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Ein neuer Impuls

Privatwirtschaftliche Unterstützung für das Melden von Nebenwirkungen

tmb | Wichtige Informationen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen können oft erst nach der Zulassung aus der Anwendung bei vielen Patienten gewonnen werden. Maßnahmen, die für mehr und bessere Meldungen über Nebenwirkungen sorgen, erscheinen daher prinzipiell als hilfreich. Zusätzlich zum offiziellen Meldeweg können Patienten solche Meldungen seit Dezember 2017 über das Internetportal Nebenwirkungen.de (bis Mitte Oktober: Nebenwirkungen.eu) vornehmen, das vom Start-up Medikura in München betrieben wird. Doch wie kommt ein privatwirtschaftliches Unternehmen dazu, eine klassische Behördenleistung anzubieten?

Das Problem hinter der Idee ist bekannt: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen führen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Krankenhauseinweisungen und sogar Todesfällen. Dies ist in gewissem Ausmaß unvermeidbar, weil seltene Probleme erst beim häufigen Einsatz von Arzneimitteln auftreten. Doch konsequente Meldungen können helfen, Risiken schneller zu erkennen. Der offizielle Meldeweg über die jeweiligen nationalen Behörden wurde 2017 umgestellt. Seitdem melden alle Hersteller und ­Behörden in der EU an die zentrale Datenbank EudraVigilance.

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Im Beipackzettel der Arzneimittel suchen Patienten nach den Nebenwirkungen ihres Präparates. Doch wie steht es um die Bereitschaft, den Behörden und Herstellern selbst unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu melden?

Große Dunkelziffer vermutet

Bei Ärzten und Apothekern wird immer wieder dafür geworben, den Behörden unerwünschte Wirkungen zu melden. Dies betrifft auch prinzipiell bekannte Nebenwirkungen, weil die Meldungen helfen können, die Risiken zu quantifizieren. Von 2010 bis 2015 gingen beim Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte etwa 25.000 bis 28.000 UAW-Meldungen pro Jahr ein. Im Vergleich zu etwa 1,4 Milliarden Arzneimittelpackungen, die 2016 in deutschen Apotheken abgegeben wurden, erscheint die Zahl der Meldungen erstaunlich klein. Offenbar ist die Dunkelziffer beträchtlich. Auch Patienten können unerwünschte Wirkungen melden und auch dies ändert nichts an der großen Diskrepanz zwischen der Zahl der Meldungen und der anzunehmenden Zahl unerwünschter Wirkungen.

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Dr. Friderike Bruchmann litt vor drei Jahren selbst an einer unerwünschten Arzneimittelwirkung.

Möglicherweise liegt dies am Meldeweg und an der geringen Bekanntheit des Meldeverfahrens. Dies dachte sich die Betriebswirtschaftlerin Dr. Friderike Bruchmann, als sie selbst eine solche Meldung machen wollte. Gegenüber der DAZ berichtete Bruchmann, sie habe vor etwa drei Jahren Nebenwirkungen durch Clarithromycin gehabt, die im Beipackzettel nicht aufgeführt waren. Diese wollte sie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) melden, „nur leider war die Benutzerfreundlichkeit des Meldeportals so enttäuschend, dass ich es aufgegeben habe“, so Bruchmann. Später habe sie herausgefunden, dass weniger als ein Prozent aller Nebenwirkungen gemeldet würden. Nach drei Jahren habe sie mit ihrem Gründerteam (siehe Kasten „Das Team“) ein Internetportal gegründet, das sie so beschreibt: „Mit Nebenwirkungen.de bieten wir ein innovatives Meldesystem an, welches die bestehenden Schwachstellen behebt.“ Einen entscheidenden Vorteil sieht sie im digitalen Kommunikationsweg. „Es geht schnell, es ist einfach und ortsunabhängig. Wir sehen bereits heute, dass die meisten Meldungen über unsere Plattform spätabends, frühmorgens oder am Wochenende passieren“, erklärt Bruchmann.

Das Team

Wer steckt hinter Nebenwirkungen.de? Dr. Friderike Bruchmann dazu: „Unser Gründerteam besteht neben mir aus Dr. Philipp Nägelein, zuständig für Finanzen, und Tobias Nendel, verantwortlich für die IT-Infrastruktur. Wir drei kennen uns aus dem Studiengang Technology Management des Center for Digital Technology and Management (CDTM) in München und uns verbindet eine ähnliche Vorstellung, was das Wertesystem und die Leistungsbereitschaft angeht. Das ist gar nicht so unerheblich, wenn man sich überlegt, dass viele Start-ups schon an der Teamzusammenstellung scheitern.“

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Dr. Philipp Nägelein, Tobias Nendel und Dr. Friderike Bruchmann (v. l.)

Das Konzept

Den Unterschied zu bisherigen Meldemöglichkeiten sieht Bruchmann in der Vernetzung der Akteure untereinander: „Wir sind die einzige Meldeplattform weltweit, die Patienten, Ärzte, Apotheker und Pharmahersteller in einem digitalen System zum unmittelbaren Austausch zu Arzneimittelwirkungen verbindet. Patienten können mit unserem Meldeservice einfach, schnell und diskret Nebenwirkungen direkt an den jeweiligen Hersteller melden und dabei ihren Arzt oder Apotheker einbinden sowie Rückmeldungen zu ihrer Meldung erhalten.“ Ärzte und Apotheker würden strukturiert über die Beschwerden ihrer Patienten informiert. Auch die Pharmahersteller würden Zeit und Kosten sparen und könnten ihr Echtzeit-Risikomonitoring verbessern (siehe Kasten „Ein Erklärungsversuch“).

Ein Erklärungsversuch

Warum werden nur so wenige Nebenwirkungen gemeldet? Bruchmann erklärt das so: „Es liegt primär am Wirrwarr der verfügbaren Meldewege, die alle historisch gewachsen und wenig aufeinander abgestimmt sind. (…) Außerdem, eine Meldung abzusetzen bedeutet einen erheblichen bürokratischen Aufwand, bei dem man weder weiß, was mit der Meldung passiert, noch wo und wann sie ankommt. (…) Sehr problematisch ist auch der Prozess bei Rückfragen zu Nebenwirkungsfällen. Die wenigsten Patienten sowie Ärzte oder Apotheker reagieren nämlich darauf, weil der Prozess so umständlich gestaltet ist. (…) All diese Erkenntnisse sind in unser innovatives Meldesystem eingeflossen, damit es von allen Parteien akzeptiert und gerne genutzt wird.“

Die Behörden werden dagegen nicht über das Portal informiert, denn unabhängig von dieser neuen Meldemöglichkeiten bleiben die Hersteller rechtlich verpflichtet, ihrerseits die Behörden auf dem amtlichen Meldeweg zu informieren. Eine zusätzliche Information über das Portal würde daher zu einer irreführenden Doppelmeldung führen. Bruchmann räumt ein, dass Falschmeldungen nie ganz ausgeschlossen werden könnten, hält das behördliche Meldesystem jedoch für anfälliger. Die einheitliche digitale Infrastruktur bei Nebenwirkungen.de solle jeden Beitrag nachvollziehbar machen. Jede meldende Person werde identifiziert, um doppelte oder ähnliche Meldungen zu erkennen.

Pharmaindustrie soll Konzept honorieren

In den neun Monaten seit dem Start im Dezember 2017 wurden nach Angaben der Betreiber von Nebenwirkungen.de mehrere hundert Meldungen an Hersteller übermittelt. Die ­monatliche Wachstumsrate liege im zweistellen Bereich. Zu den weiteren Plänen erklärt Bruchmann: „Unser Ziel ist es, an allen neuralgischen Punkten im Gesundheitswesen verankert zu sein.“ Dabei betont sie, dass das Konzept in ganz Europa und letztlich sogar weltweit anwendbar sei (siehe Kasten „Die Vision“). Bisher finanziert sich die Plattform insbesondere durch ein EXIST-Gründerstipendium, Fördergelder aus dem Europäischen Sozialfonds und vom Bundeswirtschaftsministerium sowie durch weitere öffentliche Mittel. Doch künftig möchten die Betreiber Geld von der Pharmaindustrie erhalten. Sie sehen die Echtzeitkommunikation als Mehrwert, den die Hersteller honorieren sollten. Die Hersteller sind verpflichtet, jedem Verdachtsfall einer unerwünschten Wirkung nachzugehen. Dies kostet viel Geld und Zeit, aber mit dem neuen Portal sei es viel günstiger, argumentieren die Betreiber. Denn die Daten würden direkt und standardisiert übermittelt. Außerdem könnten direkt Rückfragen gestellt und Rückmeldungen gegeben werden. Dies helfe, den Fall umfassend zu bewerten. Allerdings bedauert Bruchmann, das Interesse der Verbände sei bisher eher verhalten gewesen.

Die Vision

Was sind die Zukunftspläne von Nebenwirkungen.de?Bruchmann dazu: „Unsere Vision ist es, die Arzneimittelsicherheit weltweit zu stärken, indem wir eine zentrale digitale Infrastruktur aufbauen, die die Risiko-Nutzenüberwachung von allen Arzneimitteln in Echtzeit ermöglicht und dabei alle wesentlichen Nutzergruppen einbindet. Wir möchten gerne als deutsches Start-up in anderen europäischen Ländern vorangehen und haben dafür auch bereits unsere Internationalisierung im nächsten Jahr geplant. (…) Der Gedanke hinter dem, was wir machen, ist letztendlich nicht neu, aber die effektive Umsetzung und das Zusammenfügen letzter Puzzle-Teile, das ist es, was gefehlt hat.“

Zentrale Erfassung wichtig

Dies zeigen auch die Anfragen der DAZ. Dr. Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), erklärte gegenüber der DAZ: „Der etablierte, behördliche Meldeweg hat sich bewährt und stellt sicher, dass die Arzneimittelbehörden durch qualifizierte Meldungen wenn nötig frühzeitig Maßnahmen zum Patientenschutz einleiten können.“ Die Datenerfassung unterliege strengen Vorschriften, die von den Bundesoberbehörden überprüft würden. „Nur so wird am Ende sichergestellt, dass alle eingehenden Informationen zu Nebenwirkungen – egal aus welcher Quelle – zentral bei den Behörden erfasst werden können“, folgert Kroth. Auch für die Patienten gebe es bereits viele Möglichkeiten Verdachtsmeldungen abzugeben, direkt an das Unternehmen, den Arzt, Apotheker oder an die Behörde per Telefon, Fax, E-Mail oder über das Meldeportal der Bundesoberbehörden. Kroth begrüßt zudem die Vereinheitlichung durch die europäische Datenbank EudraVigilance. „Das ist ein wichtiger Schritt, denn die Daten werden zentral erfasst und das Verfahren ist harmonisiert. Mit Blick auf die Patientensicherheit würde ich mir wünschen, dass es künftig keine nationalen Sonderwege mehr gibt“, erläuterte Kroth.

Auch Dr. Jochen Stemmler, Pressesprecher des Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), hält das bestehende System für gut. Es sei etabliert und funktioniere. Auf allen Melde­wegen würden die Informationen von hoch qualifizierten und erfahrenen Mitar­beitern entsprechend den gesetzlichen Vorgaben bearbeitet. Die Meldungen in der Datenbank EudraVigilance würden regelmäßig von Herstellern und Behörden ausgewertet, um auf neue Erkenntnisse reagieren zu können. Gegenüber der DAZ erklärte Stemmler weiter: „Um Patienten noch stärker einzubeziehen, startete Ende vergangenen Jahres eine gemeinsame Kampagne aller europäischen Arzneimittelbehörden, die die Patienten dazu aufruft, Verdachtsfälle von Nebenwirkungen verstärkt zu melden.“ Die Zahl der Direktmeldungen durch Patienten sei bereits gestiegen. Um die Meldungen noch weiter zu ­erleichtern, würden die Behörden an einer verbesserten Eingabemaske der webbasierten Meldungen arbeiten.

Nach Angaben von Stemmler sind 2017 bei der europäischen Datenbank etwa 1,5 Millionen neue Nebenwirkungsmeldungen eingegangen. Dies sei eine signifikante Steigerung gegenüber den Vorjahren.

Als weitere Verbesserungen der jüngeren Zeit nennt er die Einrichtung eines Bewertungsausschusses für Arzneimittelrisiken (PRAC) bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA, das „schwarze Dreieck“ als Symbol für neu eingeführte Wirkstoffe mit dem Aufruf zur Meldung von Nebenwirkungen, die Einführung direkter Meldungen der Patienten bei Behörden, die bereits erwähnte Zentralisierung der Meldungen in einer europäischen Datenbank und die Einführung der „Blauen Hand“ für behördlich angeordnetes Schulungsmaterial.

Verworrene Interessenlage

Ende September 2018 schalteten die deutschen Arzneimittelbehörden ein „besonders anwenderfreundliches“ Meldeportal für Nebenwirkungen frei. Die Benutzer sollen nun noch einfacher durch das Formular geführt werden. Doch die Betreiber von Nebenwirkungen.de sehen den Vorteil ihres Portals auch in dem weiter reichenden interaktiven Ansatz. Dagegen vermitteln die Reaktionen der Verbände den Eindruck, ein zusätzliches System sei überflüssig. Letztlich kann die Datensammlung nicht im Wettbewerb organisiert werden, weil die Daten erst wertvoll werden, wenn sie zusammengeführt werden. Besonders deutlich wird dies in der Position des BfArM (siehe Kasten „Die Sicht des BfArM“). Dort entsteht der Eindruck, Meldungen außerhalb des behördlichen Weges würden nicht die nötigen Daten liefern, um die Arzneimittelrisiken angemessen einschätzen zu können. Die Betreiber von Nebenwirkungen.de verweisen dagegen auf die interaktive Erfassung von Meldungen, die eine bessere Informationsgrundlage für die Bewertung von Arzneimittelrisiken biete. Außerdem kann das Portal aus rechtlichen Gründen kein Ersatz für die verpflichtenden Meldungen der Hersteller sein. Ein privatwirtschaftlich organisiertes Portal kann und möchte sie davon nicht entbinden. Die Meldungen werden also auf jeden Fall in der offiziellen Datenbank zusammengeführt.

Die Sicht des BfArM

Foto: BfArM

Maik Pommer, Pressesprecher des BfArM, beschreibt die Position der Bundesoberbehörde so:

„Um die etablierten behördlichen Meldesysteme wirkungsvoll ergänzen zu können, müssen neue Informationsangebote allerdings sinnvoll in bestehende Meldewege eingebunden werden und vor allem auch ausreichend systematische und fachlich belastbare Informationen über Nebenwirkungen erfassen. Denn je früher, häufiger und detaillierter die Arzneimittelbehörden Meldungen erhalten, desto früher können Risikosignale erkannt und bewertet werden, um bei Bedarf behördliche Maßnahmen zum Schutz der Patientinnen und Patienten zu treffen.

Insofern erscheint das neue Angebot zumindest in der bisherigen Ausbaustufe aus Sicht des BfArM nicht geeignet, einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele leisten zu können.“

Es erscheint daher schwer nachvollziehbar, weshalb zusätzliche Meldungen die Datenlage verschlechtern sollen. Wenn das Portal gut funktioniert, kann die Information möglicherweise einfacher zu bearbeiten sein. Außerdem dürften zusätzliche Meldungen von Patienten eingehen, die sonst nichts melden würden - erst recht, wenn das Portal offensiv um Meldungen wirbt. Für die Hersteller könnte dies mühsam werden. Für die Arzneimittelsicherheit kann jede zusätzliche Information dagegen wichtig sein. |

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