DAZ aktuell

Überwachung der Länder ist außen vor

Zur Bedeutung des Written-Confirmation-Verfahrens im aktuellen Valsartan-Fall

du | Wer ist dafür verantwortlich, dass über Jahre hinweg mit NDMA kontaminiertes Valsartan in den Handel gebracht werden konnte? Können die endfreigebenden Generikahersteller haftbar gemacht werden? Oder handelt es sich um ein Behördenversagen? Die Überwachungsbehörden der Länder scheinen jedenfalls aus dem Schneider zu sein. Im Gespräch mit der DAZ erklärt Dr. Michael Schmidt, Leitender Pharmaziedirektor am Regierungspräsidium Tübingen, warum die Landesüberwachungsbehörden bei der Vor-Ort-Prüfung von chemisch-synthetischen Substanzen außen vor sind.
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Blindes Vertrauen? Dr. Michael Schmidt bezeichnet die Written Confirmation der chinesischen Behörde im aktuellen Valsartan-Fall als suboptimal.

Fast eine Million deutsche Patienten könnten in den letzten Jahren mit mit ­NDMA verunreinigtem Valsartan behandelt worden sein. Ein im Jahr 2012 geändertes Syntheseverfahren wird als mögliche Quelle der Kontamination angesehen. Über Jahre hinweg soll niemand diese Verunreinigung auf dem Schirm gehabt haben – weder der chinesische Wirkstoff-Hersteller, noch das European Directorate for the Quality of Medicines and Healthcare (EDQM) als zertifizierende, europäische Behörde noch die endfreigebenden Generikahersteller. Wer genau in der Pflicht gewesen wäre, darüber wird heftig gestritten. In jedem Fall prüfen mehrere Staatsanwaltschaften, ob betroffene Hersteller gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen haben.

Auch die deutschen Überwachungsbehörden – das sind die zuständigen Behörden der Länder, in denen der jeweils betroffene Generikahersteller seinen Sitz hat – stehen immer wieder im Mittelpunkt der Kritik. Sind sie ihren Kontrollpflichten nur unzureichend nachgekommen? Wir haben bei Dr. Michael Schmidt, einem Vertreter dieser Überwachungsbehörden, nachgefragt. Schmidt ist Leitender Pharmaziedirektor am Regierungspräsidium Tübingen und zuständig für die in Baden-Württemberg ansässigen Pharmahersteller. Er hat 15 Jahre Kontrollen durchgeführt und war für die Leitstelle Arzneimittelüberwachung Baden-Württemberg zuständig. Seit über drei Jahren leitet er das Referat für ärztliche und pharmazeutische Angelegenheiten mit der Leitstelle als Sachgebiet.

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Dr. Michael Schmidt

DAZ: Herr Dr. Schmidt, wenn von Kontrollversagen in der Valsartan-Affäre gesprochen wird, dann geraten auch ganz schnell die Überwachungsbehörden der Länder ins Visier. Wann müssen denn deren Vertreter in Drittstaaten tätig werden?

Schmidt: Hier kommen drei Anlässe infrage: Erstens, die Pre-Approval-Inspektionen im Rahmen eines EU-Zulassungsverfahrens im Auftrag der European Medicines Agency (EMA). Zweitens, die Inspektionen von Arzneimittelherstellern als Bedingung für die Ausstellung eines Einfuhrzertifikats nach § 72a Arzneimittelgesetz (AMG).

Drittens, die Inspektionen von Herstellern pharmazeutischer Wirkstoffe humanen, tierischen, gentechnischen oder mikrobiellen Ursprungs als Bedingung für die Ausstellung eines Einfuhrzertifikats nach § 72a AMG. Für chemisch-synthetische Wirkstoffe wie Valsartan sieht das Gesetz keine Auslandsinspektionen und keine auf derartigen Inspektionen basierenden GMP-Zertifikate vor, ebenso wenig sind Einfuhrzertifikate deutscher Behörden vorgesehen.

DAZ: Wie sind denn dann die Spielregeln für chemisch-synthetische Wirkstoffe?

Schmidt: Bei Herkunft aus Staaten, die auf einer sogenannten „White List“ der EU stehen (z. B. USA und Kanada), wird ein den EU-Vorgaben entsprechender Herstellungsstandard angenommen und es sind keine Begleitzertifikate erforderlich. Für Staaten, die nicht auf der „White List“ stehen (z. B. Indien und China), gilt das Verfahren der „Written Confirmation“ (WC), nach dem eine schriftliche Bestätigung der zuständigen Behörde des Herkunftslandes vorliegen muss. Gemäß § 72a AMG muss diese Bestätigung folgende Aussagen enthalten: „Der Wirkstoff wird entsprechend anerkannten Grundregeln für die Herstellung und Sicherung der Qualität der Europäischen Union oder nach Standards, die diesen gleichwertig sind, hergestellt, die Herstellungsstätte wird regelmäßig überwacht, die Überwachung erfolgt durch ausreichende Maßnahmen, einschließlich wiederholter und unangekündigter Inspektionen. Im Fall wesentlicher Abweichungen von den anerkannten Grundregeln wird die zuständige Behörde informiert.“

DAZ: Auf der einen Seite traut man also bestimmten Staaten nicht so ganz über den Weg und verlangt eine „Written Confirmation“, auf der anderen Seite verlässt man sich dann doch auf die zuständigen Behörden des jeweiligen Landes. Welchen Wert haben denn solche „Written Confirmations“?

Schmidt: Der Inhalt dieser Erklärungen kann nicht überprüft werden und basiert auf Vertrauen. Im Fall Valsartan gab es sicher eine WC der zuständigen chinesischen Behörde. Nach dem Stand der heutigen Kenntnisse war der Nutzen dieser WC suboptimal.

DAZ: Im Falle von Valsartan und allen weiteren chemisch-synthetischen Wirk­stoffen sind also unsere Überwachungsbehörden nicht in der Pflicht, vor Ort zu prüfen. Anders dagegen bei Biologicals oder Antibiotika. Wie laufen solche Inspektionen ab? Was dürfen ausländische Kontrolleure prüfen, wo sind ihnen die Hände gebunden?

Schmidt: Die Inspektionen sind immer produktbezogen, also auf bestimmte Produkte beschränkt. Für die Arzneimittel oder Wirkstoffe wird die Einhaltung aller Vorgaben des EU-GMP-Standards überprüft. Die Inspektionen laufen üblicherweise in einem Team von zwei bis drei Personen ab, meist in englischer Sprache (erforderlichenfalls mit einem unabhängigen Übersetzer), sind angemeldet (u. a. weil vorab das zuständige Ministerium des Zielstaates über das Auswärtige Amt informiert werden muss und zum Inspektionstermin die Produktion der betroffenen Produkte laufen soll) und dauern in der Regel pro Betrieb eine Woche – bei einer Vielzahl zu überprüfender Produkte auch länger. Da sich die Inspektionsinhalte auf Aspekte der Guten Herstellungspraxis (GMP) beschränken müssen, können andere Aspekte wie die Abfallentsorgung oder der Standard anderer Betriebsteile, Gebäude oder Geräte ohne Bezug zu dem konkreten Inspektionsauftrag nicht abgedeckt werden. Manchmal führen gemischte Teams verschiedener EU-Mitgliedstaaten gemeinsam Inspektionen durch. Manchmal begleiten Inspektoren des Ziellandes die Teams, um deren Vorgehensweise zu beobachten und Erfahrungen zu sammeln.

DAZ: Wie wird überwacht, ob festgestellte Mängel behoben wurden?

Schmidt: Die festgestellten Mängel sind nach „kritisch“, „schwerwiegend“ und „sonstige“ zu klassifizieren. Bei Feststellung schwerwiegender oder kritischer Mängel wird kein Zertifikat erteilt und eine EU-weite GMP-Noncompliance-Meldung erstellt. Ggf. muss eine Nachinspektion durchgeführt werden. Bei sonstigen Mängeln wird eine Frist gesetzt, bis zu welcher die Korrektur erfolgt und mitgeteilt sein muss. Aus Sicht Baden-Württembergs gibt es nur sehr wenige Problembetriebe, da im Vorfeld einer Inspektion qualifizierte Audits durch den Auftraggeber erfolgreich ablaufen müssen. Diese Audits decken nach unserer Erfahrung auch über GMP hinausgehende Aspekte wie z. B. den Umgang mit Abfällen (Wasser, Boden, Luft) ab. Ein GMP-Zertifikat gilt maximal 2,5 Jahre, danach ist eine neue Inspektion fällig.

DAZ: Wann wird die Produktion für den deutschen Markt untersagt? Gibt es eine Nutzen-Risiko-Abwägung auch dahingehend, ob überhaupt die Versorgung bei Ausschluss eines Lieferanten gewährleistet werden kann?

Schmidt: Dieser Fall tritt nicht im Zusammenhang mit einer Inspektion auf, da bei Feststellung schwerwiegender oder kritischer Mängel kein für die Einfuhr notwendiges GMP-Zertifikat ausgestellt wird. Es kann aber vorkommen, dass ein oder zwei Jahre nach der Inspektion einer deutschen Behörde eine Inspektion der selben Betriebsstätte durch die US-FDA oder einen anderen EU-Mitgliedstaat schwerwiegende oder kritische Mängel zum Ergebnis hat. In diesen Fällen muss überprüft werden, ob diese Mängel produkt- und sicherheitsrelevant oder eher formaler Natur sind. Bei Gefahr im Verzug ist eine Untersagung des Bezugs von einer bestimmten Quelle konsequent. Derartige Fälle sind nach unserer Erfahrung aber selten. Die Entscheidung, ob bei Monopolisten Qualität oder Marktversorgung Vorrang haben, ist im Einzelfall unter enger Abstimmung mit den Zulassungsbehörden zu fällen.

DAZ: Wie lässt sich, wenn überhaupt, die globale Arzneimittelherstellung effektiv kontrollieren? Was muss sich dringend ändern?

Schmidt: Im vorliegenden Valsartan-Fall hätte es nach dem derzeitigen Erkenntnisstand wohl schon viel gebracht, wenn durch das EDQM das geänderte Syntheseverfahren von qualifizierten Chemikern bewertet worden wäre und gezielt Reinheitsprüfungen auf Nitrosamine durchgeführt worden wären. Diese Erkenntnisse hätten zeitnah Eingang in die Monographie des Europäischen Arzneibuches finden müssen – sie beschreibt gemäß § 55 AMG die anerkannten pharmazeutischen Regeln zur Prüfung. Ein wirkungsvolles und bereits existierendes Kontrollinstrument stellt die Durchführung qualifizierter Audits durch die Abnehmer von Wirkstoffen dar. Ziel muss ein global harmonisierter und qualitativ hochwertiger Inspektionsstandard sein. Eine Patentlösung habe ich nicht, eher den Wunsch nach einer weniger von Emotionen, sondern von sachlichen Überlegungen geprägten Debatte. Immerhin hört man derzeit wieder – wie bei jedem „Skandal“ – die Erkenntnis, dass Qualität Geld kostet.

DAZ: Herr Dr. Schmidt, wir danken ­Ihnen für das Gespräch. |

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