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Arzneimittel und Therapie
Eine salzige Angelegenheit
Studie stellt Empfehlungen zur Kochsalzzufuhr (scheinbar) infrage
Deutschland gehört noch immer zu den Ländern mit einer sehr hohen Kochsalzzufuhr. Die Zufuhrempfehlungen für Kochsalz reichen von 3,75 g/Tag (American Heart Association, AHA) über 5 g/Tag (Weltgesundheitsorganisation, WHO) und 6 g/Tag (Deutsche Hochdruckliga) bis zu 6,25 g/Tag (European Society of Cardiology, ESC). Vermutlich bewegt man sich mit 4 bis 6 g/Tag im optimalen Bereich. In der Realität liegt die mittlere Kochsalzzufuhr in Deutschland deutlich darüber: aktuell beträgt sie 8,4 g/Tag (Frauen) bzw. 10 g/Tag (Männer). Ein Viertel aller Männer nimmt täglich sogar mehr als das Dreifache der WHO-Empfehlung auf (> 15 g/Tag). Die Studienlage, auf der die restriktiven Zufuhrempfehlungen beruhen, ist überzeugend und wird international in gleicher Weise interpretiert. So kann eine Reduktion der Kochsalzzufuhr das Risiko für Bluthochdruck reduzieren und die Wahrscheinlichkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken. Daher überraschen Berichte über aktuelle Studienergebnisse, die diesen Zusammenhang und insbesondere die Forderung nach einer bevölkerungsweiten Reduktion des Kochsalzkonsums infrage stellen. Was hat es damit auf sich?
Die „PURE“ Überraschung
Hintergrund aktueller Medienberichte ist die Publikation einer Subanalyse der PURE-Studie (Prospective Urban Rural Epidemiology) [1]. Dabei wurde das Ernährungsverhalten von über 95.000 Menschen (Alter 35 bis 70 Jahre) in 18 verschiedenen Ländern mit gesundheitlichen Endpunkten korreliert. Die Beobachtungszeit betrug acht Jahre, und als Grundlage der Ernährungsanamnese diente eine einmalige (!) Befragung zu Beginn des Zeitraums.
Auf den ersten Blick bestätigen die Ergebnisse der Subanalyse die bekannten Zusammenhänge: Ein hoher Kochsalzkonsum war mit erhöhten Blutdruckwerten und häufigeren Schlaganfällen assoziiert. Besonders deutlich war dieser Schlaganfall-fördernde Effekt bei Zufuhrmengen > 13 g/Tag – eine Menge, die in Deutschland wie bereits erwähnt vor allem bei Männern keine Seltenheit ist. Ursache der Überraschung war jedoch die Beobachtung der Studienautoren, dass bei einer geringeren Kochsalzzufuhr von < 11 g/Tag das Herzinfarktrisiko erhöht war. Wie ist das zu erklären?
Studie mit Schwächen
Einerseits besitzt die PURE-Studie erhebliche methodische Schwächen. Diese wurden bereits an anderer Stelle ausführlich diskutiert (s. DAZ 2017, Nr. 42, S. 30). Entscheidend für die fehlende Aussagekraft in Bezug auf die pathophysiologische Relevanz von Kochsalz ist die Art der Zufuhrbestimmung: Grundlage war die einmalige Messung der Natrium-Konzentration im Morgenurin. Es ist hinlänglich bekannt, dass die zuverlässige Bestimmung der Natrium-Zufuhr aus dem 24-Stunden-Sammelurin erfolgen muss, idealerweise sogar an mehreren Tagen. Hintergrund ist die starke circadiane Rhythmik der Natrium-Ausscheidung im Urin, wodurch die intraindividuellen Konzentrationsschwankungen erheblich höher sind als die Unterschiede zwischen den einzelnen Probanden [2]. Daher führt die einmalige Messung im Morgenurin bei einem Großteil der Probanden zu systematisch fehlerhaften Ergebnissen [3].
Zudem ist bekannt, dass Herzinfarkt und Schlaganfall nicht monokausale Erkrankungen sind, sondern von vielen Ernährungsfaktoren mit beeinflusst werden. In der Publikation fehlen jedoch jegliche Angaben zum Ernährungsverhalten der Probanden, einschließlich der Daten zur Energiezufuhr und zur Mikronährstoffversorgung. So ist nicht bekannt, über welche Lebensmittel/-gruppen das Salz aufgenommen wurde (stark verarbeitet/pflanzlich/tierisch). Ohne Berücksichtigung der Gesamternährung ist der Blick auf einen einzelnen Nährstoff (hier Natrium) bei pathophysiologisch komplexen Erkrankungen wie der arteriellen Hypertonie praktisch ohne Aussagekraft. Beispielsweise kann eine sehr kochsalzarme, dafür aber zuckerreiche und hyperkalorische Kost das Herzinfarktrisiko erhöhen. Und auch der Diagnosebias spielt eine Rolle: Wird kardiologisch gefährdeten Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder metabolischem Syndrom eine Kochsalzrestriktion „verordnet“, dann ist auch in dieser Gruppe eine geringe Kochsalzzufuhr mit einem (immer noch) erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert.
Und zuletzt: Die Daten aus 18 verschiedenen Ländern stammen neben vier hoch entwickelten Ländern (Schweden, Kanada, Polen, Türkei) überwiegend aus Entwicklungs- und Schwellenländern (z. B. Simbabwe, Pakistan, Indien, Bangladesch). Die Diagnostik der kardiovaskulären Endpunkte der Studien ist in diesen Ländern mit Sicherheit nicht vergleichbar – weshalb die Prävalenzdaten praktisch nicht beurteilbar sind. Die Mehrheit der eingeschlossenen Probanden stammt außerdem aus Asien, was die Übertragbarkeit auf den europäischen Geno- und Phänotyp (Stichwort: Darmmikrobiom) begrenzt.
Nicht zu viel, nicht zu wenig
Im Übrigen liefern die Studienergebnisse einen weiteren Beleg dafür, dass der Zusammenhang zwischen Mikronährstoffzufuhr und Gesundheitseffekten nicht linear ist: Es gibt vermutlich eine optimale Zufuhr, d. h. sowohl eine erniedrigte als auch eine erhöhte Zufuhr sind mit besonderen Gesundheitsrisiken assoziiert. Dieser Zusammenhang wurde in der Vergangenheit für viele Mikronährstoffe gezeigt; für Kochsalz zuletzt von Mente et al. [4].
Fazit
Die Überraschung über die Ergebnisse der PURE-Studie löst sich bei genauerem Hinsehen auf. Klarheit könnte auch hier wieder einmal nur eine randomisiert kontrollierte Studie bringen. Bis dahin gibt es keinen Grund, die aktuellen Zufuhrempfehlungen der kardiologischen und ernährungsmedizinischen Fachgesellschaften als überholt anzusehen. Vielmehr erscheint eine nationale Strategie zur Salzreduktion unter Public-Health-Gesichtspunkten gerade in einem Hochkonsumland wie Deutschland als angebracht, um die kardiovaskuläre Krankheitslast zu reduzieren. |
Quelle
[1] Mente A et al. Urinary sodium excretion, blood pressure, cardiovascular disease, and mortality: a community-level prospective epidemiological cohort study. Lancet 2018;392(10146):496–506
[2] McGuire S, Institute of Medicine. Strategies to reduce sodium intake in the United States. The National Academies Press, Washington (DC), USA: 2010
[3] Conkle J, van der Haar F. The Use and Interpretation of Sodium Concentrations in Casual (Spot) Urine Collections for Population Surveillance and Partitioning of Dietary Iodine Intake Sources. Nutrients 2016;9(1):E7
[4] Mente A et al. Associations of urinary sodium excretion with cardiovascular events in individuals with and without hypertension: a pooled analysis of data from four studies. Lancet 2016;388(10043):465-75
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