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- DAZ 42/2018
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Beratung
Sein Risiko erkennen
Cholesterol als ein problematischer Teamplayer für kardiovaskuläre Erkrankungen
Eine Dyslipoproteinämie ist ein relevanter Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen, die sich auf dem Boden einer Atherosklerose der Gefäßwand entwickeln. Die Störung des Fettstoffwechsels ist damit mitverantwortlich für die hohe kardiovaskuläre Morbidität in der Gesellschaft und auch für eine vorzeitige Mortalität. Die Risikoabschätzung bei Vorliegen einer Dyslipidämie ist allerdings deutlich komplexer als beispielsweise bei einer Hypertonie. Es geht dabei nicht allein um den Cholesterol-Spiegel und um einen definierten Grenzwert, der möglichst zu unterschreiten ist. Ob und wie stark die Gefäßgesundheit gefährdet ist, hängt vielmehr von verschiedenen Lipoprotein-Fraktionen und auch von weiteren Nicht-Lipid-Risikofaktoren und möglichen Begleiterkrankungen des Betreffenden ab.
Entsprechend den Krankheitsursachen ist zudem zu differenzieren zwischen
- der reaktiv-physiologischen Hypercholesterolämie, die wesentlich durch den Lebensstil (Ernährung, Bewegungsmangel) verursacht ist,
- der primären Hypercholesterolämie, die genetisch bedingt ist,
- der sekundären Hypercholesterolämie, die sich im Zusammenspiel mit anderen Erkrankungen (z. B. Hypothyreose, nephrotisches Syndrom) entwickelt, sowie
- Mischformen.
Zusammenspiel von Lipidwerten und Risikofaktoren
Bei den Lipoproteinen sind neben dem Gesamtcholesterol -Wert vor allem die Lipoproteine niedriger Dichte (Low-Density-Lipoproteine, LDL) und die Very-Low-Density-Lipoproteine (VLDL), die Lipoproteine mit hoher Dichte (High-Density-Lipoproteine, HDL), das Lipoprotein (a) [Lp(a)] und die Triglyceride relevant. Als normal gelten nach Angaben der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und ihren Folgeerkrankungen DGFF (Lipid-Liga) e. V. folgende Werte:
- Gesamtcholesterol unter 200 mg/dl
- LDL-Cholesterol unter 115 mg/dl,
- HDL-Cholesterol von mehr als 45 mg/dl bei Frauen und mehr als 40 mg/dl bei Männern,
- Triglyceride unter 150 mg/dl und
- Lp (a) unter 30 mg/dl.
Generell rät die Lipid-Liga, eine Erstbestimmung der genannten Parameter einmal bereits im Alter von etwa zehn Jahren vorzunehmen. Ab dem 35. Lebensjahr ist die Bestimmung im Rahmen der Check-up-Untersuchungen ratsam, die Kosten werden als Vorsorgeleistung von den gesetzlichen Krankenkassen getragen. Kontrolluntersuchungen sollten etwa alle zwei Jahre erfolgen, wenn sich die Lebensumstände nicht deutlich verändern. Engmaschigere Kontrollen sind zum Beispiel bei einer deutlichen Gewichtszunahme angezeigt, bei Eintritt der Menopause oder bei der Manifestation eines Hypertonus oder eines Diabetes mellitus.
Bei der Risikoabschätzung sind neben den ermittelten Werten der Lipid-Fraktionen die individuellen Risikofaktoren zu berücksichtigen. Dazu gehören eine möglicherweise positive Familienanamnese (Manifestation einer koronaren Herzkrankheit bei Männern vor dem 55. Lebensjahr, bei Frauen vor dem 65. Lebensjahr), das Alter und das Geschlecht sowie das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie, eines Diabetes mellitus und ein Nicotin-Abusus.
Gefahr Statin-assoziierte Myopathie
Die lipidsenkenden Wirkstoffe, die am häufigsten eingesetzt werden, um erhöhte Blutfettwerte zu reduzieren und kardiovaskulären Ereignissen vorzubeugen, sind Statine. Sie hemmen die körpereigene Cholesterol-Synthese in der Leber durch Inhibition des Enzyms HMG-CoA-Reduktase. Eine Statin-assoziierte Myopathie ist eine seltene, aber schwere Nebenwirkung. Charakteristisch sind Symptome wie Schweregefühl, Steifigkeit oder Krämpfe, die Creatinin-Werte sind erhöht. Die Ursachen der Statin-induzierten Myopathie sind nicht geklärt. Unter einer Monotherapie mit Statinen (Standarddosis) tritt eine Myopathie nicht oft auf, aber das Risiko nimmt mit steigender Statin-Dosis zu. Klinisch besonders relevant ist die Erhöhung der wirksamen Konzentration von Statinen durch die gleichzeitige Einnahme von Arzneimitteln, die den enzymatischen Abbau der Wirkstoffe beeinflussen. Simvastatin, Lovastatin und Atorvostatin sind Substrate von CYP3A4 und werden vorrangig über dieses Enzym metabolisiert. Wird eines dieser Statine gleichzeitig mit einem Hemmstoff des CYP3A4 (z. B. Makrolidantibiotika Erythromycin, Clarithromycin, Telithromycin oder Azol-Antimykotika Itraconazol, Ketoconazol, Posaconazol) eingesetzt, erhöht sich durch den gehemmten Abbau der Statin-Spiegel und damit auch das Risiko einer Myopathie oder Rhabdomyolyse. Potente CYP3A4-Inhibitoren sind in der Kombination mit Simvastatin und Lovastatin kontraindiziert und sollten auch bei Atorvastatin vermieden werden. Aufgrund einer relativ CYP3A4-unabhängigen Verstoffwechslung von Pravastatin, Fluvastatin, Rosuvastatin und Pitavastatin ist ein signifikanter Einfluss durch CYP3A4-Inhibitoren hier nicht zu erwarten. Eine Komedikation mit einem Hemmstoff des CYP3A4 ist bei diesen Wirkstoffen möglich, sollte aber auch vorsichtig und unter Überwachung auf mögliche Symptome einer Myopathie erfolgen.
Abschätzung des Gesamtrisikos
Zeigen sich bei der Risikostratifizierung Auffälligkeiten, so ist zu klären, ob ein mild, moderat oder stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko besteht. Auf individualisierter Basis ist auch zu prüfen, ob möglicherweise eine Therapieindikation über eine allgemeine Beratung zu einer herz- und gefäßgesunden Lebensführung hinaus gegeben ist. Abhängig ist dies von der Höhe der ermittelten Lipidwerte in der Zusammenschau mit der allgemeinen Risikosituation des Patienten. Diese setzt sich laut Lipid-Liga zusammen aus Alter, Geschlecht, Gesamtcholesterol, LDL-Cholesterol, HDL-Cholesterol sowie dem Rauchen, einem Diabetes mellitus und der genetischen Belastung. Das Ausmaß der Gefährdung lässt sich aus Risikoscores wie etwa dem PROCAM-Score (PROCAM-Schnelltest unter www.assmann-stiftung.de) ermitteln.
Konkret gilt entsprechend den Angaben der Fachgesellschaft folgende Risikobewertung: Bei einer Hypercholesterolämie, also einem erhöhten LDL-Cholesterol-Spiegel, ist von einem leicht erhöhten Gesamtrisiko auszugehen
- bei einem Gesamtcholesterol-Spiegel von 200 bis 300 mg/dl
- einem LDL-Cholesterol-Spiegel von > 160 mg/dl
- dem Vorliegen von nicht mehr als einem zusätzlicher Risikofaktor und
- Triglyceriden unter 150 mg/dl,
von einem mäßig erhöhten Gesamtrisiko bei
- einem Gesamtcholesterol-Spiegel von 200 bis 300 mg/dl
- einem LDL-Cholesterol von > 130 mg/dl
- dem Vorliegen von zwei und mehr zusätzlichen Risikofaktoren und
- Triglyceriden unter 150 mg/dl
und von einem sehr hohen Gesamtrisiko bei
- Patienten mit manifester KHK und/oder Diabetes und
- einem Gesamtcholesterol-Spiegel von mehr als 200 mg/dl
- einem LDL-Wert von mehr als 100 mg/dl und
- Triglyceriden unter 150 mg/dl.
Cholesterol-Schnelltest zur Orientierung
Auskunft darüber, ob eine Dyslipidämie vorliegt oder nicht, lässt sich mit einem Cholesterol-Schnelltest erhalten, den der Betreffende als Selbsttest zu Hause durchführt, der aber auch als Schnelltest in der Apotheke angeboten werden kann (Tab. 1). Sollen regelmäßig Cholesterol-Werte gemessen werden, stehen auch Messgeräte zur Verfügung, bei denen nur die Teststreifen nachbestellt werden. Es sind verschiedene Testsysteme verfügbar. Cholesterol-Schnelltests basieren auf dem gleichen Prinzip: Es wird ein wenig Blut aus der Fingerbeere entnommen und per Einmal-Teststreifen analysiert. Über enzymatische Reaktionen ist eine Cholesterol-Bestimmung möglich. Hierfür werden mittels Cholesterolesterase, Cholesteroloxidase und Peroxidasen Farbstoffe aktiviert, die Farbveränderungen ermöglichen, die proportional zum Gesamtcholesterol-Gehalt sind. Einige Testsysteme verwenden oberflächenaktive Substanzen, die selektiv nur LDL solubilisieren. Die enzymatische Reaktion auf andere Lipoproteine kann durch oberflächenaktive Substanzen und Zuckerverbindungen verhindert werden, sodass eine Bestimmung des Gesamt-Cholesterols, der LDL- und der HDL-Cholesterol-Werte möglich sind. Das Testergebnis liegt nach einigen wenigen Minuten vor. Auch gibt es Testsysteme, bei denen die Probe in ein Labor eingeschickt wird, und der Patient erhält von dort ein Ergebnis.
Therapieziele abhängig vom Gesamtrisiko
Bei der Behandlung der Dyslipidämie gilt das Treat-to-Target-Konzept, wobei die Zielwerte bei der Lipid-senkenden Therapie aber wesentlich vom kardiovaskulären Gesamtrisiko abhängen. Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie sowie den Empfehlungen der Lipid-Liga gelten als Therapieziel folgende Grenzwerte des LDL-Cholesterols:
- unter 115 mg/dl bei niedrigem und mittlerem kardiovaskulärem Risiko,
- unter 100 mg/dl (oder eine Senkung um mindestens 50%) bei hohem kardiovaskulärem Risiko und
- unter 70 mg/dl (oder eine Senkung um mindestens 50%) bei sehr hohem Risiko, also bei einer manifesten Gefäßerkrankung wie etwa einer KHK oder einem Diabetes oder einem Zehn-Jahres-Risiko für eine Gefäßerkrankung von mehr als 20%.
Hinsichtlich der Triglyceride ist generell der Normwert, also ein Wert unter 150 mg/dl, anzustreben.
Darüber hinaus ist laut Lipid-Liga das Lp (a) mittlerweile als eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor akzeptiert und eines der wichtigen Zukunftsthemen in der Lipidologie. Das wissenschaftliche Interesse an diesem Risikofaktor nimmt stetig zu und die Lp(a)-Bestimmung wurde jüngst durch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) in die erweiterte Screening-Untersuchung zur Beurteilung des kardiovaskulären Risikos aufgenommen.
Unabhängig von der Diskussion um die Zielwerte wird Patienten mit einer Dyslipidämie zu Lebensstil-modifizierenden Maßnahmen geraten. Anzustreben hierbei sind der Verzicht auf das Rauchen, regelmäßige körperliche Bewegung (2,5 bis 5 Stunden in der Woche), ein normaler Body-Mass-Index (20 bis 25 kg/m2), eine schlanke Taille (maximal 94 cm für Männer und unter 80 cm für Frauen), ein kontrollierter Blutdruck (unter 140/90 mmHg) und ein HbA1c-Wert unter 7%. Bei der Ernährung wird eine mediterrane Kost empfohlen, also der hauptsächliche Verzehr von Getreideprodukten, Gemüse, Obst und Fisch, in Maßen auch Olivenöl und Nüsse. |
Literatur
[1] Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und ihren Folgeerkrankungen DGFF (Lipid-Liga) e. V., www.lipid-liga.de
[2] Diagnostik und Therapie der Dyslipidämie. ESC/EAS Pocket Guideline, www.leitlinien.dkg.org
LDL-Zielwert erreicht?
Interview mit Prof. Dr. Peter Grützmacher zur Beratung in der Apotheke
Es gibt in der Apotheke viel Beratungsbedarf in puncto Fettstoffwechselstörungen und Cholesterol-Wert. Wann Patienten aus medizinischer Sicht angesprochen werden sollten, erläutert Prof. Dr. Peter Grützmacher, Medizinische Klinik II am Agaplesion Markus-Krankenhaus in Frankfurt, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen (DGFF, Lipid-Liga) e. V.
DAZ: Herr Professor Grützmacher, gibt es in der Apotheke Patienten, die hinsichtlich einer Fettstoffwechselstörung angesprochen werden sollten?
Grützmacher: Bei Patienten, die in der Apotheke ein Rezept für ein Statin einlösen, kann davon ausgegangen werden, dass eine Fettstoffwechselstörung bekannt ist und vom Arzt behandelt wird. Das bedeutet leider nicht unbedingt, dass eine adäquate Therapie erfolgt und die Zielwerte erreicht werden. Es ist deshalb durchaus ratsam, vor allem Risikopatienten für Gefäßerkrankungen darauf anzusprechen, ob sie das Medikament tatsächlich entsprechend der ärztlichen Anweisung einnehmen und ob auch regelmäßig die Blutfettwerte kontrolliert werden.
DAZ: Wie wichtig ist es, dass die vorgegebenen Grenzwerte erreicht werden?
Grützmacher: Lange Zeit wurde angenommen, es reiche aus, Patienten mit Fettstoffwechselstörung ein Statin zu verordnen, um einen Gefäßschutz zu erwirken. Wir wissen inzwischen, dass dies nicht stimmt und dass konkrete Zielwerte zu erreichen sind, um eine effektive Prävention zu realisieren. Besonders wichtig ist das bei Patienten, bei denen bereits Erkrankungen wie eine koronare Herzerkrankung oder eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, also eine pAVK, manifest sind. Bei diesen Patienten ist es unbedingt erforderlich, den LDL-Wert unter 70 mg/dl zu senken. Aus Versorgungsstudien ist aber bekannt, dass dies bei etwa drei Viertel der Patienten nicht erreicht wird. Dabei gibt es sogar Hinweise darauf, dass bei Hochrisikopatienten eine LDL-Senkung auf Werte unter 50 mg/dl ratsam ist, um eine optimale Schutzwirkung zu gewährleisten.
DAZ: Wie sollten sich aus Ihrer Sicht Apotheker dann verhalten?
Grützmacher: Wenn anhand der abgegebenen Rezepte erkennbar ist, dass der Betreffende offensichtlich an einer Gefäßerkrankung oder einem Diabetes leidet, ist es ratsam nachzufragen, ob das Cholesterol geprüft wurde und ob die niedrigen Zielwerte auch erreicht werden. Bestehen daran Zweifel, können Cholesterol und auch LDL in der Apotheke per Schnelltest bestimmt werden. Bei Auffälligkeiten sollte man dann dem Patienten empfehlen, die Problematik mit seinem Arzt zu besprechen, damit die Dosierung des Statins angepasst werden kann.
DAZ: Gibt es auch bei anderen Personen Beratungsbedarf?
Grützmacher: Wenn es bei Patienten Hinweise auf kardiovaskuläre Risikofaktoren wie zum Beispiel eine Hypertonie gibt, ist die Frage nach dem Vorliegen einer Fettstoffwechselstörung in der Apotheke ebenfalls sinnvoll. In solchen Fällen sollte man auch über die Möglichkeit der Prävention von Herz- und Gefäßerkrankungen durch eine gesunde Lebensweise mit ausreichend Bewegung, einer ausgewogenen Ernährung und Nicotin-Verzicht informieren.
DAZ: Wie steht es um die Compliance?
Grützmacher: Bei der Behandlung mit Statinen kann es als Nebenwirkung zu Muskelschmerzen kommen, was die Therapietreue oftmals beeinträchtigt. Hat man in der Apotheke Hinweise hierauf, sollte der betreffende Patient darüber informiert werden, dass es unterschiedliche Wirkstoffe in der Gruppe der Statine gibt und möglicherweise der Wechsel auf eine andere Substanz ratsam ist. Das ist mit dem Arzt zu besprechen, um die Wirkung zu erhalten, ohne zugleich solche Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. In aller Regel bessert sich dann die Adhärenz. Es gibt auch die Möglichkeit, einen Statin-Myopathietest durchzuführen, dessen Kosten bislang aber von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden. Mit dem Test können Polymorphismen untersucht werden, die Hinweise auf den Abbauweg und damit auf potenzielle Nebenwirkungen des jeweiligen Statins geben. Speziell bei den Statinen ist zudem ganz besonders auf mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten, die der Patient einnimmt, zu achten. Auch in dieser Hinsicht ist aufgrund seines Know-hows vor allem der Apotheker gefragt.
DAZ: Herr Professor Grützmacher, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
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