch der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil zur Arzneimittelpreisbindung festgestellt, dass Apotheken vor Ort besser beraten und versorgen können als Versandapotheken mit ihrem „eingeschränkten Leistungsangebot“. Welche Folgen sehen Sie daraufhin für die Versorgungsqualität?
2HM: Von dieser Situation sind wir in Deutschland weit entfernt und eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken ist gesetzlich verankert. Aktuell gibt es in den Zentren der Städte und Vororte eine hohe Apothekendichte und auch auf dem Land gibt es noch keine Kommune mit Versorgungsengpässen. Der Gesetzgeber sieht bei Engpässen neben den Rezeptsammelstellen die Führung von Zweig- und Notapotheken vor. Die Anzahl der Zweigapotheken liegt bei aktuell 11 und damit deutlich niedriger als 2005 mit 39 Zweigapotheken. Notapotheken existieren derzeit keine.
DAZ: Die Quintessenz des Gutachtens könnte lauten, dass statt der bestehenden Niederlassungsfreiheit ein System gelten müsste, bei dem Apotheken bedarfsgerecht über Stadt- und Landgebiete verteilt würden und so den gesetzlichen Versorgungsauftrag mit solider wirtschaftlicher Basis erfüllen könnten. Inwiefern stimmen Sie dieser Schlussfolgerung zu?
2HM: Die Quintessenz des Gutachtens sind die berechneten Preise der AMPreisV. Mit dieser Vergütung können rezeptpflichtige Arzneimittel in der aktuell bestehenden Apothekenstruktur kostendeckend abgegeben werden. Eine Gefährdung des Versorgungsauftrages in der Fläche besteht nicht. Wir erwähnen die Niederlassungsfreiheit nur deshalb häufig, weil sie bei vielen Forderungen der Apothekerschaft keine Berücksichtigung findet, z. B. einem Finanzierungsanspruch aller bestehenden Apotheken. |
Zum Weiterlesen:
Das Honorargutachten war Gegenstand mehrerer Beiträge in der DAZ und bei DAZ.online. Viele dort ausgeführte Argumente weichen deutlich von den im nebenstehenden Interview geäußerten Positionen ab:
„Das Honorargutachten“, DAZ 2017, Nr. 50, S. 11
„Gutachter wollen Landapotheken-Fonds“, DAZ 2017, Nr. 51, S. 21
„Honorargutachten veröffentlicht“, DAZ 2018, Nr. 1, S. 11
„Welchen Apotheken drohen welche Einbußen?“, DAZ 2018, Nr. 2, S. 24
„Die Gegenrechnung“, DAZ 2018, Nr. 2. S. 28
„Welcher Unternehmerlohn ist ‚angemessen‘?“, DAZ 2018, Nr. 3, S. 58
„Ganzheitlicher Versorgungsauftrag als Maßstab der Arzneimittelpreisregulierung“, DAZ.online
„Dettling entlarvt juristische Fehlschlüsse“, DAZ 2018, Nr. 4, S. 24
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