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Arzneimittel und Therapie
Blutdrucksenker schützt Betazellen
Verapamil senkt Insulin-Bedarf bei Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes
Typischerweise manifestiert sich ein Typ-1-Diabetes im Kindes- und Jugendalter, doch auch bei Erwachsenen kann die Autoimmunerkrankung die Funktion der Betazellen nach und nach zum Erliegen bringen. Im Mausmodell konnte bereits gezeigt werden, dass das altbekannte Antihypertonikum Verapamil die Insulin-produzierenden Zellen schützen kann. Und zwar indem die Expression des Thioredoxin-interacting-protein (TXNIP) verringert wird. TXNIP reguliert das antioxidativ wirkende Protein Thioredoxin (TRX), welches kürzlich auch als zentrale Schaltstelle im Alterungsprozess identifiziert wurde (s. DAZ 2018, Nr. 27, S. 6). Bei Patienten mit Diabetes wird TXNIP verstärkt in Betazellen exprimiert. Die Überexpression führt zur Apoptose der Insulin-produzierenden Zellen. Verapamil blockiert L-Typ-Calcium-Kanäle, wodurch die freie intrazelluläre Calcium-Konzentration verringert wird. Dies führt wiederum dazu, dass die TXNIP-Transkription inhibiert wird. Neben Herzzellen verfügen auch Betazellen über eine hohe Anzahl an L-Typ-Calcium-Kanälen.
Ob sich die pharmakologische Rationale und die positiven Ergebnisse aus dem Tiermodell auch auf den Menschen übertragen lassen, war Gegenstand einer Phase-II-Studie. Dazu erhielten 26 erwachsene Patienten im Alter von 18 bis 44 Jahren ein Jahr lang jeweils zusätzlich zu einer Insulin-Therapie entweder Verapamil (inital 120 mg, Maximaldosis 360 mg) oder Placebo. Bei den Patienten war drei Monate vor Studienbeginn erstmalig ein Typ-1-Diabetes diagnostiziert worden. Die Ergebnisse der kleinen, aber doppelblind und randomisiert durchgeführten Studie lassen hoffen: Unter Verapamil war der Verlust der Betazellfunktion – gemessen anhand der C-Peptid-Spiegel nach Mahlzeitentoleranztest – weniger stark ausgeprägt als unter Placebo. Zudem war der Insulin-Bedarf in der Verapamil-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe geringer. Erhielten die Patienten Placebo, musste die Insulin-Dosis während der zwölfmonatigen Studiendauer im Schnitt um 70% gesteigert werden, unter Verapamil waren es nur 27%. Die Blutzuckereinstellung schien in der Verapamil-Gruppe zwar numerisch etwas besser zu sein, statistisch gesehen bestand jedoch kein Unterschied. Hypoglykämien traten unter Verapamil signifikant seltener auf als unter Placebo (0,5 Ereignisse vs. 2,7 Ereignisse pro Monat).
Angriff am Calcium-Kanal
Die Konzentration an freien Calcium-Ionen beträgt innerhalb einer normalen Zelle im Vergleich zum Extrazellularraum nur etwa ein Zehntausendstel. Durch Öffnen und Schließen von Calcium-Kanälen, intrazelluläres Freisetzen oder Binden von Calcium-Ionen oder durch Calcium-Ionentransporter in der Zellmembran bzw. in intrazellulären Membranen kann sie verändert bzw. reguliert werden. Als Folge steigt die intrazelluläre Calcium-Konzentration kurzfristig stark an. Calciumkanal-Blocker wie Verapamil verhindern den transmembranären Einstrom der Calcium-Ionen, indem sie den langsamen spannungsabhängigen L-Typ-Calciumkanal blockieren. Da der Kontraktilitätszustand der glatten Gefäßmuskelzellen von der intrazellulären Konzentration an freien Calcium-Ionen abhängt, wirken Calciumkanal-Blocker vasodilatierend.
Doch wie sieht es mit der Verträglichkeit eines Blutdrucksenkers bei Patienten mit Blutdruckwerten im Normbereich aus? Hier gab es unter Verapamil keine Anhaltspunkte für eine Hypotonie, Herzfrequenz und Elektrokardiogramm waren unauffällig.
Bevor ein breiter Einsatz des Calciumkanal-Blockers bei Typ-1-Diabetes in Erwägung gezogen werden kann, muss sich Verapamil allerdings erst noch in weiteren klinischen Studien – insbesondere bei pädiatrischen Patienten – als wirksam und sicher erweisen. |
Quelle
Ovalle F et al. Verapamil and beta cell function in adults with recent-onset type 1 diabetes. Nat Med 2018; doi: 10.1038/s41591-018-0089-4
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