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Dichte Transportwege,doppelte Qualitätskontrollen
Die Brexit-Sorgen der Pharmaindustrie
Gut fünfeinhalb Monate vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU fordert der Vorstandsvorsitzende des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astra Zeneca Leif Johansson, in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) in London pragmatische Lösungen, um die Brexit-Risiken für seine Branche und die Patienten zu minimieren. Johansson will zwar keine Panik schüren, legt aber trotzdem den Finger in die Wunde. Seine größte Sorge ist, dass die Transportwege nach dem Brexit vorübergehend dicht sein könnten. Astra Zeneca und andere Hersteller stocken deshalb ihre Lagerhaltung auf dem Kontinent und in Großbritannien auf. Damit seien die Medikamente näher bei den Patienten gelagert. Die Vorbereitungen hierfür liefen auf Hochtouren, berichtet er. Für die Hersteller seien die Vorbereitungen auf den Brexit ein Rennen gegen die Zeit, schreibt die F.A.Z.
Qualitätskontrollen und Freigaben als Nadelöhr
Ein weiterer Engpass könnte sich bei den Sicherheitschecks und Freigabekontrollen einstellen. Kommt es zu einem harten Brexit, so würden Qualitätskontrollen von Fertigarzneimitteln und Wirkstoffen, die in Großbritannien vorgenommen werden, in der EU wahrscheinlich nicht mehr akzeptiert, weil UK dann ein Drittstaat ist. So sieht es das harmonisierte Arzneimittelrecht der Union vor. Die Präparate müssten dann auf dem Kontinent nochmals getestet werden. Sonst dürfen sie in der Europäischen Union nicht vermarktet werden. Die britischen Behörden haben angekündigt, dass sie nach dem Brexit Qualitätskontrollen für Arzneimittel, die in der EU vorgenommen wurden, vorübergehend weiter akzeptieren werden. Zumindest die britischen Patienten wären damit erst mal „aus dem Schneider“.
Vorkehrungen für Zweit-Testungen
Nicht so die Patienten in der „Rest-EU“. Der Chairman von Astra Zeneca hofft allerdings, dass sich die Europäische Union ähnlich flexibel verhalten wird und die Testungen in UK anerkennt. Aber ob die Verantwortlichen in Brüssel sich wirklich dazu durchringen können, sei derzeit unklar. Um auf der sicheren Seite zu sein, baue sein Unternehmen Kapazitäten für zusätzliche Qualitätskontrollen im EU-Mitgliedsland Schweden auf. Dort sollen dann gegebenenfalls die zusätzlichen Prüfungen für Importe aus britischer Fabrikation vorgenommen werden.
Problemfälle nicht ausgeschlossen
Es gebe aber auch Problemfälle, gibt er weiter zu bedenken, wie etwa das Krebsmedikament Zoladex®. Astra Zeneca schaffe es nicht rechtzeitig zum Brexit-Termin, dafür separate Produkttests in der EU sicherzustellen. Der Hersteller könne das wichtige Onkologikum nach eigenen Angaben aber auch nicht viele Monate im Voraus in seinen Lagern in Kontinentaleuropa bunkern, weil es nur eine begrenzte Haltbarkeit habe. Im schlimmsten Fall eines harten Brexits wäre das Unternehmen demnach wohl darauf angewiesen, dass die EU britische Qualitätskontrollen weiterhin akzeptiert.
Auf die Frage, ob Astra Zeneca garantieren könne, dass nirgendwo in Europa im nächsten Frühjahr die Medikamente fehlen werden, antwortet Johansson, dass es auf dieser Welt nur wenige Garantien gebe. Gleichwohl versichert er, dass man sein absolut Bestes tun werde, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen.
Hoffnung auf einen geordneten Brexit
Mit einem Jahresumsatz von 22,5 Milliarden Dollar (19,5 Milliarden Euro) und 60.000 Mitarbeitern gehört Astra Zeneca zu den größten europäischen Pharmaherstellern. Die Therapiebereiche Herz-Kreislauf und Stoffwechsel, Onkologie, Atemwege, Entzündungen und Autoimmunerkrankungen, Neurologische Erkrankungen sowie Infektionen und Impfstoffe zeugen davon, dass das Unternehmen breit aufgestellt ist. Insgesamt werden die Brexit-Vorbereitungen Astra Zeneca umgerechnet rund 45 Millionen Euro kosten, so Johanssons Einschätzung in der F.A.Z. Man bereite sich auf alle Eventualitäten vor. Der Astra-Zenca-Chairman gibt sich jedoch weiter optimistisch: „Der wahrscheinlichste Fall ist aus unserer Sicht immer noch, dass Europa einen geordneten Brexit hinbekommt.“ Verständigen sich beide Seiten auf ein Austrittsabkommen, so gäbe es wahrscheinlich eine Zwischenphase, in der Großbritannien an den Binnenmarkt und die Zollunion der EU angebunden bliebe. Nach bisherigen Planungen könnte diese zumindest bis Ende 2020 dauern. „Damit wäre auch die Medikamentenversorgung sichergestellt“, meint Johansson.
Um wie viele Arzneimittel geht es?
Nach Angaben des europäischen Dachverbandes der forschenden Pharmaunternehmen EFPIA von November 2017 verlassen jeden Monat 45 Millionen Packungen, die in UK hergestellt werden, das Land in Richtung EU. Weitere 37 Millionen werden aus der EU dorthin geliefert. 1300 Präparate werden in Großbritannien getestet und für das Inverkehrbringen in der EU freigegeben, und es laufen 1500 klinische Studien mit einem Sponsor in UK. Dort werden außerdem 70 Prozent der klinischen Prüfpräparate freigegeben.
Zulassungsinhaber machen ihre Hausaufgaben
Eine Umfrage der EMA im Januar dieses Jahres hatte zunächst die Alarmglocken läuten lassen. Zwar hatten die Firmen knapp 60 Prozent der fast 700 zentralen Zulassungen (CAPs) bereits regulatorisch in die Spur gebracht, das heißt die notwendigen Umstellungen vorgenommen, damit die Präparate in der EU weiter vermarktet werden dürfen. Für 108 (88 Human- und 20 Tierarzneimittel) hatte die Agentur jedoch ernsthafte Bedenken, dass das noch rechtzeitig vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU am 29. März 2019 klappen könnte. Lieferengpässe oder Ausfälle wären die unweigerliche Folge. Im September wurde dann Teilentwarnung gegeben und die Anzahl der CAPs, deren Verfügbarkeit in Europa durch den Brexit bedroht sein könnte, von 108 auf 39 gesenkt. Viele Zulassungsinhaber haben demnach zwischenzeitlich ihre Hausaufgaben gemacht.
Einigung vielleicht erst im Dezember, wenn überhaupt
Der EU-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche wird mit Spannung erwartet. Die Austrittsgespräche sind seit Monaten festgefahren. Die Zeit, um den dringend benötigten Durchbruch zu erzielen, wird immer knapper.
Nach aktuellen Presseberichten halten beide Seiten eine Einigung immer noch für denkbar, allerdings vielleicht erst im November oder Dezember. Vor allem die Wirtschaft, darunter auch die Pharma-Branche braucht dringend ein Signal, dass es nicht zu einem chaotischen Bruch ohne Vertrag kommt. Dass jetzt die Klarheit weiter fehle, vergrößere die Probleme, warnt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHKT): „Das Brexit-Trauerspiel geht in die nächste Runde, der Ausgang bleibt völlig offen.“ |
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